Kapitel 19

Die nächsten Tage herrscht im Inneren des Schlosses etwa eine so angenehme Stimmung wie außerhalb: Es ist eiskalt – und das liegt nicht etwa daran, dass die Kamine nicht prasseln würden.

McDou ist aus der Krankenstation zurück und, nun ja. Es gibt Gerüchte. Aber niemand traut sich, diese Gerüchte auszusprechen, sobald er in der Nähe ist. Also verstummen alle Gespräche, wenn er einen Raum oder Korridor betritt. Ihn umgibt eine derart eisige Schutzmauer aus Arroganz und Härte, dass man ihn, im Vergleich dazu, wie ich ihn zu Beginn des Schuljahres kennengelernt habe, damals fast schon als warmherzigen Sympathieträger bezeichnen könnte. Es ist anstrengend. Für jeden. Selbst den Lehrern fällt es auf.

Professor Strugglewind ruft Finn nach dem Zaubertränkeunterricht am Donnerstag zu sich und bittet ihn um ein vier Augengespräch, vermutlich um ihn zu fragen, ob ihm ein Furz quer sitzt oder was ihm einfällt, ihr beim reinkommen die Tür vor der Nase zugeschlagen zu haben. Danach ist er geladen wie Starkstrom und als er später die Treppe zur großen Halle hinunterkommt, schubst er ein paar Gryffindor-Erstis so rabiat bei Seite, dass die fast die Stufen hinunterpurzeln. Als er am Ende der Treppe angelangt ist, sieht er mich und starrt mich ausdruckslos an. „Was ist?!", herrscht er mich an und ich zucke ganz automatisch zusammen.

Das ist nicht er. Er benimmt sich absolut nicht, wie er selbst. Das weiß ich. Das, was er gerade macht, ist Selbstschutz, damit das ganze Gerede über ihn an ihm abperlen kann wie an einem Ginkoblatt. Am liebsten will ich ihn schütteln, damit diese Härte von ihm abbröckelt, weil ich die Kälte in seinen Augen nicht ertrage. „Die zwei können nichts dafür, das weißt du, oder?"

Er, Sly McDougal – denn der Typ vor mir hat nichts, gar nichts mehr mit Finn zu tun – starrt mich an, als ob ich diejenige bin, die seit Tagen vollkommen am Rad dreht und neben sich steht. „Geh mir aus dem Weg, Evans."

Ich stehe direkt vor ihm, er ist auf dem Weg nach draußen, vermutlich hat er Training – zumindest trägt er seine Trainingsjacke und darüber eine dicke Daunenjacke.

Mein Blick fällt auf seine Hand, die vor ein paar Tagen noch mit meiner verschränkt war. Ich spüre, dass auch sein Blick darauf liegt. Ob er sich daran erinnert?  Er war so voll mit Beruhigungsmitteln. „Finn..."

Er starrt mich an und ich sehe, wie sein Adamsapfel zuckt. Für den Bruchteil einer Sekunde wird sein Blick weich, bevor er mir sehr barsch entgegenschleudert: „Komm mir nicht so, Evans. Wir sind keine Freunde, vergessen?" Damit schiebt er sich an mir vorbei und rempelt mich um ein Haar mit der Schulter um.

Ich sehe ihm nach. Mein Herz pocht schnell und das Occamy, das vor ein paar Tagen kaum noch Platz in meinem Bauch hatte, ist auf Wurmgröße zusammengeschrumpft.









„Er meint das nicht so."

„Ja. Ist mir auch klar."

Vi verzieht das Gesicht und beginnt zum dritten Mal, sich auf der linken Seite einen Boxerbraid zu flechten.

„Hat er mit dir geredet?", frage ich.

Vi lacht auf. „Wer? Finneagan?" Sie lacht. „Ha ha. Der war gut." Sie flechtet weiter und knotet einen Gummi in ihre Haarspitzen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Atticus mit mir über sein Gefühlsleben spricht ist höher, als dass mein Bruder es tut."

Ich habe Vi von McDous arschigem Verhalten auf der Treppe erzählt. Also davon, wie er sich den Erstis gegenüber benommen hat.

Ich werfe mich der Länge nach auf mein Bett und starre an den karierten Baldachin. „Er macht das aus Selbstschutz wegen des Tratsches. Das ist mir auch klar. Aber er benimmt sich wie ein totaler Idiot."

„Ich hab es dir direkt zu Beginn des Jahres gesagt: Er ist und bleibt der Schulghul." Dann hält sie inne und sieht mich an. „Ich habe ja gehofft, dass-" Ihr Blick fällt auf mich und sie schweigt.

Mein Gesicht beginnt zu prickeln, als ob ein Haufen Ameisen darüber marschiert. Ich will nicht fragen, was sie gehofft hat, denn eigentlich weiß ich es, und doch höre ich mich grantig „Hm?" grummeln.

„Na, dass er mit dir -"

Spricht?"

„Ja."

„Tut er nicht. Er mcdougalt rum."

Er mcdougalt rum?" Vi schaut mich erstaunt an und um ihre Mundwinkel zuckt es. „Der ist gut. Den muss ich mir merken." Dann seufzt sie. „War er sehr scheiße zu dir?"

Ich starre noch immer an den Baldachin und spüre die feinen Nadelstiche, die die Erinnerung an seine Worte dort hinterlassen habe. Wir sind keine Freunde, Evans. Ich will Ja sagen. Ich will ihr sagen, dass er mich mit diesem Spruch verletzt hat. Dass wir miteinander im Vertrauensschülerbad waren und dass ich im warmen Wasser das dringende Bedürfnis hatte, ihn zu küssen. Ich will ihr erzählen, was er zugedröhnt auf der Krankenstation gesagt hat – und wie gut sich seine Hand in meiner angefühlt hat. Dass ich drauf und dran, mich in ihn -

Was denke ich da nur?

Aber all das bekomme ich nicht heraus. Stattdessen sage ich einfach „Ja", drehe mich auf die Seite und schließe die Augen. Ich will schlafen und diesen Tag einfach nur hinter mir lassen.









„Hey, Rory." Unser zweiter Treiber Henry Morrison beschleunigt seinen Besen noch einmal und kreist um mich herum, während er sein Schlagholz lässig um das Handgelenk schlenkern lässt.

Ein Schwarm Spatzen flattert an ihm vorbei. Das Training ist gerade vorbei und die anderen landen gerade auf dem Spielfeld. „Sorry wegen dem Klatscher", sagt er und ich reibe mir instinktiv die Rippen. Ich war nicht bei der Sache. Erst, als Henrys Klatscher mir von rechts gegen die Seite krachte, war ich richtig wach. Ich habe keine Luft mehr bekommen, so heftig war der Aufprall.

Ich steuere Pam gemächlich über die Außenkante der Tribüne und registriere aus den Augenwinkeln, dass vom Schlossgelände her die grün-gekleidete Karawane der Slytherin-Spieler zum Stadion hergelaufen kommt. Voran marschieren Atticus und Sly McDougal.

„Achtung!" Henry reißt mich an der Schulter zur Seite und ich fliege fast vom Besen, da ich den Fahnenmast vor mir um ein Haar übersehen hätte. Ich wäre frontal damit kollidiert.

„Danke", murmle ich abwesend und reibe mir die Stirn. „Sorry, ich bin nicht..."

„Wirst du krank? Du bist ganz blass?"

McDou stoppt und starrt zu uns nach oben. Er bleibt so abrupt stehen, dass Dom Manners gegen ihn prallt und sich laut zeternd beschwert, doch McDou sieht nur mit finsterer Miene zu mir und Henry. „Was?"

„Ob du krank wirst." Er sieht mich stirnrunzelnd an. „Du warst das ganze Training über schon nicht gut drauf."

Ich wende den Blick ab und ignoriere die Kälte in meinen Gliedern und den Schmerz in meiner Rippe. „Ja. Ja, kann sein."

„Oh man, und das kurz vor Weihnachten. Das kannst du sicher gar nicht gebrauchen, was?"

Wir landen auf dem Spielfeld. Der Schnee ist so plattgetreten, dass er zu einer eisglatten Platte verkrustet ist und man muss aufpassen, dass man nicht ausrutscht. Ich habe gehört, dass sich Karen Wood aus Gryffindor gestern im Training deswegen den Knöchel verstaucht haben soll. Filch soll sich allerdings weigern, das Feld zu streuen oder zu präparieren.

Jackson hat den Schnee vorm Tor vorhin mit Incendio wegflammt, aber es ist so kalt, dass man jetzt auf der nun entstandenen Eisfläche Eislaufen könnte.

„Das wird bestimmt", gebe ich abwesend zurück. Ich bin nicht krank. Ich ärgere mich einfach noch immer über McDougals arrogantes und rücksichtsloses Verhalten.

„Ich drücke dir die Daumen. Bleibst du über Weihnachten hier?"

Ich schüttele den Kopf und schultere Pam. Henry schlurft neben mir her Richtung Umkleiden. Mein Dad hat mir geschrieben. Er freut sich sehr, dass ich Weihnachten „nach Hause" komme. Nach Salisbury. Zu Hause bin ich dort nicht. Würde ich nach Hause fahren, würden wir nach Boston gehen, in unser altes Haus in Beacon Hill.

Ich höre Henry kaum zu, während er plappernd erzählt, wie er sich auf die Feiertage freut, auf Geschenke, seinen großen Bruder, der Magizoologe ist, und auf seine Grandma, die Cranberry-Kuchen backt.

Letztes Jahr war ich voller Vorfreude wie Henry. Ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und mit Dad den Baum zu schmücken. Ohne Magie. Collin hat Mum ganz unmagisch beim Backen geholfen und alles war so herrlich normal. Wie bei unseren Nachbarn, den Smiths. Man hätte uns für eine ganz normale Familie halten können – bis zum Abwasch. Das war der einzige Moment am Tag, an dem Mutter Magie erlaubte. Ich liebte die Wärme im Haus. Die Gerüche. Das Gelächter. Aber ich, ich weiß, dass dieses Jahr alles ganz anders werden wird.

Der Rest vom Team kommt uns bereits fertig umgezogen entgegen, als Henry und ich die Besen gerade in der Besenkammer verstauen. Seit ich im Team spiele, habe ich dort einen Spind wie alle anderen auch, in den ich Pam einschließe – und irgendwie gibt mir das ein besseres Gefühl. Henry knallt seinen Spind zu und verlässt schlurfend die Besenkammer Richtung Umkleide, während ich noch dabei bin, meine Handschuhe auszuziehen. Dann stelle ich Pam in den Spind, verschließe ihn, drehe mich um und starre in McDous Gesicht. Ich habe ihn gar nicht gehört.

Ich schlucke.

Er starrt.

Keiner von uns rührt sich.

Seit unserer Begegnung auf der Treppe vor ein paar Tagen haben wir nicht miteinander gesprochen. Er geht mir aus dem Weg. Ich gehe ihm aus dem Weg.

Jetzt halte ich die Luft an und starre ihn an.

„Evans", sagt er ausdruckslos, ganz so, als ob er mich hier nicht vermutet hat. Aber wenn das so ist, straft er sich selbst Lügen. Er hat mich ja eben selbst noch in der Luft gesehen.

„McDougal", gebe ich genauso distanziert zurück.

Er macht keine Anstalten an seinen Besenschrank zu gehen, um den verzogenen Nimbus herauszuholen, und erst jetzt fällt mir auf, dass er noch gar nicht umgezogen ist. Aber er unternimmt auch keinen Versuch, irgendetwas zu sagen.

Er sieht mich nur an. Schweigend. Eindringlich. Intensiv. Als ob er mir dadurch etwas sagen will. Etwas Unausgesprochenes. Seine grünen Augen sind unergründlich und je länger er mich ansieht, desto stärker läuft mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Wie damals im Pool. Und plötzlich halte ich inne, weil mir etwas einfällt.

Als wir im Vertrauensschülerbad waren, haben wir geflirtet. Unverhohlen, das will ich gar nicht abstreiten. Und ja, da gab es diesen einen Moment, wo ich ihn fast, um ein Haar, geküsst hätte – oder er mich.

Aber davor. Davor hat er mir diese Frage gestellt. Er hat mich gefragt, ob wir jetzt Freunde sind. Es war vielmehr eine Feststellung – weil ich ihm von Liam erzählt hatte.

Also sind wir jetzt Freunde, Evans.

Wie kommst du denn auf diese schwachsinnige Idee, McDougal?

Er hatte nur gegrinst, aber ich hatte seine Frage nicht weiter beantwortet. Ich schließe kurz die Augen, als mich die Erinnerung an die Konfrontation mit ihm auf der Treppe überrollt.

Wir sind keine Freunde, Evans. Vergessen?

Ich hatte es so stehen lassen. Ich war ihm eine Antwort schuldig geblieben. Ich war an seinem patzigen Spruch vermutlich selbst schuld.

Dennoch war es nicht nötig gewesen. Es war unnötig grob und gemein, vor allem nach allem, was bis zu dieser verdammten Panikattacke nach dem Slytherin-Gryffindor-Match zwischen uns passiert war.

Und jetzt steht er immer noch reglos und wortlos vor mir.

Wenn er sich dafür entschuldigen will, muss er es aussprechen. Wenn er es wieder gut machen will, muss er den Mund aufmachen und die Zähne auseinanderbekommen.

„Willst du mich weiter anstarren oder kommt noch irgendwas?", sage ich genervt, nachdem er auch nach einer weiteren, endlos zähen Minute immer noch nichts gesagt hat. Dann wird es mir zu blöd und ich schiebe mich mit so viel Abstand wie nur irgends möglich an ihm vorbei und verlasse die Besenkammer.

Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber als ich schon lange auf dem Gang bin, höre McDou frustriert meinen Namen murmeln. 

🌲🎅

Wir marschieren hart auf Weihnachten zu.
In dem Sinn... wer freut sich auf Ostern?  🐰

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