Die Diagnose (19)

Katalia lehnte mit verschränkten Armen an der Wand und sah zu wie die Heilerin ihre Mutter, mit Hilfe der Sklavin, untersuchte.

Dafür hatten sie ihr das grünschwarze Gewand ausgezogen und die Doktorin inspizierte grade eine Stelle an der man, Katalias Meinung nach, keine fremde Frau zu inspizieren hatte.

,,Erinnert mich bitte, wie lange ist es nochmal her seit ihr krank geworden seid?"

,,Etwa sechs Monate." Keuchte Katalias Mutter. Auf ihrer Stirn glänzten Schweißperlen, die ganze Prozedur war sehr anstrengend für sie.

,,Und es geschah nach einer Fehlgeburt korrekt?"

,,So ist es."

,,Mmh."

Ohne eine Miene zu verziehen legte die Doktorin das Werkzeug, welches sie in der Hand gehalten hatte, zur Seite und befahl ihrer Sklavin Katalias Mutter wieder anzukleiden.

,,Sagt, könnt ihr mir genaueres über diese Fehlgeburt erzählen? In der Akte, die mein Mann über sie führt steht sie sei sehr lang und problematisch verlaufen, ist das richtig?!"

Arina erschauderte. ,,Das ist wohl wahr! Ich kann mich nicht mehr an vieles erinnern, da ich immer wieder die Besinnung verlor, der Schmerz war zu abscheulich."

,,Wie weit vorangeschritten war die Schwangerschaft?"

,,Ich war im fünften Monat." Die Stimme von Katalias Mutter brach.

Katalia wusste, dass sie immer noch sehr um das Kind trauerte. Sie hatte es Milan nennen wollen, nach Katalias Vater. Wenn es ein Junge geworden wäre zumindest. Ein Mädchen hätte entweder Kawie oder Amischa heißen sollen.

Die, von Falten umrandeten, Augen der Doktorin schienen blind für die Trauer ihrer Patientin zu sein, sie fuhr fort Arina mit schmerzhaften Fragen zu löchern.

,,Waren sie während der Schwangerschaft von körperlicher Gesundheit?"

Mutter nickte nervös.

,,Haben sie ausreichend gegessen und getrunken und sich geschont?"

Arina wechselte einen unsicheren Blick mit ihrer Tochter.

,,Nun, ich habe es versucht." Sagte sie unsicher.

,,Also nein." Stellte die Doktorin fest. Katalia kam es so vor als würde ihr Blick von Sekunde zu Sekunde abschätzender werden. ,,Gute Frau, Wenn ihr zum Zeitpunkt der Schwangerschaft auch nur annähernd so dünn ward wie jetzt, hattet ihr kaum eine Chance auf ein gesundes Kind."

Wütend knirschte Katalia mit den Zähnen. Dachte diese Frau etwa Mutter hätte aus Spaß gehungert?

Nachdem Mutter von der Schwangerschaft erzählt hatte, hatte Vater ihr beinahe jeden Abend sein Essen überlassen. Trotzdem hatte es nicht gereicht. Das hatte es nie. Hunger war in Katalias Familie ein fester Bestandteil gewesen. Ein drittes Geschwisterkind, dass still in der Ecke saß und nur selten das Haus verließ, um sich dann lautlos wieder hinein zu schleichen.

Es hatte für Streit und Gereiztheit gesorgt. Für Sorgen und Tränen und schlaflose Nächte, aber auch für ebenso viel Zusammenhalt.

Die Heilerin fragte weiter. ,,Hat euch jemand bei der Fehlgeburt assistiert?"

,,Ja. Als ich anfing zu schreien und zu bluten rannte meine Tochter und holte meine Freundin, sowie eine Nachbarin zur Hilfe."

Katalia atmete tief durch und versuchte die aufkeimenden Erinnerungen zu verdrängen. Dieser Tag war einer der schlimmsten Tage ihres Lebens gewesen. Die Angst um ihre Mutter die sie ausgestanden hatte... Das Gefühl von völliger Hilflosigkeit... Nie wieder wollte sie so etwas erleben.

,,Haben euch diese zwei Frauen oder eine von ihnen während dem Prozess im Intimbereich berührt?"

Arina nickte, ein wenig beschämt.

Die ältere Frau seufzte. ,,Und ich nehme an keine von ihnen hat sich vorher die Zeit genommen sich gründlich die Hände zu reinigen?"

Katalia stutzte. Was hatte das denn mit irgendetwas zu tun?

Mutter überlegte und schüttelte dann langsam den Kopf. ,,Ich denke nicht, Nein."

Die Doktorin seufzte erneut. ,,Dann wundert es mich in keinster Weise, dass ihr euch diese Infektion eingefangen habt."

Sie reinigte ihr Werkzeug und verstaute es schwermütig wieder im Behälter. ,,So etwas kann auch bei einer Geburt passieren. Ich habe es schon öfter gesehen. Eine Frau ist sehr verwundbar in dem Stadium vor, während und unmittelbar nach der Niederkunft. Gebiert sie auf schmutzigen Untergrund, oder assestiert ihr ein paar unsauberer Hände, gelangen Krankheiten allzu schnell in den Körper."

,,Befremdlich." Kommentierte Katalia. ,,Man sollte meinen der Beginn von neuem Leben wäre ein wenig... lebensbejahender."

Langsam wurde sie ungeduldig.Soviel hatte der Doktor ihnen auch schon sagen können. Katalia wollte nicht wissen wie es zu der Krankheit gekommen war, sie wollte wissen was sie verdammt nochmal tun sollte, um sie ihrer Mutter wieder auszutreiben!

Sie wollte gute Nachrichten hören!

Villeicht hatte die Doktorin den ungeduldigen Blick des Mädchens bemerkt, denn sie seufzte erneut.

,,Nun, ich bin fertig mit der Untersuchung. Ich denke es ist Zeit, dass ich euch Beiden etwas wichtiges mitteile."

Alamiert trat Katalia näher. ,,Was ist es?"

Die Doktorin sah auf ihre Patientin hinunter. Ihre Stimme war nüchtern. ,,Ihr werdet sterben. Es tut mir Leid."

,,Nein!" Sagte Katalia laut. Ihre Stimme klang fremd und hohl.

,,Die Medizin-" stammelte sie, ,,Der Doktor hat gesagt es gäbe eine Chance- Es geht ihr doch schon besser!"

Die Doktorin schüttelte langsam den Kopf. ,,Wenn die Infektion abklingen wollte, hätte sie das bis jetzt getan. Die Medizin hat zwar eine beachtliche Wirkung, doch alles was sie jeh für deine Mutter tuen konnte, ist den Schmerz einzudämmen. Die eigentliche Wurzel des Übels hat sie kaum angegriffen und jetzt, nach bald sechs Monaten, wird sie das auch nicht mehr. Es gibt keine Aussicht auf Heilung, villeicht gab es nie eine, und etwas Anderes zu behaupten wäre eine Lüge derer ich mich nicht schuldig machen möchte."

Die alte Frau seufzte erneut und wandte sich ab.

,,Mein Mann ist zu weichherzig. Er hätte euch keine falsche Hoffnung machen sollen."

,,Wann?" Flüsterte Katalias Mutter. In ihren Augen schwammen Tränen. ,,Wann werde ich sterben?"

Katalias Knie gaben nach. Sie ließ sich zu Boden sinken. Ihre Augen brannten, ihr Atem ging stoßweise, ihre Hände zitterten. Auf einmal war ihr so unendlich übel, sie glaubte sich übergeben zu müssen. Mutter würde sterben.

Der Raum um sie herum fühlte sich nicht echt an. Ihre Mutter und die Heilerin fühlten sich nicht echt an. Passierte das grade wirklich? Villeicht hatte sie ja Glück und träumte alles nur.

Katalia schloss die Augen, konzentrierte sich auf die Dunkelheit hinter ihren Lidern. Die Stimme der Doktorin klang wie aus weiter Ferne.

,,Genau kann ich es ihnen nicht sagen. Villeicht in ein paar Wochen, villeicht erst in zwei Monaten.... Deswegen würde ich ihnen einen Vorschlag machen wollen..."

Katalia öffnete die Augen wieder. Sie sah wie die Doktorin sich über ihre mitgebrachten Töpfchen und Behälter beugte und einen auswählte. Er war aus Ton, kreisrund und blau lakiert.

,,Was ist das?" Flüsterte Mutter heiser.

,,Ein Gift." Antwortete die Doktorin schlicht. ,,Eines der wirksamsten das es gibt. Es besteht aus den zerstoßenen Blüten einer Pflanze die man auch den "blauen Tod" nennt. Schon eine einzige Blüte kann zum Tod durch Herzstillstand führen. Eine Dosis so groß wie diese hier würde selbst den stärksten Soldaten innerhalb weniger Minuten zum ableben bringen."

Katalia japste zwischen zwei Schluchzern empört nach Luft. ,,Ihr könnt nicht allen Ernstes vorschlagen, dass-"

,,Es ist die Entscheidung deiner Mutter, Kind." Fiel ihr die alte Frau ins Wort. ,,Der Tod wird in diesem Haus einkehren, so viel ist sicher. Wollt ihr nicht lieber selbst bestimmen können wann und auf welche Weise?!"

Die Doktorin sah Katalias Mutter an, aus deren Augen immer noch lautlose Tränen tropften. Sie war immer schon jemand gewesen der leise weinte. An der Brust von Katalias Vater, mit ihm leise über Geldsorgen klagend, während sie dachten, dass Katalia und ihr Bruder schliefen.

,,Es ist eine Entscheidung, die ich meinem größten Feind nicht auferlegen wollen würde."
Die Stimme der Heilerin war beherrscht, aber nicht mehr kalt. Selbst an ihr ging dieses Gespräch nicht spurlos vorbei. ,,Doch ich bitte euch es in Betracht zu ziehen. Ihr werdet sterben, villeicht in ein paar Wochen villeicht in ein paar Monaten. Die Infektion wird sich weiter ausbreiten, Teile eures Körpers werden langsam absterben und verrotten. Es werden Wochen voller Schmerz und Unwissenheit sein. Eine Situation so brutal, dass die es vermag nicht nur euern eigenen Verstand sondern auch den ihrer Tochter in den Wahnsinn treiben, zu brechen."

Weder Katalia noch ihre Mutter waren in der Lage etwas zu sagen.

Die Frau Doktor seufzte müde. ,,Ich sage nicht, dass ihr euch nicht trotzdem Zeit lassen könnt. Bitte nehmt euch Zeit. Sagt Lebewohl zu allen Freunden und Bekannten. Veranschiedet euch von eurer Tochter. Und dann schluckt das Gift und sterbt einen schmerzlosen Tod."

,,Nein." Schluchzte Katalia leise. Da war ein Schmerz in ihrer Brust, so hart und stechend, dass sie schreien wollte, aber sie schaffte es kaum zu reden. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.

,,Nein! Nein!" Würgte sie heraus. ,,Packt euer Gift wieder ein und geht! Verschwindet!"

Katalia krümmte sich schluchzend nach vorne und umklammerte ihre Knie. ,,Wir wollen euer Gift nicht!" Schniefte sie hilflos. ,,Verschwindet!"

,,Sei still, Katalia." Flüsterte Mutter mit rauer Stimme. Sie nickte der Doktorin zu. Ihr Gesicht glänzte vor lauter Tränen, aber sie weinte nicht mehr. Eine eigenartige Ruhe hatte von ihr Besitz ergriffen.

,,Ich danke euch für die Untersuchung, Frau Doktor. Und für die Wahrheit. Bitte stellt... eure Arznei getrost dort auf den Boden."

Die Doktorin nickte langsam. ,,Ihr wollt das Gift also haben?!"

Katalias Mutter nickte steif. Eine kurze, ruckartige Bewegung.

,,Dann sei es so." Die Doktorin bückte sich und plazierte den kleinen Behälter zu Mutters Füßen.

Mutter war immer noch eigenartig ruhig. ,,Wieviel schulden wir euch?"

,,Oh, Sorgt euch nicht deswegen!" Die alte Frau lachte finster. Sie wandte sich zum gehen. ,,Wir mögen in einer Welt leben in der alles seinen Preis hat, doch der Tod... der Tod ist umsonst."

Innerhalb weniger Atemzüge war die Heilerin mitsamt ihrer Sklavin aus der Tür getreten und verschwunden.

Katalia blieb als ein schluchzendes, an die Wand gekauertes, Bündel zurück.

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