17. Der Ausflug Pt.2

Peeta's Sicht:

Eine lange Weile stehen wir bloß da und beobachten die herbstliche Blätter, die im Rythmus des Windes von den Bäumen fallen. Der Anblick ist so malerisch, dass es mich nicht wundern würde, wenn im Hintergrund leise Orchestermusik erklingen würde. Ich versuche mir vorzustellen, was ich getan hätte, wenn ein anderes Mädchen verzweifelt in unser Mülleimer nach Essen kramt. Hätte ich sie verhungern lassen? Oder würde ich für sie auch absichtlich ein Laib Brot verbrennen? Aber ich fand keine Antwort. Wahrscheinlich hätte ich das Gleiche getan...

Dann neigt Katniss ihr Kopf zu mir und presst sanft ihre Lippen auf meine Wange. Ich spüre, wie eine angenehme Wärme sich von dort ausbreitet und durch meinen ganzen Körper strömt.

„Das ist mein offizielles Dankeschön," erklärt sie und schaut mich erwartungsvoll an.

"Danke für dein tolles Geschenk," sage ich grinsend.

Oh Gott! Was habe ich gerade gesagt?! Tatsächlich bedeutet sie mir etwas. Aber im Moment bin ich mir echt nicht im Klaren, was und ob ich überhaupt etwas für sie empfinde. 

"Komm, lass uns noch einen kurzen Spaziergang machen," schlage ich vor und setze mein schönstes Lächeln auf.

Katniss erwidert mein Lächeln und sagt:" Es gibt ein wunderschöner Ort, den ich dir unbedingt zeigen muss."

Sie nimmt mich bei der Hand, zieht mich an sich und rennt weiter in den Wald hinein. Es ist schwer, ihren schnellen Schritten zu folgen ohne aus der Puste zu kommen. Ich bin nunmal nicht sehr sportlich. Irgendwann bleibt Katniss stehen und dafür bin ich ihr echt dankbar. Keuchend ringe ich nach Luft, während mich Katniss grinsend anschaut.

"Ich sehe, du bist nicht daran gewöhnt," bemerkt sie lachend.

Ich richte mich wieder auf und schaue mich um. Wenige Meter vor uns erkenne ich ein kleiner See, der von zahlreiche hohe Bäume umgeben ist. Die helle Sonnenstrahlen glitzern auf der Wasseroberfläche wie Kristalle.

"Wow!" rufe ich fasziniert.

"Ich war oft hier mit meinem Vater," erzählt sie, " Hier kann ich einfach ausgelassen sein und für einen Moment meine Sorgen vergessen. "

"Dieser Ort ist wunderschön," erwidere ich begeistert.

Wir lassen uns ins Gras nieder und genießen das herrliche Wetter. Entspannt schließe ich die Augen. Das nennt man ein perfektes Leben. Katniss stimmt gelassen ein Lied an. Sie hat eine bezaubernde Stimme, die mich sofort dahinschmelzen lässt. Ich erinnere mich an die Worte meines Vaters. Er hatte Katniss Mutter einst heiraten wollen, bis sie sich dafür entschied, mit einem Bergarbeiter durchzubrennen.

Seh' ich, dich heut', Nacht am alten Pfad,
Dort hängten sie den Mann, der drei getötet hat.
Seltsames trug sich zu und seltsam wär's wenn wir,
Uns seh'n, am Baum, wo er gehangen hat.

Seh' ich, dich heut', Nacht am alten Pfad,
Wo ein Toter zu seiner Frau „Lauf fort!" gerufen hat.
Seltsames trug sich zu und seltsam wär's wenn wir,
Uns seh'n, am Baum, wo er gehangen hat.

Seh' ich, dich heut', Nacht am alten Pfad,
Um frei zu sein, lauf weg, ja das war mein Rat,
Seltsames trug sich zu und seltsam wär's wenn wir,
Uns seh'n, am Baum, wo er gehangen hat.

Seh' ich, dich heut', Nacht am alten Pfad,
Wir gehen hoffnungsvoll, auf einem schmalen Grat.
Seltsames trug sich zu und seltsam wär's wenn wir,
Uns seh'n, am Baum, wo er gehangen hat.

"Du kannst echt toll singen," lobe ich.

Dabei handelt es sich nicht um Schmeichelei, ich habe nur die pure Wahrheit gesagt.

"Danke."

"Was war das für ein Lied?", frage ich neugierig.

Katniss Sicht:

Ich freue mich, wie jedes Mal, zum See zu kommen und muss wieder an meinen Vater denken. Schöne Erinnerungen kommen in mir hoch. Gemeinsames Jagen, Schwimmen und was mir am besten gefällt, das Singen. Mein Vater hat so eine berauschende Stimme, dass selbst die Vögel verstummen, wenn er singt. In meinen Gedanken versunken fange ich an, das Lied vom Henkersbaum zu singen. Peeta liegt neben mir und hört mir aufmerksam zu. Am Ende des Liedes preist er sogar mein Gesang und möchte wissen, was für ein Lied es war.
Deshalb erkläre ich ihm, worum es in dem Lied eigentlich geht. Das ist nämlich nicht so leicht zu verstehen.

"Das handelt von einem Mann, der vom Kapitol gehängt wurde, weil er angeblich drei Menschen tötete. Das Lied singt er für seine Liebste, die er vor dem Regime warnt und auffordert zu fliehen, selbst wenn dies nur möglich ist, indem sie sich das Leben nimmt und sich neben ihm an dem Henkersbaum erhängt. Das Lied wurde ein Symbol für den Aufstand, weswegen das Kapitol das Singen des Liedes verboten hat. Vor der Rebellion verstand ich nie, warum meine Mutter immer sauer war, wenn wir dieses Lied gesungen haben," erkläre ich.

Peeta verfolgt konzentriert  meine Erklärung. Sein Blick ist wie immer ruhig und nachdenklich. Kein Wunder, er kann sich nicht mehr an die Hungerspiele und an den Aufstand erinnern.

"Peeta, weißt du? Manchmal beneide ich dich, dass ein Teil deiner Erinnerungen ausgelöscht wurden," gestehe ich.

"Warum? ," fragt er verblüfft.

"Die Spiele und die Rebellion waren schreckliche Ereignisse in meinem Leben. Ich habe meine Familie verloren, ich habe tausende unschuldige Menschen sterben sehen. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte all das nie erlebt und versuche es zu vergessen. Aber die Bilder suchen mich pausenlos im Schlaf heim, ich werde sie nie loswerden."

"Das Leben ist wie ein Buch, überspringt kein Kapitel und im Nachhinein merkt man, dass jede Kapitel unersetzbar ist. Es ist nunmal auch nicht leicht, mit lückenhafte Erinnerungen zu leben, da würde ich Albträume sogar bevorzugen," sagt er  ein wenig traurig.

Für einen Moment liegen wir schweigend nebeneinander. Wir haben beide verschiedene Probleme, die jeweils ihre Vor- und Nachteile hat. Das Leben ist eben keine Wunschfabrik. Wir müssen unser Schicksal akzeptieren und nach vorne blicken.

"Lass uns nicht mehr über die Vergangenheit reden, Kopf hoch. Was hältst du davon, wenn wir ein bisschen schwimmen gehen?", schlage ich vor, um endlich das Thema zu wechseln.

"Aber Katniss, ich kann doch nicht schwimmen," wirft er besorgt ein.

"Keine Sorge, ich werde es dir beibringen," gebe ich selbstsicher zurück.

"Aber ich weiß nicht, ob ich es hinkriege," stammelt er.

"Ach komm, stell dich nicht so an. Ich bin mir sicher, dass du es schaffen wirst."

Ängstlich streift er seinen Pullover ab und sein muskulöser Körper kommt zum Vorschein.  Mein Blick kann sich nicht mehr von ihm abwenden.

"Hey, kriegst du deinen Mund auch wieder mal zu? Hast du nie einen Mann mit freiem Oberkörper gesehen?," fragt er lachend.

Peinlich! Ich habe selbst nicht gemerkt, dass ich ihn die ganze Zeit mit offenen Mund angestarrt habe.

"Ähm tut mir Leid. Lass uns anfangen."

Schnell ziehe ich mich aus und aus dem Seitenwinkel bemerke ich, wie Peeta mich intensiv mustert. Erwischt!

"Hast du nie Frauen mit freiem Oberkörper gesehen?" kontere ich stolz

Grinsend wendet er seinen Blick von mir ab.

"Aber Katniss...," fängt er an, aber ich lasse ihn nicht ausreden.

Bevor er mir noch widerreden kann, greife ich nach seiner Hand und zerre ihn ins Wasser.

"Kannst du dir nicht einen anderen Tag zum Schwimmen aussuchen? Das Wasser ist eiskalt," beschwert er sich.

"Mensch Peeta, bist du nun ein Mann oder nicht?"

Geduldig erkläre ich ihn die grundgelegene Schwimmbewegungen und mache es ihm vor.

"Jetzt du, versuch zu mir rüber zu schwimmen."

Er lernt schneller als ich dachte. Konzentriert ahmt er meine Schwimmbewegungen nach und bewegt sich in meine Richtung.

"Katniss, es ist ein Wunder. Ich kann schwimmen!" stößt er begeistert hervor.

"Ich sage doch, dass du es kannst.
Noch ein paar Meter, dann hast du es geschafft," ermutige ich ihn.

Plötzlich geht sein Lächeln in einen entsetzten Hilferuf über.

Hey,
Hoffentlich gefällt euch dieses Kapitel. Das ist etwas länger geraten 😜 Wenn dieses Kapitel euch gefällt, würde es mich wirklich freuen, wenn ihr mir ein Kommentar oder ein Vote abgibt, dankeeschön.

LG cherryexotic

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