Eiwies Plan (27)

Das erste was Katalia fühlte, als sie wieder zu Bewusstsein kam, war der dröhnende Schmerz in ihrem Hinterkopf. Außerdem war sie müde, benommen, restlos verwirrt. Wo war sie? Was war passiert?

Mit großer Anstrengung öffnete Katalia die Augen. Ihre Lider fühlten sich so schwer an, als hätte man Steine darauf gelegt. Der Untergrund auf dem sie lag war weich. Sie hatte das Gefühl darin zu versinken. Katalia stöhnte und bewegte den Kopf. Etwas rutschte von ihren Haaren. Roter Stoff erschien vor ihrem linken Auge. Der Numbii.

Mit einem Schlag erinnerte sie sich! Elinda! Eiwie! Das Fest! Das Gefühl von Blütenblättern unter ihren nackten Füßen. Das Essen. Ihre Verwirrung. Eiwie die ihr einen Becher Wein gereicht hatte. Martinus der von Soldaten hinausgeführt worden war.

Katalia stöhnte noch einmal und gab einen knurrenden Laut von sich. Ihre Kehle war völlig ausgetrocknet. Wie lange hatte sie bloß hier geschlafen? Und wo war sie überhaupt?

,,Guten Morgen, Katalia." Ließ sich eine samtige Stimme aus der Ecke des Raumes vernehmen. ,,Wie ich sehe bist du aufgewacht."

Eiwie legte das Buch beiseite in dem sie gelesen hatte. Sie trug ein langärmliges Nachthemd aus allerfeinster weißer Seide. Das schwarze Haar fiel ihr in ebenmäßigen Wellen bis weit über den Rücken. Von ihrer Brautkleidung und dem prächtigen silbernen Schmuck fehlte jede Spur.

Katalia richtete sich langsam auf. Der Raum schwankte und drehte sich. Ihr wurde übel und sie musste einen Moment lang gegen den Impuls ankämpfen ihren gesamten Mageninhalt auf die gepolsterte Liege zu spucken, auf die man sie gelegt hatte.

Langsam ließ sie sich von der Liege auf den Boden rutschen. Die kühlen, harten Fliesen waren eine Wohltat und halfen ihr sich zu sammeln.

,,Eiwie- Was?" Katalia sah sich in dem prunkvollen, lichtdurchfluteten Saal um, in dem sie sich befand. Sie bemerkte Kronleuchter, Teppiche, Säulen, Mosaike. In der Mitte des Raumes stand ein vergoldeter Springbrunnen. ,,Wo bin ich? Was ist das hier?"

,,Du bist in meinen Gemächern." Verkündete Eiwie ruhig.

Katalia sah sich um. Die großen Fenster mit den verzierten Rahmen erlaubten es ihr einen Blick auf den strahlend blauen Himmel draußen zu erhaschen. Die Sonne schien und die spärlichen Wolken waren fluffig und so weiß wie Eiwies Gewand.

,,Das sind deine Gemächer...? Eiwie, warum bin ich hier? Wie viel Zeit ist vergangen, seit der Hochzeit?"

Eiwie schlug die Beine übereinander. ,,Es ist jetzt früher Nachmittag, also sechzehn Stunden?! Siebzehn Stunden?! Sagen wir Sechzehn Stunden. Ich bin seit etwa sechzehn Stunden eine verheiratete Frau." Ihr Blick wurde nachdenklich.

,,Weißt du Katalia, meine Schwiegereltern haben es mir sehr klar gemacht was sie von mir wünschen."

Eiwie stand auf und schwebte auf Katalia zu. Das weiße Kleid wirbelte bei jedem Schritt sacht um ihre langen Beine.

,,Sie wollen eine junge Braut in ihr Zuhause holen, die wie eine brennende Kerze ist. Die hell und warm leuchtet und den Haushalt bereichert. Das Licht der Kerze darf nicht erlischen, sonst hüllt es die Stube in Rauch. Und es darf auch nicht zu groß werden. Zu anmaßend. Sonst brennt sie noch das ganze Haus nieder."

Katalia saß einen Moment lang reglos auf dem Boden. Ihre Übelkeit war noch nicht verflogen, aber sie schob sie beiseite, um nachdenken zu können.

,,Wenn du jetzt also eine Kerze bist, was bin ich dann?" Fragte sie schließlich.

Eiwie lächelte. ,,Betrachte dich einfach als die Wächterin der Kerze. Oder die Dienerin. Du musst achtgeben, dass niemand die Kerze ausbläst und auch niemand sie umwirft, sonst brennt sie noch das ganze Haus nieder und raubt der Familie ihren Frieden."

Katalia seufzte. Sie konnte nichts mit dieser Metapher anfangen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie inmitten von einfachen, hart arbeitenden Leuten verbracht, die entweder genau das sagten was sie dachten oder schwiegen. Eiwie mochte noch so schöne Metaphern verwenden können, was Katalia wollte war Klartext!

,,Eiwie," stieß sie durch zusammengebissene Zähne so freundlich wie möglich hervor. ,,Ich bitte dich mir in einfachen, direkten Worten zu erzählen, was es mit all dem auf sich hat!"

Die junge Frau zuckte gleichmütig mit den Schultern. ,,Nur zu. Wo soll ich anfangen? Frage nach dem was dir unklar ist."

Katalia zwang sich zur Ruhe. ,,Nun erst einmal, was war gestern in dem Wein, den du mir gabst?"

Ein Lächeln, dass zu bösartig für Eiwies schönes Gesicht schien, umspielte ihre Lippen. ,,Ein Schlaftrunk. Das jedenfalls ist die Wahrheit. Doch das Wahrheiten optional sind, habe ich dir bereits erklärt. Alle anderen Leute, die auf diesem Fest waren, sowie alle Bewohner dieses Hauses, denken, dass meine Bedienstete einfach nicht weiß wie viel Wein sie vertragen kann."

Katalia stutzte. ,,Deine Bedienstete...?! Habe ich recht gehört?"

,,Das hast du."

Katalia wartete darauf, dass Eiwie noch mehr sagte. Mit jeder Sekunde in der sie es nicht tat, wurde das Mädchen wütender. ,,Möchtest du mir villeicht verraten was es damit auf sich hat?" Zischte sie. ,,Ich bin nicht deine Bedienstete! Warum hast du Leuten erzählt ich wäre es?"

,,Ich habe es den Leuten nicht erzählt. Du hast es." Eiwie stellte sich vor einen riesigen Spiegel mit goldverziertem Rahmen und begann Schmuck aus einer Schatulle zu nehmen. ,,Der Brauch, an dem du gestern teilgenommen hast, ist dir doch wohlbekannt? Oder nicht?! Die perönliche Sklavin der Braut, oder die liebste persönliche Sklavin, sollte die Braut mehrere haben, geht hinter ihr den Weg zur Bühne entlang. Das hast du gestern getan. Dadurch war für jede Person auf der Hochzeit offensichtlich, dass du meine Leibsklavin sein musst, die mir in den neuen Haushalt gefolgt ist."

Katalia blieb einen Moment still. Sie hatte darüber bereits wieder völlig vergessen, aber ja, sie hatte die Ausführung dieses Brauchs bei der Hochzeit von Eiwies junger Schwägerin beobachtet. Warum war ihr das gestern nicht eingefallen? Sie könnte sich verfluchen! Noch mehr allerdings verfluchte sie Eiwie.

,,Wie kannst du es wagen?" Flüsterte sie heiser. ,,Wie kannst du es wagen, Eiwie, mich als deine Sklavin auszugeben? Ich bin keine Sklavin, ich bin ein freier Mensch!"

Eiwie drehte sich nicht einmal zu ihr um. Gleichmütig steckte sie sich goldene Ohrringe an und betrachtete sie kritisch im Spiegel.

,,Frei magst du sein, Katalia. Frei wie eine Straßenkatze. Aber was nützt der Straßenkatze ihre Freiheit, wenn sie am verhungern ist? Rede dir ein du wärst ein freies Mädchen so oft du willst, aber vergiss nicht, die meisten Sklaven aus reichen Häusern wie diesem hier, sind wohlgenährter und besser gekleidet als du."

Katalia knirschte mit den Zähnen vor Wut. ,,Wie darf ich dich also verstehen, Eiwie?! Du brauchtest eine Leibsklavin und anstatt auf den Markt zu gehen und eine zu kaufen hast du mich einfach zur Hochzeit eingeladen und dann ausgetrickst?!"

,,So könnte man das sagen, ja." Eiwie entfernte die Goldohrringe und probierte stattdessen ein silbernes, aus tropfenförmigen Diamanten bestehendes Paar an.

Katalia ballte die Fäuste bis sich ihre Fingernägel in ihr eigenes Fleisch gruben. Es kostete all ihre Überwindung nicht auf Eiwie los zu stürmen und ihr die Schmuckschatulle in den verlogenen Rachen zu stopfen.

,,Wie lange hast du das schon geplant?"fragte sie.

Zum ersten Mal in ihrem Leben erfuhr Katalia wie sich Verrat anfühlte. Sie hätte heulen können. Ob Martinus sich so gefühlt hatte, an jenem Tag wo sie das Geld nicht mit ihm hatte teilen wollen?

,,Es schwebte mir schon eine ganze Weile lang vor..." Eiwie gab sich mit einem Paar zarter, goldener Perlenohrringe zufrieden und besah sich nun einige Armreifen.

,,An dem Abend von Lelas Hochzeit, du weißt schon, meine Schwägerin, wurde ich von meinen Schwiegereltern in munterem Ton daran erinnert, dass ich nicht vergessen sollte meine Leibsklavin mit in ihr Haus zu bringen. Sie hätten Gemächer für sie bereiten lassen, unten in der Küche, sie könne aber auch eine Kammer neben meinen Gemächern erhalten, sollte mir das lieber sein."

Eiwie atmete aus.

,,Es war ein Test. Sie wollten prüfen ob ich über meinen Stand gelogen hatte. Die Tochter eines Schmuckhändlers aus vornehmen Hause, wie ich vorgab zu sein, würde eine Leibsklavin besitzen. Also lachte ich und antwortete, dass Gemächer in der Küche schon recht seien und die Leibsklavin der Braut ebenso auf der Hochzeit sein würde wie die Braut selbst."

,,Und dann sahst du mich kurze Zeit später auf der Hochzeit und dachtest dir: Wie reizend! Dieses Mädchen hier scheint in Bedrängnis zu sein. Ich werde sie anlügen, austricksen und auf meiner Hochzeit als meine Sklavin ausgeben!" Katalia warf die Hände in die Luft. ,,Ich verstehe nicht, weshalb du dir nicht einfach eine gekauft hast! Du hättest doch das Geld dafür gehabt!"

,,Zu dem Zeitpunkt hätte ich das Geld für eine Sklavin eben noch nicht gehabt! Mein Verlobter mochte Geld haben, aber erst nach der Hochzeit wurde es auch zu meinem. Trotzdem, vielleicht hätte ich mir noch grade so eine leisten können, wenn ich den Schmuck, den mir die Männer im Bordell gegeben hatten verkauft hätte, doch das konnte ich nicht! Ich brauchte diesen Schmuck als Mitgift! Und um die Lüge, was meinen sozialen Stand anging, aufrechtzuerhalten. Davon abgesehen wollte ich keine namenlose Sklavin vom Markt."

Eiwie warf Katalia über die Schulter einen Blick zu. ,,Was ich wollte, brauchte, war eine Person der ich vertrauen konnte. Eine Person die mein Geheimnis wusste und auf meiner Seite stand. Die mir helfen würde mich in diesem Netz aus Lügen, dieser kalten goldenen Welt zu behaupten. Kurzgesagt: Ich brauchte eine Freundin."

Katalia schüttelte seufzend den Kopf. Ihr fehlten die Worte. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Eiwie, ihre Retterin, die schöne, junge Frau, deren Intelligenz und Ambition sie bewundert hatte, war... Was war sie eigentlich? Bösartig? Verrückt?

,,Verrat mir eines Eiwie," Katalias Stimme klang gepresst ,,Was soll mich davon abhalten einfach zu gehen? Den Leuten zu sagen, dass ich nicht deine Sklavin bin und dann aus diesem Haus zu marschieren? Ihnen vorher noch zu sagen, wer du bist, was du bist?!"

Zu ihrer Bestürzung warf Eiwie den Kopf zurück und lachte.

,,Denkst du nicht, ich wüsste nicht wer du bist? Denkst du nicht, die Händler dieser Stadt würden nicht darüber reden, wenn sie bestohlen werden?"

Katalia sah, wie Eiwie im Spiegel lächelte.

,,Ich habe Kontakte, Katalia. Mir wurde schon von vielen Händlern von einer gewissen Diebin berichtet die ihnen Verluste eingebracht haben soll. Dürr soll sie sein und zwischen vierzehn und fünfzehn Jahren. Zerzauste, gewellte Haare und braun-grüne Augen, ein scharf geschnittenes Gesicht, wie von einem Jungen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kunden mir, vom Wein berauscht, gewisse Dinge anvertrauen. Für gewöhnlich hätte ich für das Wissen über jene Straßendiebin keine Verwendung gefunden, doch dann sah ich dich auf Lelas Hochzeit und wusste sofort wen ich vor mir hatte. Offengesprochen Katalia, verrätst du mich, verrate ich dich. Unsere Gerichtshöfe gehen nicht grade leichtfertig mit Dieben um, das weißt du sicher."

Katalia atmete langsam ein und aus. Sie war wütender als jeh zuvor in ihrem Leben. Sie fühlte sich geschlagen, in die Enge getrieben. Was hatte sie bloß getan, um all dieses Unglück zu verdienen, dass ihr innerhalb ihres kurzen Lebens wiederfahren war? Sicher, sie war eine Diebin, eine Sünderin, aber doch wohl kaum schlimmer als jeder andere Mensch, oder?!

,,Davon abgesehen..." fuhr Eiwie fort ,,Hast du doch jeden Grund hier zu bleiben und mir zu dienen! Du erhältst Essen, Sicherheit, einen Schlafplatz, Ansehen-"

,,Ich will bezahlt werden!" Warf Katalia ein.

,,Sklaven werden nicht bezahlt."

,,Manche schon!"
Störrisch reckte sie das Kinn. Es war tatsächlich so, dass manche Sklaven in sehr reichen Familien kleine, monatliche Geldsummen für ihre Mühen erhielten.

Eiwie seufzte ungeduldig. ,,Solltest du mir nicht dankbar sein, dass du nicht mehr auf das Stehlen angewiesen bist? Von jetzt an wird für dich gesorgt sein!"

Katalia rappelte sich vom Boden hoch und kam auf die Füße. Sie wartete bis der Schwindel nachließ, dann sah sie Eiwie mit schmalen Augen an.

,,Ich mag gestohlen haben, Eiwie, aber es war vorübergehend und weil ich keine andere Wahl hatte! Ich hatte Pläne, weißt du?! Ich hatte vor mir eine Arbeit zu suchen und ehrliches Geld zu verdienen!"

,,Tja. Nun musst du nicht mehr suchen." Eiwie schnalzte ungerührt mit der Zunge und öffnete eine Schatulle voller Halsketten.

Katalia verschränkte die Arme. Sie hatte nicht vor, auch nur ein Bisschen nachzugeben. Das hier war wie beim feilschen auf dem Marktplatz und als jemand der in Dun aufgewachsen war hatte Katalia schon immer gut feilschen können.

,,Wenn ich für dich arbeiten soll, dann will ich dafür bezahlt werden! Es ist das Mindeste was du tun kannst, nachdem du mich angelogen hast!"

,,Ich habe dich nie angelogen. Ich habe dir nur gewisse Dinge verschwiegen."

,,Das ist schlimmer!" Rief Katalia wütend. ,,Ich wünschte du hättest mich angelogen! Lügen ist wenigstens ehrlich!"

Eiwie lachte. ,,Lügen soll ehrlich sein? Du redest wirr!"

,,Beim lügen gibst du dem Anderen wenigstens die Chance zu erkennen, dass er angelogen wird! Beim Schweigen nicht! Wenn jemand mich anlügt und ich es nicht bemerke, dann ist es zum Teil auch meine Schuld, doch wie soll ich wissen, ob jemand die Wahrheit sagt, wenn er gar nichts sagt?"

Ein Grinsen schlich sich auf Eiwies Gesicht. ,,Diese Antwort gefällt mir."

Sie strich sich ein paar weitere Armreifen über und zuckte schließlich gleichmütig mit den Schultern. ,,In Ordnung, Katalia, du sollst bezahlt werden. Ich werde sehen was sich machen lässt. Nun aber komm und hilf mir diese Halsketten umzulegen!"

Katalia lachte trocken auf.

,,Oh glaub mir! Du möchtest mich für's Erste nicht in der Nähe deines Halses wissen."

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