Ferto (47)

Was meinte er damit? Oder vielmehr: Wen meinte er? Katalias Herz klopfte heftig.

Sie räusperte sich. ,,Bitte sagt mir, dass es nicht Eiwie war, die mich angeklagt hat."

Er lächelte bedauernd. ,,Es tut mir Leid. Ich darf dir den Namen der Person nicht verraten. Bitte vergiss, das ich je davon geredet habe."

Das Gespräch dauerte danach nicht mehr lange. Er wollte mehr über sie erfahren und über Eiwie, Dimit und Lela. Im Gegenzug stellte auch sie ihm Fragen, teilweise halb ohnmächtig vor Angst vor dem was die Antwort sein könnte. Was würde nun mit ihr geschehen? Würde man sie hinrichten?

Nein, antwortete er. Sie solle unbesorgt sein. Man wisse noch viel zu wenig, ein Hinweis eines Unbekannten sei nicht Beweis genug um eine Strafe zu verhängen, geschweige denn eine Hinrichtung zu rechtfertigen. Davon abgesehen durfte man eine freie Bürgerin nicht hinrichten. Eine Sklavin, das wäre eine andere Sache, aber so oder so solle sie sich nicht sorgen.

,,Was soll ich dann aber tun?" Hatte sie gefragt. Er hatte mit den Schultern gezuckt. Sich ruhig verhalten und abwarten. In ein paar Tagen fand die Gerichtsverhandlung statt. Wenn sie den Richter überzeugen konnten, dass Katalia nichts mit dem Tod von Dimit zu tun hatte, würde ihm nichts anderes übrig bleiben als sie gehen zu lassen.

Und den Richter überzeugen, das würde er mit ihr zusammen tun?

Ja. Er würde vor Gericht auf ihrer Seite sein und sie unterstützen, denn seine Aufgabe war für Gerechtigkeit zu sorgen.

,,Ein Philosoph hat einmal gesagt die Gerechtigkeit wäre wie eine einzelne Rose in einem völlig überwucherten Garten. Hart zu sehen, schwer zu erreichen, um sie fassen zu können muss man andere Pflanzen niedertrampeln und pflückst du sie, kann es sein, dass dich die Dornen pieksen." Mit einem halb amüsiertem Lächeln um den Mundwinkel hatte der Verteidiger sachte über den Tisch gestrichen. ,,Ich weiß nicht was ich davon halten soll. Eine Rose ist etwas so Greifbares. Gerechtigkeit ist das nicht. Von Tag zu Tag frage ich mich mehr ob sie überhaupt existiert."

,,Oh, ich hoffe doch das sie das tut." Hatte Katalia gemeint. ,,In der ein oder anderen Form." Sie hielt inne. ,,Obwohl... Vielleicht wäre es fast besser wenn es sie nicht gäbe. Ich glaube niemand ist je völlig unschuldig. Die Welt würde in Chaos geraten."

Der Verteidiger hatte gelächelt und das Gespräch wieder auf das Wesentliche gelenkt. ,,Nun, wie dem auch sei. Wenn ich dafür sorgen soll das dir auch nur ein Hauch Gerechtigkeit widerfährt, dann musst du mir jetzt ganz genau sagen, was du in der Nacht, in der Dimit starb, getan hast. Und ob das jemand bezeugen kann."

Sie hatte nichts Besonderes getan, sagte sie ihm. Nur geschlafen. Es sah schlecht aus.

Wieder in ihrer Zelle seufzte Katalia bei der Erinnerung daran. Gerechtigkeit. Was war das? Was war gerecht? Wer konnte das schon wissen.

Sie erinnerte sich an eine Statue in der Form einer Frau, die in einem der öffentlichen Plätze der Stadt stand. Als Kind hatte Katalia sie oft im vorbeigehen bewundert. Aus Bronze gefertigt, das wunderschön in der Sonne leuchtete, stand sie reglos auf ihrem Sockel, in der einen Hand ein Schwert in der anderen eine Waage. Die Augen der Bronzefrau waren verbunden und ihr Mund in eine strenge Linie gekniffen, der ihr, ansonsten so liebliches, Gesicht verunstaltete. Martinus hatte Katalia gesagt, dass sie die Göttin der Gerechtigkeit wäre, an die manche Leute glaubten.

Wenn es sie gab hatte sie Katalia entweder ganz schön im Stich gelassen oder ganz schön hart über sie gerichtet. Seufzend lehnte sie sich gegen die Zellwand und dachte an die Nacht der Tat zurück. Der Einbruch, Lela, das Kissen.

Bilder vor ihrem inneren Auge. Wie das Bild mit dem Lela Eiwie erpresst hatte.

Hatte Lela sie vielleicht ausgeliefert? Es wäre nicht unlogisch. Eine Mörderin für ihren Mann zu finden bevor jemand auf die Idee kommen könnte Lela selber unter die Lupe zu nehmen. Aber warum hätte sie so lange damit warten sollen? Die Sache war zum Zeitpunkt von Katalias Verhaftung schon fast vom Tisch gewesen. Ein natürlicher Tod und damit Basta.

Davon abgesehen war Lela niemand der ihr nahe stand und der Verteidiger wusste das. Sie hatte es ihm ja selber gesagt. Eiwie stand ihr nahe. Aber Eiwie hatte keinen Grund ihr einen Mord anzuhängen, oder? Sie war selber beteiligt gewesen und brachte sich damit nur in Gefahr. Sich und ihr ungeborenes Kind.

Gab es nicht noch jemanden, irgendjemanden, der Katalia nahe stand und geahnt haben könnte, dass sie etwas mit der Sache zu tun hatte?

Katalia ging im Kopf die Personen aus ihrer unmittelbaren Umgebung durch. Da gab es nicht viele, sie blieb gerne für sich. Es müsste außerdem jemand sein, der einen Grund hatte ihr an die Kehle zu wollen. Da gab es auch nicht viele. Höchstens Zonia, nach der Sache mit Raschid-

Katalia riss die Augen auf. Natürlich. Zonia! Wenn es eine Person gab, die Grund hatte Groll gegen Katalia zu hegen, dann war es sie.

Katalia dachte an die dunklen, früh gealterten Hände der Sklavin, die sich so oft mit mütterlicher Fürsorge auf ihren Schultern niedergelassen hatten. Sie erinnerte sich an Zonias Geruch nach Rosmarin und Seife, manchmal auch nach Fischinnereien und gebratenen Zwiebeln. An ihren schlanken Körper im Mondlicht, verschlungen mit dem von Raschid, dem Wächter.

Die Nacht, in der Katalia die Beiden gesehen hatte, war die Nacht des Mordes gewesen. Zonia musste das gewusst haben. Sicherlich hatte sie sich gewundert. Welchen Grund hätte Katalia gehabt in dieser Nacht draußen herumzuschleichen?

Katalia sah gradezu vor sich, wie Zonia über die Gassen zum Gerichtsgebäude eilte, aus irgendeinem Grund in ein schwarzes Tuch gehüllt, die blauen Augen so treuherzig und sorgenvoll wie eh und je. Sicherlich hatte sie gedacht sie tue das Richtige. Vermutlich tat ihr der verstorbene alte Mann Leid. Sie war ja so geschockt am Morgen der Todesnachricht gewesen.

Ein abfälliges Lachen entfuhr Katalia. Ausgerechnet Zonia, die immerzu die Heilige spielte! Wo war ihr Gerede über Vergebung jetzt, wo sie Katalia mit ihren Worten ins Gefängnis befördert hatte?

Sie mochte sich eingeredet haben das Richtige zu tun, Zonia, indem sie eine vermeintliche Mörderin ans Messer lieferte. Doch Katalia wusste den wahren Grund warum sie es getan hatte: Rache. Dafür, dass Umbro wegen Katalia von der Untreue seiner Frau erfahren hatte. Sie hatte sich rächen wollen, ganz einfach.

Dabei wusste Zonia doch nicht, weshalb Katalia in jener Nacht wach und im Garten gewesen war! Sie hatte voreilige Schlüsse gezogen, weil sie Katalia von Anfang an misstraut hatte. War das etwa gerecht?

Verärgert trat Katalia gegen die Steinwand ihrer Zelle. Sie jaulte auf als daraufhin ein starker Schmerz ihren Fuß durchzuckte. Wie dumm sie doch war! Dumm und vom Unglück geplagt.

Sie wollte sich grade auf den Boden werfen und ihren Tränen freien Lauf lassen, als vom Fenster her eine vertraute Stimme zu ihr hereinfiel.

,,Katalia?"

Sie rannte zu dem schmalen Spalt aus dem das Abendlicht in die Zelle drang. ,,Ferto?!"

Er war es tatsächlich, dem Himmel sei Dank! Sein kleines Gesicht, von dem sie durch den schmalen Spalt nur die Hälfte sah, war auf den Boden gepresst und sein blassblaues Auge starrte prüfend in ihre Zelle hinein.

,,Da bist du! Hast du nicht gehört wie ich dich heut Morgen gerufen habe, du kleiner Hornochse? Musstest wohl erst deine Blumen loswerden?" Katalia verspürte Ungeduld und Freude. Eigentlich war das ja egal! Was zählte war, dass er jetzt hier war!

,,Sei nicht gemein. Hab dich nunmal nicht früher gefunden." Murrte der Junge. ,,Wir wissen überhaupt erst seit heute früh das du im Kerker bist. Die alte Wäschefrau hat's uns zugetragen."

Katalia wusste wen er meinte. Diese Tratschtante! Doch jetzt war Katalia ihr dankbar. Gerührt sah sie zu Fertos kleinem runden Kinn, auf dem noch für mehrere Jahre lang kein Bart sprießen würde. Sein Mund kam nach dem seiner Mutter und hatte genau dieselbe Form wie der von Martinus. Es tat gut jemand Vertrauten zu sehen, so gut, dass sie hätte weinen können.

,,Sie sagen du hast jemanden umgebracht, Katalia. Stimmt das?" Fragte Ferto leise.

,,Nein, nein! Ach was." Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. ,,Weiß Martinus das ich hier bin? Weiß er warum und durch wen?"

,,Nein. Durch wen denn?"

,,Durch Zonia, dieser Schlange!"

Ferto zuckte mit den Schultern.
,,Martinus geht es nicht gut. Er ist krank. Er war seit Tagen nicht arbeiten. Er liegt immerzu nur unter seiner Decke und jammert."

Besorgnis legte sich über Katalias Haut wie eine kratzige Decke. ,,Es wird doch nichts Schlimmes sein?"

Ferto zuckte mit den Schultern, einen unbeteiligten Tonfall aufsetzend. ,,Wer weiß. Mutter sagt das wird schon wieder.

,,Sag ihm er soll sich schonen!" Legte Katalia ihm nah. ,,Und einen Doktor kommen lassen!" Der Schweiß tropfte ihr aus jeder Pore. Erinnerungen an ihre Mutter wurden wach. Doktorbesuche, Krämpfe und Fieber, eingefallene Wangen und leere Augen. Sollte Martinus ebenfalls so enden? Sie könnte es nicht ertragen!

,,Er muss wieder gesund werden, Ferto, er muss einfach!" Ihre Finger schoben sich wie von selbst durch die rostigen Gitterstäbe und umkrallten Fertos Handgelenk. ,,Kümmer dich um ihn, ja?"

Der kleine Junge nickte ernst. ,,Was wird aber aus dir?"

,,Mach dir um mich keine Sorgen." Sie lächelte ihm krampfhaft zu. ,,Mir wird nichts geschehen. Ich muss in ein paar Tagen vor Gericht stehen und dem Richter beweisen das ich unschuldig bin. Danach darf ich gehen."

Ferto rieb sich die Nase. ,,Was wird passieren, wenn du nicht beweisen kannst, dass du unschuldig bist?"

,,Ich bin es aber und das müssen sie mir glauben!" Die Lüge hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. ,,Bald werde ich wieder frei sein." Versprach sie, ohne zu wissen ob das der Wahrheit entsprach. ,,Kümmert ihr euch nur gut um Martinus!"

Ferto nickte. ,,Meine Mutter wird heilfroh sein, dass ich dich gefunden habe und mit dir reden kann. Sie hat sich große Sorgen gemacht, als ihr die Wäscheweiber von deiner Verhaftung erzählt haben. Erst dachte man es wäre wegen deiner Diebstähle vor ein paar Jahren. Aber dann hieß es du hättest den reichen Mann getötet, von dem alle sagten er wäre im Schlaf gestorben." Sein Gesicht verschob sich ein wenig. Er versuchte es sich auf dem Boden der Gasse bequem zu machen. ,,Es heißt eines der Fenster in seinem Haus sei zertrümmert gewesen. Dadurch ist der Mörder eingestiegen. Stimmt das? War wirklich eines der Fenster kaputt?"

,,Das kann ich schlecht wissen, ich war schließlich nicht da." Katalia räusperte sich. ,,Du solltest nicht alles glauben was du hörst, Ferto."

Ihr war die brodelnde Gerüchteküche in ihrer Heimststadt immer harmlos vorgekommen. Nervtötend zwar, aber harmlos, doch jetzt ging es ihr entschieden gegen den Strich wieviel alle möglichen fremden Leute über sie wussten, oder zu wissen glaubten. Hatten sie nichts Besseres zu tun?

,,Hör mal, Ferto, wäre es zu viel verlangst wenn du mir morgen ein wenig Essen vorbeibringen könntest? Die Wächter hier füttern uns nicht viel." Katalia sah über ihre Schulter wo ein Tonkrug mit Wasser und eine Schüssel Getreideschleim standen, der so ekelhaft war, dass sie ihn, trotz ihres Hungers, kaum zur Hälfte hatte essen können.

Ferto nickte eifrig. ,,Ist gut! Kann ich sonst noch etwas tun?"

,,Könntest du Martinus sagen, dass er mich besuchen kommen soll? Aber erst wenn er wieder gesund ist, keine Sekunde früher!"

,,Natürlich. Werd ich machen."

,,Danke."

Katalia betrachtete ihn wohlwollend. Es war ihr nie wirklich aufgefallen, aber wie groß er geworden war!

Ferto zappelte unruhig. ,,War das dann alles? Langsam müsste ich nach Hause."

Katalia seufzte. ,,Geh nur."

Es würde ihr schwer fallen wieder allein zu sein, aber zur Not könnte sie ja immer noch mit Ilmi in der Zelle gegenüber reden.

,,Ich kann Morgen früh wiederkommen."
Ferto erhob sich und holte etwas aus seiner Hosentasche hervor, das er Katalia durchs Fenster zuwarf. Überrascht fing sie es auf. Es war eine einzelne, etwas vertrocknet aussehende, rote Rose.

,,Hier, die hab ich für dich aufgehoben."
Und schon war er davon gerannt.

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