Kapitel 22

Finneagan

„Du warst soo gut", säuselt Susie in mein Ohr und mir stellen sich die Nackenhaare auf. Schon seit sie neben mir steht, habe ich den Drang, einen Schritt zur Seite zu machen. „Wirklich Sly, ich hab dich selten besser fliegen sehen, als heute."

Ich höre ihr kaum zu. Auch was Soph zu Atticus sagt, bekomme ich nicht mit. Ich versuche gar nicht erst, mich auf das Gespräch zu konzentrieren. Das muss am Alkohol liegen. Daran oder an der Hitze, die in meinem Magen umher wabert.

Egal, was Susie gerade zu mir sagt, ich spüre ihren Blick auf mir. Quer durch den Raum. Evans steht irgendwo dort hinten bei den Stundengläsern, ich kann sie noch nicht mal richtig sehen, und doch weiß ich einfach, dass sie mich ansieht. Ich spüre es wie kleine Nadelstiche auf meiner Haut. Ich spüre ihren Blick immer.

Ich hab es sogar vorhin beim Spiel bemerkt, was wirklich kontraproduktiv war.

Und ich weiß, dass wenn ich den Kopf hebe, und meinen Blick ausrichte, dann treffen meine Augen auf ihre. Wetten?

Ich schlucke schwer, trinke das Butterbier leer und sehe auf. Und tatsächlich: Ich muss beinahe schmunzeln, denn da steht sie, bei Vi und Mimi Smith – und sieht mich an. Unsere Blicke treffen sich und sie zuckt sichtlich zurück. Ich kann nicht anders, ich muss einfach automatisch lächeln. Sie hat mich vorhin so... umgehauen, als sie aus dem nichts vor mir auftauchte, und dann dieser Quaffel am Besen abprallte, der dann durch den Rückprall mit einer Wucht im Tor versenkt wurde, dass ich keine Chance hatte. Ich war... zu perplex.

Ich wusste, dass Rory Evans fliegen kann. Aber nicht, dass sie wirklich so gut Quidditch spielt, dass sie solche Manöver so präzise fliegen kann. Weil das war kein Zufall. Ich habe sie vollkommen unterschätzt. Ich will wissen, wo sie das gelernt hat. Warum sie das nicht erzählt hat, als wir damals liegen waren. Sie ist der Hit.

Mein Lächeln wird breit und ich sehe, wie ihr am anderen Ende der Halle eine leichte Röte den Hals hinaufkriecht. Ein winziger Teil von mir wünscht sich, dass es nicht wegen des Butterbieres oder des Kirschlikörs ist, sondern wegen mir. Okay, der Teil ist vielleicht gar nicht so winzig.

Aber das sollte ich nicht denken und schon gar nicht wollen, mahne ich mich. Nur weil du deiner Schwester deinen Scheiß erzählt hast, heißt das nicht, dass du die Offenbarung hattest und frei bist.

„Hörst du mir eigentlich zu?" Susie berührt mich am Arm und ich ziehe ihn ihr instinktiv weg.

„Was?" Ich schüttele den Kopf und blinzele, als ob ich gerade aus einer Trance erwacht wäre. „Nein!"

Susie reißt entgeistert die Augen auf. „Wie bitte?", kiekst sie schrill. Ich sehe zu Atti und ziehe entschuldigend die Schultern hoch. Schnell tauche ich zwischen ihm und Soph durch, bevor Susie eine Szene machen kann, und verschwinde in der tanzenden Menge. Da muss er jetzt durch. Aber es gibt Schlimmeres. Soph wird ihn schon trösten.

Ich muss ganz einfach mit Evans reden. Ich muss wissen, wie sie das angestellt hat. Was das für ein Angriff war, den sie da geflogen ist, wo sie das gelernt hat und-

Mir ist es eigentlich egal, was sie zu mir sagt.
Ich will sie sehen. Nicht nur auf die Distanz.
Ich will-

Ich will so verdammt viel.
Sollte so wenig.

Und dann stehe ich doch vor ihr und meiner Schwester, starre sie dümmlich an und bringe kein besseres Wort heraus als „Hi."

Evans sieht mich überrascht an. „Hi...", macht auch sie und schluckt.

Vi neben ihr gluckst leise und feixt. Ich hätte ihr nie von dem Kuss erzählen dürfen. Vor allem hätte ich heute Morgen gehen müssen, als sie darauf bestand, endlich über mich und Rory reden zu. Und es dann auch noch zu tun.

Dass sie jetzt breit grinsend zwischen uns steht, lässt mich wie den Trottel dastehen, der ich in Wirklichkeit bin. Danke, Violett.

Sie hat darauf gewettet, dass ich es vermassele, womit sie vermutlich gar nicht so falsch liegt. Immerhin bleibt mir die Schmach erspart, dass Mimi Smith diese peinliche Kontaktaufnahme auch noch beobachtet.

Rory legt den Kopf schief und mustert mich. „Na...", setzt sie noch gedehnt hinterher.

„Glückwunsch, Evans", sage ich lahm, weil mir plötzlich nichts Besseres mehr einfällt. Mir ist furchtbar heiß, meine Handflächen beginnen zu schwitzen und ich bin mir sicher, dass mir jeder Quaffel sofort aus der Hand rutschen würde.

„Du hast mir schon auf dem Feld gratuliert", sagt sie und zieht die Augenbraue skeptisch hoch. Ihre blauen Augen funkeln herausfordernd und ihre Wangen haben noch immer diesen rosa Glanz, als ob sie frisch vom Besen gestiegen wäre.

„Habe ich, ja..." Ich atme tief durch und versenke die Hände in meinen Hosentaschen, damit sie nicht sieht, wie nervös ich plötzlich bin. „Zur Hausauswahl, meine ich." Echt, jetzt?

„So viel ehrliche Mitfreude hätte ich dir gar nicht zugetraut, McDou." Rory schmunzelt und neben ihr höre ich ein verschlucktes Prusten von Vi. Was hab ich mir nur dabei gedacht? Das schmiert sie mir auf's Brot, bis ich tot bin. „Tja, so bin ich. Ein großer Gönner..."

Vi verschluckt sich jetzt an ihrem Butterbier und weißer Schaum kommt aus ihrer Nase heraus. Ihr ganzer Pulli ist voll mit Butterbier. Gern geschehen, Schwesterherz. „Bin kurz im Mädchenklo...", murmelt sie und zeigt mir im Abgang den Mittelfinger.

Rory sieht Vi zweifelnd nach. „Das war fies."

„Konnte ich doch nicht wissen, dass sie sich so verschluckt." Ich zucke mit den Schultern.

„Ach komm, wir wissen beide, dass du kein großer Gönner bist, Finn." Sie dreht sich wieder zu mir um und ihre offenen Haare wehen seidig hinter ihr her. Der Geruch nach Lavendel steigt mir in die Nase wie vor zwei Wochen schon, als wir nebeneinander auf der Tribüne saßen. Dieses Shampoo bringt mich um. Ehrlich. 

„Das..." Ich mustere ihr Gesicht und bleibe einen Wimpernschlag an ihren Lippen hängen. Nein, lass das! „-war ehrlich super geflogen. Du... hast mich echt... umgehauen."

Rory hält den Atem an. Ihre Augen tasten mein Gesicht ebenso ab wie ich ihres, mit dem Unterschied, dass sie nicht an meinen Lippen hängenbleibt, sondern meine Augen findet und einfängt. „Hab ich das, McDou?", fragt sie leise. Die Frage bleibt zwischen uns hängen wie Morast, eine sumpfige Frage, in der ich zu versinken drohe.

Was rede ich denn da? Das wollte ich gar nicht sagen. Ich räuspere mich laut und kämpfe das aufsteigende Blut nieder. „Mit dem Manöver, Evans. Wo hast du das her?"

Sie schließt kurz die Augen und unterbricht so den Blickkontakt, was ich wirklich bedauere. Das angenehm warme Gefühl in meinem Brustkorb verschwindet sofort. Evans atmet aus, langsam und schwerfällig, vevor sie antwortet und es klingt, als läge ihr ein Zentner auf den Schultern.„Von zu Hause...", murmelt sie und wägt einen Moment ab. „Wir... haben..." Sie zögert und will ganz offensichtlich nicht darüber reden.

„Hey, schon okay. Ich will keine Geheimnisse wissen, die du nicht erzählen willst." Ich lächle sie aufmunternd an.

Rory greift an die Kette um ihren Hals und seufzt. „Mein Bruder hatte die Idee", sagt sie dann schnell. „Wir hatten ein Problem mit unserer Angst-Mannschaft in Ilvermorny und Collin..." Sie seufzt schwer. „Er hat das vorgeschlagen. Es heißt das Evans-Manöver. Sie haben es nach ihm benannt."

Ich krame in meinem Kopf nach einem passenden Artikel in einer Quidditch-Zeitschrift, aber mir fällt nichts dazu ein. „Nie gehört."

„Er hat es nur zwei Mal in eher unbedeutenden Spielen ausprobiert. Es funktioniert nur, wenn-" Sie starrt mich an und schüttelt dann müde den Kopf. „Sorry, Finn. Aber das kann ich dir nicht verraten."

„Wir spielen jetzt in einem Team", versuche ich es und grinse schief.

„Wir spielen nicht in einem Team. McG hat dich nicht-"

Ich hole tief Luft und spreche die Wahrheit aus, die draußen vor der Halle am schwarzen Brett hängt. „Zweite Wahl, Baby..." Ich versuche, es leicht klingen zu lassen. McGonagall hat es mir nach dem Spiel gesagt. Fawley hat – statistisch gesehen - die bessere Saison gespielt. Deshalb ist er ihre Nummer 1 für das Turnier. Ich hab nie bewusst auf ihn geachtet. Aber ja, die Statistik spricht für ihn. Ich hab ein wirkliches katastrophales erstes Spiel gespielt. Das Spiel gegen Gryffindor war wesentlich besser, das haben wir unter dem Strich gewonnen, weil Gryffindor irgendwann aufgegeben und den Schnatz gefangen hat.

„Sie hat dich als Reservespieler nominiert?"

„Die Liste hängt draußen, du kannst es schwarz auf weiß nachlesen." Ich wackele mit den Augenbrauen, spüre aber, dass der Witz nicht ankommt. Irgendetwas hängt zwischen uns,  ich hab es versaut, aber ich weiß nicht warum.

„Das erklärt ein bisschen, warum du so..." Sie scheint nach dem passenden Wort zu suchen.

„So?"

„Tiefenenspannt bist..."

„Oh, glaub mir, ich bin sicher nicht tiefenentspannt." Ich grinse schief. „Ich hatte nur Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden. Und..." Und das meine ich ganz ehrlich. „Vielleicht nimmt es... etwas Druck raus."

Rory sieht mich an und nickt aufrichtig. „Das wünsche ich dir wirklich. Von ganzem Herzen, Finn." Sie schluckt und eine Vielzahl an Gefühlen huscht über ihr Gesicht. Keines davon kann ich in Worte fassen. Aber mir ist klar, dass ich es wirklich versaut habe mit ihr.

Dann tritt sie einen Schritt zurück. „Ich glaube, ich geh dann hoch in den Turm... Es ist schon spät und wir haben morgen früh Training. Und angeblich ist danach auch noch Unterricht." Sie legt mir sanft die Hand auf die Schulter und drückt leicht die Stelle, wo mich Henry Morrisons Klatscher vorhin erwischt hat – kurz bevor sie aus dem Nichts plötzlich mit diesem Quaffel vor dem Tor stand und ihn mir um die Ohren gehauen hat, als ob ich gerade zum ersten Mal im Tor stehen würde.

„Schon?" Hab ich das gerade gehaucht? Junge! Reiß dich mal zusammen.

„Ja, schon. Und du solltest auch nicht mehr allzu lange machen. Hooch wird nicht sonderlich erfreut sein, wenn du morgen früh vor Müdigkeit in den Torpfosten einschläfst. Auch wenn du nur die Nummer 2 bist." Sie grinst. Ich bringe kein weiteres Wort heraus und starre sie bloß an. Rory strahlt mich an. Dann hält sie inne und schaut auf ihre Hand auf meiner Schulter. „Henry hat dich ordentlich erwischt, oder?"

Ihre Hand brennt lichterloh auf meiner Schulter, was aber nichts, gar nichts, mit der Prellung zu tun hat. „Geht schon. Halb so schlimm..."

„Gute Nacht, McDougal", murmelt sie an mein Ohr und lässt mich stehen wie den Mittelpfosten auf dem Quidditch-Feld. Ich kann es ihr noch nicht mal verübeln.

Sprachlos sehe ich ihr nach, wie sie durch die feiernde Menge davon geht und fühle mich von einem auf den anderen Augenblick mutterseelenallein.

....

Wo genau hat er es jetzt verspielt?
Es lief doch so gut...

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