14 - Tierische Spur
Das Tierheim von Würzburg lag im Grünzug Lehnleite an einem Hang gelegen in einer ruhigen Umgebung. Die beruhigende und fast schon meditative Geräuschkulisse eines kleinen Waldstücks wurde nur durch das Gebelle und Geheule von dutzenden Hunden unterbrochen.
Somit wusste Böhm, dass er hier richtig sein musste. In diesem Augenblick wurde er sich mal wieder der Realität seines beruflichen Abstiegs, welchen er gerade durchlebte, bewusst.
Früher im Kampf gegen das organisierte Verbrechen und heute ermittle ich im Tierheim, dachte er sich und musste lachen. Dieser Misere konnte man nur mit Humor begegnen.
Mordermittlungen in einem Tierheim zu tätigen, erschien ihm etwas skurril und er fragte sich, ob das häufiger passierte. Immerhin schien Rose diese Frau Stöhr gut zu kennen. Fraglich war, wieso er dann nicht selbst den Weg hierher fand. Vermutlich, weil er wusste, dass man hier keine nützlichen Informationen sammeln konnte. Aber wie sollte man der Spur mit der seltenen Katzenrasse sonst nachgehen? Vielleicht gab es ja hier Informationen über einen Züchter, bei dem solche Tiere zu erhalten waren. Viel erhoffte sich Böhm jedenfalls nicht, als er das Tierheim betrat.
Er traf direkt nach dem Betreten auf eine schlanke Frau in ihren Fünfzigern. Sie trug eine grüne Latzhose sowie eine Brille mit auffälligem Gestell und runden Gläsern. Ihre langen, dunklen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie lächelte ihm freundlich entgegen.
„Hallo, Kriminalkommissar Jan Böhm ist mein Name. Ich suche eine Mareike Stöhr, die hier als Tierpflegerin arbeiten soll."
„Hallo! Die haben sie schon gefunden, das bin nämlich ich. Was will denn die Polizei von mir?" Die Stimme der Frau klang freundlich, aber auch etwas besorgt.
„Mein Kollege Maximilian Rose sagte mir, sie könnten mir eventuell bei meinen Ermittlungen helfen."
„Der Maxi! Wieso ist dieser griesgrämige Kauz denn nicht selbst vorbeigekommen?" Eine gewisse Entspannung war ihr anzumerken.
„Er ist anderweitig beschäftigt", antwortete Böhm und war dabei selbst nicht überzeugt von seinen eigenen Worten. Die Beschreibung von Rose als griesgrämigen Kauz amüsierte ihn, da sie mit seinen Eindrücken aus den letzten Tagen nicht nur gut vereinbar, sondern sogar übereinstimmend war. Diese Frau Stöhr schien seinen Kollegen wirklich zu kennen.
„Ist klar!", entgegnete sie ungläubig und lachte laut auf.
„Woher kennen Sie Herrn Rose?"
„Er ist mein Cousin. Ein ziemlich verschrobener Typ."
„Was Sie nicht sagen."
„Naja, eigentlich ist er ein armer Kerl und ziemlich kaputt. Aber er gehört schon zur Familie... irgendwie."
„Wieso ist er so?"
„Ach, das müssen Sie ihn schon selbst fragen. Aber er plaudert halt nicht so gerne aus dem Nähkästchen. Ich habe übrigens auch wenig Zeit für ihre Fragen, aber Sie dürfen mich gerne begleiten und dabei können wir uns unterhalten. Ich muss die Tiere versorgen."
„Das ist mir recht. Ich komme gerne mit", antwortete Böhm und folgte der Tierpflegerin durch die Gänge entlang hin zu den Gehegen.
„Wir sind hier eine eingespielte Truppe, bestehend aus einem Tierheimleiter, einigen Tierpflegern, einem Tierarzt, einigen Azubis und etlichen Hilfskräften. Wir sind um jede helfende Hand froh, aber wir sind zum Glück aktuell genügend Leute für einen Schichtbetrieb, der es uns erlaubt, das Tierheim 24 Stunden am Tag besetzt zu halten. Tiere benötigen nun mal Pflege rund um die Uhr."
„Wie bei Kindern", merkte Böhm humorvoll an.
„Richtig. Tiere und kleine Kinder sind der Spiegel der Natur. Durch sie können wir erst den Geist unseres schönen Planeten ungefiltert wahrnehmen."
Böhm blickte irritiert zu Mareike Stöhr und konnte sichtlich nicht viel mit dieser philosophischen Aussage anfangen.
„Sie scheinen ein äußerst ernster und zielstrebiger Mensch zu sein, Herr Böhm. Sie könnten noch so viel von den Tieren lernen. Denn alle Tiere wissen es, nur der Mensch nicht, dass das höchste Lebensziel Freude ist." Die Tierpflegerin grinste schelmisch und stellte etliche Schälchen Nassfutter für Hunde bereit. Die ersten Vierbeiner ließen auch nicht lange auf sich warten und stürmten zu den Futternäpfen. Eifrig schlangen sie das Futter in sich hinein. Jan Böhm schien krampfhaft nach einer schlagfertigen Antwort zu suchen, doch ihm fiel nichts passendes ein. Vielmehr dachte er über ihre Worte nach. Ihm wurde klar, dass er wirklich sehr ernst auf andere wirken könnte. Das musste aber auch so sein, um als Polizist ernstgenommen zu werden. Aber wann hatte er eigentlich in letzter Zeit Lebensfreude verspürt? Es muss schon einige Zeit her sein, dass er so richtig glücklich gewesen war. Die letzten Jahre hatte er sich vielleicht etwas zu sehr auf seine Arbeit fokussiert, da war sein Privatleben total untergegangen. Regelmäßiger Kontakt zu Freunden, schöne Urlaube, eine feste Freundin... all das war auf der Strecke geblieben. Letztlich hatten auch all seine beruflichen Anstrengungen in einem Fiasko geendet und sein rasches Erklimmen der Karriereleiter - zumindest vorerst - gestoppt. Während er die nächste Sprosse schon umklammert hatte, war die Leiter in sich zusammengefallen und er lag nun zusammen mit den Trümmerteilen am Boden, wo er seine Wunden leckte. Ein fürchterlicher, tiefer und äußerst schmerzvoller Sturz! Die Kunst in solchen Situationen ist es, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird. Aufstehen lautete nun also die Devise!
Aber all diese Gedanken waren im Moment fehl am Platz. Hier ging es um Mordermittlungen und auch wenn es hier im Tierheim vermutlich wenig zu ermitteln gab, musste er in seiner derzeitigen Situation eben auch die Drecksarbeit machen. Er würde sich nun damit arrangieren müssen im Dreck zu wühlen, damit er möglichst bald wieder die Karriereleiter aufrichten und deren Sprossen ergreifen konnte.
Mareike Stöhr kraulte einen der Hunde einen Moment lang, schritt dann aber weiter voran und monologisierte unbeschwert weiter über das Tierheim.
„Wir haben hier drei Hundhäuser, ein mehrstöckiges Katzenhaus, ein Kleintierhaus, einen Pavillon für Kleintiere, eine Vogelvoliere, ein Becken für Wasservögel, eine Quarantäne- sowie eine Krankenstation. Auf der anderen Straßenseite haben wir dann noch zehn große Freigehege, damit die Tiere auch genügend Auslauf bekommen können."
„Ich interessiere mich für Katzen", fing Böhm an und wollte damit seine Ermittlungen in Schwung bringen. Er wurde langsam ungeduldig und hatte nun ausreichend nutzlose Informationen über diese Einrichtung erhalten. Seine Geduld war langsam strapaziert und er wollte jetzt etwas Verwertbares über diese seltene Katzenrasse herausfinden.
„Ja, Fellnasen haben wir hier genügend. Sie dürfen gerne eine adoptieren, wenn Sie mir glaubhaft machen, dass Sie gut für sie sorgen können." Mareike Stöhr war über ein großes mit Stroh ausgelegtes Gehege gebeugt, wo sie erst eine große Schale mit Trockenfutter füllte und anschließend einen Salatkopf und eine Gurke danebenlegte. Zahlreich stürmten nun Meerschweinchen und Kaninchen aus der Sicherheit ihrer kleinen hölzernen Häuschen hervor und machten sich an das frische Futter, welches sie blitzschnell in ihre kleinen Mäuler zogen. Böhm musste zugeben, dass dieser Anblick ihm das Herz erwärmte. Zumindest ein bisschen.
„Nein, danke. Ich habe hier noch nicht mal eine feste Bleibe gefunden und möchte ohnehin keine Wurzeln schlagen in Würzburg. Da käme mir ein Haustier sehr ungelegen. Ich interessiere mich für eine seltene Rasse. Haben Sie schon einmal was von American Curl gehört?"
„Ja, wenn es um Katzen geht, sind Sie genau richtig bei mir, denn mit Katzen kenne ich mich aus! Die American Curl sind wirklich eine besondere Zucht, nicht sehr günstig und auch nicht weit verbreitet. Wie der Name schon vermuten lässt, kommen sie ursprünglich aus den USA. Die haben so putzige runde Öhrchen, das macht sie besonders. Ihr Fell kann dagegen verschiedene Farbprägungen aufweisen."
„Ja, genau. Sind die also wirklich so selten?"
„Es gibt nicht viele. Ich habe in all den Jahren auch nur ein Exemplar hier bei uns im Haus gesehen. Sie war aber nicht besonders lange hier und hat sehr schnell ein neues Zuhause gefunden."
„Hier in der Region?"
„Das kann ich jetzt nicht genau sagen. Da müsste ich erst im Büro unsere Unterlagen prüfen. Es ist aber noch nicht lange her. So ein bis zwei Jahre schätze ich."
„Es wäre wunderbar, wenn Sie das nachschauen könnten. Kennen Sie denn einen Züchter?"
„Also soweit ich weiß gibt es nur einen einzigen Züchter in Deutschland. Der ist irgendwo im Kraichgau. Ich kann das auch gerne nochmal nachsehen."
„Ja, bitte. Das wäre äußerst hilfreich!"
Wenn es deutschlandweit nur einen Züchter dieser Katzenrasse gibt, dann stammt die Katze vom Leichenfundtort sicherlich von dort, dachte Böhm und verspürte eine gewisse Euphorie in sich aufkeimen. Er war hierhergekommen mit der Erwartung seine Zeit zu verschwenden, doch nun hatte er völlig unverhofft eine Spur zum möglichen Täter erfolgreich weiterverfolgt. Das würde er diesem mürrischen Rose später im Präsidium genüsslich aufs Brot schmieren.
Als Mareike Stöhr ihren Rundgang beendet hatte und sämtliche Tiere versorgt waren, machte sie sich in Begleitung von Jan Böhm auf zum Büro.
Sie verschwand für einige Zeit hinter einem großen Computerbildschirm und tippte eifrig auf der Tastatur herum.
„Also der Züchter für die American Curl Katzen ist aus dem baden-württembergischen Bad Wimpfen. Das ist etwa 100 Kilometer von hier. Wie gesagt ist es eine besondere Züchtung und kostet um die 400 Euro."
„Interessant. Ich schätze meine Suche wird mich als nächstes dorthin verschlagen", entgegnete ihr Böhm, „und wie war das mit der vermittelten Katze aus diesem Tierheim?"
„Einen Moment!" Mareike Stöhr stieß sich mit beiden Händen an der Kante des Schreibtisches ab und rollte mit ihrem Bürostuhl einige Meter weit zu einem Aktenschrank, wo sie einen bestimmten Ordner auswählte. Selbstauskunft für Katzen stand auf dem Aktenordner, welchen sie nun minutenlang gründlich durchforstete.
„Die einzige American Curl, die wir hier bei uns im Heim hatten, hieß Luna und wurde vor anderthalb Jahren an eine Studentin aus Würzburg vermittelt."
„Haben Sie auch einen Namen für mich?"
„Finja Trump."
Böhms Euphorie steigerte sich in dem Moment, als er den Namen hörte, ins Unermessliche. Die Puzzleteile fügten sich langsam zusammen!
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