Ein Geburtstag als ungeladener Gast (3)
Katalina wachte mit einem kleinen Lächeln auf, zum ersten Mal seit langem. Heute war ein besonderer Tag. Ein Tag der hoffentlich besonders werden würde. Oder wenigstens irgendwie anders. Besser. Denn heute war ihr fünfzehnter Geburtstag.
Für einen kurzen Moment erlaubte sie sich an die Decke zu starren und zu träumen.
Was wünsche ich mir zum Geburtstag...?
überlegte sie sich.
Im Volk der Dunja glaubte man an Wünsche, die sich zum Geburtstag erfüllten.
Nun, erst einmal köstliches Essen. Fleisch mit gewürztem Reis und frisch gebackenem Brot. Und auch Fisch, über dem Feuer geröstet mit Zitronensaft, so wie Mutter es verstand ihn zu machen. Und Süßigkeiten möchte ich auch. Küchlein und Bonbons und frische Früchte.
Dann... Was noch?
Sie legte den Kopf schief und wackelte mit den Zehen während sie angestrengt nachdachte. Oh, Sie hatte viele Wünsche. Geld. Genug Geld um ihre Mutter so oft zum Doktor zu bringen bis sie wieder völlig gesund war. Ein schönes Haus, neue Gewänder für sich, Mutter und Martinus, Sandalen, nie wieder etwas stehlen zu müssen, Haarklammern, Freundinnen in ihrem Alter...
Doch Katalia wusste nur zu gut das diese Wünsche ungreifbare Träumereien waren. Deswegen beschloss sie klüger als das zu sein und sich Sachen zu wünschen die tatsächlich heute passieren könnten.
Ich wünsche mir Martinus heute lachen zu hören. Dreimal mindestens.
Und ich wünsche mir einen Gegenstand. Etwas das schön anzusehen ist. Ein Gewand, eine Haarklammer, einen Armreif... es ist mir völlig gleich was. Aber es soll mir gehören. Nur mir. Es darf nichts sein was ich für ein paar Stunden in der Tasche habe, nur um es dann wieder verkaufen zu müssen. Ich möchte jeden Morgen aufwachen in dem Wissen, dass es mir gehört.
Und noch ein Wunsch...
Sie setzte sich auf und flocht ihren Zopf neu. Ein Luxus für den sie sich nur selten die Zeit nahm. Aber wenigstens an ihrem Geburtstag könnte sie doch versuchen nicht auszusehen wie ein halb gerupftes Hühnchen.
Ich wünsche mir, dass dieses Leben das ich führe sich bald verändert. Zum Besseren. Ohne Geldsorgen, ohne zu wissen wann ich das nächste Mal Essen kann, ohne Mutters Krankheit und ohne stehlen.
Fast wagte sie es nicht diesen Wunsch zu denken, so unwahrscheinlich schien er.
Aber ihr Leben hatte schon oft turbulente Wendungen genommen. Sie war schon oft aus Situationen entkommen, die auswegslos schienen. War es dann wirklich so verrückt zu glauben, dass villeicht eines Tages alles besser werden würde?
Zufrieden mit diesen Überlegungen setzte Katalina sich auf und streckte sich.
,,Guten Morgen, Katze. Villeicht solltest du darüber nachdenken diese Tür nachts zu verriegeln?"
Martinus musste den Kopf einziehen, als er über die Türschwelle trat.
Verwirrt sah Katalia ihn an. ,,Martinus?Was tust du hier?"
Er breitete die Arme aus und lächelte.
,,Was wäre ich denn für ein Freund, wenn ich dich nicht einmal zu deinem fünfzehnten Geburtstag überraschen kommen würde?!"
Gespielt beleidigt über ihre Reaktion wandte er sich zum gehen.
,,Aber wenn du mich nicht hier haben möchtest gehe ich wohl wieder. Und nehme mein Geschenk für dich mit."
Blitzschnell hatte Katalia sich aufgerappelt und zog ihren besten Freund am Arm wieder in den Raum.
,,Wage es nicht! Sag schon, was hast du mir mitgebracht?"
Sein Geschenk wies sich als ein Stoffbeutel mit mehreren Feigen heraus, die er auch gleich für sie und ihre Mutter in Stücke schnitt. Es waren recht kleine Feigen, mit einer besonderen Form und einem unvergleichlichen Geschmack.
Katalia wusste sofort wo er sie herhatte.
Auf einem Hügel außerhalb der Stadt stand ein großes Haus, dass von einem riesigen Garten umsäumt war. Die Leute erzählten sich merkwürdige Geschichten über dieses Haus und den alten Mann, der dort völlig allein mit mehreren Dienern und Sklaven lebte.
Es hieß schlimme Dinge wären dort passiert, man erzählte sich die Frau des alten Mannes wäre vor Jahren unter mysteriösen Umständen gestorben und seitdem sei er völlig verrückt geworden. Viele Leute sagten man könne ihn nachts hören, wie er durch den Garten streifte und den Namen seiner toten Frau rief.
Für Kinder war es eine Art Mutprobe sich unbemerkt so nah wie möglich an dieses Haus zu schleichen. Und weder Martinus noch Katalia waren jemals Kinder gewesen die einer Mutprobe wiederstehen konnten.
Also hatte sich die damals zehnjährige Katalia in den Garten geschlichen während der zwölfjährige Martinus draußen Wache hielt.
Den alten Mann hatte das Mädchen nicht gesehen, obwohl sie eine gute Weile durch den Garten geschlichen war. Doch sie hatte den Feigenbaum dort entdeckt. Und jede Menge Blumen.
Als sie wieder aus dem Garten kam hatte sie ein Geschenk für Martinus in jeder kleinen Hand. Eine Blume in der linken und eine Feige in der rechten. Er hatte sofort nach der Feige gegriffen.
Martinus Geschenk war mehr als nur Frühstück, über das Katalia sich schon genug gefreut hätte. Es war eine essbare Erinnerung an ihre unzähligen gemeinsamen Momente und ihre Freundschaft.
Es gab viele Gärten oder Stände wo er hätte Feigen stehlen können, dass er extra so früh morgens so weit gelaufen war, um diese speziellen Feigen zu holen, rührte sie.
Der Tag fing gut an.
Leider war auch nur der Anfang gut.
Dadurch, dass Martinus sie am Morgen bei ihr zu Hause überrascht hatte, hatte sie ihren Plan geändert und sich selber ans verkaufen gemacht, damit Martinus heute Zeit hatte sich nach einer Arbeit umzusehen.
Doch egal wo Katalia es versuchte, niemand wollte den Numbii kaufen.
Verzweifelt raufte sie sich die Haare. Es war wie verflucht!
Mit dem Gefühl jeden Stoffhändler der Stadt abgeklappert zu haben, traf sie bei Einbruch der Dämmerung schließlich Martinus am Brunnen in einem der reicheren Viertel.
Er hatte heute mehr Glück gehabt als sie und ein paar Münzen dafür bekommen bei den Hochzeitsvorbereitungen einer reichen Familie mit anzupacken.
Jetzt stand er vor dem Haus, was sich nach und nach mit Gästen füllte, futterte zufrieden eine Hand voll Nüsse und wartete auf sie.
Katalia stellte sich wortlos zu ihm und nahm sich ein paar von den Nüssen. Er schlug ihre Hand weg und stutzte als er bemerkte, dass sie immer noch den Numbii hielt.
,,Au weia. Hast du keinen Abnehmer gefunden?"
,,Nein." Sagte sie knapp und schluckte ihre Frustration herunter. ,,Woher hast du die Nüsse?"
Er grinste schelmisch. ,,Ich hab vorhin dem Koch geholfen das Essen anzurichten und was soll ich sagen, er war nicht immer ganz aufmerksam. Du solltest das Buffet sehen! Sie müssen einen Marktplatz dafür leergekauft haben."
Sie seufzte. ,,Du hast also vom Essen gestohlen? Das war leichtsinnig. Wenn er dich ertappt hätte, wärst du, ganz sicher unbezahlt, hinausgejagt worden!"
,,Sie haben mich aber nicht erwischt." Sagte Martinus gutgelaunt und lachte leise.
Die Unbekümmertheit stand ihm gut, er sah jünger aus. Wieder eher wie die 17 Jahre die er eigentlich alt war. Katalia bemerkte wie eine Gruppe am Brunnen stehender Mädchen zu ihm herübersah und hinter vorgehaltener Hand tuschelten.
,,Und als ob es sie gestört hätte. Sie haben so viel Essen, du solltest es sehen!"
Ein Einfall blitzte plötzlich in seinen dunklen Augen auf. Katalia ahnte was er sagen würde und wünschte sich er würde langsam zur Vernunft kommen.
,,Wenn du den Vorschlag äußern möchtest, dass ich mich auf eine fremde Hochzeit schleiche, um dort von dem Festessen zu essen, dann kann ich dir nur raten dich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Ich kann dir einen Doktor empfehlen."
,,Sag nicht gleich Nein. Überleg doch mal." Sagte Martinus begeistert.
,,All dieses Essen. Und all die Kostbarkeiten in diesem Haus, ich habe sie heute selber gesehen. Niemandem wird es auffallen wenn du ein oder zwei Silberlöffel in deiner Tasche verschwinden lässt. Und was ist das Schlimmste das passieren kann? Wenn du bemerkst, dass Leute dir misstrauen kannst du immer noch einfach umdrehen und gehen."
Katalia sah ihren besten Freund zweifelnd an. Dieser nickte aufmunternd in Richtung der Feiernden.
,,Schau dir doch all diese Leute an. Kannst du sie zählen?"
Sie ließ den Blick zaghaft über die Masse an bunt gekleideten Leibern wandern und schüttelte den Kopf.
,,Nein. Ich kann sie nicht zählen."
,,Denkst du die Familien der Heiratenden würden sie zählen können? Oder jede einzelne Person die an den Festlichkeiten teilnimmt persönlich kennen?"
Ohne eine Antwort zu erwarten fuhr er fort.
,,Natürlich nicht. Solch ein Gedächtnis kann niemand haben. Die reichen Leute halten große Hochzeiten und Feste, nur um zu zeigen dass sie es sich leisten können. Sie laden jede Edelfamilie des Reiches ein, egal wie gut sie sie kennen, da es für sie keinen Unterschied macht den Tisch für dreißig oder für dreitausend Leut' zu decken."
Katalia hörte den leisen Neid in seiner Stimme, gemischt mit einen Hauch Faszination für die befremdlichen Wege der Reichen.
,,Das mag zwar sein, Martinus, doch das heißt nicht, dass ich mich einfach so auf diese Hochzeit schleichen kann. Ich bin barfuß, voller Schmutz und sehe nicht besser aus als ein Bettelmädchen. Ich würde ganz sicher auffallen. Davon abgesehen habe ich nicht einmal eine Kupferspange in den Haaren."
Sie hob ihren zerzausten Zopf, der auf ihrer Schulter lag und hielt ihn Martinus, wie zum Beweis, hin.
Die langen Zöpfe von Dunja Frauen verrieten mehr als nur ihr Alter. Sie zeigten auch den sozialen Status der Familie. Je reicher die Frau und ihre Familie war, desto mehr Haarklammern trug sie. Bei den ärmeren Frauen, Bäuerrinnen, Arbeiterrinnen oder Inhaberinnen von kleinen Ständen, waren diese Spangen meist nur aus Kupfer. Doch die reichen Frauen, Besitzerinnen von großen Läden oder Gutsherrinnen, trugen Massen an feingearbeitetem Haarschmuck aus Gold und Silber, mit Edelsteinen und Perlen besetzt. Von dem Preis einer solcher Haarspange könnten Katalia und ihre Mutter vermutlich mehrere Wochen lang leben.
Martinus grinste nur verschmitzt und holte den feingearbeiteten "Numbii" hervor, an dessen Verkauf sie heute gescheitert waren.
,,Und an diesem Punkt kommt der hier ins Spiel. Los, leg ihn dir um."
Zögerlich drapierte sich Katalia das Tuch um den Kopf. Es ging ihr fast bis zur Hüfte und verhüllte so nicht nur ihren Zopf sondern auch ein gutes Stück ihrer abgetragenen Kleidung.
Martinus betrachtete sie und brach in Gelächter aus. Verunsichert sah Katalia ihn an.
,,Hör auf."
Er entschuldigte sich.
,,Nein, Ehrlich. Es sieht sehr gut aus. Ich erkenne dich gar nicht wieder, Katze. Du siehst aus wie eine Tochter aus reichem Hause. Nur etwas fehlt noch."
Martinus entfernte sich und lief zu der Gruppe Mädchen am Brunnen.
Charmant lächelnd fragte er sie etwas.
Katalia sah wie die Mädchen erröteten und kicherten. Martinus hatte mit seiner selbstbewussten Art, dem lockigem schwarzen Haar und seiner hochgewachsenen Statue oft diesen Effekt auf Mädchen.
Trotzdem würden sie sich hüten ihn zu heiraten, solange er keine Arbeit fand. Ein Mann der nicht in der Lage war eine Familie zu ernähren fand keine Frau. So einfach war das. Im Notfall sorgten die Eltern des Mädchens dafür.
Mit einem Kohlenstift und Lippenrot in der Hand, kam Martinus zurück. Ein triumphierendes Grinsen umspielte seine Lippen.
,,Schau, Katze, was ich mir für dich ausgeliehen habe!" Frohlockte er.
,,Oh Nein. Nein, Martinus. Nein." Mit erhobenen Händen trat Katalia einen Schritt zurück.
,,Oh, doch. Willst du, dass dich jeder sofort als Straßenmädchen erkennt? Keine der Frauen dort-" Er nickte zu den Feiernden. ,,Würde mit ungeschminkten Augen zu einer Hochzeit auftauchen. Und jetzt halt still."
Katalia seufzte und ergab sich ihrem Schicksal. Martinus klemmte vor Konzentration seine Zungenspitze zwischen die Zähne, während er mit der Kohle, für ihren Geschmack viel zu nah an ihren Augen, herum hantierte.
,,Fertig." Sagte er und sie trat an den Brunnen heran, um ihr Spiegelbild zu betrachten.
Mit den schwarz umrandeten Augen, den geschwärzten Augenbrauen und den roten Lippen sah sie älter aus. Der feingearbeitete Numbii verhüllte ihr Haar und ließ einen fast glauben er verstecke funkelnden Schmuck.
Sie wusste nicht was sie fühlen sollte, als sie ihr Gesicht betrachtete. Wie einfach es war anders auszusehen. Wäre es auch so einfach jemand anderes zu sein?
Etwas in ihr wollte es für heute Abend gern versuchen.
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