3 - Einsatzbereit
Der kleine Vogel lag ungelenk und mit breit auseinander gefächerten Flügeln auf dem Asphalt. Es war eine Blaumeise. Das einst so schöne farbige Federkleid war nun ordentlich zerzaust und zahlreiche Federn lagen in der mittelbaren Umgebung. Der Bauch des Vögelchens war durch einen schmalen Riss geöffnet und einige blutige Gedärme quollen heraus. Es war kein besonders schöner Anblick.
„Verdammte Katzen!", dachte sich Maximilian Rose, als er im Dauerlauf den Kadaver passierte, „Zumindest hat er's hinter sich."
Maximilian Rose war ein Mann mittleren Alters und durchschnittlicher Größe. Seine kurzen, dunklen Haare, in welche sich bereits einige graue Stellen eingeschlichen hatten, klebten schweißgebadet an seiner Stirn. Er war bekleidet mit leichten Laufschuhen, einer kurzen Sporthose und einem roten Funktionsshirt.
Während er am Mainufer in der Sanderau in die Schlussphase seiner heutigen Laufeinheit eintrat und nochmals das Tempo erhöhte, dachte er über Katzen nach.
Diese Stubentiger waren schon irgendwie hinterlistige Wesen. Einerseits verschmust und zahm, andererseits machte es ihnen abgöttisch viel Spaß andere Tiere zu quälen, zu töten und nach allen Regeln der Kunst auseinander zu nehmen. Zur Krönung legten sie dann meist noch die widerlichen Überreste ihrem Frauchen oder Herrchen vor die Tür in freudiger Erwartung auch noch Lob und Anerkennung für diesen niederen Blutrausch zu erhalten. Er war ja ohnehin nicht der Typ für Haustiere, aber eine Katze würde er sich wirklich niemals anschaffen.
In seinem Penthaus angekommen verschwand er erstmal unter der Dusche. Während das kühle Nass von oben auf ihn herab strömte, dachte Rose über die vergangene Laufeinheit nach. Alles in allem war er zufrieden. Er hatte diese Nacht schlecht geschlafen. Alpträume, die ihn schon seit vielen Jahren plagten, verschwommene Bilder aus Angst, Scham und Hilflosigkeit. Er wollte nicht mehr über diese Träume nachdenken und auch wenn sie immer wieder kamen, so konnte er seine Gedanken daran erfolgreich verdrängen, wenn er sich körperlich verausgabte. Umso härter er zu sich selbst war, umso besser funktionierte es.
Als er die Dusche verlassen hatte, warf er sich einen schwarzen Fleece-Bademantel über und durchschritt seine Wohnung. Die Räume waren offen und großzügig gestaltet.
Dafür, dass die Wohnung jede Menge Platz bot, waren darin erstaunlich wenig Möbelstücke zu finden. Im Wohnzimmer standen lediglich ein Buchregal, das jedoch nur etwa zu einem Drittel mit Büchern gefüllt war, ein schwarzer, durchgesessener Ledersessel und eine Stehlampe. An den kahlen, weißen Wänden hing abgesehen von einem großen Flatscreen-Fernseher nichts.
Rose öffnete die Schiebetür, die vom Wohnzimmer zur Dachterrasse führte und ging hinaus. Er stütze sich am Geländer ab und griff in die Seitentasche seines Bademantels um eine Schachtel Zigaretten hervorzukramen. Er steckte sich eine Zigarette an und blickte über die Dächer der Stadt.
Der Ausblick war wirklich malerisch. Seine Blicke schweiften zum Käppele, das umringt von Bäumen auf dem Nikolausberg stand. Man konnte bei genauerem Hinsehen ein paar Spaziergänger ausmachen, die vermutlich den mühsamen Gang über die zahllosen Stufen emporgestiegen waren und ihre Anstrengungen nun mit der grandiosen Aussicht über die Altstadt belohnten. Daneben thronte die Festung Marienberg über der Stadt. Die Türme waren mit einigen Bannern geschmückt, die eifrig im Wind flatterten. In der Ferne erblickte er die Steinburg hoch oben über dem Würzburger Stein, der exklusiven Steillage, die sich muschelförmig nördlich der Altstadt erstreckte und mit seinem Muschelkalkboden der ideale Boden für markante Frankenweine war, die überregional beliebt und geschätzt waren.
Als Rose das Meer an Hausdächern in der Altstadt, aus denen einige Türme herausstachen, ins Auge fasste, klingelte sein Handy und riss ihn aus seinen Gedanken. Hastig drückte er den Rest seiner Zigarette in einem Aschenbecher aus, nahm den Anruf an und führte sein Telefon ans Ohr.
„Rose", meldete er sich.
„Ja, hier Lechner! Sind Sie etwa immer noch im Urlaub?", meldete sich Bernd Lechner, Roses Vorgesetzter. Die beiden unterhielten ein angespanntes Verhältnis zueinander und keiner der beiden konnte besonders viel Verständnis für den anderen aufbringen. Leiden konnten die zwei sich schon gar nicht.
„Es war ausgemacht, dass ich morgen zurückkehre."
„Nein, Ihr Urlaub endet heute! Doktor Leitner hat mir Ihre Einsatzfähigkeit bestätigt. Es gibt viel zu tun. Sie müssen unseren neuen Mann vom Flughafen in Frankfurt abholen, Böhme oder Böhm oder wie der auch immer heißt. Der landet um 14 Uhr. Außerdem gibt Ihr Freund Heß heute seinen Ausstand, das wollen Sie sicher nicht verpassen. Bringen Sie den Böhme am besten gleich mit. Der soll immerhin sein Nachfolger werden und dann können die sich mal unterhalten." Lechners Stimme klang streng und bestimmt.
„Und wieso schicken Sie nicht Engelhardt oder sonst jemanden?"
„Wir haben hier schon aufgrund der Feierlichkeiten einen Sekt auf und sollten jetzt besser nicht mehr fahren. Immerhin sind wir die Polizei!", erklärte Lechner.
„Es ist gerade mal 12 Uhr!"
„Sehen Sie jetzt zu, dass Sie den Böhme aufsammeln und mit ihm herkommen. Sonst können Sie das mit INTERPOL vergessen!", drohte Lechner und in seiner Stimme schwang etwas Bedrohliches mit.
INTERPOL – das war Lechners Todschlagargument. Lechner wusste durch einen seiner Kontakte, dass bald eine höherwertige Anstellung dort frei werden würde und er wusste auch, dass Rose scharf auf genau so eine Stelle war. Immer wenn Lechner ihm in Aussicht stellte, ein gutes Wort für Rose einzulegen sobald die Position frei werden und ein Nachfolger gesucht werden würde, fühlte er sich wie ein Hund. Ein hungriger Hund. Lechner hielt ihm eine saftige Bratwurst vor das Maul auf dass er rennen würde wie verrückt um in den Genuss der Wurst zu kommen. Nur erreichen würde der dämliche Köter sie nie und irgendwann vor Erschöpfung in sich zusammenfallen und verenden.
Rose wollte gerade Luft holen um etwas zu entgegnen, da verabschiedete sich Lechner mit den Worten „Gut, ich sehe sie dann später im Präsidium. Auf Wiederhören!" und legte einfach auf.
Lechner, dieser aufgeblasene Nichtskönner. Viel zu lange musste Rose schon unter diesem Choleriker seinen Dienst verrichten. Er ließ ihn einfach nicht vorankommen. So wohl er sich auch in dieser Stadt fühlte, war sie einfach viel zu klein für seine Ambitionen.
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