18. Freiheit
Es wäre zu einfach gewesen einen Haufen unglaublich zuvorkommender Piraten zu finden, die zufälligerweise nichts besseres zu tun hatten, als mich zu den Philippinen zu bringen und wieder mit meiner Gruppe zu einen. Es wäre zwar genau das gewesen, das mir bestens zu Gunsten gekommen wäre, aber mein Glück hatte mich inzwischen gänzlich verlassen.
Ich war von dem Kapitän in ein eigenartiges Spiel verwickelt worden. Ebenso wie er mir misstraute, beobachtete ich ihn mit wachsamen Augen und wir umkreisten einander wie die Wölfe, suchten eine Schwachstelle beim anderen. Ich wartete nur auf einen Fehltritt, darauf, wie sie ihre wahren Gesichter entblößten und er schien nur darauf zu warten einen Grund zu haben mich Kiel zu holen.
Der große Mann, der mich mitgenommen hatte, hieß Yunho und er war mir als Wächter abgestellt worden. Er beobachtete mich nicht nur, er schützte mich auch vor der gierigen Crew und ich bekam sehr schnell einen positiven Eindruck von ihm, wie der eines treuen Welpen.
Ich wurde vorerst bei Schiffsarzt Yeosang in dessen Krankenrevier untergebracht, er war direkt im angrenzenden Raum und würde nachts ein Ohr auf mich haben.
Im Heimlichen schmiedete ich bereits meine Fluchtpläne.
Laut Seonghwa hätten sie in der Tat eine ähnliche Route, die Piraten wollten nach Singapur. Sollten wir nicht zufälligerweise ein Mal pro Woche ungefähr einem Schiff begegnen, das sie plündern konnten, rechnete ich außerdem damit, dass wir regelmäßig an Land anlegen müssten, um den Proviant aufzustocken. An genau diesen Punkten musste ich bereit für eine spontane Flucht sein.
Das Problem blieb nur, dass ich keinerlei Geld oder Wertgegenstände bei mir hatte, eine friedliche Weiterreise könnte kompliziert werden. Aber eher schlug ich mich irgendwie durch, als dass ich die Dämonen hinter den Augen des Kapitäns zum Leben erwachen sehen müsste.
Bis dahin würde ich wohl Yeosang so gut wie möglich im Revier assistieren, Aufräumarbeiten für ihn erledigen und mich weitesgehend bedeckt halten, um kein Aufsehen zu erregen.
Während meinem ersten Tag hier, erfuhr ich zumindest die beiden Namen abgesehen von Seonghwas und den Namen des Schiffs, die Treasure.
Yeosang sprach englisch, ebenso wie Seonghwa und der Kapitän und mir wurde außerdem erzählt, dass sie ein französisches Crewmitglied hatten, mit dem ich mich unterhalten könnte. Der Rest kam aus unterschiedlichen Ländern und nur die spanische Sprache hielt sie alle zusammen.
Ich hatte es bisher vernachlässigt diese wichtigste Handelssprache zu lernen und nun bereute ich es, wunderte mich, was die Piraten über mich flüsterten, wenn ich mit meinem stummen Wächter das Deck überquerte.
"Wie lange werden wir unterwegs sein?", erkundigte ich mich abends bei Yeosang, nachdem der Mann mit den wie fein gemeißelten Zügen sich seines Hutes und des Waffengürtels entledigt hatte.
"Unmöglich zu sagen. Das Meer ist unberechenbar und wer weiß schon, wem oder was wir auf unserer Reise alles über den Weg laufen werden.", murmelte der Mann nur und verzog sich dann, während ich noch lange wach lag.
Überraschenderweise hielt weder Yeosang mich auf, noch wurde meine Tür bewacht, als ich mich einige Stunden später auf das Deck hinaus schlich.
Das Schwanken von Wasser unter dem Holz, die schiere Freiheit um mich herum und der Wind auf meiner Haut waren ungewohnt für mich, aber nicht unwillkommen, auch wenn mir gelegentlich schwindelig wurde. Nach all den Jahren allein Zuhause wirkte sich diese Offenheit, diese Abhängigkeit von den Mitgliedern des Schiffes ganz anders auf meine Psyche aus.
Es wäre ein Zustand, den ich sehr begrüßt hätte, wäre das nicht ein Haufen blutrünstiger Männer.
Ich wanderte leise über das Schiff, den Blick immer auf dem dunklen Wasser, das hier und da vom Mondlicht erstrahlt wurde. Hinauf zum Bug und dort über die Bohlen trugen mich meine Füße, bis ich die Reling mit meinen Fingern fand und nachdenklich über die See hinaus starrte.
Der Wind brachte meine Haare durcheinander, wehte sie mir unangenehm in die Augen, aber ich ignorierte es, genoss eher das Gefühl des alten Holzes unter meinen Fingern.
"Du bist etwas zu suizidial, meinst du nicht?", erschreckte mich eine plötzliche Stimme hinter mir, ich war so damit beschäftigt gewesen den Duft des Meeres einzuatmen, dass ich niemanden kommen gehört hatte.
Nun verlor ich allerdings meinen Halt, rutschte an dem glitschigen Holz ab und vorwärts, wäre wohl einfach in die See hinein gestürzt, hätte mich nicht eine Hand am Kragen gepackt und zurück gezerrt.
"Nicht doch. Ich bin mir sicher für dich kann ich noch ein großartiges Lösegeld bekommen."
Er ließ mich auf den Boden fallen und ich blieb stumm dort sitzen, sah zu dem schwarz gekleideten Mann auf, dessen Profil vom Mond angeleuchtet wurde, die Augen dunkel wie das Meer.
"Ich ziehe es vor zu beobachten, statt leichtsinnige Entscheidungen zu treffen."
"Falsch, du hast nichts, was dich am Leben hält und lässt alles kommen, wie es ist. Du kämpfst nicht, beschwerst dich aber auch nicht." Er warf mir einen verächtlichen Blick zu.
"Du wirst hier draußen lernen müssen. Der Schmerz ist dir hier näher als der Tod, weil ich den nicht auf meinem Schiff verantworte."
Mir kam die Idee doch noch in das Wasser zu springen.
Er schien meine Gedanken zu lesen, denn er ging neben mir in die Hocke und starrte suchend in mein Gesicht, bevor die beringten Finger wieder meine Haare fanden, die weißen Spitzen gedankenverloren umherzwirbelten.
"Siehst du, ich werde dich hier hindurch zwingen. Ich weiß nicht, wer du bist, warum du so lebensunfähig bist, aber ich weiß, dass es nicht so sein müsste. Sieh dir das Meer an. Spüre den Wind auf deiner Haut. Schmecke die Freiheit auf deiner Zunge. Nichts hält dich davon ab zu leben. Vor allem hier draußen nicht." Er ließ die Strähne wieder fallen und kam auf die Füße.
"Ihr Engländer haltet euch alle für so gut und mächtig, weil ihr euch es nicht erlaubt Spaß zu haben und ihr selbst zu sein. Aber du wirst hier nicht lange so sein können. Ich akzeptiere hier keine Leute ohne Feuer in ihren Augen. Und da ich dir mit dem Tod vermutlich einen Gefallen tun würde... nun, ich werde mir etwas anderes einfallen lassen dich zu zwingen zu leben."
Ich dachte darüber nach es ihm zu sagen, dass ich vergiftet war, dass ich nicht mehr lange leben würde und jetzt nicht anzufangen brauchte. Eigenartigerweise kam mir auch der plötzliche Drang in Tränen auszubrechen, ihm alles zu erzählen, all meine Ängste offen zu legen.
Zugegebenermaßen schien er auch nur darauf zu warten. Um seine Lippen spielte ein siegreiches Grinsen und er hatte eine schlanke Braue herausfordernd gehoben.
Ich rang kurz mit mir selbst, versuchte herauszufinden, was er genau beabsichtigte, welches Spiel er spielte, indem er sich mir so offenbarte. Welche verborgene Falle hinter seinen Worten lag.
Er sah überrascht aus, als ich mich bloß erhob und mein Oberteil glatt strich.
"Danke, für die weisen Worte, Kapitän. Ich werde mein bestes geben nicht auf Eurem Schiff zu sterben, aber für alles weitere kann ich nicht bürgen."
Als ich den Mast über den Kapitänsquartieren passierte, bemerkte ich nicht den dunklen Schatten, der dort lehnte und mich mit aufmerksamen Augen verfolgte.
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