Kapitel 20

Finneagann


Ich sitze diesmal nicht bei meinem Team, sondern bei Violett, um mir dieses Spiel anzusehen. Und es dauert keine 30 Sekunden – Hooch hat noch nicht mal angepfiffen – und ich bin zum ersten Mal überrascht. Sprachlos überrascht.

Sie hat mich an der Nase herumgeführt. Wochenlang.

Als die Teams in Aufstellung aufs Feld kommen, geht ein Raunen durchs Stadion, als Cassie Farinato nicht mit ihrer angestammten Rückennummer 7, sondern mit der 4 aufläuft. Was bedeutet, dass sie auch nicht ihre übliche Position als Jägerin spielen wird.

Verdammt, Evans.

Evans hat ihre roten Haare zu einem festen Zopf geflochten und ihre Fliegerbrille noch in der Hand. Ihr Gesicht ist verschlossen und sie wirkt so konzentriert, wie ich sie bislang nur in McGs Unterricht erlebt habe. Ihr Blick ist fest, ihr Zeigefinger tippt leicht auf dem Kopf des Besenstils herum, was das einzige Zeichen ist, das sie nervös sein könnte. Ansonsten sieht sie aus, als habe sie das alles schon tausend Mal gemacht.

Hat sie vermutlich auch. In Ilvermorny, denke ich.

Ravenclaw hat nach dem uncharmanten Rauswurf von Team-Captain Jonathan Horner kräftig an der Aufstellung gerüttelt", schallt Jason Meyers Stimme magisch verstärkt durch das Stadion. „Horner im zentralen Mittelfeld wird ersetzt durch Farinato, die vormals als Sucherin eingesetzt war. Sally McLaughlin und Sander Jacobs tauschen von je links nach rechts außen. Neue Sucherin ist die schulbekannte Horror-Irre Rory Evans!"

Ich versteife mich ein wenig und spüre, wie meine Hand sich unmerklich zur Faust zusammenzieht. Dieser Unname geht mir so auf die Nerven. Evans ist vieles, aber weder Horror noch Irre. Gut, ein bisschen irre ist sie schon.

Zumindest macht sie, dass ich mich wie irre verhalte.

„Finni?"

„Nenn mich nicht so", sage ich automatisch.

„Warum hast du mich zu ihr in die Kabine geschickt?"

Ich starre aufs Spielfeld. Die Mannschaften machen sich bereit, Hooch lässt die Bälle frei. Die Klatscher sausen sofort derart aggressiv durch die Luft, dass mir klar ist, dass die Treiber ein hartes Spiel vor sich haben. Der Schnatz saust davon und ich beobachte Evans, deren Blick sofort in die Ferne schweift. Sieht sie ihn noch?

Hooch pfeift, die Teams stoßen sich ab und mir rutscht ein leises „verdammt" heraus. Und nicht nur mir. Ein lautes Raunen geht durch die Ränge, als Evans pfeilschnell über die Köpfe der Südtribüne zischt und sich so schnell in den Himmel schraubt, dass ich zugeben muss: Ja, ich habe sie unterschätzt. Maßlos. Sie hat sich mir gegenüber gut verkauft, aber deutlich unter Wert. Und ich bin mir sicher, dass dieser Steigflug nicht mal die Hälfte ihrer Klasse zeigt.

Und ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung, was mit Ravenclaw los ist. Mit der Mannschaft, die gegen Gryffindor im Herbst gespielt hat, hat dieses Team hier nichts gemeinsam.

Die Passspiele der drei Jäger sind irre. Cassie Farinato macht einen wirklich guten Job und ich frage mich, warum zum Teufel Horner sie nicht schon früher dort hat spielen lassen.

„Finn!"

Was?!"

„Ich rede mit dir?"

„Sorry, was hast du gesagt?"

„Warum du wolltest, dass ich in die Kabine gehe? Sie sah so aus, als ob sie das mit Fawley schon wusste."

„Wusste sie auch. Hab ich ihr vorhin schon gesagt." Farinato passt per Fassrolle zu Jacobs und der versenkt im rechten Torring. Fawley hat keine Chance. Sie ist als Jägerin überraschend gut.

„Autsch!" Ein plötzlicher Schmerz in meinem Oberarm reißt mich zurück ins Hier und Jetzt und ich starre Violett genervt an. „Was schlägst du mich, du durchgedrehte Vela?!"

„Du hättest auch selbst in diese Kabine marschieren können, wenn du ihr Glück wünschen willst, weißt du?"

„Hätte ich nicht", schnappe ich zurück und lehne mich so schnell zurück, dass ich mir den Hinterkopf an der Holzwand anschlage. „Autsch...", murmle ich noch einmal und reibe mir den Kopf, während mein Blick hinauf zu den Wolken wandert. Hufflepuffs Sucher Max Pratt kreist über dem Stadion, von Evans ist keine Spur zu sehen.

„Warum nicht?", hakt Vi nach und ich habe nicht wenig Lust, ihr einen Fluch an den Hals zu hexen. Irgendetwas Gemeines, was ich vermutlich auch tun würde, wenn McGonagall nicht zehn Meter weiter sitzen würde und mit Madam Pomfrey tuscheln.

Weil." Sie nervt. Es reicht schon, dass mein halbes Haus tuschelt, dass ich regelmäßig fliegen gehe. Ein paar müssen uns gesehen haben und es gibt Gerüchte, dass Evans und ich-

Ich hab alle unterbunden. Ich will nicht, dass über sie getratscht wird. Nicht nach diesem Horror-Irre-Zeug.

„Finni, du bist verknallt in sie."

„Ich bin nicht-", setze ich an, aber Vi lacht bereits.

Ich spüre, wie sie mir einen Arm um die Schulter legen will und ich schüttele ihn schneller weg, als sie Bertie Botts Bohnen sämtlicher Geschmacksrichtungen sagen kann. „Nerv nicht."

„Werd nicht rot, Finneagann."

Meine Hand zuckt zu meinem Zauberstab und ich funkle sie böse an.

Zu mehr komme ich nicht. Ein kollektives Stöhnen geht durch die Westtribüne. Einer der Klatscher schlägt mit voller Wucht in die Balustrade ein. Hufflepuffs Treiber Bucky Fitzgerald schwingt sein Holz in Richtung Olly O'Connors, doch der lacht nur feixend und fliegt weiter.

Danach ist Vi zum Glück vom Spiel zu abgelenkt, um weitere Fragen zu stellen. In kurzer Folge fallen bestimmt zehn Tore nacheinander. Abwechselnd versenken beide Teams in den Torringen, wobei ich einen leichten Vorteil bei Ravenclaw ausmachen möchte.

Es ist ein überraschend gutes Spiel. Schnell, ausgeglichen. Sogar die Puffs sind erstaunlich gut. Mimi Smith fliegt das Spiel ihres Lebens. Als ich einen Blick zu McGonagall riskiere, nickt die anerkennend und macht sich Notizen in ein kleines schwarzes Buch.

Max Pratt kreist noch immer über dem Stadion, ein paar Mal geht er in den Sturzflug, weil er glaubt, etwas gesehen zu haben, aber jedes Mal bricht er ab, weil es nur die Reflexionen von irgendwelchen Metallteilen im Licht waren.

Das Spiel läuft etwa eine Stunde, als der Wind auffrischt und ich das leise Ziehen im Bauch verspüre, das gleich irgendetwas passiert. Es steht 180 zu 170 für Hufflepuff, als Sander Jacobs zum Ausgleich trifft. Vi springt von ihrem Platz auf und jubelt wie der Rest ihres Hauses frenetisch und schwenkt ihren blauen Schal über ihrem Kopf, als hätten sie schon gewonnen.

Aus den Augenwinkeln nehme ich eine Bewegung wahr, ein vages Flirren – und dann habe ich das Gefühl, dass mein Herz stehen bleibt. Eine Wolke teilt sich und Evans sticht aus deren Schutz heraus. Sie fällt förmlich vom Himmel.

Es geht so verdammt schnell, dass es kaum jemand mitbekommt. Cassie Farinato trifft zum 19. Mal für Ravenclaw, während Evans im steilen Sturzflug aus sicher hundert Metern über uns immer schneller und schneller wird.

„Finn? Alles okay? Du bist kreidebleich?", fragt Vi, während die Ravenclaw-Fans ihr Team anfeuert, das sich gerade zum nächst Angriff formiert.

Aber ich kann nichts sagen, ich starre nur auf sie, die scheinbar fällt und fällt, während ich an Gryff denke, an den schlimmsten Tag meines Lebens.

Aber sie fällt nicht.

Ihre Hand um diesen verdammten Feuerblitz ist so fest, ihr Blick so fest und entschlossen. Max Pratt hat keine Ahnung, was passiert, als sie an ihm vorbeischießt, ich kann nur raten, wie schnell sie ist.

Der Fan-Block der Ravenclaws um mich herum jubelt erneut, als Farinato im mittleren Torring versenkt.

Evans Gesicht ist hochkonzentriert. Sie hat den Schnatz – mittlerweile habe auch ich ihn entdeckt, er flattert relativ gemächlich um die Westfahne des Quidditchstadions herum – fast erreicht, streckt die Hand aus, dreht dabei den Besen um eine viertel Drehung, so dass einigen Schülerinnen und Schülern die Mützen vom Kopf geweht wird. Sie ist so irre schnell, über das Stadion hinweg, dass die nur verwirrt die Hälse recken, wer oder was das gerade war. Vermutlich glauben sie, es war eine Windböe.

Fuck..." Ich schlucke und mir klappt der Mund auf.

„Was?"

„Alter, ist die gut..."

„Wer? Cassie?"

Ich schüttele den Kopf just in dem Moment, in dem Evans mit einer eleganten Schraube und breit grinsend über die Osttribüne zurück ins Stadion geflogen kommt und eine Schleife um Hooch dreht und triumphierend den Schmatz in die Höhe reckt.

Sie sieht entspannt aus, total überlegen und glücklich. Ihre Wangen sind gerötet. Wie im Rausch. Die Haare haben sich aus ihrem Zopf gelöst und flattern wild hinter ihr her. Das schönste Mädchen der Schule.

Hooch schaut etwas irritiert – und pfeift ab.

Ravenclaw gewinnt 350 zu 180. Ich kann es kaum glauben.

„Wann hat sie den bitte gefangen?"

„Was? Wie?"

„Wie, schon vorbei?"

Stimmen werden um uns laut. Keiner, wirklich keiner um uns herum hat Evans Sturzflug wahrgenommen. Vi starrt aufs Spielfeld, dann zu mir. „Sie hat ihn geschnappt", fragtsie ungläubig.

Ich nicke, kann den Blick kaum von ihr nehmen, während Evans mit dem Feuerblitz auf dem Rasen landet und sofort von ihrem Team umringt wird und hochgehoben wird. „Sie...", ich atme aus und spüre, wie schnell mein Herz rast. Ob wegen des Herzschlags oder ihr, kann ich nicht sagen. Dann schließe ich die Augen und sage das Einzige, was in diesem Moment für mich Sinn ergibt. „Ich habe sie geküsst, Vi."

Ich glaube, noch nie hörte sich der Jubel auf der Tribüne für mich so still an, wie in diesem Moment.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top