Macht (29)
,,Oh du meine Güte!" Seufzte Eiwie und ließ den Kopf theatralisch gegen die gepolsterte Innenwand der Sänfte senken. ,,Es war bei Weitem nicht einfach die Gunst meiner Schwiegereltern zu gewinnen, doch die Gunst von Lela zu gewinnen ist, so scheint es mir, schier unmöglich!"
Nach einem langen, unangenehmen Teebesuch hatte Eiwie sich schließlich höflich verabschiedet, beziehungsweise den Rücktritt angetreten. Das hieß, dass Lela diesmal diejenige war, die das Duell gewonnen hatte. Eiwie war zutiefst in ihrem Stolz gekränkt.
Sie richtete sich auf und sah Katalia fragend an. ,,Wie kann es nur sein, dass sie mich immer noch nicht duldet?"
Katalia zuckte spöttisch mit den Schultern. ,,Ich wüsste ein paar Gründe. Deinen Charakter zum Beispiel."
,,Oh sehr amüsant!" Fauchte Eiwie und lehnte sich zurück.
Katalia lugte durch die Vorhänge, die Eiwie halb geöffnet hatte. ,,Wohin fahren wir überhaupt? Dies ist nicht der Weg zurück zum Haus."
,,Wir fahren zum Marktplatz! Ich muss mir meine gute Laune wiedererkaufen bevor ich meinem Mann vor Augen trete."
Eine Weile herrschte Schweigen, bis auf die gedämpften Schritte und Atemzüge der Sänftenträger.
Katalia betrachtete ihre Herrin, deren schönes Gesicht von dem bitteren Ausdruck der auf ihm lag verunstaltet wurde. Sie meinte zu wissen woher jener düstere Ausdruck kam. Lela war heute außerordentlich dreist gewesen. Nachdem sie immer wieder spitze Bemerkungen darüber gemacht hatte, dass Eiwie sich nur um Gofro bemüht hatte, um in eine reiche Familie einzuheiraten, hatte sie spöttisch gewitzelt, dass ihr Bruder gut daran täte mit einem Dolch unter dem Kissen zu schlafen. Falls Eiwie plane ihn im Schlaf zu erwürgen damit sie sein Geld erben könne. Obwohl an diesen Vorwürfen durchaus etwas Wahres dran wahr, wusste Katalia, dass Eiwie keine Mörderin war und darüber hinaus tatsächlich eine gewisse Zuneigung zu ihrem Ehemann hegte.
Die Worte hatten Eiwie verletzt, doch sie hatte bloß ruhig gelächelt. ,,Es wäre außerordentlich verkehrt für Gofro mit einem Dolch oder irgendeinem scharfen Gegenstand unter dem Kissen zu schlafen. Viel zu gefährlich, weißt du. Bei all dem Trubel der jede Nacht in unserem Ehebett herscht..."
Lela war feuerrot angelaufen und Katalia war um ein Haar das Stück Mandelgebäck aus den Fingern geglitten, dass sie in einem unbeobachteten Moment vom Tisch gestohlen hatte.
,,Das in deinem Bett viel Trubel herrscht, Eiwie, das glaube ich dir aufs Wort..." hatte Lela schließlich gehässig gestammelt. ,,Die Frage ist nur mit welchem Mann."
Eiwie war stocksteif geworden und einen Moment lang hatte Katalia geglaubt sie würde ihre Schwägerin schlagen. Stattdessen war sie aufgestanden und hatte sich höflich verabschiedet. ,,Sei gewiss, dass ich Gofro deine Grüße überbringen werde, liebe Lela! Ich werde ihm deine freundlichen Worte ausrichten!" Hatte Eiwie noch lächelnd gerufen, bevor sie in die Säfte gestiegen war. Selbst Katalia hatte verstanden, dass das in etwa so viel hieß wie "Ich werde dich bei deinem großen Bruder verpetzen!"
Die Sänfte bog auf eine der größeren Straßen ein und war durch den vielen Verkehr gezwungen langsamer zu werden. Katalia kannte diesen Teil der Stadt sehr gut, auch wenn er sich im Laufe der Monate ein wenig verändert hatte. Sie blickte durch die halbgeöffneten Vorhänge auf die Masse an Fuhrwerken, Ständen, Sänften und Menschen. Einst waren auch sie und Eiwie Teil dieser Masse gewesen.
Von dem Mitgefühl in ihrem Inneren genervt seufzte Katalia. ,,Ich verstehe dich nicht, Eiwie. Warum hörst du nicht einfach auf Lela zu besuchen? Ignoriere sie schlicht und einfach. Was ist so schlimm daran, dass sie dich nicht mag? Du bist sicher nicht die erste Frau, die sich nicht mit ihrer Schwägerin versteht. Was versprichst du dir davon Lelas Gunst zu ersuchen?"
,,Macht."
Die Antwort war so schnell und deutlich aus den bemalten Lippen gewichen, dass Katalia überlegte, ob Eiwie sich das Wort schon seit Stunden vor Augen gehalten hatte.
,,Je mehr Personen auf meiner Seite sind, desto mehr Macht habe ich."
,,Du verfügst doch bereits über Macht!" Katalia verdrehte die Augen. Ihre Stimme war unwirsch. ,,Du bist schön, reich, die Frau eines einflussreichen Mannes und kennst mehr Menschen in dieser Stadt, als zehn normale Leute zusammen!"
,,Das ist doch keine Macht."
Eiwie lächelte still.
,,Geld, Schönheit, Kontakte... Die Leute denken diese Dinge wären Macht oder zumindest Grundbestandteile von Macht, doch das ist Unsinn. Nur Macht ist Macht. Kannst du mir folgen?"
,,Nein." Sagte Katalia ehrlich.
Eiwie schien diese Antwort nicht zu stören. Vielmehr freute sie sich über Katalias Ehrlichkeit. Ein wohlwollendes Lächeln erschien auf ihren Lippen.
,,Lass es mich so sagen: Was wir meinen wenn wir von Macht reden ist die Fähigkeit Macht über andere Menschen auszuüben, nicht wahr?! Nur das ist Macht. Was also wenn ich dir sage, dass jedermann diese Macht bereits in sich trägt? Man müsste nur danach greifen, erlernen wie man andere zur Gehorsamkeit zwingt. Die Meisten tun es nicht, aber tief in unserem Inneren hat jeder Mensch ein Verlangen nach Macht. Oder was denkst du, Katalia?"
,Ich denke, dass ich das anders sehe." Erwiderte Katalia trocken. ,,Geld, Schönheit, Bekanntheit und so weiter sind feste Bestandteile von Macht. Auch die Macht von der du sprichst ist Macht. Dennoch ist die eigentliche, wahrhaftige Macht etwas anderes."
,,Ach ja?" Fragte Eiwie und lüpfte eine Augenbraue. ,,Was denn?"
,,Zeit." Antwortete Katalia. ,,Schönheit wird mit der Zeit vergehen. Bekanntheit ebenfalls. Egal wieviel Geld du besitzt es wird nach deinem Tod zurückbleiben und ein toter Körper kann auch keine Macht mehr über andere ausüben. Zeit ist Macht."
Sie schluckte und fuhr leiser fort: ,,Du sagst jeder Mensch hat ein natürliches Verlangen nach Macht. Ich sage, wonach es die Menschen eigentlich verlangt ist mehr Zeit."
Einige Atemzüge lang herrschte Stille. Katalia wartete angespannt. Sie schrak zusammen, als Eiwie plötzlich den Kopf zurückwarf und lachte. Ihr Lachen war weder ungläubig noch spöttisch, stattdessen klang es... beinahe glücklich?!
,,Ach Katalia." Japste Eiwie. Ihr ganzer Körper wiegte sich hin und her wie von unsichtbaren Wellen umspült. ,,Ich bin beeindruckt, wirklich!" Sie tupfte sich eine Lachträne von den Wimpern. ,,Als ich dich einst kennenlernte nahm ich an ich hätte es mit einer Kämpferin zu tun, doch jetzt weiß ich, dass in dir wohl auch eine Denkerin steckt."
Katalia antwortete nichts darauf.
Eiwie schlug die Beine übereinander und der katzenhafte Ausdruck kehrte auf ihr Gesicht zurück. ,,Zeit ist also Macht, Katalia... Diejenigen die mehr Zeit haben als andere sind demzufolge also mächtiger?''
Katalia zuckte mit den Schultern und nickte. ,,Ich denke ja."
Eiwie lehnte sich zurück und stützte geziert das Kinn auf zwei Finger.
,,Erinnere mich an dein Alter. Du bist doch jetzt sechzehn, nicht wahr? Ich bin zwanzig. Deiner Theorie nach wärst du also mächtiger als ich, ist das nicht so?"
Ein halbes Lächeln ließ sich auf Katalias Lippen nieder. Sie hob den Kopf und begegnete Eiwies Blick. ,,Meiner Theorie nach, Ja."
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