Kapitel 20

Die Schule läuft seit zwei Wochen wieder und schließlich hat uns der Alltag schneller wieder, als wir „Hausaufgaben" sagen können. Ich glaube, Finn ist mehr als dankbar darüber. Je mehr seiner Kumpels zurückkehren, umso entspannter wird er und das Getuschel hat über Weihnachten auch deutlich abgenommen. Das liegt eventuell daran, dass zum einen Susie Fletcher mit einer neuen Frisur in der Schule auftaucht (die Spitzen ihrer Haare schimmern giftgrün – „Slytheringrün", wie sie schnippisch immer wieder betont) und zum anderen daran, dass Scorpius Malfoy beim Knutschen mit Rose Weasley im Zug erwischt wurde. Doppelt skandalös, wie Mateo Cooper beim Mittagessen proklamiert.

„Und das ist warum so skandalös?", frage ich gelangweilt beim Abendessen. Meine Finger sind vom Fliegen mit Finn mal wieder steifgefroren und er hat, zurück in der Schule, wie immer keinen Blick mehr für mich übrig. Daran habe ich mich in den letzten Wochen gewöhnt. Er macht das aus Selbstschutz. Um die Distanz zu mir zu wahren. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.

„Weil", sagt Mateo mampfend zwischen zwei Gabeln Spaghetti Bolognese, „sie eine Gryffindor ist – und er ein Slytherin! Das ist doch wie Feuer und Wasser!"

Vi ist über dieses Gerücht mindestens so aufgeregt wie über die Tatsache, dass ihr Bruder mit mir fliegen geht. „Weil Rose Scorpius ganz offiziell verabscheut wie Bertie Botts Bohnen mit Popel-Geschmack."

Uärks. Ich hasse diese Bohnen. Ich rümpfe angewidert von der Vorstellung die Nase und sehe verstohlen zum Gryffindortisch, wo Rose mit ihrer Cousine Lily den Kopf zusammensteckt. Sie scheint absolut nicht erfreut über diese Gerüchte zu sein.

„Warum wird das an dieser Schule so aufgebauscht, wer mit wem knutscht?", frage ich mich laut und spüre, wie mein Blick ganz automatisch zum Slytherintisch hinüberwandert, obwohl ich das gar nicht will. Finn sitzt wie gewohnt mit dem Rücken zu uns und isst im Beisein seiner üblichen Entourage. Dom Manners schmatzt so laut, dass ich es überdeutlich hören kann. Der Typ ist so ätzend. Ich habe keine Ahnung, warum Finn sich mich diesem Schwachkopf abgibt. Die Kapuze seines schwarzen Hoodies hat sich Finn über den Kopf gezogen und die Finger tief in den Ärmeln vergraben. Ich weiß, dass sie rot sind, und er sie kaum bewegen kann, weil sie vor Kälte fast starr sind. Auf dem Rückweg hat er mir wortlos seine Handschuhe geliehen, weil mir so eisig kalt war. Er ist ein Idiot. Er hätte sie anbehalten sollen, ich bin nicht aus Zucker, ich-

Ich schließe die Augen und spüre wieder seinen Blick auf mir, kurz bevor er mir kommentarlos – wortlos – die Handschuhe gereicht hat. Da war wieder diese Spannung. Dieses Kribbeln in der Luft. Dieses Flirren und Ziehen um uns herum, leises Knistern, das nur darauf gewartet hat, dass ein Funke alles um uns herum in Brand setzen würde.

Aber nichts davon ist passiert. Nichts ist übergesprungen. Nichts ist passiert.

Irgendwie frage ich mich, was Violett wohl sagen würden, wenn sie wissen würden, dass er mich geküsst hat. Er – Sly McDougal – mich, die Horror-Irre.

„Vermutlich, weil hier sonst nichts passiert außer Quidditch." Sie grinst. „By the way... Wann trainiert ihr wieder?"

Ich runzle die Stirn. „Morgen Abend um fünf." Olly wollte direkt starten, weil das Spiel gegen Hufflepuff bald ansteht. Er sitzt am Tischende und geht mit Henry und Sander das Spielbuch durch.

„Nicht das Team. Du und Finni."

Ich werfe ihr einen mahnenden Blick zu. „Wir trainieren nicht."

„Du hast gesagt, ihr fliegt."

„Ja, fliegen, nicht trainieren." Ich bin genervt. Ich hätte ihr das nicht erzählen sollen. Finn und ich fliegen seit den Ferien noch immer regelmäßig, allerdings haben wir, seitdem die Schule wieder voller Schüler ist, es eingestellt, auf die Torringe zu spielen. Stattdessen... fliegen wir nur. Drehen Runde um Runde ums Schloss, weite, ausgedehnte Streifflüge durchs verschneite, nebelige Hochland wie vorhin, die wir vermutlich nicht unternehmen dürften, und ich glaube, McGonagall weiß davon und toleriert es. „Waren vorhin draußen", nuschele ich und Vis Miene hellt sich auf.

„Du hast nichts gesagt."

„Muss ich das? Willst du einen Flugplan haben?" Ich rolle die Augen und ich glaube, sie spürt, dass sie sich aufführt, wie eine Glucke.

„Nein. Will ich nicht. Sorry. Ich bin nur... Ich mache mir Sorgen um ihn."

„Ich weiß." Das mache ich mir auch. Seit dem Nachmittag in Trewlaneys Büro sortiert er sich. Zumindest habe ich das Gefühl, dass er das tut. Er zieht sich zurück, auch seinen Freunden gegenüber. Er ist distanzierter, aber weniger biestig. Er beobachtet mehr, wartet ab. Er lernt viel. Trainiert. Ich sehe ihn unheimlich oft in Trainingsklamotten durch die Korridore ziehen. Ich glaube, er läuft. Oder er macht Krafttraining, ich habe nur keine Ahnung, wo.

Fakt ist, er geht mir noch immer aus dem Weg. Im Unterricht ignoriert er mich und unsere Zeit in der Luft ist eine seltsame neutrale Zone. Wir reden dennoch kaum. Und wenn, geht es um Quidditch. Oder die Zaubertrank-Hausaufgaben. Ich wüsste nicht, was ich Vi erzählen könnte, außer dass wir fliegen. Raus, bis zum Loch Ness, wenn der Wind gut steht.

„Aber es tut ihm gut, oder?", hakt sie nach.

„Vi", sage ich leise. Was will sie von mir hören? Dass ihn das Fliegen mit mir kuriert? Wohl kaum. So ist es nämlich nicht. Die Panik verschwindet, das ja. Aber er wird wütend dabei. Je öfter wir fliegen, umso mehr habe ich das Gefühl, dass er wütend ist. Unfassbar wütend.

„Rory", gibt sie zurück und es klingt ein bisschen so, als ob sie mich nachäfft. Wir sehen uns einen Moment ungerührt an, dann schnaubt sie auf und rollt die Augen. „Ich dachte, ihr fliegt und arbeitet an dem Problem!"

„Wir fliegen auch", zische ich ihr zu und sehe verstohlen zu Olly, der den Hals vom Tischende zu uns hin dreht. „Aber ich bin kein Psychiater, okay?"

„Kein was?"

Ich hole tief Luft und sehe sie an. „Wenn Muggle so tiefgehende Probleme haben, wie dein Bruder, gehen sie normalerweise zum Psychiater."

„Und was tun sie da?"

Ich zucke mit den Schultern. „Ich legen sich auf eine Couch."

„Eine Couch?" Vi sieht mich verwirrt an. „Wirklich? Mit Erfolg?"

Ich widerstehe dem Drang, die Augen zu verdrehen. „Ja."

„Das hilft?"

„Manchmal. Das ist irrelevant. Vielleicht solltest du nicht-", ich seufze schwer, „Frag einfach nicht ständig, okay?"

„Ich mache mir einfach Sorgen um ihn."

„Das sagtest du bereits." Ich klinge zickiger als beabsichtigt und spüre ein paar Augenpaare auf mir, die da eben noch nicht waren. „Das weiß ich." Ich kratze mit dem Daumennagel in der Holzmaserung des Eichentisches herum und sehe dann hinauf zur verzauberten Decke der großen Halle. „Aber es macht es auch nicht besser, wenn wir hier lauthals darüber diskutieren, ob ich es mit ihm tue."

Vi verschluckt sich vor Schreck und prustet die Brotkrumen quer über den Tisch. „Was?", hustet sie und ich muss gestehen, dass ich es ihr irgendwie gönne.

Ich gluckse leise. „Können wir einfach Stillschweigen über das Fliegen bewahren und es nicht in alle Welt hinausposaunen?"

„Warum nicht?"

Weil ich das für mich haben will, denke ich. Ich will das nicht teilen. Es ist so zerbrechlich. Er ist so zerbrechlich. Ich blinzele einmal und rede mich raus. „Weil andere denken könnten, dass ich mit Sly über das Ravenclaw-Trainning spreche. Und normalerweise du diejenige bist, die Olly magisches Klebeband über den Mund hexen würde, damit er nicht mit anderen über die Ravenclaw-Spielzüge spricht."

„Das würdest du nicht tun. Du würdest ihm nie Interna verraten."

„Weißt du's? Ich bin die Horror-irre?" Ich grinse, werde aber wieder ernst. „Es wurde so viel über ihn getratscht. Vielleicht..." Ich hole tief Luft. „Lass uns das mal machen, so wie wir das für richtig halten." Ich habe keine Ahnung, was wir da machen – Finn und ich. Und ich halte es auch nicht für richtig. Ich glaube, er wird immer wütender. Er kann diese Wut nicht steuern, nicht kanalisieren. Anfangs war er auf dem Besen ganz allein mit der Angst und der Panik, jetzt mit seiner Wut. Das Einzige, was ich tun kann, ist ihm zu folgen, wenn er mit dem Nimbus durch die Highlands fliegt, sich in die Wolken hinaufschraubt, und mit Pam an seiner Seite bleiben. Ich weiß, dass ihn das frustriert und noch wütender werden lässt, wenn er will in seiner Wut auf sich selbst und das, was damals passiert ist alleine sein, aber das lasse ich nicht zu. Ich gestehe ihm ein paar Meter Abstand zwischen uns zu, aber jedes Mal, wenn er abrupt den Besen zum Stillstand bringt und in die Luft vor sich starrt, weiß ich, dass er eigentlich nach unten sehen will. Dass die Wut so groß geworden ist, dass er innehalten muss, um nicht zu schreien, denn wenn er es tun würde, würde er noch ein bisschen weiterloslassen.

„Okay." Vi sieht absolut nicht nach einem Okay aus.

Ich nicke müde und stemme mich von der Bank hoch. Meine Zehen und Finger sind noch immer kalt.

Bin gerade im Schuljahres-Endspurt.
Kann sein, dass es jetzt erst mal etwas weniger wird.
Versuche, aber am Wochenende dranzubleiben 😅☀️

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