Eineinhalb Jahre später (28)
Katalia war fünfzehn gewesen, als ihre Mutter starb. Das war im Sommer gewesen. Beinahe eineinhalb Jahre waren seitdem vergangen. Der Herbst hatte längst Einzug gehalten, mit seinem bunten Laub und kühlen Winden, und im Frühsommer würde Katalia siebzehn werden.
Längst war es vorbei mit ihrem Straßenkatzen Dasein. Katalias Leben verlief nun in gleichmäßigen Bahnen und in einer, ihr vorher kaum bekannten Sicherheit. Ein steter Rhythmus aus Arbeit und Lügen mit denen sie sich inzwischen abgefunden hatte. Sie lebte inzwischen mehr oder weniger nach der Devise Allem was war mit Gleichmut zu begegnen. So ersparte man sich unnötiges Leid.
Doch der heutige Tag versprach unterhaltsam zu werden, denn Eiwie hatte von Lela, ihrer Schwägerin, eine Einladung zum Tee trinken erhalten und Katalia würde sie begleiten. Ein Gespräch zwischen Lela und Eiwie glich mehr einem verbalen Duell als einer höflichen Konversation und Katalia genoss es stets ungemein dabei zuzusehen.
Sie reisten per Sänfte, obwohl der Palast in dem Lela mit ihrem Mann und seinen drei Kindern aus erster Ehe wohnte, nur wenige Straßen entfernt lag. Katalia hätte nichts dagegen gehabt nebenher laufen zu müssen, sie vermisste es durch Gassen zu rennen und frische Luft zu atmen, doch Eiwie bedeutete ihr sich mit in die Sänfte zu setzen. Augenrollend kam das Mädchen der Aufforderung nach.
,,Es ist nicht weit. Wir hätten auch einfach laufen können, weißt du?"
,,Nenn mich Herrin!" Zischte Eiwie und warf einen nervösen Blick auf die dünnen Vorhänge, die sie von der Außenwelt verbarg. ,,Und Nein, hätten wir nicht! Das geziemt sich nicht für eine Dame meines Standes."
Eiwie hatte sich auf bewundernswerte Weise in ihrem neuen Leben eingefunden. Wie eine Schlange die die alte Haut abstreifte und ihre neue bereits darunter trug. Doch je mehr Zeit verstrich und je länger Eiwie brauchte um ein Kind zu empfangen, das ihre Position in der Familie vollends festigen würde, umso nervöser wurde sie. Katalia beneidete sie nicht. Ständig auf der Hut sein zu müssen, ließ die eigentlich so selbstsichere Frau nachts heimlich zum Weinkrug greifen.
Sie verbrachten die kurze Reise schweigend. Katalia kam es so vor als wäre grade mal ein Wimpernschlag vergangen und schon hielt die Sänfte an. Sie waren da.
,,Oh lass die Götter uns helfen!" Murmelte Eiwie, als sie vorsichtig den Vorhang zur Seite zog und nach draußen lugte. ,,Dort steht sie bereits, diese Ausgeburt einer Hündin, um uns in Empfang zu nehmen."
Ohne Kommentar, sie wurde mit jedem verstreichenden Lebensjahr weniger gesprächig, sprang Katalia aus der Sänfte und hielt Eiwie die Hand hin, um ihr hinauszuhelfen. Diese strich sich das Gewand glatt und rückte ihren Schmuck zurecht, bevor auch sie die Sänfte verließ.
,,Nun denn..." murmelte sie zu sich selbst und setzte ein falsches Lächeln auf.
,,Lela! Wie wundervoll dich zu sehen! Ich danke dir für die Einladung!" Rief sie mit gespieltem Überschwang und steuerte selbstbewusst auf ihre Schwägerin zu. Katalia folgte mit einigem Abstand.
Eiwie sah blendend aus.
Zwei dicke, schwarze Zöpfe rahmten ihr hübsches Gesicht ein, denn vor kurzem war sie zwanzig geworden. Ihre Haut war vom Sommer gebräunt, was fabelhaft zu dem pinken Gewand passte, das sie trug. Ein zartrosanes Pulver aus zerdrückten, getrockneten Blütenblättern betonte ihre Wangenknochen und sie trug dermaßen viel Goldschmuck, dass jede noch so kleine Bewegung Klirren und Scheppern zur Folge hatte. Besser auszusehen als die Gegnerin war Eiwies Art von Rüstung wann immer sie in den Kampf zog.
,,Eiwieeee!" Rief Lela mit falscher Begeisterung und setzte sogleich ein breites Grinsen auf. Wie jedes Mal wenn Katalia sie jeh gesehen hatte, trug Lela lange Kleider in dunklen Farbtönen, die ihr die Figur eines Baumstammes gaben. Ihre braunen Haare schimmerten rötlich in der Sonne.
,,Welch Freude dich zu sehen! Du bist schon wieder mit neuem Schmuck behangen, wie ich sehe. Hat mein Bruder ihn dir geschenkt?"
,,So ist es! Mein Mann beschenkt mich reichlich. Ich bin mir sicher, dass es keine glücklichere Ehefrau in ganz Dun gibt."
Lela lächelte süffisant. Eins, zwei, drei... zählte Katalia im Kopf. Gleich würde der erste Angriff erfolgen.
,,Nun, Eiwie, es ist schließlich nötig. Sieh, ich trage stets einfach die Ketten und Armreifen meiner Mitgift, aber du hattest ja kaum eine anständige Mitgift, du armes Ding! Sag, wieviele Schmuckstücke enthielt sie noch gleich? Waren es zehn insgesamt?"
,,Es waren zwölf, Lela." Antwortete Eiwie bemüht heiter. ,,Die Götter wissen es war nicht viel, doch mein armer Vater hat getan was er konnte! Würde er noch leben hätte er mir sicher eine größere Mitgift beschafft, doch ist die Liebe eines Vaters nicht wertvoller als aller Schmuck dieser Welt?"
Lela kicherte gezwungen. ,,Oh ich würde es nicht wissen, liebe Schwägerin! Mein Vater scheint seine Schwiegertochter seiner eigenen Tochter vorzuziehen. Seit meiner Hochzeit sehe ich ihn nur selten, doch wenn ich es tue ist Eiwie alles worüber er redet." Sie kicherte noch stärker. ,,Man könnte dir fast vorwerfen du stiehlest anderer Leute Väter, nach dem Tod deines eigenen."
Eiwie ließ ein falsches Lachen hören. ,,Selbst wenn dem so wäre, liebe Lela, was bräuchtest du noch einen Vater?! Du hast doch jetzt deinen Ehemann!"
Katalia grinste in sich hinein, obwohl sich in ihrem Inneren Mitleid regte. Lelas Ehemann Dimit war zweiunddreißig Jahre älter als seine Frau und könnte in der Tat ihr Vater sein.
Das falsche Lächeln auf Lelas Gesicht verrutschte, doch sie setzte es sogleich wieder auf. ,,Nun denn Eiwie, wir wollen nicht, dass uns der Tee kalt wird. Ich habe uns einen Tisch im Schatten bereiten lassen. Deine Sklavin kann uns bedienen."
Das Mädchen drehte sich um und marschierte, energisch wie ein Soldat, tiefer in den Garten. Eiwie hob ihr Gewand an und lief, in ihrer üblichen flinken Anmut, hinterher.
,,Im Schatten? Lela, meine Teure, meinst du nicht ein wenig Sonne würde dir gut tuen? Du siehst fürchterlich blass aus! Leichenhaft, gradezu." Eiwie maskierte die Boshaftigkeit in ihrer Stimme mit gespielter Sorge.
,,Gesegnet seist du, dass du dir solch führsorgliche Gedanken um mich machst! Doch ich ziehe den Schatten der Sonne vor die niederträchtig ist und meine Haut verbrennen will. Es ist nicht einmal mehr die Jahreszeit für sie, doch sie brennt immer noch gar garstig heiß von Himmel und raubt mir meinen Frieden! Da fällt mir ein... mein Bruder spricht von dir oft als seine Sonne, Eiwie." Lela warf ihrer Schwägerin einen kurzen Blick über die Schulter zu, um zu sehen ob ihre Worte Wirkung zeigten, doch Eiwies rosa angemalter Mund lächelte noch immer so lieblich wie der Duft der von Lelas Blumenbüschen ausging.
Katalia verzog anerkennend den Mund. Dieser Degenstoß war ein wenig plump, selbst für Lelas Verhältnisse, doch sie musste die Kühnheit dahinter unwillkürlich bewundern.
,,Das tut er in der Tat!" Rief Eiwie breit lächelnd. ,,Ach wie närrisch verliebt er doch ist. Ein Dichter wie Gofro findet stets solch schöne Worte, solch prächtige Liebeserklärungen. Sag, meine Gute, wie nennt dein Ehemann dich? Seinen Mond, villeicht?! Es würde deinem rundlichen Gesicht alle Ehre machen."
Lelas Körperhaltung versteifte sich. ,,Mein Ehemann nennt mich beim Namen." Sagte sie eine Spur zu hart. ,,Ich würde es nicht anders wünschen."
Vor ihnen, im Schatten eines Baumes, dessen Blätter bereits leuchtende rot und orange Töne angenommen hatten, stand der aufbereitete Teetisch. Er war mit Blütenblättern geschmückt und mit allem was gut und teuer war gedeckt. Es gab Platten voll Kuchen und Schalen voll Obst, das Geschirr war fein und wundervoll gemustert. Lela hatte wohl ein wenig mit ihrem Reichtum prahlen wollen.
,,Oh liebe Schwägerin, wer soll das alles essen!" Rief Eiwie aus und schlug dramatisch die Hände vor den Mund. ,,Eine ganze Armee könnte davon satt werden. Mir scheint du hältst mich für einen Vielfraß!"
Lela lachte tonlos. ,,Aber Nein, meine Gute. Zwar kriegst du was Geld und Schmuck angeht den Hals nicht voll genug, doch dein Appetit ist stets wohlgezügelt."
,,Wie darf ich das verstehen, Lela?"
Einen Moment lang herrschte Stille. Eiwie sah Lela unverwandt lächelnd an, doch ihre Katzenaugen verengten sich kaum merklich.
,,Es war nur ein Scherz, versteht sich!" Beeilte Lela sich, ein wenig nervös geworden, zu sagen und lachte. ,,Ein Witz! Ein Jux! Was wäre das Leben ohne Scherzerei?!"
Eiwie fiel in das falsche Lachen ein, doch ihre Augen blieben wachsam. Es waren Eiwies Augen die Katalia manchmal grübeln ließen ob ihre hinterlistige Herrin nicht doch eine Zauberin oder etwas ähnliches war.
Jetzt in der Sonne waren sie Reh-artig, von einem dunklen, sanften Braun, doch im Schatten erschienen sie schwarz, wie die Panzer von Skorpionen und manchmal ebenso giftig. Sie standen leicht schräg, die Augenwinkel spitz zulaufend, wie von Meisterhand geformt und geschlitzt. Doch trotzdem waren sie nicht schmal, im Gegenteil, sie waren auffallend groß und von langen, dichten Wimpern beschattet. Es waren diese Augen mit denen Eiwie nur einmal blinzeln musste, um alles zu bekommen was sie wünschte.
,,Wie wäre es, wenn wir uns setzen?" Fragte Lela in überfreundlichem Tone.
Eiwie verzog den Mund. ,,Welch vorzügliche Idee, für die du lange gebraucht hast, Lela. Verlangt es die Ettiquette nicht zum sitzen einzuladen, bevor man Gespräche fortsetzt oder weitere anfängt? Ich habe nur darauf gewartet, dass meine Gastgeberin mich zum sitzen einlädt, doch sie brauchte solange, meine Füße sind in dieser Zeit ermüdet. Mir scheint, deine gute Erziehung gerät dir nach und nach in Vergessenheit?"
Katalia zog tonlos die Luft ein. Eiwie hatte heute Morgen nicht ohne Grund auf die schwertförmigen Ohrringe bestanden. Das hier war eine Schlacht.
Sie konnte Lela ansehen, dass sie mit sich selbst rang. Ein Teil von ihr wollte die künstliche Freundlichkeit auferhalten, der Andere wollte streiten, schreien, kämpfen, treten. Katalia kannte dieses Gefühl von sich selber. Erstaunt fiel ihr ein, dass Lela und sie im gleichen Alter waren. Sechzehn Jahre.
,,Wie streng du mit mir werden kannst, liebe Schwägerin! Du wirst sicherlich eine exzellente Mutter abgeben, sobald es dann endlich mal so weit ist!" Lela hatte sich für die gekünstelte Freundlichkeit entschieden. ,,Bitte sehr, bitte, setz dich doch! Verzeih mir, mir war nicht klar, dass deine Füße schon durch eine solch kurze Wartezeit ermüden würden. Wie empfindlich du doch bist, Eiwie! Empfindlich wie ein Schmetterlingsflügel!"
Mit dieser frechen Antwort zufrieden ließ Lela sich auf den gepolsterten Samtstuhl sinken.
Katalia zog Eiwie den gegenüberliegenden Stuhl zurecht, damit sie sich setzen konnte. Einst wäre dieser beiläufige Dienst genug für Katalia gewesen den ganzen Tisch umstoßen und Eiwie den Kopf abreißen zu wollen, doch inzwischen dachte sie nur noch an die wöchentliche Bezahlung, die sie erwartete. Sicher, eine Sklavin spielen zu müssen war erniedrigend, doch das war das Betteln auch gewesen und es hatte sich nicht halb so bezahlt gemacht.
Sie schenkte den beiden Frauen Tee ein, dann zog sie sich zurück.
Die Hände hinter dem Rücken faltend stellte Katalia sich neben den Tisch und sah von Lela zu Eiwie. Nun würde sich zeigen wer aus dem heutigen Teebesuch - Duell siegreich hervorging.
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