Gebete (21)
Der nächste Morgen brach früher an, als Katalia lieb war. Ihre Mutter war wach, sie starrte mit reglosen dunklen Augen an die Decke.
Als sie merkte, dass ihre Tochter sich regte lächelte Mutter als wäre alles ganz normal.
,,Guten Morgen, hast du gut geschlafen?"
Katalia zuckte mit den Schultern. Nein, hatte sie nicht. Sie hatte furchtbar geschlafen, von Alpträumen geplagt. ,,Schlaf ist Schlaf." Antwortete sie trotzdem diplomatisch.
Mutter fragte weiter.
,,Haben wir etwas zu essen da?"
Katalia nickte und rappelte sich benommen auf. Das Sonnenlicht strömte bereits durch die Ritzen der vernagelten Fenster. Sie hatte länger geschlafen als sonst, normalerweise war sie vor Sonnenaufgang auf den Beinen, aber nun gut wen kümmerte es jetzt noch?!
,,Es sind noch Kartoffeln da, ich könnte sie kochen und zu einem Brei stampfen, oder eine Suppe draus machen. Was wäre dir lieber?" Katalia wusste, dass ihre Mutter wegen der Krankheit Probleme mit dem Kauen hatte und weiche Nahrung bevorzugte. Sie hatte Monate lang stets dementsprechend gekocht.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. ,,Nein, danke. Ich möchte nichts, aber ich dachte du solltest etwas essen, bevor du Nilia und Martinus aufsuchen gehst. Es ist ein langer Weg."
,,Bist du sicher, dass du nichts essen möchtest, Mutter?"
,,Ja. Ich kann später etwas zu mir nehmen."
,,Nun gut, wenn du meinst."
Katalia zuckte mit den Schultern und begann Feuer im Herd zu machen. Eigentlich war ihr auch nicht nach essen zu Mute, aber sie hatte beschlossen das ,,Alles ist normal-Spiel" ihrer Mutter vorerst mitzuspielen.
Sie kochte ein paar der Kartoffeln und pellte und aß sie im stehen, sich die Finger verbrennend. Gestern noch hätte sie deswegen geflucht und ihre Hände in kaltes Wasser getaucht, doch heute könnten ihr ihre Verbrennungen nicht gleichgültiger sein. Katalia trug so viel seelischen Schmerz in sich, dass körperlicher sie nicht weiter kümmerte.
Sie betrachtete ihre Mutter, die zusammengesunken in ihrem Nest aus Decken lag. Jetzt wo Arina sich unbeobachtet glaubte war ein abgestumpfter, leerer Ausdruck in ihre Augen getreten.
,,Mutter?" Fragte Katalia.
Arina drehte den Kopf. ,,Ja?"
,,Wenn Nilia kommt, wirst du erneut mit ihr über das reden was sie letztes Mal zum gehen veranlasst hat? Du weißt schon, ihren Mann?"
Ihre Mutter seufzte und ließ sich Zeit mit der Antwort.
,,Villeicht. Einerseits denke ich nicht, dass es weise wäre. Doch andererseits..."
,,Andererseits ist sie im Unrecht und sollte dieses Ferkel von Mann so schnell wie möglich verlassen, wenn sie weiß was gut für sie ist?!"
Mutter hob einen Mundwinkel an. Katalia sah wie viel Anstrengung sie das kostete.
,,So ist es." Sie schloss die Augen. ,,Ich denke ich werde ihr die Angelegenheit erneut ans Herz legen, wenn sie kommt. Auch wenn sie nicht hören mag."
Katalia zuckte mit den Schultern. ,,Villeicht hört sie ja dieses Mal."
,,Wer weiß. Villeicht bedeuten ihr die Worte einer Sterbenden ja mehr als die einer Freundin."
Kurze Zeit später machte Katalia sich bereit für den Weg zu Nilia. Sie nahm etwas Wasser in einem Tonkrug mit und küsste ihre Mutter zum Abschied auf die Wange.
,,Auf Wiedersehen, mein Kind."
,,Auf Wiedersehen, Mutter. Bis nachher."
Sie wollte nicht gehen. Jede Faser ihres Körpers sträubte sich dagegen ihre Mutter allein zu lassen. Ihr war als hätte sie keine Kraft für den weiten Weg, keine Kraft für den nächsten Schritt. Doch nichtsdestotrotz ließ sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen und machte sich auf den Weg zu dem Viertel am Stadtrand in dem Nilia mit ihrer Familie lebte. Um dorthin zu gelangen musste Katalia einmal quer durch Dun laufen.
Es war früher Nachmittag und wie immer summten die Straßen und Gassen geschäftigt. Überall waren Menschen, die liefen, redeten, kauften und lachten, doch Katalia fühlte sich wie von allen abgesondert. Wie eine andere Spezies.
Auf halbem Wege erlaubte sie sich eine kurze Rast auf einem der Dächer. Es war zwar eigentlich nicht erlaubt auf die Hausdächer von Fremden zu klettern, doch Katalia tat das regelmäßig und schon seit Jahren.
Es gefiel ihr. Von oben wirkte alles so viel kleiner und schöner. Die Sonne tauchte die Stadt in ihr goldenes Licht und ließ alles was Blech oder Kupfer war schimmern. Menschen wurden zu Käfern und gepflasterte Gassen zu sich schlängelnden Würmern.
Doch heute tat die Aussicht rein gar nichts um ihre Stimmung zu heben.
Katalias Augen wanderten rastlos über die Stadt und blieben an den Umrissen der Tempel hängen. Es waren prachtvolle, von Säulen gestützte Gebäude, in denen Menschen beteten und ihren Göttern Opfer erbrachten.
Katalia blinzelte. Villeicht sollte sie versuchen zu beten? Eigentlich glaubte das Mädchen an keine Götter, aber um das Leben ihrer Mutter zu retten würde sie alles tun. Götter vermochten es Menschen auf magische Art zu heilen, das zumindest hatte Katalia gehört.
Dun war eine der wenigen Städte im Reich in der per Gesetz keine Religion vorgesehen war. Die unzähligen Einwanderer aus aller Herren Länder, sowie ein nicht minder großer Bevölkerungsanteil von freigelassenen Sklaven, hatten ihren Glauben, ihre Götter und ihre Spiritualität mit nach Dun gebracht. Manche Religionen hatten große, andere weniger große Verbreitung gefunden.
Im Allgemeinen kamen die verschieden glaubenden Menschen einigermaßen miteinander aus, nur manchmal kam es zu Kämpfen zwischen ihnen. Doch Katalia hatte sich von all dem stets ferngehalten. Wenn es Götter gab, dann hatten sie bis jetzt herzlich wenig für sie getan, fand sie. Nein, Katalia kam ganz gut allein zurecht.
Oder jedenfalls war sie das bis vor Kurzem, denn ihre Mutter gesund zu machen das hatte Katalia nicht vermocht.
Tränen füllten ihre Augen und legten einen Schleier über die Welt. Katalia lief, rannte, in Richtung der Tempel. An den strömenden Menschenmassen vorbei, mitten durch das Gedrängel.
Vor den Tempeln angekommen sah sie sich schwer atmend um. Vom Nahen waren die Gebäude noch beeindruckender, aber Katalia hatte keine Kraft angesichts der Schweren irgendetwas zu empfinden. Vor dem erstbesten Tempel warf sie sich in den Staub.
Mit dem Gesicht im Sand erlaubte sie es sich endlich zu weinen.
,,Bitte, Bitte..." dachte sie ,,mach meine Mutter wieder gesund! Sie soll nicht sterben! Bitte! Wenn du es vermagst sie zu heilen, Gott, dann werde ich jeden Tag kommen und dir Opfer erbringen, ich verspreche es."
Sie drückte ihren Körper so flach wie möglich zu Boden, hoffend, flehend, dass diesem Tempel ein Gott innewohnte, der ihre Gedanken hören konnte.
Bitte mach meine Mutter gesund... Ich bitte dich...
Nach einer Weile wagte Katalia es aufzuschauen. Der Tempel stand unverändert in der Sonne. Groß, prunkvoll, mächtig....
Sie fühlte sich ein klein wenig besser. Die Vorstellung, dass ein großer, starker Gott sich ihr und ihrer Mutter erbarmen könnte war tröstlich.
Zittrig durchatmend wischte sie sich mit dem Ärmel über die Augen.
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