der Rattenmann (8)

Kleine Glöckchen klirrten, als Katalia den mit Perlen besetzten Vorhang beiseite schob und eintrat.

Es war früher Morgen, der Himmel ähnelte einem blassgrauen Tuch, dass über die Stadt gespannt worden war. Die Lift war noch kühl und die Stadt war noch still. Früh morgens war die beste Zeit um unauffällig Geschäfte zu machen.

Der Laden des Rattenmannes war auf den ersten Blick nur spärlich bestückt. Dieser Eindruck täuschte jedoch. So vereinzelt die Ketten und Ringe auf den mit Seide bedeckten Tischen auch liegen mochten, hinter dem Verkaufstresen stapelten sich bis an den Rand gefüllte Kisten mit allen vorstellbaren Kostbarkeiten.

Der Laden hatte noch nicht geöffnet und die zwei Angestellten des Rattenmannes waren emsig damit beschäftigt Seidentücher auszubreiten, Haarklammern zu polieren und Armreifen in ordentlichen Reihen auf Tischen zu drapieren. Sie hielten nur kurz inne, als Katalia ihnen einen guten Morgen wünschte und nach dem Rattenmann fragte.

Natürlich war Rattenmann nicht sein echter Name. Katalia und Martinus hatten die Bezeichnung als einen Spitznamen für ihn gewählt, weil er mit seiner kleinen Statue und der spitzen Nase aussah wie eine Ratte. Insgeheim wäre Katalia alles andere als überrascht wenn ihn hinter seinem Rücken die ganze Stadt so nennen würde.

,,Er ist im Hinterzimmer. Geh ruhig durch." Murmelte der größere von den beiden Arbeitern wortkarg.

Katalia nickte ein Dankeschön und durchquerte den Verkaufsraum, bis sie vor einem weiteren Perlenvorhang stand, den sie beiseite zog. Dahinter befand sich eine kleine, schmucklose Kammer mit nichts außer einem Holztisch und zwei Bänken.

Der Rattenmann hockte auf einer der Beiden und trank Tee. Er erhob sich, als er Katalia sah.

,,Oh meine jüngste Verkäuferin! Einen guten Morgen wünsche ich dir. Ich hatte mich schon gefragt wann meine Augen sich wieder an deinen Mitbringseln ergötzen dürfen. Setz dich. Ich schenk dir Tee ein."

Etwas wiederwillig ließ Katalia sich ihm gegenüber nieder.

Am liebsten wäre sie sofort zum Punkt gekommen. Aber das wichtigste beim Verhandeln mit dem Rattenmann war, nichts zu übereilen. Jedenfalls nicht wenn sie einen einigermaßen guten Preis herausschlagen wollte.

Sie beobachtete wie er aufstand, einen weiteren Becher für sie holte und sich dann am Teegeschirr zu schaffen machte. Es war ein schönes, feingearbeitetes, das nicht so recht in den schlichten Raum zu passen schien.

Der Rattenmann war bekannt dafür sein Geld auf exzentrische Weise auszugeben. Sein Laden hatte Vorhänge statt Türen, er trug teure Seidengewänder gepaart mit zwanzig Jahre alten Sandalen und war anscheinend bereit dafür, edles Geschirr für ein Vermögen zu kaufen, nur um daraus in seinem schmucklosen Hinterzimmer Tee zu trinken.

Ein dampfender Becher Tee wurde vor ihr abgestellt und der Rattenmann zwängte seinen pummeligen Körper wieder in die gegenüberliegende Bank. Erwartungsvoll sah er sie an.

,,Nun sag, Katalia. Was hast du mir mitgebracht?"

Sie ließ sich Zeit, nippte an ihrem Becher. Der heiße Tee war köstlich, scharf und süß zugleich. Genau das richtige am frühen Morgen.

,,Das ist ausgezeichneter Tee. Wo habt ihr ihn erworben?"

Schon zu oft hatte sie sich vom Rattenmann übers Ohr hauen lassen. Dieses Mal würde das nicht passieren! Heute brauchte sie sich nicht um die Beschaffung von Essen sorgen. Ihr Diebesgut von der Hochzeit würde sie und ihre Mutter gewiss einen Tag ernähren können. Das hieß sie könnte das Geld was sie für die grünen Ohrringe bekommen würde für Medizin ausgeben. Oder villeicht sogar um den Doktor kommen zu lassen, wenn es genug war.

,,Mein Skave brachte ihn vom Marktplatz mit. Doch nun spannt mich armen Neugierigen doch nicht auf die Folter!"

Betont langsam griff Katalia in ihre Rocktasche und ließ die Ohrringe auf den Tisch fallen.

Der Rattenmann kniff die Augen zusammen und beugte sich über die Tischkante, um sie zu begutachten.

Katalia ließ ihre Gesichtszüge erhärten. Jetzt begann die Verhandlung.
,,Wieviel bietet ihr mir für diese hier?"

Wie jedes Mal zögerte der Rattenmann seine Reaktion heraus. Krauste seine spitze Nase. Wackelte mit den flachen Augenbrauen. Fuhr sich durch den schlecht rasierten Bart.
Schließlich lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme und starrrte Katalia an.

,,Ich biete dir fünf Münzen."

Katalia fiel die Kinnlade herunter.

,,Fünf?! Verzeihung ich muss mich verhört haben?!"

,,Nein, du hast ganz richtig gehört. Fünf Münzen."

,,Das ist zu wenig!"

,,Du kannst froh sein sie überhaupt los zu werden. Es ist billiger Plunder weiter nichts."

,,Ihr beliebt zu scherzen!" Sagte Katalia erbost.

Sie wusste sicher, dass die Ohrringe wertvoll waren. Der Laden aus dem sie sie gestohlen hatte war viel zu gut bewacht gewesen, um Plunder zu verkaufen. Und obwohl sie nie gelernt hatte weiter als bis 49 zu zählen und auch keine Zahlen lesen konnte, so hatte sie durchaus gesehen, dass das Preisschild für die Ohrringe mehrere Stellen gehabt hatte.

,,Oh meine Liebe, ich scherze niemals bei Gesprächen über Geschäfte."

Der Rattenmann lehnte sich vor und fixierte sie mit seinen kleinen Augen.

,,Im Übrigen solltest du Vorsicht walten lassen, wenn du so mit mir redest."

,,Ihr solltet Vorsicht walten lassen mir solch ein unverschämtes Angebot zu machen." Sagte Katalia mutig und reckte das Kinn.
,,30 Münzen und wir kommen ins Geschäft!"

Sein Blick wurde bösartig.

,,Das ist mutig gesprochen für eine Diebin! Denkst du nicht mir wäre von Anfang an klar gewesen woher du die Sachen beziehst, die du mir zum Verkauf anbietest? Ich meine, schau dich an. Es ist offensichtlich, dass du die Ohrringe gestohlen hast!"

Katalia wurde eiskalt.

Abfällig lächelnd lehnte er sich zurück und machte ihr gegenüber eine Handbewegung die ihre gesamte Erscheinung einfing. Der Schmutz der Gassen, der auf ihrer Haut haftete. Ihre alte Kleidung. Ihre ungeschmückten, zerzausten Haare. Die hervorstehenden Knochen. Ihr junges, aber abgekämpftes Gesicht, über das jetzt eine Träne lief.

,,Du bist ein bettelarmes Straßenmädchen. Kaum besser als eine Sklavin. Und noch dazu eine Diebin. Ich bitte dich, denkst du die Schmuckhändler dieser Stadt würden nicht untereinander reden? Die Ohrringe die du mir zum Verkauf anbietest sind aus dem Geschäft eines Konkurrenten von mir. Du hast sie von dort gestohlen, so wie du alles andere was du mir verkauft hast gestohlen hast, kleine Diebin."

,,Ich weiß nicht wovon ihr redet!"

,,Versuch erst gar nicht es zu leugnen. Du bist eine Diebin!"

,,Na gut."

Katalia schob den Unterkiefer vor.

,,Und ihr? Ihr habt von einer Diebin gekauft! Und daran wohl auch gut verdient, oder nicht?! Besonders wenn man bedenkt, dass ihr mich stets mit zu niedrigen Preisen abgespeist habt."

Der Rattenmann lachte höhnisch.

,,Zu niedrige Preise?! Als würdest du eine Ahnung davon haben wieviel welche Gegenstände wert sind. Lass mich dir eins sagen..."

Er lehnte sich über den Tisch bis sein Gesicht direkt vor ihrem war.

,,Du solltest mir auf Knien dafür danken, dass ich dir dein Diebesgut bisher immer abgekauft habe. Sonst wärst du inzwischen längst verhungert, oder würdest dich in einem Bordell verdienen. Mädchen wie du enden als Leichen am Straßenrand an denen die Ratten knabbern. Ich mache dir ein Angebot. Ich biete dir 5 Münzen für dieses paar Ohrringe und erwarte dafür, dass du mir öfter solche Ware bringst, anstatt immer nur billigen Plunder von Marktständen! Und außerdem erwarte ich, dass du dich für meine Hilfe ein wenig erkenntlich zeigst."

Seine dicke, schwitzende Hand legte sich über ihre.

Katalia sprang auf und warf dabei die Bank um. Sie langte nach den Ohrringen und versenkte sie in ihrer Rocktasche.

,,Einen Dreck werde ich tun, Rattenmann!"

Sie stürmte aus dem Raum, jedoch nicht ohne vorher den Inhalt ihres Becher in einem Zug herunterzustürzen. Der Tee war wirklich ausgezeichnet.



Die Sonne stand hoch am Himmel und Katalia und Martinus lehnten am Brunnen. Es war ihr übliches Treffen zur Mittagsstunde um den Rest des Tages zu besprechen.

,,Übrigens soll ich dir von meiner Mutter ausrichten, dass sie plant heute Abend bei dir vorbeizukommen, um nach deiner Mutter zu sehen."

Katalia zuckte mit den Schultern.

,,Lass sie das tun, aber ich habe ihr nichts anzubieten außer Minztee."

,,Ist doch in Ordnung. Sie sagt immer niemand versteht es einen Minztee zu brauen wie du."

Einst hatte Katalia sehr zu seiner Mutter aufgesehen. Sie hatte als kleines Kind sogar lange Zeit angenommen sie wäre mit ihr verwandt und sie Tante genannt.

Die Mutter von Martinus war anders als ihre. Sie war eine Kämpferin, eine starke Person, jemand der dafür sorgen konnte das alles in Ordnung wurde. Das jedenfalls hatte Katalia früher geglaubt, doch jetzt war sie desillusioniert.

Denn warum würde eine Frau, die angeblich so stark war, immer so stolz gewesen war, bei einem Mann wie Martinus Stiefvater bleiben?

,,Deinen Stiefvater wird sie nicht mitbringen, hoffe ich?"

Martinus zog eine Miene als wäre ihm schlecht.

,,Sehr komisch. Nein, der ist die letzten zwei Tage nicht zu Hause aufgetaucht. Der Himmel weiß wo er sich herumtreibt! Es kann allerdings sein, dass sie ein oder zwei von den Kleinen mitbringt."

Entschuldigend sah er sie an.

Sie seufzte. Falls das der Fall sein sollte, dann wüssten sich Martinus Halbgeschwisterchen hoffentlich zu benehmen. Ihre Mutter brauchte Ruhe und keine schreienden Kinder.

Doch sie biss sich auf die Zunge. Im Gegensatz zu ihr mochte Martinus seine jüngere Geschwisterhorde nämlich recht gerne.

Sie wechselte das Thema.

,,Hast du Zeit um die Ohrringe zu verkaufen, oder soll ich das tun?"

,,Was? Du bist sie noch nicht losgeworden?"

,,Nein."

,,Bei wem hast du es versucht?"

,,Dem Rattenmann."

Martinus streckte die Hand aus und ließ die Ohrringe in dem Ärmel seines Gewandes verschwinden.

,,Ich bin überrascht, dass er nicht zugeschlagen hat. Sonst kann man sich auf die Gier des Rattenmannes verlassen. Er zahlt villeicht weit unter dem eigentlichen Wert, doch immerhin kauft er. Und er stellt keine Fragen."

Eine Sorgenfalte bildete sich zwischen seinen Augen.

,,Das er jetzt anfängt Sachen abzulehnen kann nichts Gutes für dich bedeuten. Villeicht ahnt er etwas."

,,Uns." Verbesserte Katalia ihn säuerlich. ,,Kann nichts Gutes für uns bedeuten. Uns. Red nicht so als würdest du nicht jedesmal die Hälfte des Geldes bekommen."

Martinus verdrehte die Augen. ,,Dann eben uns. Es kann nichts Gutes für uns bedeuten."

Katalia wandte sich ab. Dieses Gespräch war das letzte was sie jetzt bräuchte. Sie wollte Martinus nicht erzählen was der Rattenmann tatsächlich gesagt hatte. Es war besser wenn sie jetzt ging.

,,Sieh einfach zu, dass du die Ohrringe los wirst. Und ich weiß sicher, dass sie wertvoll sind deswegen akzeptier keinen Preis unter 12 Münzen. Wir treffen uns bei Dämmerung wieder hier."

,,Verstanden, Herrin." Er deutete eine spöttische Verbeugung an.

,,Und was machst du bis dahin?"

Katalia sah finster zum Himmel von dem die Sonne herunterbrannte.

,,Ich werde uns etwas Neues zum verkaufen besorgen. Und danach Minze pflücken gehen, damit ich deiner Mutter heute Abend einen Tee anbieten kann."

Glücklicherweise wusste sie genau in welchen Gärten der Stadt die beste Minze wuchs. Sie setzte sich in Bewegung und verschwand in dem Gewirr der Gassen.

Noch weiter an den Rattenmann zu denken würde sie und ihre Mutter nicht vor dem Hungertod bewahren. Sie würde andere Käufer finden, sie brauchte ihn nicht. Es war sinnvoller wenn sie ging und sich nützlich machte, anstatt über ihn nachzugrübeln.

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