20 - American Curl
Der Anblick einer American Curl Katze mit ihren merkwürdigen, runden Ohren war ungewohnt. Einen ganzen Wurf von ihnen zu sehen, war da natürlich nur eine Steigerung, zumal manche Kätzchen ganz normale spitze Ohren hatten, andere dagegen wieder die merkwürdigen rund geformten. Der gesamte Wurf, bestehend aus fünf Kitten, lag gemeinsam mit dem Muttertier auf einer Decke eng beisammen.
„Katzen sind Ihre Passion, nehme ich an", sagte Böhm zu Herrn Herold, dem Züchter, während die beiden die Raubtiere beobachteten. Herold wirkte sehr stolz als er die Tiere präsentierte.
„Ja, das kann man durchaus so sagen. Schon als Kind hatte meine Familie mehrere Katzen. Sie haben mich schon immer fasziniert. Es sind besonders charakterstarke Tiere, jede für sich ist ein Unikat! Kein Wunder, dass sie bereits im antiken Ägypten verehrt wurden."
„Wie funktioniert die Katzenzucht denn überhaupt?"
„In der Katzenzucht unterscheiden wir zwischen Verbesserungszucht und Erhaltungszucht. Verbesserungszucht ist eine gezielte Verpaarung von gleichrassigen Katzen, durch Auswahl des Katzenzüchters. Das Zuchtziel ist, eine Verbesserung der Nachkommen im Verhältnis zu den Elterntieren zu erreichen. Diese Verbesserung kann in körperlichen Merkmalen, der Fitness, der Charaktereigenschaften und gesundheitlichen Aspekten bestehen."
„Klingt als wollten Sie eine Super-Katze züchten, die allen vorherigen Katzen überlegen ist", scherzte Böhm.
„Im Grunde liegen Sie damit gar nicht so falsch, nur dass natürlich irgendwo die Grenzen der Genetik erreicht sind."
„Verstehe."
„Die Erhaltungszucht ist dagegen eine Zucht, die den Erhalt und die genetische Vielfalt einer Rasse zum Ziel hat."
„Damit eine Rasse nicht ausstirbt und verschwindet."
„Richtig!"
„Und was qualifiziert Sie zum Katzenzüchter?"
„Ich bin Mitglied beim Zuchtverband und unterliege damit dessen Regeln. Andernfalls unterliegen Katzenzüchter kaum einer Reglementierung abseits des sogenannten Qualzucht-Paragrafen, der die Zucht von extremen Katzenrassen in Deutschland verbietet."
„Ich habe gehört, sie verkaufen ihre Tiere für einen stolzen Preis."
„Das ist richtig. Die American Curl ist eben eine sehr seltene Rasse und sehr aufwändig in der Zucht. Unterschätzen Sie auch nicht die Kosten, die eine Zucht mit sich bringt! Katzenversicherungen, Kosten für die Impfungen der Zuchtkatzen und Kitten, Wurmkuren, Deckgebühren, hochwertiges Katzenfutter, Zusatzernährung, Tierarztkosten, Vorsorgeuntersuchungen und Geburtsnachtsorge..."
„Schon gut, Sie müssen sich nicht für ihre Preise rechtfertigen", entgegnete Böhm genervt, „ich will ja schließlich keine kaufen. Leben können Sie ja davon recht gut."
„Ja, ich mache das Hauptberuflich. Ab fünf fortpflanzungsfähigen Tieren oder fünf Würfen pro Jahr gilt man als gewerblich. Die Grenzen hatte ich schon vor einigen Jahren überschritten und seither ist das hier mein selbständiges Business."
„Haben Sie einen festen Kundenstamm?"
„Die meisten sind Privatleute. Es ist eher selten, dass die selben Leute zu mir kommen, aber das kommt schon auch manchmal vor. Einen festen Kundenstamm habe ich also eher nicht, denn wer eine Katze von mir übernimmt, der hat diese auch für etliche Jahre."
„Woher stammen ihre Kunden?"
„Meine Kunden kommen aus ganz Deutschland und Mitteleuropa. Es gibt nur wenige Züchter, die sich auf diese seltene Rasse spezialisiert haben."
„Dann haben Sie sicherlich auch dokumentiert an wen sie ihre Katzen verkaufen. Rechnungen, Kaufverträge, oder sowas."
„Aber natürlich! Ich bin ja schließlich umsatzsteuerpflichtig und muss jeden Verkauf nachweisen können."
"Ich muss wissen, welche Tiere nach Würzburg gingen. Können Sie sich erinnern?"
„Würzburg... das ist schon etwas länger her. Ich müsste einen Blick in meinen Computer werfen."
„Nur zu. Diese Information ist äußerst wichtig für mich und könnte entscheidend für die Aufklärung eines Mordfalls sein."
„Was ein Mord? Wie soll denn da eine meiner Katzen drin verwickelt sein? Sie wird doch wohl kaum einen Menschen ermordet haben?"
„Nein, das hat sie natürlich nicht. Aus ermittlungstaktischen Gründen kann ich Ihnen aber leider nicht mehr dazu sagen."
Herold führte Böhm in sein Büro, ein kleiner Raum mit einem Schreibtisch. An den Wänden hingen Fotos von Katzen, auch Urkunden und Preise, die der Katzenzüchter für seine Tiere erhalten hatte, waren hier ausgestellt. Er setzte sich an den Schreibtisch und schaltete seinen Computer ein.
„Suchen Sie bitte nach allen Adressen, deren Postleitzahlen mit 97 beginnen."
„Ja, das sollte kein Problem sein. Ich habe alle Adressen in der Datenbank. Es könnte aber sein, dass die Kunden inzwischen umgezogen sind oder die Tiere nicht mehr haben", erklärte Herold.
„Egal, ich nehme, was ich kriegen kann."
„Also meine Suche ergab nicht viele Treffer und nur zwei aus dem Raum Würzburg."
„Zwei Treffer?"
„Ja, Luna ging vor sechs Jahren nach Gerbrunn zu einer Familie Schneider und Eo vor zwölf Jahren nach Effeldorf zur Familie Haberer."
Effeldorf? Dort war der Tote gefunden worden. Konnte das Zufall sein? Und Haberer? Wo hatte Böhm diesen Namen schon einmal gehört? So hießen doch die Besitzer, denen der verfallene Hof gehört hatte! Dieser Popp vom Erkennungsdienst hatte das kurz erwähnt, meinte Böhm sich zu erinnern.
„Wenn diese Katze vor zwölf Jahren zu dieser Familie kam, ist sie dann heute noch am Leben?"
„Ich denke schon. Zwölf Jahre ist zwar schon ein stolzes Alter für Katzen, aber meine Zucht hat eine hohe Lebenserwartung von 12 bis 18 Jahren. Gut möglich also, dass Eo noch lebt."
„Sie haben mir sehr geholfen, vielen Dank!", Böhm stand auf und eilte zur Tür. Er musste dringend telefonieren.
„Warten Sie, brauchen Sie denn nicht die genaue Adresse?", rief Herold ihm noch hinterher.
„Nicht nötig, der Hof ist ohnehin schon längst abgebrannt." Dann fiel die Tür ins Schloss.
Schnellen Schrittes ging Böhm nach draußen, wo er sein Handy nahm und Roses Nummer wählte.
„Rose."
„Ja, hier ist Böhm."
„Haben Sie etwas Nützliches beim Züchter in Erfahrung bringen können?"
„Ja, er hat in den letzten Jahren nur zwei Katzen an Kunden aus dem Raum Würzburg verkauft. Eine ging nach Gerbrunn und hieß Luna. Ich denke, die wurde später ins Tierheim gegeben und landete dann bei Finja Trump."
„Die ist jetzt in Heidelberg, das haben die Kollegen dort bestätigt. Und die zweite?"
„Die andere Katze ging vor zwölf Jahren nach Effeldorf zur Familie Haberer. Das kann doch kein Zufall sein, dass die Katze genau dorthin vermittelt wurde, wo die Leiche gefunden wurde!"
„Soll das etwa heißen, diese Katze ist immer noch da?"
„Der Züchter meinte, sie könnte so alt werden. Ausgeschlossen ist das nicht."
„Alles klar. Kommen Sie wieder nach Würzburg. Ich mache inzwischen diese Haberers ausfindig."
Die tierische Spur, so ungewöhnlich sie auch war, sie war nun wieder heiß geworden!
*🐈*
Rose stand in Wombach, einen Ortsteil von Lohr am Main vor einem Mietshaus. Er studierte eingehend die Klingelschilder. Haberer war unter vielen anderen zu lesen. Er war hier richtig! Der Ermittler betätigte die Klingel, worauf sich auch kurz darauf eine Bewohnerin an der Sprechanlage meldete.
„Ja bitte?"
„Hallo, hier ist Rose von der Kriminalpolizei. Spreche ich mit Frau Haberer?"
„Ja, das bin ich. Was wollen Sie denn von mir?"
„Kann ich vielleicht kurz hereinkommen?"
„Natürlich." Es folgte ein Summen, als sich die Tür öffnete.
Rose ging durch ein Treppenhaus, das etwas modrig roch und mit beigen Fliesen ausgelegt war. Im ersten Stock stand eine hagere Frau mittleren Alters in der Tür. Sie reichte dem Kommissar zur Begrüßung die Hand.
„Kommen Sie doch bitte herein."
Rose folgte ihr durch einen engen Gang in eine kleine Küche. Er sah sich in der Wohnung um und suchte nach einem Katzenklo, einem Futternapf oder - noch besser - der gesuchten Katze selbst. Doch nichts in der kleinen Wohnung wies darauf hin, dass hier ein Haustier gehalten wurde.
Frau Haberer bot Rose einen Platz am Küchentisch an. Er nahm Platz und betrachtete einige Familienfotos, die hier eingerahmt an der Wand hingen. Sie zeigten Frau Haberer und einen großen Mann zusammen mit einem Mädchen - ihrer Tochter wie Rose annahm. Auf manchen war die Tochter noch ein Baby, auf anderen schon ein größeres Kind. Auf den Fotos, die im Außenbereich aufgenommen waren, konnte Rose den Hof bei Effeldorf erkennen, den die Familie früher bewirtschaftet hatte. Anhand der Kleidung und der Frisuren versuchte er die Fotos zeitlich einzuordnen. Sie waren alle schon einige Jahre her. Ein aktuelles Familienfoto gab es nicht.
„Schön haben Sie's hier", sagte Rose um das Eis zu brechen.
„Naja, man versucht es sich gemütlich zu machen, aber besonders Wohl habe ich mich hier noch nie gefühlt. Es ist beengend als würde man in einer Schuhschachtel wohnen. Wissen Sie, früher hatten wir einen großen Bauernhof mit Schweinezucht. Da hatte man ausreichend Platz."
„Das weiß ich und um ehrlich zu sein, führt mich das auch zu Ihnen. Vor einigen Tagen wurde ein toter Mann auf ihrem früheren Hof entdeckt. Er wurde ermordet und dort abgelegt. Ich ermittle in diesem Fall."
„Ja, ich habe davon gehört. Eine fürchterliche Sache! Der Hof gehört uns schon lange nicht mehr. Wir mussten ihn für einen Apfel und ein Ei verkaufen, damit wir zumindest ein wenig Geld hatten. Der neue Besitzer ist ein elender Spekulant, der alles vergammeln lässt und auf das große Geld hofft! Ich hoffe, er muss noch ewig warten, bis er aus dem Grundstück Profit schlagen kann."
„Waren Sie oder ihr Mann kürzlich in Effeldorf?"
„Nein, seit wir alles verkauft haben, waren wir nicht mehr dort. Ich verbinde nur schmerzliche Erinnerungen mit diesem Ort. Ich bin froh, wenn ich dort nicht sein muss."
„Wo ist ihr Mann denn gerade?"
„Er arbeitet eine Schicht in der Fabrik. Ich bin dann heute Nacht dran. Wir sehen uns unter der Woche kaum, aber wir brauchen zwei Einkommen, damit wir über die Runden kommen."
„Ich verstehe. Und wohnt ihre Tochter auch noch hier?" Roses stellte diese Frage gezielt. Vielleicht war die Katze ja bei der Tochter.
„Nein, sie wohnt nicht hier", antwortete Frau Haberer kurz.
„Natürlich, sie ist wahrscheinlich längst erwachsen und ausgezogen. Selbständig wollen die jungen Leute ja immer sein."
„Meine Tochter ist tot", antwortete sie und eine Träne rollte über ihre Wange.
„Oh, das tut mir leid!" Rose war überrascht. Das kam völlig unerwartet! Damit hatte er nicht gerechnet.
„Sie hat sich das Leben genommen als sie 13 war. Seitdem ging einfach alles den Bach runter! Sie fehlt mir jeden Tag und ich vermisse sie so sehr..." Sie schluchzte und fing zu weinen an.
Rose fasste sie tröstlich bei der Hand. Er konnte ihren Verlust nachvollziehen. Sie war für ihn auch nicht die erste Mutter in diesen Tagen, die ihr Kind verloren hatte. Er merkte, dass diese Narbe noch nicht völlig verheilt war und er ihr keinen Trost spenden konnte.
„Erst der Tod unseres einzigen Kindes und ein paar Jahre später brannte dann auch noch der Hof. Die Brandursache konnte nie geklärt werden. Wir haben in nur einer Nacht alles verloren! Uns blieb nichts anderes übrig als in der Industrie zu arbeiten und in diese Bruchbude zu ziehen."
„Ich verstehe", gab Rose zum Besten. Was hätte er auch sonst zu einer Frau sagen sollen, die solche Schicksalsschläge hatte durchleben müssen?
Er musste jetzt direkt nach der Katze fragen. Irgendwo musste die ja schließlich sein.
„Haben Sie eine Katze?", fragt er und fand seinen abrupten Themenwechsel selber eigenartig.
„Nein, wir haben keine. Der Vermieter verbietet das Halten von Haustieren." Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Und früher, als sie noch in Effeldorf lebten?"
„Ja, da hatten wir einen Kater. Steffi war so still und traurig geworden, ich wusste einfach nicht, was mit ihr los war. Wir haben dann den Kater für sie angeschafft, in der Hoffnung ihr wieder etwas mehr Lebensfreude einzuhauchen. Eo hieß er. Ein eigenartiger Name, dem der Züchter ihm gegeben hat, aber Steffi gefiel er und hat den Namen nicht geändert."
„Erinnern Sie sich noch an den Züchter?"
„Ohja, der war irgendwo aus dem Kraichgau. Eo war so eine ganz besondere Züchtung mit runden Ohren und hat uns ein kleines Vermögen gekostet. Aber unsere Tochter hat sich genau so eine gewünscht und damals saß das Geld auch noch lockerer bei uns."
„Was wurde aus dem Kater? Wo ist er heute?"
„Ich habe ihn seit dem Brand nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich ist er den Flammen zum Opfer gefallen. Vielleicht war das Vieh aber auch schlau und ist getürmt, wer weiß das schon? Wir haben ihn auf jeden Fall mehrere Tage lang gesucht, aber er ist nicht mehr aufgetaucht. Armes Tierchen..."
„Wir konnten im Zusammenhang mit dem Mord Fell sicherstellen, welches von ihm stammen könnte... Glauben Sie, er könnte heute noch auf dem Hof leben?"
„Wirklich? Nach all den Jahren? Ich glaube nicht, dass er in der Wildnis überleben könnte. Steffi hat ihn immer so verhätschelt. Er war eine verzogene Hauskatze und war darauf angewiesen regelmäßig gefüttert zu werden. Noch nicht einmal die Mäuse auf dem Hof hat er gefangen!"
„Nun gut, ich muss weiter", sagte Rose, "Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft!"
Wo verdammt ist dieser Kater?, dachte sich Rose als er die Wohnung verließ.
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