Kapitel 15
Etwa eine Stunde später klopft es an die Tür des Gemeinschaftsraumes. Wenn das tatsächlich McDougal ist, hält er sein Wort mit deutlicher Verspätung. Ich bin die Einzige im Gemeinschaftsraum, die anderen haben sich alle auf die Zimmer verzogen.
Als ich von meiner Feuerwhisky-Suche zurückkam, war hier die Hölle los. Vi hat Jonathan die Hölle heiß gemacht. Was ihm einfallen würde, Sally aus der Mannschaft zu werfen! Sie wäre eine fabelhafte Jägerin. Jonathan ist daraufhin ausgerastet. Es sind Bücher durch die Gegend geflogen! Bücher! Die graue Dame - der Geist unseres Hauses - war so bestürzt, dass sie Flitwick geholt hat und der hat für Ruhe gesorgt. Und uns 50 Punkte im Hauspokal abgezogen. Wie enttäuscht er war, muss ich, glaube ich, nicht betonen.
Vi nimmt diesen Sport ein wenig zu ernst. Irgendwie komisch, weil sie selbst nicht spielt. Letztlich haben die beiden - Vi und Jonathan - dafür gesorgt, dass im Turm richtig schlechte Stimmung herrscht.
Ich lege mein Buch auf den dunklen Eichentisch und öffne die Tür. Tatsächlich steht McDougal vor mir und hält mir einen riesigen, lilafarbenen Plüschdrachen entgegen. „Hier."
„Hat auch was mit Feuer zu tun, ist aber nicht das, um das ich gebeten habe." Er drückt mir den Drachen gegen die Brust und schiebt sich an mir vorbei. Der Drache ist erstaunlich flauschig und sehr schwer.
„Jaja", macht McDou und wirft sich der Länge nach auf das alte, barocke Sofa vor dem Kamin und schüttelt sich die regenfeuchten Haare. „Das Wort ist Danke, habe ich gehört."
Ich ziehe meinen Zauberstab aus der Tasche, lasse die Spitze über eine Naht am Schwanzende des Kuscheltieres gleiten und sehe zu, wie der Faden sich löst.
„Ich konnte ja schlecht am helligsten Tag mit einer Whiskyflasche in der Hand durch das Schloss spazieren."
„Und ich dachte immer, ihr Slytherins seid Regelbrecher. Dabei bist du ein verkappter Spießer." Ich greife in die Füllwatte und ziehe eine Flasche Ogdens Old Fire-Whisky heraus. Die goldene Flüssigkeit schimmert im Licht des Kaminfeuers und ich spüre, wie mich McDou dabei beobachtet, wie ich das Etikett betrachte. „Also?", fragt er.
Ich werfe ihm einen schrägen Blick zu. „Was - also?" Er fläzt auf dem Sofa, als ob er genau dorthin gehören würde. Als ob er Teil unseres Gemeinschaftsraumes wäre und nicht eine Art Eindringling. Ich denke kurz an das Gezetere von Jessi neulich und überlege, was passieren würde, wenn Flitwick ihn hier erwischen würde.
„Warum bin ich wegen dir", das dir klingt ziemlich abfällig, „durch diesen Nieselregen in den Eberkopf gejoggt?"
„Der ist in Hogsmeade", sage ich überrascht.
„Der ist in Hogsmeade", äfft er mich nach und rollt die Augen. „Natürlich ist der in Hogsmeade. Wie ich schon sagte: diese Schule ist kein Pub, Evans."
„Wir brauchen den hier, um etwas... zu feiern."
„Da hätte es auch Butterbier getan. Das hätte ich euch aus der Küche holen können und hätte erstens nicht erst versuchen müssen, in Filchs Büro einzubrechen und zweitens nicht nach Hogsmeade joggen müssen."
Und das in einer Stunde? Respekt. „Du hast dir ganz schön Zeit gelassen", sage ich dennoch trocken. Ich würde mir eher auf die Zunge beißen, als diese sportliche Leistung anzuerkennen.
„Musste mit Aberforth ein Butterbier trinken", sagt er.
„Wem?"
„Dem Wirt des Eberkopfes", gibt er gelangweilt zurück und greift ungefragt nach meinem Buch auf dem Tisch. Er studiert den Titel und sieht mich belustigt an. „Jules Vernes?"
„Ja." Ich lese "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" von Jules Vernes. Es ist eine zerfledderte Ausgabe, die ich schon in Boston hatte, und will sie ihm am liebsten aus der Hand reißen. Ich wil nicht, dass er sie durchblättert. Ich habe es schon bestimmt hundert Mal gelesen. Am Rand sind krakelige Bemerkungen und Skizzen, die ich dort irgendwann hinterlassen habe.
McDou öffnet das Buch und blättert natürlich durch die Seiten. „Es soll autobiografisch sein, hast du das gewusst?", sagt er und stutzt, als er an einer Seite angelangt ist. „Diesen Alchemisten gab es tatsächlich. Wir haben hier in der Bibliothek Aufzeichnungen über ihn. Und angeblich soll es auf Island wirklich den Zugang zu einer versunkenen Welt geben." Er klappt das Buch wieder zu und reicht es mir. „Die ganze Insel wimmelt vor magischer Wesen. Elfen, Trollen..."
Mein Hals schnürt sich zu. Ich will nicht mit McDougal über Island sprechen. Über den Ort, an dem mein Bruder niemals ankam.
Ich will nicht mit ihm darüber reden, warum ich dieses Buch lese. Sonst müsste ich ihm sagen, dass es Collins Lieblingsbuch war. Dass unsere Mutter es uns vorgelesen hat, als wir noch klein waren. Dass diese magische Welt im Verborgenen immer etwas Mystisches für uns hatte. Ich will nicht genauer darüber nachdenken, wie makaber es ist, dass Collin ausgerechnet auf einem Flug nach Island verschollen ist.
Ich betrachte die Feuerwhisky-Flasche auf meinem Schoß und schraube sie langsam auf. „Hab ich von gehört", höre ich mich sagen und bin versucht, an dem Whisky zu nippen. Ich habe gehört, das Getränk soll das Gefühl von Taubheit in der Seele vertreiben. Das könnte ich jetzt gut gebrauchen.
„Rory?", höre ich ihn leise sagen. Er hat sich aufgerichtet und lehnt beide Ellbogen auf den Knien auf, während er mich ansieht. „Ist alles okay?"
„Alles okay." Aber das stimmt nicht. Meine Gedanken triften ab zu der Geschichte um Professor Lidenbrock und Axel. Ich stelle mir die raue Landschaft Islands vor mit ihren Lavafeldern und Gletschern, den Snæfellsjökull, bei dem die Reise ins Erdinnere schließlich beginnt. Und nebenbei denke ich an den Schnee, das Meer, an die Aurora Borealis am Nachthimmel, an Feen und Elfen und Trolle und stelle mir vor, was gewesen wäre, wenn Collin nicht gegen die Isländer dieses Spiel hätte spielen sollen.
„Verstehe", sagt er leise, „In etwa so okay wie ich." Ein Lächeln zupft an seinem Mundwinkel, doch er gibt dem nicht nach. Sein Blick findet meinen und für den Bruchteil eines Augenblicks ist da etwas wie Erkennen. Als ob er mich versteht, durchschaut, für einen winzigen Wimpernschlag. Doch dann schüttelt er den Kopf und blinzelt.
Ich räuspere mich. „Wieso hast du eigentlich geklopft? Konntest du das Rätsel nicht knacken?"
Er zuckt mit den Schultern und steht auf. „Doch. Aber nach dem Jessi Taylor neulich diesem Aufriss gemacht hat, dachte ich, ich klopfe besser."
Ich tue es ihm gleich, stehe auf und laufe mit meinen Sachen und dem Feuerwhisky in der Hand mit ihm zur Tür. „Besser ist das wohl." Ich ringe mir ein taubes Lächeln ab. „Was hat die Tür gefragt?"
Er lehnt sich lässig gegen den Türrahmen. „Der Adler mag mich", grinst er breit, „ Er wollte wissen, wie oft die Boston Battlesticks Sieger der US-Meisterschaften im Quidditch waren."
Ich starre ihn an und bekomme zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten einen Kübel eiskaltes Wasser übergeschüttet. Und einen gehörigen Schlag in den Magen. „Was-?" Galle steigt in mir auf.
Er mustert mich aufmerksam, scheint sich meine Reaktion genau einprägen zu wollen. „Die Battlesticks sind Rekordmeister, das weiß jeder, der sich auch nur ein bisschen mit Quidditch beschäftigt. Das beste US-Team." Er zuckt mit den Schultern. „Das solltest selbst du wissen."
Ich starre ihn mit offenem Mund an.
„Sechsundvierzigmal", sagt er unnötigerweise.
Natürlich weiß ich das. Natürlich weiß ich, wie oft Boston den Cup gewonnen hat. Ich kann ihm sogar sagen, wie der Pokal aus der Nähe aussieht. Ich hatte ihn in der Hand. Fuck.
Mein Mund wird trocken. „Gute Nacht, McDougal", flüstere ich. Noch während er mir gute Nacht wünscht und sich die Tür hinter ihm schließt, schraube ich die Flasche auf und wünsche mir, dass der Feuerwhisky wirklich die Taubheit in mir vertreibt.
Wenn McDougal wüsste, was gerade in mir los ist, ich glaube, er hätte sich freiwillig mit seinem Besen in den Sturzflug begeben, um meinen Fall aufzuhalten.
Fröhliche Weihnachten 🎄
Lasst es euch gut gehen 🥰
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