Die Frau des Doktors (12)

Plick!

Katalia ließ ihren Unmut an den kleinen Steinchen aus, die sich auf der Gasse fanden, und trat jeden Kiesel der ihr vor die Füße kam mit so viel Hass, als hätte er ihr persönliches Leid zugefügt.

Warum hatte Martinus sie auch missverstehen müssen? Sie hatte nicht ihr selbst verdientes Geld teilen wollen, dieses eine Mal nur, um Medizin für ihre Mutter zu kaufen. In keinerlei Weise hatte sie beabsichtigt eine Freundschaft zu zerstören die schon seit ihrer Geburt bestand. Doch anscheinend war genau das jetzt passiert.

Sie seufzte.

Eigentlich hätte ihr Herz vor Freude und Hoffnung hüpfen müssen.

Sie hatte bekommen was sie wollte, das Geld war ganz ihres. Eine gewaltige, unwirkliche Menge von Geld. Und im Augenblick war sie auf dem Weg zum Doktor, um ihn zu ihrer Mutter zu bestellen.

Martinus würde sich schon wieder beruhigen und sich bei ihr entschuldigen, redete sie sich ein. Es war bei Weitem nicht ihr erster Streit und sie standen momentan einfach beide unter Stress. Er hatte nicht gemeint was er gesagt hatte. Bestimmt hatte er das nicht.

Wenn sie ihm Zeit genug gäbe würde er sich bald versöhnlich zeigen und alles konnte so werden wie vorher.

Noch weiter über Martinus nachzugrübeln war unnütz, entschied Katalia. Genauso unnütz wie gegen Kiesel zu treten. Doch nichtsdestotrotz grübelte sie über ihn nach. Und nichtsdestotrotz trat sie weiter gegen Kiesel.

Sie hörte erst damit auf, als sie in eine etwas breitere Gasse einbog. Die verruchte Gasse. Oder besser gesagt die wohl verruchteste Gasse der vielen verruchten Gassen der Stadt.

Dicht an dich reihten sich die hohen Gebäude, ein Bordell nach dem Anderen. In keinem anderen Teil der Stadt gab es dermaßen viele auf einem Fleck.

Katalia hatte von klein auf gelernt diese Gasse zu meiden, besonders nach Einbruch der Dunkelheit, doch jetzt im Hellen hatte sie nichts zu befürchten. Die Gegend war wie ausgestorben.

Eine ältere Frau mit müdem Gesicht und einem Korb in der Hand kam aus einer der Türen und verschwand richtung Marktplatz.

Ansonsten schienen alle anderen Bewohner der Straße zu schlafen. Mit einem Anflug von Neugier spähte Katalia im vorbeigehen in die Fenster.

Es herrschte eine schläfrige Atmosphäre. Nach einer arbeitsreichen Nacht legten sich die Mädchen nun zur Ruhe. Katalia konnte sie in manchen Gebäuden ausmachen, schattenhafte Gestalten mit langen Haaren die auf Matten und Betten lagen und schliefen.

Wenn im Bordell nur nachts gearbeitet wurde könnte sie dort arbeiten und hätte tagsüber trotzdem noch Zeit ihre Mutter zu versorgen. Überrascht bei diesem plötzlichen Gedanken riss sie die Augen auf.

Nein, es kam nicht in Frage! Ihr Vater würde sich im Grabe umdrehen. Und was sollte sie ihrer Mutter sagen? Und Martinus erst, egal wie wütend er momentan auf sie war, er würde eher sterben als zuzulassen, dass sie auch nur eine Nacht lang in einem Bordell arbeitete.

Davon abgesehen wusste sie nicht einmal ob es überhaupt gut zahlte.

In Gedanken versunken schlenderte sie weiter durch die menschenleere Gasse.

Ein golden angestrichenes Gebäude aus Sandstein mit einem flachen Dach fiel ihr auf. Es hatte kleine, glaslose Fenster die ganz aus guteisernen Schnörkeln geformt waren. Sie formten sich zu Ranken und Spiralen, golden bestrichen. Katalia hatte eigentlich nicht viel für solche Dinge übrig, musste die Handwerkskunst aber unwillkürlich bewundern. So etwas hübsches sah man normalerweise nur in den reichen Gegenden.

Katalia zuckte zusammen als sie bemerkte, dass ihr Blick von hinter dem Fenster erwidert wurde. Eine junge Frau starrte sie an. Sie hatte ein hübsches Gesicht, dünn gezupfte Augenbrauen, volle rote Lippen und einen langen schwarzen Zopf, der ihr über den Rücken fiel.

Katalia war sich sicher, dass die Frau sie an jemanden erinnerte. Sie kam ihr bekannt vor. Wer war sie? Hatten sie sich schon einmal gesehen? Auf dem Markt, oder auf den Straßen villeicht? Das wäre nicht unmöglich.

Einen Moment lang hielt Katalia ihren Blick. Dann trugen ihre Füße sie weiter. Die Gasse entlang, über einen Marktplatz, durch schmale und breite Straßen.

Schließlich stand sie vor dem hellblauen Haus des Doktors, vor dem gelbe, orangene und rosane Blumen blühten. In Gedanken immer noch bei dem Mädchen am Fenster, klopfte sie an.

,,Seid gegrüßt. Was darf es sein?"

Die Frau des Doktors öffnete ihr die Tür und begrüßte sie höflich, aber sah missbilligend auf ihre abgewetzte Kleidung. Wie jedes Mal.

In vorgetäuschter Gleichmut hob Katalia das Kinn.

,,Seid gegrüßt. Ist der Doktor da?"

,,Er ist nicht da. Es gab heute Nacht eine Auseinandersetzung zwischen zwei Trunkenbolden und beide benötigen ärztliche Behandlung. Mein Mann ist schon den ganzen Morgen bei ihnen im Gefängnis und flickt sie zusammen."

,,Wann kommt er denn wieder?" Fragte Katalia.

Die Frau zuckte mit den Schultern. ,,Das weiß der Himmel. Aber ich kann dir wohl weiterhelfen?!"

Katalia wusste zwar, dass ihre Heilkunst der ihres Mannes um nichts nachstand, doch trotzdem hätte sie lieber den Doktor angetroffen. Er war weniger einschüchternd und redete außerdem nicht mit ihr als wäre sie dumm.

,,Ich möchte ein halbes Pfund von der üblichen Medizin für meine Mutter kaufen und außerdem den Doktor zu ihr bestellen, um sie zu untersuchen. So bald wie er Zeit hat."

Die Frau öffnete die Tür und bedeutete ihr einzutreten. Katalia trat über die Schwelle in den Eingangsbereich. Sie konnte ihr Spiegelbild in den blank polierten Fliesen erkennen. Die Wand schmückte ein riesiges Mosaik, dass einen Mann zeigte, der einem Kranken Medizin einflößte.

Die Frau des Doktors rief nach einer Sklavin und ließ sich eine Waage, einen Beutel und einen Sack voll weißem Pulver bringen.

,,Dies war es doch, was deine Mutter bekommt, ja?"

Katalia nickte und beobachtete wie die Frau die Medizin abwog und in den Beutel füllte. Sie hatte dünne, graue Haare, die sie in 5 Zöpfen trug und auffallend große Hände. Das teure Gewand, was sie trug, wurde von einer Schnalle zusammengehalten und spannte sich über ihren rundlichen Körper.

,,Dieses Heilmittel musst du pro Löffel in 6 Löffeln Wasser verrühren und ihr zweimal am Tag verabreichen. Ein halbes Pfund davon kostet 15 Münzen. Hast du soviel Geld? Denn wenn nicht muss ich dich bitten zu gehen."

Erbost von dem arroganten Ton der Frau knirschte Katalia mit den Zähnen. Ihre Mutter war seit vielen Monaten krank, sie kannte sowohl die Verabreichung des Mittels, als auch die Preise! Kühl gab sie zurück: ,,Seid unbesorgt. Ich habe genug Geld. Sonst wäre ich nicht hier."

Sie öffnete den Beutel des Kutschers und zählte 15 Münzen heraus. Den perplexen Gesichtsausdruck der Frau genießend.

,,Hier. Wisst ihr wohl, wann der Doktor Zeit haben wird bei meiner Mutter vorbeizukommen?"

,,Lasst mich nachsehen. Amone!" Erneut rief die Frau nach der Sklavin und ließ sich einen Stapel Aufzeichnungen bringen. Mit prüfendem Blick musterte sie den obenauf liegenden Papyrus und sah dann Katalia in die Augen.

,,Mein Mann und ich sind die nächsten Tage sehr beschäftigt. Ich könnte einen Besuch bei deiner Mutter schon Morgen gegen Mittag einrichten, er vermutlich erst in 5 Tagen."

Katalia seufzte. Eigentlich hätte sie gerne auf den Doktor persönlich bestanden, doch es erschien ihr kleinlich das Angebot seiner Frau nicht wahrzunehmen. Je früher ihre Mutter eine ärztliche Untersuchung bekam desto besser. Im Endeffekt war es egal von wem.

,,Dann bitte ich euch, morgen gegen Mittag zu kommen, wenn es euer Zeitplan zulässt. Auf Wiedersehen."

Die Frau nickte zum Abschied kühl und machte keine Anstalten sie zur Tür zu begleiten.

Auf dem Rückweg lief Katalia wieder durch die verruchte Gasse, darauf hoffend das rätselhafte Mädchen erneut am Fenster zu sehen, doch sie traf sie nicht an.

Und es war nicht bevor sie Zuhause eintraf und ihr Blick auf den roten Numbii fiel, dass ihr klar wurde woher sie die Person kannte.

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