Kapitel 18
„Kann mir mal jemand erklären, warum Hufflepuff über Nacht auf Platz 1 beim Hauspokal gelandt ist?", fragt Olly verschlafen. Er steht seit etwa zehn Minuten vor den großen Stundengläsern in der Großen Halle und rätselt, wie dieser Missstand im Hauspokal über Nacht entstanden sein kann.
Ich könnte es ihm erklären. Aber ich esse weiter brav und vor allem schweigend mein Porridge – und vermeide jeden Blick an den Slytherin-Tisch. Dort tut es mir McDougal gleich und stiert ebenso schweigend in seine Müsli-Schüssel, während um ihn herum seine Haus-Kameraden genau wie Olly rätseln, woher dieser Punkteabzug herrührt.
„50 Punkte Abzug! Für jeden von Ihnen!", hat Professor Longbottom gesagt. „Auf dass Ihnen das eine Lehre ist!"
„Aber Professor-", hatte ich versucht, die Sache zu retten, die nicht mehr zur retten war. Longbottom hatte sich schon längst seine Meinung gebildet.
Finn hatte die ganze Zeit nur nervös mit dem Bein gewippt, während wir uns Longbottoms Anschiss hatten anhören dürfen. Was uns denn einfiele: Die Schule zu verlassen, was da alles hätte passieren können, im Dunkeln, die Gefahren im Verbotenen Wald, das war ja allein bei Tag verboten - und dann noch nach Anbruch der Dunkelheit, ohne Erwachsenen und so weiter. Und ob wir wenigstens – und das war für mich eigentlich das Schlimmste, abgesehen von McDougals Glucksen darauf – an Verhütung gedacht hatten. „Wir haben nicht-", hatte ich gerufen und war knallrot angelaufen. Als ob ich mit Sly McDougal im Verbotenen Wald auf ein Schäferstündchen-
Lächerlich!
Ich hatte zu einer bissigen Erwiderung ansetzen wollen, aber in dem Moment hatte Finn mir die Hand auf den Oberschenkel gelegt und nur vielsagend den Kopf geschüttelt. „Es kommt nicht wieder vor, Professor", hatte er gesagt und so ernst geschaut, dass selbst ich ihm das fast abgenommen hätte.
Dann hatte er schnell, zu schnell, die Hand zurück gezogen und ich hatte ihn angestarrte, als ob er – oder ich – den Verstand verloren hätte.
Dann hatte uns Longbottom auf die Zimmer geschickt.
Wutschnaubend und verwirrt und noch immer durchgefroren war ich davongerauscht. Fünfzig Punkte Abzug und viel schlimmer noch: Professor Longbottom ging davon, dass McDou und ich im Wald ein Schäferstündchen eingelegt hatten.
Allein beim Gedanken daran werde ich jetzt noch schamesrot. Und spüre viel zu deutlich, wie Finn mir die Blätter aus den Haaren gezogen hat. Und seine Hand auf meinem Oberschenkel.
Verdammt.
Dieser Idiot.
„Ich verstehe es nicht. Platz vier. Gestern Platz zwei. Heute vier. Gestern zwei." Olly schüttelt fassungslos den Kopf. „Verstehe das, wer will." Dann dreht er sich zu mir um. „Sag mal, wegen gestern."
„Was meinst du?", frage ich und löffele weiter konzentriert den Haferschleim, während meine Wangen zu brennen beginnen.
„Die Jungs meinten, ich hätte McDou gegenüber übertrieben. Hab ich?"
Ich verschlucke mich an einem Stück Apfel und sehe Olly an. „Öhm, du hast ihn provoziert, ja", nuschele ich unverständlich und hoffe, dass er nicht bemerkt, wie rot ich gerade werde.
„Er ist ein Arsch. Das hat er verdient."
Darauf sage ich nichts. Ich denke an den Ghul, den er in der Schule gibt, der mit der Menge an Klimmzügen angibt, die er schafft, und ich denke an den Finn, der Bibliothek sitzt, seine Eule Snuggles nennt, und sich mit Kaipathyro auskennt.
„Ich hätte nicht gedacht, dass er auf dich hört", sagt Olly. „Wenn er sich so aufplustert, bekommt ja selbst Vi ihn kaum eingefangen."
Ich zucke mit den Schultern. „Was hätte er tun sollen? Mich zur Seite stoßen?"
Olly grinst. „Nee, da würde Vi ihn vermöbeln." Er kichert. „Das wäre es allerdings wert."
Als Erstes haben wir an diesem Tag Verwandlung. Es steht außer Frage, dass McGonagall nicht nicht von unserem Ausflug erfahren hat. Sie ist ausgesprochen ätzend zu mir und McDougal. Egal, was wir verwandeln, es ist ihr nicht gut genug, nicht filigran genug, nicht ansprechend genug. Am Ende zählt sie sogar Finns Stecknadeln in seinem Nadelkissen nach und lässt ihn von vorn beginnen, weil eine einzige fehlt. Dass sie ihm dafür keine Punkte abzieht, wundert mich fast schon.
Mit mir ist sie etwas gnädiger. Aber auch nur etwas. Ganze sechsundzwanzig Mal lässt sie mich den Igel hin und her verwandeln und ich schwöre, am Ende wackeln seine Augen und er torkelt über den Tisch, während ich einen Krampf in der Hand habe.
„Was ist denn mit Gonni los?", fragt Vi nach der Stunde. Wir verlassen gerade den Raum. Ich winke bloß ab und sehe den Gang hinunter, wo Finn mit Atti und Hector steht. Er wirft uns ein knappes Lächeln zu, das fast schon mitleidig aussieht. Ich erwidere es ebenso mitleidsvoll, denn als Nächstes haben wir Longbottom. Irgendwie befürchte ich, dass das nicht besser wird. „Die hatte euch ganz schön auf dem Kieker?"
„Mimi auch", versuche ich mich aus der Nummer zu winden. Immerhin haben bei Mimi auch ein paar Dinge nicht funktioniert.
Vi sieht mich skeptisch an und mustert dann ihren Bruder abschätzig. „Hat er eigentlich mit dir...", setzt sie an, bricht dann aber ab.
„Was?"
Sie beißt sich auf die Unterlippe und schlägt den Weg zu den Gewächshäusern ein. „Nichts."
„Violett..." Ich halte sie an der Schulter fest und sehe ihr forschend ins Gesicht. „Was hat er eigentlich?"
Sie verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. „Sich entschuldigt?"
Mir rutscht das Gesicht eine Etage tiefer und meine Haut fühlt sich viel zu eng an. „Ähm." Hat er. Aber darüber will ich mit ihr nicht reden.
„Er leidet, Rory..." Sie seufzt schwer und sieht mich an. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
„Er leidet?"
Sie nickt und läuft weiter Richtung Gewächshaus. „Dass irgendetwas zwischen euch vorgefallen ist, hat man doch mitbekommen. Er hat mir nicht gesagt, was es war. Aber es tut ihm echt leid. Hat er es auf die Kette bekommen?"
Mein Herzschlag kommt fast zum Stehen und ich höre das langsame Pochen nun bis in meine Ohren. „Warum fragst du das nicht ihn?"
„Weil er es mir vermutlich nicht sagen wird." Vi schmunzelt. „Und du hast gegrinst."
Ich würde es gerne abstreiten, aber im reflektierenden Glas der Gewächshäuser sehe ich es selbst: das Grinsen in meinem Gesicht.
Vor Gewächshaus 4 bleiben wir stehen und genießen die seltene, tiefstehende Sonne. Die Slytherins kommen den Weg entlang, Hector krakelt laut über das „sinnlose Training gestern" und hackt wieder und wieder auf McDougal ein, „wie bei Archimedes Arsch er den plötzlich die Biege hat machen können". Ob er sich wirklich von O'Connor hat einen Einlauf verpassen lassen. Finn sagt durchgängig nichts und ist so schweigsam wie Atti, der Hector schließlich einen unsanften Rempler gegen die Schulter verpasst. Ich mag den Typen irgendwie.
Ich mag dich irgendwie, Evans. Finns Worte von gestern erscheinen in meinem Kopf wie eine der blinkenden Werbetafeln am Timesquare und mein verräterisches Gesicht leuchtet lichterloh.
Ich kann nicht wirklich einschätzen, wie genau er das gemeint hat. Auf einer freundschaftlichen Ebene? Oder dafür hinaus? Und warum mache ich mir eigentlich Gedanken darüber?
Ich starre Atti und McDougal hinterher, die sich auf die abgebrochene Mauer an der Seite setzen und die Beine baumeln lassen.
Als ob er meinen Blick spürt, hebt er plötzlich den Kopf und sieht zu mir hinüber. Er lächelt nicht, zwinkert mir aber kurz zu.
Vi gibt nur ein verächtliches Schnauben von sich und rollt dramatisch die Augen..
„Was?"
Sie holt umständlich einen Apfel aus ihrer Tasche und beißt hinein. „Ach, bitte!", macht sie und geht dann ohne ein weiteres Wort ins Gewächshaus.
Ich bleibe noch einen Augenblick in der Sonne stehen. Ich merke förmlich, wie ich die Sonnenstrahlen in mich aufsauge, und ich würde am liebsten die Kräuterkunde-Stunde schwänzen. In Anbetracht der Tatsache, dass Longbottom es war, der uns gestern Nacht aufgegabelt hat, wäre das allerdings vermutlich keine gute Idee.
Immerhin ist Longbottom nicht nachtragend, zumindest nicht auf den ersten Blick. Er ist freundlich, wie immer, und gibt seine Erläuterungen zu Beginn der Stunde anschaulich und motivierend wieder. Dann allerdings weicht er von seinem üblichen Vorgehen ab. Wir gehen Salamankabohnen ausgraben.
Im verbotenen Wald.
In Teams.
Die Longbottom zusammenstellt.
Susie hofft natürlich, dass Longbottom sie mit McDou losziehen lässt, aber weit gefehlt.
Oh, dieser Lehrer...
Was da jetzt wohl kommt?😇
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