Ein Wiedersehen (14)

Die Gasse war nicht mehr ganz so leer wie am Morgen, doch es würde wohl noch einige Stunden dauern bis sie wirklich zum Leben erwachte.

Vereinzelte Gruppen von Männern schlenderten trinkend umher. An den Wänden lehnten Kurtisanen, die rauchten und den Männern lockende Wörter zuriefen.

Katalia hastete an diesem Geschehen vorbei so schnell sie konnte. Wenn sie langsamer lief, würde sie womöglich noch zur Vernunft kommen und umkehren.

Vor dem goldenen Haus machte sie halt. Im Hellen hatte es recht schön ausgesehen, aber unscheinbar. Man hatte die Stellen ausmachen können an dem die Farbe ablätterte und es war weder höher noch breiter als die umstehenden Gebäude.

Doch jetzt im Dunkeln strahlte das Bordell zwischen all den anderen hervor. Fackeln an der Wand ließen das Gold schimmern und hinter jedem Fenster brannte geheimnisvolles Licht.

Die Tür war noch geschlossen. Katalia trat an das Tor und konnte Stimmen ausmachen, das ganze Gebäude summte emsig wie ein Bienenstock. Anscheinend waren die Leute im Inneren fleißig mit der Vorbereitung für die kommende Nacht beschäftigt.

Sie hob ihre Faust und klopfte an die Eingangstür. Energische Schritte näherten sich und die Tür wurde aufgerissen.

Verdutzt starrte Katalia die Person an, die im Türrahmen stand. Es war zwar eindeutig ein Mann, doch er war geschminkt und zurechtgemacht wie eine Frau. Frauenkleider tragend und mit Haarklammern und Schmuck versehen.

Die rot bemalten Lippen öffneten und schlossen sich unentwegt. Er kaute laut schmatzend Tabak.

,,Was ist es?"

Seine Stimme war zu hoch für die eines Mannes, aber zu rau und kehlig für die einer Frau.

Katalia räusperte sich. ,,Ist Eiwie da?"

Die Person nickte, unaufhörlich kauend. ,,Weshalb fragst du?"

,,Darf ich einen Moment mit ihr reden?"

Er musterte sie von oben bis unten ohne die Miene zu verziehen.

Katalia versuchte es mit einem knappen Lächeln, einem selbstbewussten Blick und einer kleinen Lüge.
,,Ich bin eine Freundin von ihr."

Der Mann starrte und kaute einen Moment lang weiter, dann drehte er sich abrupt um und verschwand im Inneren des Hauses, den Eingang freigebend. Sein Gewand wehte hinter ihm her.

,,Sei wieder verschwunden bevor die ersten Kunden kommen."
Rief er über die Schulter.

Das war einfacher als erwartet gewesen. Katalia atmete tief durch und trat durch die offene Tür.

Es war als würde sie eine andere Welt betreten.

Die Innenräume waren kleiner und verwinkelter, als sie von außen angenommen hatte. Links von ihr führte eine steinerne Treppe nach oben.

Überall brannten Kerzen und Öllampen, hinter aufgespannten, bunten Tüchern, die dem Licht geheimnisvolle Farben gaben. Räucherstäbchen verbreiteten einen süßlichen Duft, Teppiche bedeckten den Boden.

Es hätte gemütlich sein können, wären nicht überall Frauen und vereinzelte Männer herumgehastet, die Tische polierten, Stühle herbeibrachten, mehr Kerzen anzündeten. Katalia erspähte eine Gruppe von anzüglich gekleideten Mädchen, die mit Spiegeln in der Hand in einer Ecke saßen, plauderten und sich schminkten. Doch Eiwie war keine davon. Wo war sie?

Hilfesuchend sah sie den Frauen-Mann, der ihr die Tür geöffnet hatte, an, er polierte grade einen ohnehin schon glänzenden Tisch.

Er fing ihren Blick auf und seufzte genervt.

,,Eiwie ist oben und macht sich fertig. Der erste Raum auf der linken Seite." Informierte er sie, ohne dass sie ein Wort zu sagen brauchte.

Erleichtert dem Getümmel entfliehen zu können erklomm Katalia die Stufen.

Sie erreichte einen Gang, an den viele Türen grenzten, etwa 4 auf jeder Seite.

Die erste Tür links war nur angelehnt. Katalia berührte sie sacht mit den Fingerspitzen, so dass sie lautlos aufschwang.

Atemlos spähte Katalia ins Innere.

Der Raum war klein und nur von vereinzelten Kerzen und Öllampen erhellt. Es war deswegen deutlich schummeriger als in den unteren Räumen. Räucherstäbchen brannten auch hier, dazu roch es süßlich, villeicht nach Parfüm.

Katalia trat näher und lugte durch den Türrahmen. Eiwie war gleich das Erste was sie sah.

Mit überschlagenen Beinen, in einem hölzenern Stuhl sitzend, betrachtete sie sich in einem Spiegel den sie hielt.

Sie trug ein prächtiges, taubengraues Gewand und goldene Ohrringe. Ihr Gesicht war sorgfältig geschminkt, goldenes Puder ließ ihre Haut schimmern wie das Gefieder eines Vogels.

Mit Befremden bemerkte Katalia, dass Eiwie ihr schwarzes Haar fast völlig lose trug. Bei den Dunja galt offenes Haar in der Öffentlichkeit als etwas extrem unangemessenes. Nur Mädchen die jünger als zehn Jahre alt waren trugen ihre Haare so wie sie wollten. Danach wurde es Zeit sie zu flechten, jeweils ein Zopf für alle zehn Lebensjahre.

Das war schon so lange so gewesen, dass niemand mehr genau wusste warum. Es war einfach so. Villeicht weil es aus irgendeinem Grund wichtig war, dass jeder das Alter einer Frau auf den ersten Blick erkennen konnte, hatte Katalia sich überlegt. Manchmal lag tiefe Bedeutung in alten Bräuchen, machmal aber auch nicht.

Sie beobachtete wie Eiwie roten Lippenstift auftrug, ihn sorgfältig wieder zumachte und das kleine Kästchen dann auf dem Tisch vor ihr abstellte. Neben eine gestopfte Pfeife, Kerzen und einen halbleeren Krug Wein.

Katalias Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als sie beschloss sich bemerkbar zu machen.

,,Eiwie?"

Die junge Frau erstarrte. Wie in Zeitlupe legte sie den Spiegel beiseite und drehte den Kopf, um Katalia zu mustern, die immer noch im Türrahmen stand.

,,Katalia."

Sie schlug ein Bein über das andere. Ihr Gesicht zeigte Überraschung.

,,Was bringt dich hierher?"

Was brachte sie hierher? Katalia war sich selbst nicht sicher. Mit einer Schüchternheit die nicht zu ihr passte, bat sie Eiwie eintreten zu dürfen.

Deren geschminkte Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen das sie hinter einer Hand verstecken zu suchte.

,,Sicher doch. Trete ein."

Katalia betrat den Raum und fühlte den ausgebreiteten Teppich unter ihren nackten Füßen. Es war weniger Teppich als vielmehr bloß Stoff.

Eiwie beugte sich vor und nahm die Pfeife von dem Tisch. Daran paffend sah sie Katalia abwartend an.

Diese räusperte sich.

,,Ich sah dich heute Morgen durchs Fenster. Deswegen wusste ich wo du zu finden wärst, ich wollte dich aufzusuchen um dir erneut für deine Hilfe zu danken."

Eiwie schwieg. Die rauchende Pfeife in der Hand, ihr Blick auf Katalia gerichtet.

,,Normalerweise läuft niemand tagsüber durch diese Gasse." Sagte sie endlich.

Katalia zuckte mit den Schultern. ,,Das ist vorbehaltlich. Am Tag ist diese Gasse in etwa so spektakulär wie eine Stunde traumloser Schlaf. Warum sollte man einen längeren Weg nehmen nur um nicht an einem Bordell vorbei gehen zu müssen?"

Eiwies Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Sie schien Gefallen an Katalias Worten zu finden.

,,Da hast du wohl Recht, doch was ist es wirklich, dass dich jetzt sogar ins Innere eines Bordells führt? Du hast mir am Abend der Hochzeit bereits gedankt."

Katalia schwieg. Eiwie sah sie aus dunkel umrandeten Augen an und wartete mit einem halben Lächeln auf eine Antwort.

,,Ich kann es mir denken!" Fuhr sie schließlich fort, als Katalia still blieb.
,,Du möchtest wissen was es mit mir auf Sich hat. Warum du mich erst auf einer Hochzeit der Oberschicht und dann im Fenster eines Bordells siehst."

Eiwie wandte den Blick ab und griff erneut nach ihrem Spiegel. Erst jetzt bemerkte Katalia den Vogelkäfig hinter ihr, in dem eine einzelne Nachtigall saß.

,,Du liegst richtig." Murmelte Katalia

,,Es ist recht offensichtlich, weißt du." Eiwie ordnete konzentriert ihre losen Haarsträhnen. ,,Und es ist nichts wofür du dich schämen müsstest. Ich nehme es dir nicht übel, dass du gekommen bist. Neugierde ist menschlich. Das Menschlichste was es wohl gibt. Ganz besonders bei jungen Leuten."

Katalia nickte. Eigentlich war sie sonst nicht sehr neugierig. Neugierde tötete. Aber diesmal war reine Neugierde genau der Grund weswegen sie hier stand. Eiwie lag richtig.

Mit dem Lächeln einer Katze die einen Sahnetopf entdeckt hatte, legte die junge Frau nun erneut ihren Spiegel beiseite und widmete Katalia ihre volle Aufmerksamkeit.

,,Dir ist klar, dass es mich viel kosten könnte jemandem die Geheimnisse meiner Identität anzuvertrauen? Welche Garantie habe ich, dass du alles was ich dir sage für dich behältst?"

Katalia zuckte mit den Schultern. ,,Du hast keine Garantie, aber du hast mein Versprechen. Und es ist alleine dir überlassen wieviel du mir anvertrauen willst."

Eiwie richtete ihren Schmuck bevor sie erneut anfing zu sprechen. Ihre Stimme war sacht und spannungsvoll.

,,Die Frau vor der du jetzt stehst ist Eiwie. Eine Prostituierte. Und die Frau die du auf der Hochzeit sahst, war ebenfalls Eiwie. Die Verlobte eines reichen Mannes. Doch die Verlobte des reichen Mannes war zugleich auch Eiwie, die Prostituierte. Und die Prostituierte, die du jetzt siehst, ist ebenfalls die Verlobte eines reichen Mannes. Doch lass mich am Anfang anfangen..."

Eiwie machte eine bedeutungsschwere Pause.

Eine höhnische Stimme erklang aus der hinteren Ecke des Raumes.
,,Oh Himmel, Eiwie! Dieses Mädchen ist keiner deiner Freier, also warum unterlässt du nicht dein oh so mysteriöses Getue und erzählst ihr was sie wissen will? Und fass dich kurz! Die Arbeit wartet nicht."

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