Der Besuch (9)
,,Katalia! Wie schön dich zu sehen."
Nilia begrüßte sie mit einem breiten Lächeln und einem Kuss auf jede Wange.
Genau wie Martinus hatte sie schwarze, lockige Haare und stechende dunkle Augen. An ihre linke Hand klammerte sich Ferto, ihr siebenjähriger Sohn. Auf dem Arm trug sie ihr jüngstes Kind, ein Mädchen, dessen Namen Katalia vergessen hatte. Sein langer Rock verbarg fast vollständig die blauen Flecken die sich von Nilias Ellbogen bis zum Handgelenk zogen.
,,Hallo, Nilia. Lange nicht gesehen, komm rein."
Katalia trat beiseite um sie einzulassen.
Die Tür ließ sie offen, damit der Rauch des Teekessels besser abziehen konnte. Sie hatte getrockneten Kuhmist zum verbrennen genutzt, den sie auf den Gassen sammelte und in der Sonne trocknen ließ. Das roch zwar unangenehm, war aber viel billiger als Kohle oder Feuerholz kaufen zu müssen.
,,Das stimmt! Ich wollte euch schon seit Ewigkeiten einen Besuch abstatten, doch die Kinder halten mich sehr beschäftigt. Wie geht es dir?"
,,Ganz gut." Katalia folgte ihr ins Innere des Hauses.
Ferto hatte sich schon vorgedrängelt und starrte jetzt auf Katalias Mutter herunter, die mit fiebernden Wangen auf ihren Polstern lag.
,,Arina!" Nilia ließ sich auf dem Boden nieder und umarmte ihre Freundin vorsichtig.
Ein müdes Lächeln breitete sich über dem Gesicht von Katalias Mutter aus.
,,Nilia. Wie schön, dass du vorbeigekommen bist."
Sie erwiderte die Umarmung ihrer Freundin und widmete ihre Aufmerksamkeit dann den Kindern.
,,Meine Güte, Nilia, Ferto wächst dir ja bald über den Kopf! Und Shanaya sieht dir mit jedem Tag ähnlicher!"
Der kleine Junge grinste stolz und das Mädchen blinzelte Katalias Mutter mit großen Augen an und nuckelte am Daumen.
Nilia überkreuzte die Beine und nahm Shanaya auf den Schoß. ,,Sie sieht mir wirklich ähnlich, nicht wahr? Das sagen Alle. Dabei finde ich die Haare hat sie ganz klar von ihrem Vater. So grade und kräftig wie Stroh sind sie."
Die beiden Frauen begannen angeregt miteinander zu plaudern.
Katalia entging der besorgte Glanz in Nilias Augen nicht wann immer Arina mitten im Satz erschöpft innehalten musste. Seit ihrem letzten Besuch hatte sich Mutters Zustand eher verschlechtert als verbessert.
Sie überließ den zwei Freundinnen ihren Plaudereien und goß das kochende Wasser über die Minzblätter, die sie aus einem Garten im nördlichen Teil Duns gestohlen hatte.
Als der Tee fertig war, teilte sie ihn auf zwei Becher und zwei Schüsseln auf. Ihre Mutter hatte alles Geschirr das sie besaßen einst selber getöpfert. Es waren keine Meisterleistungen, die Formen waren ungleichmäßig und der Ton war an manchen Stellen zu dünn, so dass vieles über die Jahre kaputt gegangen war. Einzig zwei Becher, zwei Schüsseln und drei Teller waren noch übrig.
,,Warum servierst du den Tee in Schüsseln und nicht in Bechern?" Krähte Ferto, als sie ihm eine der Schüsseln in die Hand drückte.
Sie starrte ihn so grimmig an wie sie konnte.
,,Sei Still, Ferto!" Rügte ihn seine Mutter. ,,Bedank dich stattdessen bei Katalia für den Tee, wie es sich gehört."
,,Danke." Murmelte der kleine Junge ohne sie anzusehen.
Katalia wusste, dass es nicht angemessen war, doch sie hatte dieses Kind noch nie ausstehen können.
Er sah seinem Vater sehr ähnlich, sie hatten die selbe blasse Haut und die selben blauen Augen.
Diese Augen machten ihr Angst. Sie erinnerten sie an die Glasmurmeln, die auf den Marktplätzen als Spielzeug für Kinder verkauft wurden.
,,Wie geht es dir, Katalia?" Nilia lächelte sie an. ,,Martinus sieht dich ja jeden Tag, aber er erzählt nie allzu viel. Es muss hart für dich sein alles alleine bewerkstelligen zu müssen."
Katalia zuckte mit den Schultern. ,,Es geht schon. Es muss schließlich gehen."
,,Katalia kümmert sich sehr gut um mich." Meldete sich Mutter zu Wort. ,,Ich möchte nicht lügen das Geld ist immer knapp, aber sie schafft es stets uns beide zu versorgen. Ich könnte nicht stolzer sein."
Katalia wurde warm ums Herz.
Nilia lächelte zu ihr auf. ,,Das ist bewundernswert, Katalia. Aber bitte zögere nicht mich wissen zu lassen, wenn du Hilfe benötigst. Es tut mir im Herzen weh, daran zu denken wie du dich alleine abkämpfst."
,,Danke, Nilia. Martinus ist mir schon eine große Hilfe."
Was für eine Art von Hilfe sollte Nilia ihr denn anbieten können? Finanzielle ganz bestimmt nicht, ihre Familie kam selbst kaum über die Runden.
Katalia wandte sich ab und begann den Boden zu fegen, etwas wofür sie nur selten Zeit hatte.
,,Hat Martinus denn inzwischen Arbeit gefunden?" Fragte ihre Mutter.
Nilia seufzte. ,,Nein, noch nicht. Keine feste Arbeit zumindest. Doch er arbeitet als Tagelöhner und nimmt jede Arbeit an die er findet, so dass er fast jeden Tag mit Geld Nachhause kommt. Es sind oft nur kleine Mengen, aber meine Arbeit in der Näherei zahlt nicht viel und jede Münze ist eine enorme Hilfe. Ich wüsste nicht was ich ohne ihn täte."
Mit dem Rücken zu den Frauen stehend verdrehte Katalia die Augen. Sie hatte Martinus schon oft gesagt, er solle seiner Mutter einfach sagen, woher das Geld wirklich kam. Ihrer Mutter war es wohl klar, dass sie stahl, aber sie sprachen nicht darüber. Sie war sich sicher, dass Nilia den Schock ebenfalls verkraften könnte.
,,Zwei so tüchtige Kinder, was sind wir gesegnet, Nilia." Mutter lächelte.
Die beiden Freundinnen lachten ein wenig.
Ferto schien das Gespräch zu langweilen, er stand auf und begann den Raum zu erkunden. Katalia beobachtete ihn aus schmalen Augen.
,,Wie geht es deinem Mann, Nilia? Du bist wohl noch bei ihm?!"
Nilias Stimme wurde zögerlich. ,,Ihm geht es gut, danke."
,,Hat er... du weißt schon sein Verhalten verbessert? Aufgehört zu trinken?"
Katalia hielt inne und spitzte die Ohren. Jetzt wurde es interessant.
Nilia wand sich wie ein sterbender Wurm.
,,Nun, er gibt sein Bestes. Es ist nicht einfach für ihn. Du weißt, sobald der Alkohol erst einmal einen festen Griff um jemanden hat... Aber er versucht es... Er möchte sich unbedingt bessern. Für mich und für die Kinder... Nur... Es ist nicht einfach für ihn."
Katalia schnaubte abfällig. Sie fühlte die Wut in ihrem Bauch brodeln.
,,Oh sicher! Aber für dich ist es einfach! Mit fünf Kindern, einer unterbezahlten Arbeit und einem Ehemann der dein hartverdientes Geld im Gasthof versäuft und dich schlägt."
Nilia drehte sich geschockt zu ihr um.
,,Guck nicht so, Nilia! Denkst du Martinus würde mir nichts erzählen?!"
,,Katalia, das reicht!" Mischte sich ihre Mutter ein. ,,So redest du nicht mit ihr. Entschuldige dich!"
Obwohl ihre Mutter krank auf dem Boden lag klang ihre Stimme so streng, dass Katalia Angst bekam und sofort tat wie ihr geheißen.
,,Entschuldige bitte, Nilia."
Nilia stand auf und raffte ihr Gewand. ,,Ich glaube ich sollte gehen."
,,Nein, bitte bleib doch noch." Ihre Mutter griff das Handgelenk ihrer Freundin und bedeutete ihr sich wieder zu setzen. Dabei bemerkte sie allerdings die blauen Flecken.
Geschockt sah sie Nilia in die Augen. ,,War das dein Ehemann?"
Nilia wich ihrem Blick aus. Mutters Stimme wurde lauter.
,,Sag, hat meine Tochter nicht recht?! Du weißt ich mochte deinen zweiten Ehemann nie, ich respektierte deine Entscheidung ihn zu lieben, doch er scheint mit jedem Jahr schlimmer zu werden und ich kann nicht mehr schweigen. Ohne ihn wärst du besser dran, du und Martinus sollten ihn rausschmeißen! Er hat ja nicht mal eine Arbeit und kommt nur alle paar Tage nach Hause um dein Geld zu nehmen. Was hat er denn jeh für dich getan, außer dir ein Kind nach dem anderen zu machen?"
Katalia war geschockt. Und stolz. In den Augen ihrer Mutter loderte ein Feuer, dass sie noch nie dort gesehen hatte.
,,Ich wüsste nicht warum dich mein Ehemann etwas angeht, Arina! Habt ihr zwei nicht genug eigene Probleme um die ihr euch kümmern könnt?! Im Übrigen liebe ich meine Kinder sehr, vielen Dank!"
Nilia erhob sich mit dem Brausen eines Wirbelsturmes.
,,Komm, Ferto! Wir gehen!"
Sie nahm Fertos Hand, ihre Tochter auf den Arm und ehe sich Katalia und ihre Mutter versahen, war sie aus der Tür gerauscht.
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