23. Sirenen
Ich wusste bereits, dass Hongjoong sehr wenig schlief, aber das Problem wurde schlimmer, als er mich nicht mit den Segeln allein lassen wollte. Selbst nach mehrfachen Versprechen, dass Seonghwas Wind uns schon nicht vom Kurs abtreiben würde und er mir bloß Anweisungen geben müsste, gab er nicht klein bei und mir blieb nichts anderes übrig als zu warten, bis er vor Erschöpfung wegsacken würde.
Bis dahin beobachtete ich allerdings aufmerksam seine Arbeit an den Segeln, erlernte es nach Möglichkeit die Wellen und Wolken zu lesen. Bisher hatten uns die Unwetter verschont, aber ich würde nicht darauf wetten, dass wir ganz unberührt bleiben würden.
"Sie sind bald halb weiß.", bemerkte er irgendwann abends mit einem Nicken auf die weißen Strähnen, die mir offen bis zur Brust fielen, in meinem direkten Blickfeld ausschließlich farblos geworden waren. Seufzend strich ich sie zuück und versuchte nicht zu viele Gedanken an das Gift zu verschwenden, war bloß froh keine Schmerzen leiden zu müssen.
"Wie sehen meine Augen aus? Ich habe seit einer ganzen Weile nicht mehr in einen Spiegel gesehen." Mein ursprüngliches Leben voller Spiegel schien wie in eine weite Ferne gerückt, wie ein Traum aus einer vergangenen Zeit.
"Sie werden gelb. Von gelb dann wohl zu weiß.", murmelte er mit einem kurzen Blick auf mein Gesicht und mir kam der Gedanke, dass ich vermutlich derzeit bereit war Teil einer Freakshow zu werden, mit meinem Aussehen.
Hongjoong hatte gesagt, dass er bisher nie persönlich mit einem Fall des Giftes zu tun gehabt hatte, nur mit schmerzhaften Bissen von normalen Schlangen. Daher wussten wir weiterhin nicht, wie mir zu helfen war und es würde wohl knapp werden, wenn unsere Lösung nicht auf den Philippinen zu finden war.
"Keine Sorge... Wir sind übermorgen dort.", waren seine besänftigenden Worte gewesen, aber ich konnte nicht anders als mich zu sorgen, mit den Möglichkeiten zu spielen.
Davon abgesehen saß der Gedanke, dass Hongjoong allein zu seinem Schiff zurückkehren müssen würde nicht ganz richtig in meiner Brust, ich wollte weder Abschied nehmen, noch wollte ich ihn potenziell nie wieder sehen.
Wir waren seit zwei Tagen auf See, Hongjoong hatte noch keine Sekunde geschlafen und sah so aus, als würde er jederzeit in die warme Umarmung des Schlafes fallen, als wir angegriffen wurden.
Anfangs hatte ich gar nicht so sehr darauf geachtet, aber als unser Gespräch langsam herabstarb und nurnoch das sanfte Schwappen von Wellen mir Gesellschaft leistete, bemerkte ich das süße Singen an meinem Ohr, sah mich verwundert zu Hongjoong um.
Aber ihm waren endlich die Augen zu gefallen, seine Hand noch immer besitzergreifend auf den Seilen an seiner Seite, der Kiefer entspannt.
Verwundert sah ich von seiner friedlichen Gestalt, die so jung aussah hinaus über das Wasser, sah nichts außer blau.
Der Gesang wurde etwas lauter, langsam hörte ich mehrere melodische Stimmen heraus, die miteinander harmonierten und in mir den eigenartigen Drang weckten die Sänger zu treffen, zu sehen, ob ihre Gesichter ebenso engelsgleich waren, wie ihre Stimmen.
Der bezaubernde Chor schien näher zu kommen, wurde klarer, wenn sie auch in keiner menschlichen Sprache zu singen schienen. Ich kam vorsichtig in Bewegung, glitt vorsichtig zum Rand des Bootes hinüber, um Hongjoong nicht zu wecken.
Das Meer war hier klar genug, dass ich schimmernde Schuppen und langes Haar erkennen konnte, es dauerte dann nicht mehr lange, bis ich richtige Meerjungfrauen sah, eine mir bekannte Märchenfigur.
Es ergab Sinn, dass es sie tatsächlich gab, aber sie waren von deutlich größerer Schönheit, als ich jemals gehört hatte.
Da waren auch Männer, kraftvolle Oberkörper, die in einen langen Fischschwanz über gingen, in allen Farben des Regenbogens.
Ich beobachtete sie fasziniert, lauschte ihrem weichen Gesang eine Weile lang, bis eine von ihnen sich etwas näher an mich heran traute, neugierig durch die Wasseroberfläche lugte.
Sie schien verwundert von meinem weißen Haar und streckte konfus eine Hand danach aus, gab einen fragenden Laut von sich.
Meine Lippen schafften es nicht zu einer Antwort, ich war befangen von ihrer Schönheit, von ihrer Exotik und sah von ihr zu Hongjoong, um ihn vielleicht doch zu wecken, ihm diese einzigartigen Kreaturen zu zeigen.
Die Meerleute waren auch auf ihn schon aufmerksam geworden und eine der Frauen hatte sich unbemerkt auf dem Rand unseres Bootes nieder gelassen. Ich beobachtete, wie sie zarte Hände nach dem gelösten Gesicht des Kapitäns ausstreckte und wollte sie gerade bitten ihn schlafen zu lassen, dann hatte sich sich bereits zu ihm hinab gebeugt, um ihn zu küssen, zu tun, was ich nicht gewagt hatte.
Sofort wandte ich mich errötend ab und hörte die Frau an meiner Seite leise lachen, dann streichelte ihre nasse Hand meine Wange, spendete Trost. Kurz genoss ich ihre Berührung, wünschte es mir mit ihnen kommunizieren zu können, dann sah ich vorsichtig wieder zu meinem Gefährten, schaffte es nicht meine Neugier zu verbergen.
Er rührte sich kaum merklich unter der Berührung, ließ seine Augen zu, aber hob eine Hand zum Kopf der Frau, um sie näher zu sich zu ziehen. Verlegen aber eigenartig befangen beobachtete ich, wie auch die zweite Hand dazu kam und er sich kaum merklich aufsetzte, um den Kuss zu vertiefen, der seufzenden Meerjungfrau lieblich den Atem zu stehlen.
Gerade wollte ich mich beschämt wieder abwenden, mich auf meine neue Freundin konzentrieren, als plötzlich ein Ruck durch Hongjoong ging und ein unüberhörbares Knacken ertönte, so grässlich, dass mir augenblicklich das Blut in den Adern gefror.
Die Stelle, an der die Hand mich berührt wurde, wurde kalt, als ich mit ansah, wie Hongjoong den leblosen Körper der Frau von sich gleiten und achtlos auf dem Boden liegen ließ, um seine mörderischen Augen auf mich zu richten.
Meine eigenen Augen waren weit, klebten an der schönen Frau fest, die mit panisch aufgerissenen Augen am Boden lag, der Kopf in einem unnatürlichen Winkel verdreht.
"Lasst sie gehen, ich bezweifle, dass ihr giftiges Blut euch schmeckt.", sprach Hongjoong autoritär, während er langsam auf die Füße kam, das Gesicht müde, aber aufmerksam.
"Lass sie uns haben, Sohn des Meeres. Eine der unseren für eine der deinen.", hörte ich eine der Stimmen flüstern, der einst zauberhafte Klang nun voller Hass.
Hongjoong sprang in Aktion, machte übereilten einen Satz auf uns zu und das Boot schwankte, verhinderte, dass meine fischige Freundin mich greifen und ins Wasser ziehen konnte.
Der Säbel des Piraten machte einen eleganten Boden, glitt sirrend durch die Luft, um rot von Blut wiederzukehren. Sein freier Arm kam herab, um mich hoch und gegen seine Form zu ziehen, nahe bei sich zu halten, während er den tropfenden Säbel auf die wütenden Gesichter hielt, die uns umkreisten.
Mein Blick zuckte unsicher zwischen ihnen umher, suchten einen Ausweg aus der Situation, oder wenigstens eine Waffe. Beides wies sich als schwer zu finden aus.
Beides war auch überflüssig, denn die Meerleute zuckten plötzlich kreischend von uns zurück, schienen mit sich selbst oder etwas unter ihnen zu ringen, schrien, es war laut und grässlich und ich presste mir erschrocken die Hände auf die Ohren.
Das Kreischen schwoll zu einer abartigen Kakophonie von Geräuschen an, das Boot schwankte, als ihre Körper es mehrfach trafen und plötzlich riss Hongjoong mich zu sich herum und presste meinen Kopf gegen seine Schulter, verbarg mir die Sicht.
Ängstlich, was geschehen würde, verharrte ich dort und wartete starr, bis die Geräusche langsam abstarben, schließlich ganz verstummten. Binnen wenigen Sekunden war das Chaos gekommen und ebenso schnell wieder gegangen.
"Was war-" Ich scheiterte daran den Kopf zu heben, als er ihn mit etwas mehr Druck gegen seine Gestalt presste, der salzige Geruch seiner Jacke scharf in meiner Nase.
"Nicht hinsehen."
Ich gehorchte ihm.
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