Der Verräter

Dieses Mal stand ich normal um 6 Uhr auf. Ich beschloss, mich wieder so wie immer anzuziehen. Philipp musste mich schließlich so akzeptieren, wie ich bin. Naja, das dachte ich mir. Doch heute ging er mir aus dem Weg. Sofort war meine Laune im Keller. Was war nur los? Im Unterricht hatte er sich auch weggesetzt. Und zwar neben Nicole.

War das gestern einfach nur geblufft? Mochte er mich eigentlich gar nicht? Dann fiel mir ein, was ich ihm alles über Nicole erzählt hatte. Was war, wenn er für Nicole spionieren musste? Hatte ich mich wirklich so in ihm getäuscht? Dieser Verräter!

Meine Trauer wandelte sich in Wut. Wie ich ihn hasste. Ich hasste sie alle! Ich wollte es ihnen allen heimzahlen!

In der Mathestunde schrieb ich mein provisorisches Tagebuch. Ich konnte besser meine Gedanken ordnen, wenn ich sie aufschriebe. Ich hatte kein Buch, auf dem riesengroß TAGEBUCH stand, sondern nur lose Blätter. Ich kannte meine Mutter, wenn sie in mein Zimmer kommen würde und mein Tagebuch finden würde, würde sie es schamlos lesen.

Jetzt begann ich meinem Tagebuch die gesamte Situation zu schildern. Als ich fertig war und immer noch keinen Plan hatte, wie ich mich dafür an ihr rächen könne, schrieb ich einfach Ich wünschte, Nicole würde niemals existieren. Das musste jetzt raus. Ich hätte ihr am liebsten den Tod gewünscht, aber das war mir dann doch zu extrem.

Es klingelte zur Pause und ich schmiss den Zettel weg. Mein Tagebuch hatte mir heute überhaupt nicht geholfen. Während der Pause blieb ich diesmal drin, genauso wie Andrew, Zach, Richard und Marco. Nicole war mit Philipp abgehauen. Ich konnte mich gar nicht entscheiden, welche ich von den beiden mehr hasste. Wieso hatte er sich so leicht von ihr beeindrucken lassen? Wieso hatte er mich verraten? Ich fühlte mich so von ihm gedemütigt! Meine Wut verwandelte sich wieder in Trauer und ich fing an zu heulen. Ich versuchte aber nicht laut zu schluchzen, schließlich sollten die Jungs nicht denken, dass ich eine Heulsuse war.

„Sie ist so ein Flittchen!" sagte gerade Andrew. Redeten sie von mir? Aber warum sollte ich ein Flittchen sein? Aufmerksam hörte ich zu und zum Glück versiegten endlich meine Tränen. „Ja, ich sag euch, dieser Vollspast ist voll schwul!" stimmte Richard zu. „Das sie sich auf so einen einlässt... und dir einen Korb gibt, Drew, ist schon hart." meinte Marco. Andrew stöhnte nur genervt. „Ich hatte sie sowieso nicht geliebt. An ihr ist doch alles nur gespielt!" Sie redeten über Nicole! Sie hatte also tatsächlich mit Andrew Schluss gemacht! „Ich verstehe echt nicht, was man an ihr finden sollte. Sie hat nicht mal einen großen Arsch!" Zach hatte sich eine Zigarette angezündet, was ich ehrlich gesagt ziemlich mutig von ihm fand. „Ja, wir wissen alle, dass du auf Molly stehst. Brauchst dich da nicht zu schämen." fand sein bester Freund Marco. Als ob Zach auf meine Freundin Molly stehen würde! Niemals! Außerdem war sie mit Harry zusammen.

„Ist Molly nicht mit Jacob zusammen?" vermutete Andrew. „Ich stehe ja auch nicht auf sie, Arsch!" fauchte Zach. „Ist klar." sagten seine drei Freunde wie aus einem Mund. „Denkt doch was ihr wollt." nuschelte er nur. „Hey, Summand!" Das war Richard, der mich wieder mit so einem nervigen Spitznamen ansprach. Ich rührte mich extra nicht, obwohl ich wusste, dass er mit mir sprach. „Du bist doch mit Molly befreundet, oder?"

Ich sah auf und guckte in die Gesichter der vier Jungs. Eigentlich wollte ich scheinheilig fragen "Meinst du mich?" , doch stattdessen zischte ich: „Was willst du?" Keiner von ihnen sah schlecht aus, aber sie haben so ein großes Ego, dass nicht mal ich mich freiwillig auf sie einlassen würde. Obwohl ich sie sehr sympathisch fand, da sie sich über Nicole und Philipp aufgeregt hatten.

„Komm her!" befahl Richard und klopfte neben sich. Alle vier saßen auf den Tischen, alle kauten Kaugummi bis auf Zach, der rauchte. Ich bewegte mich keinen Zentimeter. „Jetzt hör auf bockig zu sein und komm gefälligst her!"

„Erst wenn du mir sagst, was du von mir willst." entgegnete ich. „Süße, du hasst doch Nicole genauso sehr wie wir, nicht wahr?" meldete Marco sich zu Wort. „Das hat sie ja gestern förmlich über den Hof geschrien." grummelte Zach. Ich merkte, wie rot wurde. Schon wieder war mir etwas peinlich.

„Du hängst jetzt mit uns ab! Du bekommst sogar einen Kaugummi!" Richard wedelte mit der Kaugummipackung. Ich lachte auf. „Tut mir leid, aber ich bin nicht käuflich. Wenn ihr etwas von mir wollt, müsst ihr schon herkommen." Das ließen sie sich nicht zwei Mal sagen. Alle vier standen auf und setzten sich zu mir. Richard hielt mir immer noch die Kaugummipackung entgegen und ich ließ mich darauf ein. „Also, du bist doch mit Molly befreundet, nicht wahr? Glaubst du, sie und Zach wären ein gutes Pärchen?" Nein! Definitiv nicht. Ich meine, er rauchte, tat auf Bad Boy und so, aber Molly stand auf Gentlemans. Ich wollte aber Zach wirklich nicht die letzte Hoffnung nehmen, falls er überhaupt in Molly verknallt wäre. „Also... Molly hat ja schon einen Freund..." sagte ich ausweichend. „Die werden ja nicht für immer zusammen sein." meinte Richard. „Dann ist es Zachs Chance!" Er linste zu seinem Freund hinüber, der nur die Augen verdrehte. Er hatte es anscheinend aufgegeben sich zu verteidigen. „Was sollte denn Zach beachten, um sie nicht zu vergraulen?" hackte Richard weiter nach. Ich sagte ehrlich, dass sie halt eher auf Gentlemans stand. Marco lachte wie verrückt, warum auch immer. Zach schmiss die Zigarette weg, die jetzt auf dem Stuhl von Nicole lag. Ob er es absichtlich getan hatte? „Und worauf stehst du so?" lautete Richards nächste Frage. Alle sahen mich gebannt an, sogar Andrew, der während des Molly-Gesprächs nur aus dem Fenster gestarrt hatte.

„Äh, naja..." Ich merkte, wie ich rot wurde. „Stehst du auf einen Jungen aus unserer Klasse?" Ich schüttelte den Kopf. „Ich... lass mich überraschen." murmelte ich. „Überraschen?" Ich nickte. „Liebe auf den ersten Blick, meinetwegen auch auf den zweiten." Ich lächelte gequält. Dann war es still. Das Fenster war geöffnet, aus dem man die Schreie der Kinder hören konnte, die auf dem Hof spielten. „Naja, wir sind alle single, also..." Richard legte den Arm um mich, doch ich entwand mich wieder seiner Umarmung. Er sah ziemlich enttäuscht aus. „Wie war das mit der Liebe auf dem zweiten Blick?" Ich wollte etwas Gehässiges sagen, doch ich hielt mich zurück. Vielleicht waren sie ohne Nicole doch ganz nett. Nur Marco war ein wenig seltsam. Mit Andrew hatte ich noch nie ein Wort geredet und bei Zach wusste ich nie, was in seinem Kopf abging.

„Drew veranstaltet morgen eine Party, du bist hiermit offiziell eingeladen." verkündete Richard und Andrew gab mir sogar eine Einladung. „Äh, danke." bedankte ich mich. Es klingelte zur Pause und die vier Freunde setzten sich wieder an ihren Platz.

Ich klappte die Einladung auf. Wow, er hatte sogar meinen Namen hingeschrieben – und zwar meinen ganzen Namen Summerspring, nicht so ein komischer Kosename. Sie fand morgen um zwanzig Uhr bei Andrew zu Hause statt. Das Problem war, ich wusste nicht, wo er wohnte, da musste ich ihn wohl selbst darauf ansprechen. Ja, ich hatte mir wirklich vorgenommen auf diese Party zu gehen. Ich meine, was sollte schon schlimmes passieren? Das Schlimmste, was passieren konnte war, dass ich meine Jungfräulichkeit verlieren würde, aber das war doch mein Ziel gewesen!

Nach der Schule wartete ich am Schultor auf Andrew. Er ließ sich ziemlich viel Zeit, aber wenigstens war er alleine. „Hi." Ich hüpfte ihm in den Weg und lächelte ihn an. Er sah mich fragend an. „Wegen der Party..." begann ich. „Du willst hingehen?" unterbrach er mich. Ich nickte hastig. „Jedenfalls, ich kenn' deine Adresse nicht und du hast sie nicht auf die Einladung geschrieben, also..." Ich hoffte, er wusste, worauf ich hinaus wollte. Er nickte, kramte einen Stift heraus und schrieb seine Adresse auf die Einladung. „Danke." bedankte ich mich bei ihm und steckte die Karte ein. „Gibt es sonst noch etwas?" In dem Moment fühlte ich mich, als stände ich in einem Supermarkt oder einer Bäckerei an der Theke und der Verkäufer fragt dauernd: „Darf es noch etwas sein?"

„Ähm,ne." Ich lächelte ihn knapp an. „Gut... Dann bis morgen." verabschiedete er sich und drängelte sich an mir vorbei. Das war das erste Mal, dass ich mit Andrew gesprochen hatte. Ich lief den Weg nach Hause und machte eine Rezension. Eigentlich war er ganz nett gewesen. Auch wenn er irgendwie genervt gewirkt hatte. Naja, besser, als wenn er mich bloß gestellt hätte. Aber, das ist eigentlich bei jedem Jungen so, wenn sie mit ihrer Clique sind, plustern sie sich immer auf, alleine sind sie aber ganz normale Menschen, die keiner Fliege etwas zuleide tun würden. Jedenfalls kommt mir das so vor. 

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