Der Einbruch (36)

Katalia graute es vor dem Abend. Sie versuchte ganz normal ihren Pflichten nachzugehen, mit Umbro und Zonia zu plaudern, sich nichts anmerken zu lassen, doch die meiste Zeit verbarrikadierte sie sich mit Eiwie in ihren Gemächern, wo sie versuchten einen Plan zu entwickeln.

Eiwies Hoffnungslosigkeit hatte sich über Nacht in Entschlossenheit verwandelt. ,,Ich habe alles bekommen wovon ich je geträumt habe." Erklärte sie Katalia, während sie hochaufgerichtet durch den Raum schritt. ,,Es wäre doch gelacht wenn ich all das verlieren sollte, nur wegen einem sechzehnjährigen Mädchen, das sich nicht um seine eigenen Angelegenheiten kümmern kann! Meinen Status, mein Geld und meinen Ehemann - Ich werde alles behalten! Sollte ich dafür töten müssen, nun, dann wäre es nicht das erste Mal!"

Katalia verschluckte sich an dem Wein, den sie sich eingegossen hatte, um ihre Nerven zu beruhigen. ,,Wie bitte? Was? Ich hab mich wohl verhört?"

Eiwie machte eine Kehrtwende und ging zu ihrem Kleiderschrank. ,,Hast du nicht. Oh komm schon, tu nicht so geschockt! Es war reinste Selbstverteidigung."

Sie öffnete die Schranktüren und besah sich ihrer vielen Kleider. ,,Katalia, was zieht man am Besten für einen Einbruch an?"

Katalia zuckte mit den Schultern. Sie war ein wenig beleidigt. ,,Woher soll ich das wissen? Ich bin nie irgendwo eingebrochen, glaube es oder nicht!"

,,Sicher, doch. Sicher, doch. Verzeih mir." Murmelte Eiwie und griff nach einem ärmellosen, weißem Gewand mit einem goldbestickten Kragen. ,,Wie wäre es hiermit?"

Katalia verdrehte die Augen. ,,Trage einfach irgendetwas. Was kümmert es dich denn jetzt noch wie du aussiehst? Wir gehen auf keine Hochzeit sondern brechen in ein Haus ein, verdammt nochmal!"

Eiwie hang das Kleid zurück. ,,Du magst meine Selbstzucht und Eitelkeit verspotten, Katalia," beiläufig ließ sie ihre Finger über die verschiedenen Säume und Stoffe wandern. ,,doch für mich ist es überlebenswichtig. Es ist meine einzige Art zu leben, meine einzige Art zu sein. Denkst du ich stände jetzt hier, wäre es nicht auf Grund meines Aussehens? Offen gesprochen, Katalia..." Eiwie warf einen Blick über die Schulter und lächelte ein wenig traurig. ,,Wenn ich aufgeben würde stets hübsch aussehen zu wollen, so wüsste ich nicht wie ich leben sollte. Was würde ich tuen? Was würde ich denken? Was würde von mir übrig bleiben?"

Katalia starrte auf ihre Füße und dachte darüber nach. ,,Zieh etwas dunkles an." Murmelte sie schließlich. ,,Dann fallen wir in der Nacht weniger auf. Und nimm nichts was klirrt oder raschelt, oder sonst wie laut ist."

Eiwie lächelte. ,,Das ist hilfreich. Dankeschön."

Katalia legte sich früher als sonst zum schlafen hin, erklärte es Zonia und Umbro damit, dass sie sich nicht gut fühle. Die Beiden nickten besorgt. ,,Ist gut, dann ruh dich aus."

Da sich Gofro immer noch auf Geschäftsreise befand, gab es weniger als sonst zu tun und bald stiegen die anderen Sklaven ebenfalls in ihre Betten. Katalia wartete bis alle eingeschlafen waren, dann wartete sie noch ein Bisschen mehr, bevor sie zum Fenster tappte und hinausspähte.

,,Geh zu Bett und liege ein oder zwei Stunden lang still, aber gib Acht, dass du nicht einschläfst." Hatte Eiwie ihr aufgetragen. ,,Wenn der Mond senkrecht über dem Haus steht, dann schleich dich in den Garten und treff mich draußen am Stall. Wir können nicht an den Wachen vorbeigehen, doch hinter dem Stall befindet sich ein zweites Türchen im Zaun, durch das Gofro immer zu seinen morgendlichen Ausritten aufbricht. Da können wir uns unbemerkt hinausschleichen"

Es war Vollmond heute Nacht. Er schien so hell und klar, als wolle er ihnen den Weg leuchten. Katalia legte eine Hand auf ihren Bauch. Ihr war schlecht. Sie fühlte jene Mischung aus Aufregung, Nervösität und Furcht, die sie früher vor besonders risikoreichen Diebstählen verspürt hatte. Auf eine unangenehme Art war es ihr vertraut.

Sie wartete am Fenster, bis der Mond aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, dann hielt sie es nicht mehr aus. Sich in ihren Umhang wickelnd verließ sie die Kammer.

Es war kühl draußen. Ein leichter Wind strich durch den parkähnlichen Garten und brachte die Blätter der Bäume zum rascheln. Katalia fürchtete sich nicht, sie liebte die Nacht. Den Kopf in den Nacken legend vergewisserte sie sich, dass der Mond tatsächlich senkrecht über dem Haus stand. Dann lief sie schnell und leise zum Stall.

Eiwie wartete bereits auf sie, in ein langes, dunkelblaues Gewand gekleidet. Den schwarzen Zopf unter einem Tuch versteckt, das hoffentlich verhindern würde, dass sie ein verräterisches Haar verlor.

,,Stehst du schon lange hier?" Fragte Katalia flüsternd.

Eiwie wandte sich kommentarlos zum gehen. ,,Komm, lass es uns hinter uns bringen."

Dank dem Mondlicht fanden sie die Tür im Zaun ohne Probleme. Sie war schmal, grade breit genug für ein schlankes Pferd mit Reiter, doch Eiwie und Katalia passten ohne Probleme hindurch. Sie verbrachten den kurzen Fußweg schweigend. Ehe Katalia sich versah ragte auch schon Lelas Haus vor ihnen auf. Im Mondlicht wirkte es gespenstisch, weiß wie gebleichte Knochen und hoch wie ein schroffer, unbesteigbarer Berg. Katalia war keine feige Person, doch in diesem Moment wünschte sie sich aus ganzem Herzen sie könnten umkehren.

,,Wie kommen wir rein?" Fragte sie Eiwie. Vor Lelas Haus standen, genau wie vor ihrem, zwei Wachmänner.

Eiwies Gesicht war steinern. ,,Wie wir es besprochen haben: um das Haus herumgehen und dann von hinten über den Zaun klettern."

Geduckt liefen sie in einem großzügigem Bogen um das Haus herum. Ihre Vorsicht erwies sich als beinahe übertrieben, denn die zwei Wachmänner hatten sich auf ihre Schilde gestützt und dösten. Katalia musste an Raschid denken. Er würde so etwas nicht tun, da war sie sich sicher. Er nahm seine Pflichten bestimmt sehr ernst.

Der Zaun war hoch, aber nicht hoch genug, um ihn nicht erklettern zu können. Katalia machte eine Räuberleiter für Eiwie, die sich ächzend nach oben hiefte, dann klemmte sie beide Füße zwischen die engen Spalten und zog sich nach oben. Eiwie half ihr möglichst sanft und geräuschlos auf der anderen Seite zu landen. Atemlos lauschten sie auf eine Reaktion von den Wachen, dann setzten sie ihren Weg fort.

,,Hier entlang!" Zischte Eiwie und huschte geduckt voran. ,,Dort drüben ist das Fenster was ich meinte."

Lela hatte Eiwie vor einigen Wochen stolz ihre neuen Fenster vorgeführt. Sie hatte den besten Glasbläser in Dun damit beauftragt. Die Fenster waren zweifelsohne meisterhaft, Glas in allen möglichen Farben formte die verschiedensten Bilder in nahtlosen Übergängen. Das auf das Eiwie in schnellen Schritten zusteuerte zeigte eine Szene an einem idyllischen Seeufer. Eine Frau, die nach Lelas Abbild gemacht war, fütterte die Schwäne im Wasser mit einem gütigen Lächeln im Gesicht. Doch jetzt wo die Welt und das Haus im Dunkeln lag erschien das Glas schwarz. Katalia erkannte das Fenster nur an dem riesigen, knorrigen Baum, der direkt daneben wuchs.

,,Und du denkst wirklich nicht, dass es einen besseren Weg gibt?" Flüsterte Katalia besorgt. Das Geräusch würde die Wachmänner auf sie aufmerksam machen.

,,Vertrau mir." Entgegnete Eiwie. Sie riss mit beiden Händen einen Ast von dem Baum ab. Katalia und sie wechselten einen Blick. ,,Eins, Zwei, Drei!" Zählte Eiwie tonlos. Auf drei warf sie den Ast mit voller Wucht in das Fenster. Das Glas zerbrach scheppernd. Ein Geräusch das Katalia durch Mark und Bein ging. Sie war sich sicher, dass die Wachmänner es ebenfalls gehört hatten.

,,Renn!" Zischte Eiwie. Sie nahmen die Beine in die Hand, verschwanden atemlos in der Dunkelheit des Gartens. Drückten sich schließlich außer Sichtweite hinter ein paar Hecken auf den Boden. Katalia atmete flach. Ihr Herz wummerte und sie presste sich noch enger an den feuchten Rasen. Wenn der Mond doch nur nicht so hell wäre...

Schritte ertönten. Klirrende Schritte. Jemand in Rüstung mit schweren Stiefeln näherte sich. Der Wachmann.

Die Schritte verstummten. Katalia vermutete, dass er vor dem Fenster stehengeblieben war.

,,Ich weiß jetzt was das war, Partus." Rief er seinem Kameraden zu, der anscheinend vorne die Stellung hielt. ,,Das verdammte Fenster ist kaputt gegangen! Ein Ast von dem Baum daneben hat's durchbohrt."

Ein zweites paar Füße näherte sich. Der andere Wachmann. Er klang deutlich misstrauischer. ,,Wie, von alleine? Wie um alles in der Welt soll das denn funktionieren?"

,,Der Wind muss ihn getragen haben."

,,Der Wind?!"

,,Es ist recht windig heute Nacht, findest du nicht?"

Aus der Stimme von Partus tropfte der Spott. ,,Der Wind soll also einen Ast abgebrochen und ihn in das Fenster geweht haben?"

,,Es sieht doch so aus oder nicht?" Entgegnete der Andere unbekümmert. ,,Hier sieh selbst, der Ast ist eindeutig abgebrochen. Und das Fensterglas ist recht dünn, dummerweise. Ich denke nicht, dass hier jemand anderes seine Finger im Spiel hatte."

,,Gib mir mal die Lampe!"

Eine Weile lang war es still.

,,Hast Recht." Gab der misstrauische Wächter schließlich zu, und klang dabei schon weniger misstrauisch. ,,Der Ast ist eindeutig abgebrochen. Und schau wie unberührt die Scherben da liegen... es sieht nicht so aus als wäre jemand eingestiegen."

,,Wie auch? Wir haben die ganze Zeit Wache gehalten."

Kurz herrschte Schweigen.

,,Der Herrin wird es schade um das Fenster sein. Sollen wir sie wecken gehen?"

,,Bist du des Wahnsinns? Sie wird es morgen früh schon zeitig genug sehen."

Der eine Wächter wandte sich zum gehen. ,,Wir können das Tor nicht lange unbewacht lassen. Leuchte ein wenig in den Büschen herum, ob du jemanden siehst, dann komm nach."

,,Muss ich wirklich?!" Murrte der Andere. ,,Ich denke nicht, dass es etwas zu befürchten gibt. Es war bloß der Wind." 

,,Schau trotzdem! Um sicher zu sein."

Katalia hörte wie der eine Wachmann sich zum gehen wandte, während der Andere in seinen schweren Stiefeln in ihre Richtung stakste.

,,Hallo, ist da wer?" Rief er halbherzig. ,,Wenn ja, dann komm, du Unhold, und zeige dich!"

Katalia grub die Finger in die Erde. Der Wächter kam näher. Sie konnte seine Öllampe zwischen den Blättern des Busches aufblinken sehen.

Plötzlich hielt das Licht still. Katalia vergaß zu atmen.

,,He! Ist da wer in den Büschen?"

Das Licht bewegte sich wieder, kam näher. Katalia wollte den Kopf wenden, um einen panischen Blick mit Eiwie zu wechseln, doch sie wagte es nicht sich zu bewegen. Ihre Brust schnürte sich zu. Wenn der Wächter sich jetzt dazu entscheiden würde noch ein wenig weiter in die Büsche zu stapfen... Er würde praktisch über sie stolpern. Sie lag auf dem Präsentierteller, mit nichts als ein paar Blättern und Zweigen als Schutz.

Genau diesen Moment suchte sich der Wind aus, um mit seiner raschelnden Hand durch den Garten zu fahren. Katalia nutzte die Sekunden um zu atmen.

,,Verdammt!" Hörte sie den Wachmann fluchen. Der plötzliche Windstoß hatte sein Licht gelöscht. Ein missmutiger Seufzer ertönte. Katalia hörte wie die Schritte sich entfernten. Ohne Licht hatte der Wachmann seine Suche aufgegeben.

Katalia hob den Kopf und konnte im Mondlicht Eiwie ausmachen, die mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt stand und flach atmete.

Sie war so erleichtert, sie hätte weinen können, wusste aber auch, dass das hier erst der Anfang war.

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