27. Runen
"Siehst du, das hier ist Yggdrasil, der Weltenbaum. Baldur wird uns durch den Runenkreis so nahe wie möglich zum Fuße des Baumes bringen, wo der Brunnen liegt. Der fordert für seine Dienste ein Opfer, das er vorschlägt, es gibt keine Möglichkeit es vorherzusehen. Wenn er uns das Opfer gesagt hat, müssen wir so schnell wie möglich wieder von dort raus und das Gegengift suchen. Je nachdem, wo es ist, können wir auch die anderen kontaktieren, um dem nachzugehen.", erklärte mir Njörd leise, deutete auf eine kleine Zeichnung, die er hastig angefertig hatte.
"Er wird von dir kein Opfer verlangen, da du bloß ein Mensch bist und damit eigentlich keinen Zugang dorthin hast. Einer von uns wird sich also opfern müssen, aber weil wir nach etwas von relativ kleiner Wichtigkeit suchen, dürfte es nicht zu dramatisch ausfallen."
San rutschte herüber, um einen Blick auf das Bild zu werfen, dann den Stift zu greifen, um einen Kreis um den Brunnen herum zu malen, die Weltenesche erhob sich nun aus einem gigantischen See.
"Der Göttervater Odin erlangte unbeschränktes Wissen für den Preis eines Auges. Heimdall eine durch die Welten dringende Stimme durch den Verlust von dem Hörsinn seines linken Ohres. Das sind vergleichsweise kleine Opfer für den Preis.", fuhr Njörd vor, war unbekümmert von San, der fortfuhr ein paar Fische und Quallen in den See zu zeichnen. Immerhin war er ein Wassergott, ihn sorgte das wenig.
"Verstehe... Ich hoffe du hast recht."
Er lächelte mir bloß aufmunternd zu und sah dann zum schlafenden Jongup hinüber, senkte die Stimme etwas.
"Baldur und Mimir pflegten zu Zeiten eine enge Beziehung miteinander. Mimir ist keine Gottheit, aber er wird Baldur gegenüber dennoch freundlich gesinnt sein."
Ich nickte aufmerksam, warf einen Blick zu dem zweiten Vogel hinüber, der friedlich neben uns einher glitt, ich sah Baldurs pinkes Haar über den Rand schauen, er schien gerade mit Freyr zu lachen.
"Wer ist Mimir?"
"Er war ein Riese, bevor er enthauptet wurde. Inzwischen ist er nurnoch ein Kopf in einem Brunnen."
Angewidert wandte ich mit wieder Njörd zu, der nur hilflos die Schultern hob, San lachte leise an unserer Seite.
"Fabelhaft..."
-
Wir landeten irgendwo in Skandinavien und traten hinaus in eine beißende Kälte, sofort ging ein Beben durch meinen Körper. Fröstelnd schlang ich die Arme eng um mich, während Heimdall geschwind nach unseren Mänteln kramte.
San trat an meine Seite, der Schnee unter seinen Stiefeln knirschend und plötzlich erbrannte eine kleine Flamme in seiner Hand, spendete eine wohltuende Wärme. Instinktiv schmiegte ich mich enger an seine Seite und San grinste bloß, teilte seine Wärme mit mir.
"Ich werde sehen, dass ich dieses Portal öffnen kann. Ich brauche Wachen von euch und Heimdall, hab du bitte ein Auge auf Tsukiko und Loki.", sagte Baldur fest, tauschte einen Blick mit Heimdall, während Loki selbst bei der Erwähnung bloß liebenswürdig grinste, immerhin unsere Sprache nicht sprach.
Jongup zog mit Njörd los Wache stehen, während die beiden Wölfe ebenfalls ihren Posten bezogen, Youngjae blieb in Baldurs Nähe, um ihm hoffentlich behilflich zu sein.
Ich schlüpfte in meinen Mantel und setzte mich mit Loki auf den eigenartigerweise gänzlich von Schnee freien Steinboden innerhalb des Kreises. Heimdall stand mit etwas Abstand zu uns, behielt uns allerdings im Blick.
"Was hat Wooyoungs Bruder gesagt?"
"Du vermisst ihn, hm?" San erwiderte verschlagen mein Lächeln.
"Er war überrascht, wusste erst gar nicht, wovon ich spreche. Aber als er es dann hatte, fand er es unglaublich.", gab ich amüsiert wieder, vergrub meine Hände in den jeweils gegenseitigen Ärmeln.
"Recht so. Wir könnten ein Treffen organisieren, denke ich. Nach all dem hier."
Nachdenklich sah ich in Baldurs Richtung. Er hatte begonnen die Runen auf den Obisidianen zu entschlüsseln, wanderte stetig im Kreis. Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum San ihn töten sollte.
Kopfschüttelnd griff ich in meine Tasche mit dem Schmuckstück, das Himchan mir überreicht hatte, legte es mir um den Hals.
"Wenn wir es alle raus schaffen, ja."
"Sollte es jemand nicht schaffen, ist es ohnehin nur Baldur."
Erschrocken sah ich zu ihm auf, starrte ihn so lange strafend an, bis er abwehrend die Handflächen hob.
"Nicht doch. Sollte er tatsächlich sterben, ist es noch hin, bis Ragnarök. Es findet nicht unmittelbar nacheinander statt. Heimdall wird mich nicht einfach töten können, weil er will. Er würde das Gleichgewicht ins Schwanken bringen. Für die Endschlacht braucht es mehr als nur uns hier. Und die ist es, die zählt."
Ich hoffte, dass das stimmte und er es nicht nur sagte, um mir gut zu zu reden, aber momentan sollte mein Fokus ohnehin eher auf meiner eigenen Gesundheit liegen.
"Wir sind bereit."
Verwundert sah ich auf, bemerkte, wie sich Baldur und Youngjae leise genähert hatten, nun auch dem Rest winkten sich zu uns zu gesellen.
"Loki du nimmst Tsukiko." Baldur gestikulierte zu mir hin und ich übersetzte für San, der das als sein Zeichen sah mich sofort eng in seine Arme zu ziehen, er war schön warm. Dennoch versuchte ich wenigstens etwas Abstand zwischen uns zu bringen, fühlte mich nicht wohl in seiner direkten Nähe, mit der Art wie er an meinem Ohr grinste.
"Der Rest fasst euch irgendwie an den Händen und Pfoten, wir müssen einen Kreis bilden."
Jongup ließ eine Hand grob auf Sans Schulter fallen, Youngjae griff nach einer seiner Hände um mich, integrierte ihn mit einem pointierten Blick in den Kreis.
Meine eigenen Hände waren in Sans Mantel verkrampft, während Baldur seine Runen rezitierte, ich spürte langsam die Kälte schwächer werden und sich verflüchtigen, das Zwitschern von Vögeln setzte ein.
Als ich die Augen das nächste Mal öffnete, standen wir in einem identischen Runenkreis inmitten einer kleinen Lichtung, umgeben von grün leuchtenden Laubbäumen, Sträuchern voll von Beeren und wilden Rosen.
Ich trat sofort von Loki weg und mehr Richtung Jongup, der sich nicht minder erstaunt umsah.
"Gut, wir sind schon einmal in der Nähe. Lasst mich gerade-" Heimdall unterbrach sich, um einen lauten Ton auf seinen Fingern zu pfeifen, ging los auf was auch immer warten, das er gerufen hatte, während Baldur sich mir näherte und besorgt nach meinem Wohlergehen fragte.
"Ich fühle mich gut, aber mir ist etwas schwindelig.", meinte ich fest und er besah sich meinen Kopf, schien zu rechnen, denn er zählte an seinen kurzen, stummeligen Fingerchen ab.
"Wir haben ungefähr eine Woche. Eher weniger."
"Macht euch keine Gedanken. Wir sind morgen am Brunnen."
Konfus sahen wir zu Youngjae auf, der bei Heimdall stand und vor ihnen stand ein majestätisches, weißes Pferd, mit eleganten Schwingen, das friedlich den Kopf in ihre Hände geschmiegt hatte.
Erleichtert winkte ich den anderen näher zu kommen.
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