Kapitel 14

Mein Kopf ist leer und ausgebrannt. Ich habe keine Ahnung, was mein Dad sich dabei gedacht hat.

Vermutlich nichts.

Viel eher will ich wissen, was sich Nate dabei gedacht, meinem Vater zu stecken, dass ich wieder fliegen will.

Pam. Ausgerechnet Collins Besen. Was soll der Mist?! Mein Vater weiß genau, wie sehr ich seit dem Frühjahr mit „der Situation" zu kämpfen habe.

Ich weiß nicht, was ich weiter tun soll.

Seit dieses Paket angekommen ist, weiß ich es noch weniger als zuvor. Der Ausflug neulich mit Finn McDougal hat es nicht besser gemacht. Ich wollte nie mehr fliegen. Ich wollte nie mehr spielen. Nicht, bis ich auf McDous ungeeichten Nimbus gestiegen bin. Nicht, bis Nate behauptet hat, ich könnte nicht einfach mit dem Atmen aufhören. Und jetzt haben mir meine Eltern diesen Besen geschickt. Ausgerechnet diesen Besen. Hätten sie mir nicht meinen Besen schicken können? Meinen Sauberwisch 13? Den kenne ich. Den mag ich. Der liegt mir gut in der Hand. Stattdessen hat er mir  dieses... Biest geschickt.

Collins Besen.

Das ist ein echt schlechter Scherz. Was hat sich Dad  dabei nur gedacht? Es muss ein Scherz sein. Damals, als Col verschwunden ist, dachten wir erst, er sei abgestürzt, verweht worden bei seinem Transatlantikflug. Das US-Team hatte in Island ein Freundschaftsspiel. Pam wurde unberührt in seiner Wohnung in Salem gefunden und in Island ist er nicht angekommen. Beim Abflugort war er viel zu spät aufgetaucht, was untypisch für ihn war. Das Team – die Teile davon, die nicht appariert, sondern mit Col geflogen waren – hatten nicht viel darauf gegeben, aber Collin war nie unpünktlich gewesen. Mich stört außerdem immer noch, dass er Pam nicht dabei hatte. Das passte nicht zu meinem Bruder. Er liebte diesen Feuerblitz.
Die Untersuchungskommission des MACUSA war davon ausgegangen, dass er mit seinem Nationalbesen geflogen war – weil von dem keine Spur gewesen war – dem Starsweeper. Aber den hätte er nie für eine so lange Strecke benutzt. Nie. Da bin ich mir sicher.
Es hatte Untersuchungen gegeben. Endlose Untersuchungen und Befragungen der Mannschaft, seiner Mitspieler, die mit ihm auf dem Weg nach Island gewesen waren. Unter dem Einsatz von Veritaserum hatten alle einstimmig ausgesagt, er sei nicht appariert. Sie konnten sich nicht erklären, was passiert war. Er sei über Grönland aufgestiegen in die Wolken und dann - nichts. Keine Spur mehr von ihm.

Das ergab keinen Sinn.

Man konnte nicht nach oben steigen und in den Himmel verschwinden. Die Schwerkraft verhinderte das. Das hoch kam, kam auch wieder unter. Aber Collin war nicht aus dem Himmel zurückgekommen.

Außerdem: Collin ließ Pam nie daheim.

Colins Besen zuhause war blödsinnigerweise vom MACUSA durchgecheckt worden auf Fehlfunktionen und Flüche, aber der Besen war sauber. Was uns als Familie natürlich nicht weiterhilft. Col ist und bleibt weg, vermisst und... man hält ihn seitdem für tot.

Ich sitze noch lange im Klassenraum und überlege, was ich mit Pam nun machen soll. Fest steht für mich, dass ich auf gar keinen Fall mit diesem verdammten Rennbesen durch die Schule rennen und sie mit in den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum nehmen werde.

Stattdessen stopfe ich sie zurück in das Paket und schaue hinaus in den Korridor, um zu prüfen, ob die Luft rein ist. Zu meinem Glück entdecke ich niemanden, schleife die riesige Verpackung hinter mir her und verstaue das Paket zunächst in einem verlassenen Wandschrank am Ende des Ganges, dessen Tür ich magisch verriegele – in der Hoffnung, dass es niemand mit Alohomora versucht.

Ich mache mich auf den Weg zurück in den Ravenclaw-Turm und treffe unterwegs direkt auf die Spanische Inquisition. Olly lungert mit Cassie und Vi im Treppenhaus herum und als er mich entdeckt, platzt es sofort aus ihm heraus: „Hast du tatsächlich Trewlaney auf den Boden geschubst?"

„Was?"
„Rose Weasley hat das erzählt!"

„Du kannst dir wahlweise andere Gerüchte aussuchen!" Cassie grinst mich herausfordernd an: „Butcher Butkowksy schwört, du hättest dir eine Eiserne Jungfrau schicken lassen."

„Butcher wer?"

„Ein Hufflepuff. Zweites Jahr. Egal. Ist es eine Eiserne Jungfrau?" Cassie tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. „Oh, bitte lass es eine sein!"

Ich stöhne genervt und schiebe mich an den Dreien vorbei. „Ernsthaft?"

Vi ist erstaunlich ruhig und sagt nichts, während die drei mir auf dem Fuß folgen.

„Persephone behauptet, du hättest Bettwanzen und dir eine neue Matratze schicken lassen", sagt Olly.

„Das behauptet sie nur, weil Rory mit meinem Bruder an Halloween gesprochen hat." Sie seufzt dramatisch. „Susie war deswegen total angefessen."

„Warum sprichst du mit McDougal?" Olly und Cassie bleiben so unvermittelt stehen, dass Vi gegen Ollys Rücken kracht. „Freiwillig?"

„Hat sich so ergeben", gebe ich zurück und laufe unbeirrt die Treppe weiter nach oben. Wir kommen im dritten Stock an und eine schnatternde Gruppe Gryffindors kommt uns entgegen. Darunter Rose Weasley und Lily Potter. Ich stutze kurz, als ich registriere, dass Lily am Ende des Ganges ihrem Bruder zu nickt, der den Kopf mal wieder mit Scorpius Malfoy zusammensteckt.

„Also?", fragte Olly nochmal. „Was war jetzt in diesem ominösen Paket? McG kam total entgeistert aus dem Klassenzimmer heraus. Sie sah total fassungslos aus." „Aber es kann nichts Illegales sein", setzt Cassie hinterher. „Sonst hätte sie es konfisziert und Filch übergeben. Wo ist das Paket eigentlich?"

„Hat McG es doch konfisziert?!"

Vi rollt die Augen. „Lasst sie doch in Ruhe. Vielleicht will sie nicht darüber reden."

„Aber warum sollte sie nicht darüber reden wollen?" Olly sieht Vi stirnrunzelnd an.

„Weil manche Menschen eben ihre Geheimnisse haben. Und diese behalten wollen."

„Du hast Geheimnisse, Rory?" Olly klappt der Mund hinunter.

Ich ringe mir ein Lächeln heraus und tätschele ihm die Schulter. „Jede Frau hat Geheimnisse, Schätzchen." Und meines steht gerade in einer Kammer im Verwandlungskorridor. Ich habe kein gutes Gefühl dabei, Pam dort unten zu belassen.

„Sandy hat keine Geheimnisse vor mir", stellt er in den Raum. Wir Mädchen sehen uns an und prusten wie auf Kommando laut los. Vi klopft ihm auf die Brust. „Auch deine Sandy hat Geheimnisse, O'Connor. Lasst uns gehen, hier zieht's." Damit biegt Violett in den Korridor ab und ich bleibe noch in der Gemäldegalerie zurück. „Ich...", setze ich an. „Ich muss noch mal kurz in die Bibliothek. Ich komme gleich nach." Muss ich nicht. Ich habe plötzlich eine Idee. Auch wenn mir die ziemlich absurd erscheint.

„Die Eiserne Jungfrau holen?" Olly wackelt mit den Augenbrauen.

„Ich stelle sie in den Gemeinschaftsraum und stecke dich als erstes hinein, wenn du nicht aufhörst zu nerven", gebe ich trocken zurück und mache auf dem Absatz kehrt. Ich lausche, bis ich ihre Stimmen nicht mehr höre. Dann eile ich nicht zur Bibliothek und auch nicht zurück zur Abstellkammer, in der ich das Paket verstaut habe, sondern zum Ende des Koridors, wo Albus Potter noch immer mit Scorpius Malfoy zusammensitzt.

„Hi Albus", grüße ich den blassen Jungen und spüre den durchdringenden Blick genauso intensiv auf mir, wie neulich schon zwischen den Bücherregalen.

„Hallo", entgegnet er mir zurückhaltend und sieht kurz zu Malfoy, der fragend die Stirn in Falten wirft.

„Sorry, dass ich euch störe bei... was auch immer ihr tut. Aber... hast du eine Sekunde?"

Al hat offensichtlich keine Ahnung, was ich von ihm will. Und ich bin mir plötzlich unsicher, ob ich mich mit meiner Idee nicht lächerlich mache. „Klar. Kurz."

„Unter vier Augen?"

Er nickt und steht vom Steinboden auf. Der Umhang seiner Schuluniform bleibt zerknittert auf dem Boden liegen und er folgt mir ein paar Schritte den Gang hinunter. „Was gibt's?"

Als Augen mustern mich unverhohlen und voller Neugier, während ich tief Luft hole und schließlich sage: „Ich brauche deinen Tarnumhang."

Ich kann gar nicht sagen, was als Erstes passiert. Ob ihm vor Schreck die grünen Augen aus den Höhlen quellen, ob er sich verschluckt oder ob er dieses hohe Kieksen ausstößt, bevor er – wenig überzeugend – versichert: „Welcher Tarnumhang? Ich habe keinen Umhang."

„Jaa", sage ich gedehnt, „Den Blödsinn kannst du dir direkt sparen. Ich habe gehört, wie McG und deine Mutter sich darüber unterhalten haben." Ich schlucke angespannt und sehe ihn ernst an. „Ich brauche das Dinge."

„Nein." Al schüttelt den Kopf und schiebt die Hände tief in die Hosentaschen.

„Bitte, Albus."

„Nein", wiederholt er, diesmal bestimmter.

„Ich brauche ihn wirklich dringend."

„Warum?"

„Das kann ich dir nicht sagen."

Er zuckt mit den Schultern und dreht sich um. „Sorry." Damit lässt er mich stehen.

Okay. Das ging schief. Und war vielleicht ziemlich ungeschickt von mir. „Hey! Potter!", rufe ich ihm nach, doch er läuft einfach stur den Gang hinunter, ohne sich noch einmal umzudrehen. „Albus Potter!", setze ich hinterher.

„Was?" Er schnaubt und sieht mich frustriert an. „Meinst du, du kannst hier einfach so um die Ecke kommen, mit so einer Forderung?" Er lacht sarkastisch. „Wir sind keine Freunde, Evans."

McDougals Worte knallen wie ein Echo durch den Gang. Für einen kurzen Augenblick fühlt es sich an, als ob mir Al mit dem Absatz gegen den Brustkorb getreten hätte. Obwohl er recht hat. Ihn und mich verbindet deutlich weniger als Sly und mich. Und doch treffen mich seine Worte sehr. Das Gespräch in der Bibliothek damals hat mich berührt und ich hatte das Gefühl, dass-

Ich schließe die Augen. „Ich brauche wirklich deine Hilfe, okay?"

Sein verhärteter Blick löst sich ein wenig. „Hat es was mit der Eisernen Jungfrau zu tun?"

Diese Schule ist ein Tratschhaufen. Ich sehe ihn fest an. Dann lass ich resigniert die Schultern sinken. „Wenn du es so willst: ja." 

Und weiter gehts...

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