Der Arrest (42)
Eiwies Schwiegereltern hatten ein Fest für sie veranstaltet. Es hatte in dem Moment begonnen in dem der Doktor Eiwies Schwangerschaft bestätigt hatte und die folgenden drei Tage lang angehalten. Was für die Hausherren ein großes Vergnügen war, bedeutete für die Haussklaven und Angestellten dagegen eine Menge Arbeit.
Katalia hatte Umbro geholfen Massen an Süßigkeiten und Kuchen aufzutischen. Sie hatte jeden Winkel des Hauses geputzt und dekoriert und pausenlos die unzähligen Gäste bedient, die sich um Eiwie gedrängt hatten. Es war also kein Wunder, dass sie am Ende des Festes völlig ausgelaugt war.
Eiwie war ebenfalls erschöpft, aber glücklich. Sie hatte vielerlei Geschenke und gute Wünsche erhalten und die Vorfreude auf das Kind hatte auch den letzten Gedanken an den toten Dimit aus den Köpfen der Hausbewohner vertrieben.
Jetzt saß sie auf ihrem Bett, in ein seidenes Nachthemd gekleidet und ließ sich von Katalia die Haare kämmen.
,,Reichst du mir bitte die Platte mit den Süßigkeiten?" Bat sie. ,,Der Doktor hat gesagt ich täte gut daran noch etwas an Gewicht zuzulegen."
Katalia legte den Kamm beiseite und griff hinter sich, wo der Teller mit den übrig gebliebenen Leckereien stand.
,,Danke, meine Liebe."
Eiwie schob sich kichernd gleich zwei in Zucker gerollte Gebäckstücke in den Mund und schaffte es dabei wie durch ein Wunder kein einziges Körnchen auf ihren perfekten Lippen zu hinterlassen.
Katalia nahm sich ebenfalls einen Keks. Die Leckerei knirschte zwischen ihren Zähnen und gab ihr kurz das Gefühl ganz besonders köstlichen Sand zu essen.
,,Eiwie, Was genau haben die Ermittler dich und Gofro eigentlich gefragt?"
Es tat ihr Leid das leidige Thema ansprechen zu müssen wo Eiwie doch grad so gut gelaunt war, doch sie wollte gern Bescheid wissen und in den letzten Tagen hatte es keine Gelegenheit gegeben unter vier Augen zu reden. Wenn es keine Gäste gewesen waren die bei ihr gestanden hatten, dann war es Gofro gewesen. Er klebte an seiner Frau wie ein in Farbe getauchter Schatten und wich ihr nur selten von der Seite.
,,Ach, nichts Besonderes." Eiwie machte eine wegwerfende Handbewegung. ,,Es ging hauptsächlich um Dimits gesundheitlichen Zustand, zu dem ich nur sagen konnte, dass er mir schon immer sehr alt und schwach vorkam. Ein Bisschen was über Lela wollten sie auch wissen und wie sie wohl zu ihrem Ehemann stand. Knifflig wurde es erst, als sie fragten was in dem Brief stand, den ich direkt am Morgen nach Dimits Tod von Lela erhalten hatte."
Oh Nein! Katalia biss sich auf die Unterlippe. ,,Sie wussten von dem Brief?"
,,Der Bote hat geplaudert." Eiwie nahm sich ein Stück Honigwabe. ,,Eigentlich war es leichtsinnig von uns nicht zu bedenken, dass so ein Geheimbrief direkt nach der Tat verdächtig wirken könnte, doch es ist kein Grund zur Sorge. Ich sagte schlicht Lela habe mir, als ihre Schwägerin und Freundin, ihre Trauer und tiefsten Gefühle in diesem Brief anvertraut und ich hielte ihn für so privat, das ich ihn niemanden zeigen wolle."
Katalia runzelte die Stirn. ,,Können sie denn nicht verlangen ihn zu sehen?"
Eiwie zuckte mit den Schultern. ,,Wenn es sie so sehr interessiert hätte, sicher! Doch sie haben das Thema schnell wieder fallen gelassen. Alles andere wäre taktlos. Die Gedanken und Gefühle einer trauernden Witwe gehören nur ihr."
Katalia war nicht überzeugt. ,,Was ist wenn sie noch einmal zurückkommen und nach dem Brief fragen?"
,,Sie werden nicht zurückkommen! Und selbst wenn, der Brief beziehungsweise das Bild ist verbrannt und verscharrt! Selbst wenn sie suchen werden sie nichts Verdächtiges finden. Ich werde einfach sagen ich habe ihn verlegt."
,,Aber macht es das nicht erst recht verdächtig? Wenn sie den Brief, den es laut dem Boten ganz sicher gab, nicht bei der Empfängerin auffinden können?"
Eiwie verdrehte die Augen und warf sich ein paar lange Haarsträhnen so zurück, dass sie Katalia in die Augen peitschten. ,,Bei allen Göttern, du machst dir zu viele Gedanken! Wer zu viel sorgt der taugt zu wenig, das haben sie auf den Inseln immer gesagt. Merk dir das! Ich denke nicht, dass wir von den zwei Ermittlern etwas zu befürchten haben. Ihrer beiden Familien waren auf Gofros und meiner Hochzeit. Unserer Familie zu misstrauen würde ein schlechtes Licht auf sie werfen und das können sie sich momentan nun wirklich nicht leisten."
Eiwie lächelte bösartig. ,,Die Tochter des alten Mannes nämlich, ist vor kurzem mit einem Straßenfeger durchgebrannt, kannst du das glauben? Ich habe es auf dem Fest erfahren. Die ganze Stadt redet drüber!" Sie senkte die Stimme. ,,Und der jüngere Mann, Kailan oder wie er heißt, hat eine ehemalige Sklavin geheiratet und hat Kinder mit ihr. Er gehört einer der reichsten und edelsten Familien in Dun an und versudelt seine Linie mit dem Blut einer ausländischen Sklavin. Ist das zu glauben?"
,,Eigentlich schon." Meinte Katalia, obwohl die Nachricht sie überraschte. ,,Ist bei dir und Gofro ja wohl kaum anders."
Eiwies Ellbogen stieß nach hinten. Er zielte auf Katalias Rippen, aber sie wich aus indem sie sich blitzschnell zur Seite neigte.
,,Du freches Ding! Ich bin keine Sklavin und nie eine gewesen!"
,,Gleichfalls!" Höhnte Katalia und rappelte sich wieder auf. ,,Streng genommen war deine Mutter aber eine."
,,Zum Zeitpunkt meiner Geburt schon nicht mehr! Außerdem ist das etwas anderes!"
,,Wie du meinst." Spöttelte Katalia trocken. ,,Aber vergiss nicht: Manchmal ist die Grenze zwischen Versklavung und Freiheit eine sehr feine. Das sieht man ja schon an mir!"
,,Du bist unmöglich!" Rief Eiwie, aber Katalia hörte, dass sie dabei grinste.,,Du neunmalkluge Ratte!"
In gespieltem Schock riss das Mädchen die Augen auf. ,,Na Na Na! Wirst du etwa so vor deinem Kind reden?"
,,Das Kind hat noch keine Ohren, aber wenn du darauf bestehst können wir unsere Differenzen gewiss auch wortlos zu einem Ende kommen lassen!"
Eiwie schleuderte blitzschnell eine Süßigkeit nach ihr und Katalia schaffte es wie durch ein Wunder sie mit dem Mund aufzufangen. Wortlos sahen sie sich an. Dann brachen beide in Gelächter aus.
...
Der nächste Tag war regnerisch. Grau und trist. Ein Tag für Hausarbeiten wie Dorissa befand. Jeder Milimeter des Fußbodens, jede Vase, jedes Möbelstück sollte geputzt und poliert werden, bis auch die letzten Spuren des rauschendes Festes verschwunden waren, als hätte in diesem Haus bis dato noch niemand gewohnt.
Katalia war das recht, denn so konnte sie Zonia aus dem Weg gehen. Sie hatte nicht mehr mit der Sklavin geredet seit sie das Ultimatum gestellt hatte. Auch Umbro hatte sie während der drei Festtage kaum gesehen, er hatte unentwegt in der Küche geschuftet.
Katalia nahm sich einen Lappen und Eimer, fühlte ihn mit Wasser und einer speziellen Seifenmischung und beschloss im Flur anzufangen. Die Fußspuren von tausenden Sandalen bedeckten die Fliesen und ließen sich nur durch hartes schrubben entfernen. Es war eine öde Arbeit aber eine an die sie längst gewohnt war und immerhin hatte sie ihre Ruhe.
Eines von Eiwies Liedern vor sich hin brummend kehrte sie in die Küche zurück, um den Lappen auszuwaschen und frisches Wasser in den Eimer zu füllen. Vorbei waren die Zeiten wo sie für so etwas zum Brunnen hatte laufen müssen.
In der Küche traf sie Umbro an, der das Feuer im Herd schürte. Sie wollte ein Gespräch mit ihm vermeiden respektierte ihn allerdings zu sehr, um nicht wenigstens Hallo zu sagen.
,,Grüß dich, Umbro. Was gibt es zu Mittag?"
,,Fasan, Reis und Röstkastanien." Antwortete er in seiner üblichen bedächtigen Art. ,,Dazu eine Weinsoße und Gemüse. In Butter gebraten."
Der Koch machte eine längere Pause bevor er hinzufügte: ,,Im Übrigen hat Zonia es mir gesagt."
,,Ach." Machte Katalia scheu. Konnte sie so tun, als wüsste sie nicht was er meinte? Vermutlich nicht. ,,Ähm Wann war das?"
,,Gestern."
Erst jetzt bemerkte das Mädchen wie müde Umbro aussah. Auf seiner dunklen Haut glänzte der Schweiß und seine Hände und Schürze waren rußverschmiert. Noch nie hatte der stämmige, ruhige Mann derart in sich gefallen und kraftlos ausgesehen.
,,Umbro... sei nicht traurig..."
Katalia trat zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. Sie überlegte mit welchen Worten sie ihr Beileid übermitteln konnte. "Es tut mir Leid, dass deine Ehefrau dich mit einem Wächter betrügt." Das war wohl kaum trostspendend. Sie war nicht besonders gut in sowas. Hatte auch nie gedacht, dass sie das mal sein müsste. Wieder wurde sie wütend auf Zonia. Es war alles ihre Schuld!
Umbro schüttelte den Kopf. ,,Das bin ich nicht."
Katalia nahm überrascht die Hand von seiner Schulter. ,,Nicht?"
Umbro brauchte eine Weile bis er antwortete. ,,Ich bin enttäuscht." Sagte er schließlich. ,,Habe mich verraten und genarrt gefühlt. War wohl auch kurz eifersüchtig. Doch was bleibt mir am Ende außer Akzeptanz?"
Katalia zuckte mit den Schultern. Zonia war per Gesetz seine Ehefrau und sie hatte ihn aufs Übelste verraten. Ein Anderer an seiner Stelle hätte Rache gewählt statt Akzeptanz.
,,Du hättest es dem Herrn oder der Herrin sagen können, weißt du." Meinte sie. ,,Man hätte sie bestraft, Zonia und Raschid. Wo er doch ein freier Wachmann ist und sie eine Sklavin. Damit hättest du dich rächen können."
Umbro lächelte gutmütig. ,,Ach, Katalia, wer sagt, dass ich Rache will?" Er wandte sich wieder den Kastanien zu. ,,Ich wünsche niemandem auf dieser Welt etwas schlechtes. Zonia am Allerwenigsten. Sie war meine Frau. Ich habe sie geliebt und liebe sie immernoch. Sie soll so glücklich sein wie nur möglich, ich wünsche ihr nichts als das Beste. Auch dem Burschen wünsche ich nichts als das Beste. Wenn sie ihn liebt und er sie glücklich macht, dann kann er so übel nicht sein."
Umbro schob die Kastanien hin-und her, sinnierte eine Weile vor sich hin. ,,Du musst mir nicht zustimmen, Katalia," sagte er schließlich, ,,doch ich würde niemanden raten sich jeh zu rächen. Jedes Übel was du einer anderen Person antust schadet auch deiner eigenen Seele. Man sollte so leben, dass man so wenig Leid wie möglich verursacht, das ist es was ich denke."
Katalia starrte auf ihre Hände die zitterten. Hatte sie das getan? So gelebt, dass sie so wenig Leid wie möglich verursachte? Die Antwort darauf war Nein. Nicht im Geringsten. Sie hatte von Leuten gestohlen die wenig mehr hatten als sie selber. Sie hatte sich wegen Kleinigkeiten mit Martinus gestritten. Hatte ihren eigenen Bruder fortgeschickt. Und sie hatte jemanden getötet, oder nicht?!
,,Katalia?" Fragte Umbro besorgt. ,,Ist alles in Ordnung, meine Liebe? Du siehst blass aus."
,,Ich-" flüsterte sie erstickt. Ihre Kehle schnürte sich zu. Sie dachte an Dimit. Sie dachte an das Kissen. ,,Umbro, Ich-"
Mit einem Mal war er bei ihr. Legte ihr die Hand auf die Schulter so wie sie es vorhin bei ihm getan hatte. ,,Was ist denn, mein Kind, was ist denn?"
Katalia wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Sie war völlig aufgewühlt und Umbros Freundlichkeit machte das alles nur noch schlimmer.
,,In der Nacht wo ich Zonia und Raschid gesehen habe, da..." sie schluchzte.
Umbro legte besorgt die Stirn in Falten. ,,Was war da? Beruhig dich, mir kannst du es sagen."
Katalia vergrub zitternd das Gesicht in den Händen. ,,Da hab ich was angestellt... Ich und Eiwie... wir hatten keine Wahl... wir- wir haben etwas wirklich Schlimmes getan."
Umbro legte ihr beide Hände auf die Schultern und sah sie eindringlich an. ,,Katalia. Bitte sag es mir. Was habt ihr getan?"
,,Ich- Wir..." sie blickte in sein gutmütiges braunes Gesicht und war auf einmal bereit ihm alles zu erzählen.
Dann wurde die Tür aufgestoßen.
Soldaten schwärmten in die Küche. So viele, Katalia schaffte es gar nicht sie zu zählen. Rüstungen klirrten, harte Stiefel trampelten über die Fliesen, Schwerter wurden gezogen. Eine tiefe Stimme schnarlte: ,,Bist du die Sklavin mit Namen Katalia?"
,,Das ist sie! Das ist sie!" Rief Dorissa die den Soldaten schwer atmend hinterher gelaufen war.
Der, der offenbar das Kommando hatte, nickte zwei der Männern zu. ,,Greift sie euch!"
Katalia öffnete den Mund aber kein Ton kam heraus als die Soldaten vortraten und sie grob unter den Armen packten.
,,Was geht hier vor sich?" Verlangte Umbro zu wissen. Seine Stimme klang wütender als Katalia sie jeh gehört hatte. ,,Lasst sie los, ihr tut ihr weh."
Er wollte auf sie zugehen.
,,Beiseite, Sklave!" Einer der Soldaten rammte dem Koch seine Faust in den Bauch. Umbro krümmte sich vor Schmerz.
Katalia wurde aus der Küche geschliffen. Sie sah die eigentlich so vertrauten Räume nur noch als bunte Schlieren. Ihr Herz wummerte zum zerbersten.
,,Was bei allen Göttern ist dieser Lär-?"
Auf einmal stand Eiwie auf dem Treppenabsatz. In ein blaues Gewand gekleidet, einen farblich passenden Seidenschal um den Hals drapiert. Sie brauchte einen Moment um das Bild zu begreifen was sich ihr bot.
,,He!" Rief sie. ,,Was zum- Lasst sie los! Das ist meine Sklavin! Lasst sie los!"
,,Nichts da, edle Dame!" Verkündete der Offizier trotzig. ,,Die Sklavin Katalia war es, die den Herrn Dimit ermordet hat. Wir haben einen Hinweis erhalten."
,,Wie bitte? Einen Hinweis? Was für einen Hinweis? Von wem?" Eiwie hatte noch nie so außer sich geklungen.
,,Das darf ich euch nicht sagen."
Der Offizier wandte sich ab und winkte den Soldaten die Katalia festhielten. ,,Hier entlang."
Die blütenweißen Flügeltüren wurden aufgeklappt. Grauer Nieselregen wartete draußen.
,,Oh Nein! Ihr werdet sie nicht mitnehmen!" Eiwie begann zu rennen. Ihre Beine flogen die Treppen herunter. Der Schal wehte hinter ihr her.
,,Katalia!"
,,Eiwie, Mädchen!" Rief Dorissa streng. ,,Geh wieder nach oben! Du darfst dich nicht aufregen-Das Kind! Denk an das Kind!"
Sie packte den Ellbogen ihrer Schwiegertochter und zog sie zurück zur Treppe. Eiwie sträubte und wehrte sich.
Die Soldaten setzten sich in Bewegung. Katalia wurde aus der Tür geschliffen, rein in den Regen.
Sie hörte noch wie Eiwie ihren Namen schrie. Dann fiel das Tor hinter ihr zu.
Katalia wurde in Handschellen gelegt und abgeführt.
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