Eiwie (7)

Katalia zwang sich ein Lächeln aufs Gesicht. So unbezwungen wie sie es grade vermochte.

,,Malita das sind sehr viele Fragen auf einmal."

,,Beantworte sie."

Katalia fuhr der Schreck in die Glieder. Malitas grüne Augen waren misstrauisch geworden und sogar die Arme hatte sie verschränkt.Verflucht! Sie hatte das Mädchen unterschätzt. Trotz ihres jungen Alters und ihrer Naivität war sie wohl alles andere als dumm.

,,Nun gut. Also ich-"

,,Oh. Da bist du ja."

Eine Hand legte sich auf Katalias Arm. Eine schlanke Frauenhand. Eine Hand die sie noch nie gesehen hatte.

,,Ich hab dich gesucht. Deine Mutter hat dir doch aufgetragen, gleich nach der Zeremonie zu gehen. Komm, ich begleite dich nach draußen. Wir müssen los!"

Ein fremdes Mädchen hatte sich neben sie gestellt. Sie mochte wohl achtzehn oder neunzehn Jahre alt sein. Älter als Katalia auf jeden Fall. Zweifelsohne hübsch, mit vollen Lippen und länglichen, spitz zulaufenden Augen. Sie hielt sich sehr anmutig und ihre Stimme klang so weich wie Samt. Ein weißer Numbii bedeckte ihr schwarzes Haar, war aber durchsichtig genug, um freie Sicht auf die Ansammlung von Haarspangen zu gewähren, die ihren lose geflochtenen Zopf schmückten.

Katalia war sich zu einhundert Prozent sicher diese Frau noch nie vorher gesehen zu haben.

,,Wer bist du?" Verlangte Malita zu wissen.

,,Ich? Ich bin ihre Cousine."
Das Mädchen lächelte sanft und legte Katalia den Arm um die Schultern.

,,Sie ist meine jüngere Cousine, die erst vor kurzem nach Dun gekommen ist und so brachte ich sie mit zu dieser Hochzeit, damit sie ein wenig unter Leute kommt."

,,Und wie kamst du auf diese Hochzeit?"

Der Druck um ihre Schultern verstärkte sich. Die Fremde lächelte Malita noch freundlicher an.

,,Ich bin die Begleitung vom dem älteren Bruder der Braut. Gofro, du kennst ihn sicher?! Ich bin seine Verlobte."

Beiläufig fing sie an Katalia mit sich zu schieben. Doch Malita war noch nicht zufrieden und lief neben ihnen her.

,,Warum muss sie schon gehen? Die Feier hat grade erst begonnen."

Die junge Frau hielt inne und wandte sich mit einem leicht betrübtem Gesichtsausdruck zu Malita.

,,Ja, Ich weiß. Ist es nicht furchtbar ärgerlich? Meine Tante ist ihrer Tochter gegenüber beschützerisch, spreche ich nicht wahr, Cousine?! Und sie hat mir aufgetragen ihr sie sofort nach der Zeremonie nach Hause zu schicken. Bei dem Gedanken, dass ihr Kind in einer fremden Stadt die ganze Nacht an einer Feier teilnimmt ist ihr nicht wohl."

Die Fremde steuerte Katalia in richtung der Pforte. Ihr Arm lag fest wie ein Schraubstock um Katalias Schultern.

,,Geh entspannter!" Zischte das ältere Mädchen ihr ins Ohr. ,,Sonst wird die Kleine misstrauisch."

Katalia lockerte ihren Oberkörper und versuchte weniger steife Schritte zu machen. Wer auch immer diese Frau war und warum auch immer sie tat was sie tat, sie war ihre Rettung. Die Pforte war schon in Sichtweite.

,,Dann kannst du wohl wirklich nicht länger bleiben, Katalia." Murmelte Malita betrübt und wurde langsamer.
,,Auf Wiedersehen."

Katalia sah über ihre Schulter und schenkte ihr ein knappes Lächeln.
,,Auf Wiedersehen, Malita."

Kaum hatten Katalia und die Fremde das Tor durchquert nahm sie den Arm von Katalias Schulter. Die elegante, freundliche Haltung verschwand und sie wirkte gereizt.

,,Das hätte wahnsinnig schief gehen können!" Fuhr sie Katalia an.
,,Du hättest dir eine Geschichte zurechtlegen sollen, sag du wärst eine Freundin der Braut, im gleichen Alter seid ihr, oder eine Nachbarin des Bräutigams, irgendetwas! Stattdessen konnte jeder Goldfisch erkennen, dass du nicht auf der Feier eingeladen warst!"

Katalia war zu benommen um zu antworten. Wer war dieses Mädchen?

,,Verzeihung, wer seid ihr?"

,,Mein Name ist Eiwie." Antwortete sie abgelenkt. Sie war dabei den Ärmel ihres Gewandes hochzurollen.

Katalia besann sich zurück zu den wenigen Manieren die sie hatte.

,,Nun Eiwie, ich bin dir zu großem Dank verpflichtet."

,,Ja, allerdings. Das bist du!" Gab Eiwie zurück. ,,Wäre ich nicht gewesen hätten sie dich mit Tritten davongejagt."

,,Woher wusstest du, dass ich nicht eingeladen war?"

Sie lachte und es klang beinahe höhnisch. ,,Nur durch dein gesamtes Verhalten. Und die Tatsache, dass du gegessen hast als wäre es deine erste Mahlzeit nach Tagen des Hungerns. Außerdem fiel mir auf, dass du Essen in deiner Rocktasche verstecktest. Niemand der in den Kreisen von solchen Hochzeiten verkehrt hätte es nötig das zu tun."

,,Denkst du es fiel sonst noch jemandem auf?" Fragte Katalia besorgt.

Eiwie schüttelte den Kopf. Ihr Blick wurde wieder freundlicher.
,,Sorge dich nicht. Niemandem sonst fiel etwas auf."

Sie zog etwas aus ihrem Gewandärmel und drückte es Katalia in die Hand. Es war ein halbes Fladenbrot. Überrascht sah Katalia zu ihr auf. Ihre Lippen formten einen stummen Dank. Eiwie winkte ab. Aus dem anderen Ärmel zog sie noch mehr Gebäck und reichte es ihr.

,,Du musst mir nicht danken. Ich weiß wie es ist hungrig zu sein."

Damit drehte sie sich um. Ihr weißes Gewand wehte leicht im Wind.

,,Ich muss wieder auf die Feier. Tu mir den Gefallen und stell dich beim nächsten Mal, dass du dich des Essens wegen auf eine fremde Feier schleichst, geschickter an."

Katalia starrte ihr nach, überzeugt davon eine Göttin oder ein Fabelwesen getroffen zu haben. Villeicht meinte das Schicksal es an ihrem fünfzehnten Geburtstag ausnahmsweise einmal gut mit ihr und hatte ihr deshalb Eiwie als Rettung geschickt.

...

Sie traf Martinus dort an wo sie ihn verlassen hatte. Am Brunnenrand sitzend. Er war eingenickt, sein Kopf war auf seine Brust gesunken und er schnarchte leise.

Katalia machte sich einen Spaß daraus sich anzuschleichen, mit der hohlen Hand Wasser zu schöpfen und es ihm ins Gesicht zu spritzen. Prustend und sich schüttelnd wachte Martinus auf. Dabei fiel er um ein Haar rücklings ins Wasser.

,,Du Dämonin! Verfluchst seist du!" Schimpfte er lachend. ,,Du hast mich lange warten lassen. Warst du immerhin erfolgreich?"

Katalias grinsendes Gesicht beantwortete seine Frage.

,,Hier." Sie drückte ihm ein Stück Gebäck in die Hand. ,,Ich hab dir etwas mitgebracht."

Hungrig biss er hinein.
,,Köstlich. Hast du noch mehr?"

,,Der Rest ist für meine Mutter."

Schulter an Schulter liefen sie durch die dunkle Stadt.

Sterne funkelten vom Himmel, Motten flatterten träge vorbei und die laue Nachtluft umschmeichelte die schwarzen Silhouetten der Häuser, in denen nur noch vereinzelte Lichter brannten. Es gab wohl kaum etwas magischeres als eine Sommernacht.

Katalia schilderte ihrem besten Freund in allen Einzelheiten ihr Abenteuer und ihre Begegnung mit Eiwie.

Er pfiff durch die Zähne. ,,Du hattest wirklich Glück. Wahnsinniges Glück. Aber darf ich dazu anmerken, dass meine Idee funktioniert hat?! Du konntest dich an köstlichen Speisen satt essen. Du wurdest nicht erwischt, wenn auch nur durch die Hilfe einer Fremden. Und du konntest Essen für deine Mutter unter der Nase der Hochzeitsgäste heraus schmuggeln! Mein Plan war ein voller Erfolg! Du musst zugeben, dass ich genial bin."

Normalerweise hätte sie ihn für seinen Großmut verspottet, doch jetzt war sie dafür zu gut gelaunt. Mit vollem Magen kam ihr die ganze Welt gleich freundlicher vor.

,,Martinus, ich gebe zu das du genial bist."

Seine Augen weiteten sich in Erstaunen. Er breitete die Arme aus und schrie in den Nachthimmel.

,,Katalia hat zugegeben, dass ich genial bin! Heut ist ein Tag an dem Geschichte geschrieben wurde! Feiert ihn von jetzt an jedes Jahr! Hört ihr, ihr Leute?!"

,,Du Narr." Kicherte Katalia und bedeutete ihm leise zu sein. Zu spät allerdings, denn ihn dem Haus vor dem sie standen wurde bereits ein Fensterladen aufgestoßen. Eine gereizt wirkende Frau im Nachthemd lehnte sich heraus und begann zu wettern.

,,Wisst ihr wie spät es ist, ihr Schweine?! Leute in dieser Gasse versuchen zu schlafen! Brüllt anderswo herum! Oder wollt ihr, dass ich herunterkomme und euch Beine mache?!"

Martinus griff Katalias Arm und kichernd machten die Beiden, dass sie wegkamen.

Martinus bestand darauf sie bis zu ihrer Türschwelle zu begleiten. Es war nicht sicher in ihrem Teil der Stadt, besonders nicht bei Nacht und besonders nicht für ein Mädchen. Sie verdrehte die Augen, aber ließ ihn gewähren.

Zum Abschied umarmten sie sich kurz, was nur selten geschah.

,,Gute Nacht, Martinus."

,,Gute Nacht, Katze. Weißt du, du solltest diesen Numbii behalten, wir könnten heute Nacht bei einer weiteren Feier wiederholen."

,,Villeicht." Sagte sie nur.

Ihre Mutter schlief schon, wachte aber auf, als Katalia eintrat.

,,Mutter, ich hab dir etwas mitgebracht."

Stolz schnitt sie das Brot und das Fleisch in Stücke und begann ihre Mutter damit zu füttern.

,,Woher hast du all das Essen, Katalia?"

,,Von der Hochzeit auf der ich bis eben war."

,,Wie schön. Hat eine Freundin von dir geheiratet?"

Katalia zögerte. ,,Ja, so ist es."

Ihre Mutter lächelte. ,,Manchmal sehe ich nur mein kleines Mädchen und vergesse um ein Haar, dass du schon alt genug bist, um Freundinnen zu haben die heiraten."

Katalia musste wieder daran denken wie jung die Braut ausgesehen hatte.

,,Wie alt warst du, als du Vater geheiratet hast?"

Der gewisse traurige Glanz schlich sich wieder in Mutters Augen, wie immer wenn jemand von Vater sprach.
,,Oh, dein Vater und ich haben nie geheiratet. Doch ich war siebzehn als ich mein Elternhaus verließ und zu ihm ging."

,,Warum habt ihr nie geheiratet?"

,,Es ist kompliziert."

Katalias Neugier war geweckt. Sie hatte immer angenommen ihre Eltern wären verheiratet, so wie die Eltern aller anderen Leute die sie kannte.
,,Mutter, was genau ist deine und Vaters Geschichte? Du hast mir sie nie erzählt."

Ihre Mutter seufzte. ,,Ich weiß. Eines Tages erzähl ich sie dir. Aber jetzt bin ich zu müde. Wir sollten uns beide zur Ruhe begeben. Ich danke dir für das Essen, mein Kind."

Katalia nickte und erhob sich. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte sich nicht dankbar dem Willen ihrer Mutter zu beugen. Davon abgesehen hatte der Doktor gesagt, dass zu viel reden sie überanstrengte.

Das Mondlich fiel durch die Ritzen der Bretter, mit denen Katalia die Fenster vernagelt hatte. Sie lag auf ihrem Schlafplatz auf dem Boden und strich mit den Fingerspitzen über den roten Numbii. Ihr fiel auf, dass fast alle ihrer Geburtstagswünsche wahr geworden waren.

Sie hatte Martinus lachen gehört, sie hatte köstliches Essen gespeist und sie besaß nun einen Gegenstand. Denn sie hatte beschlossen den Numbii nicht zu verkaufen.

Er war von jetzt an ihre Tarnung. Eine Tarnung die es ihr erlauben würde sich erneut auf eine Feier zu schleichen, wenn die Zeit reif war. Der Numbii könnte ihr und ihrer Mutter Essen besorgen. Das machte die Münzen die sie für ihn gekriegt haben könnte wett.

Wie hätte Vater so etwas genannt? Eine Investition. Eine Investition in die Zukunft. In eine Zukunft in der sich hoffentlich auch ihr letzter Geburtstagwunsch erfüllen würde.

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