Das verdammte Sterben (22)
Katalia war wie benommen weitergelaufen, mit zügigen Schritten und hängenden Schultern.
Es war ein bizarres Erlebnis Gassen entlang zu laufen die sie gut kannte, doch die sich im Augenblick so fremd anfühlten, als hätte sie sie noch nie gesehen.
Sie fühlte sich wie eine Marionette, fremdgesteuert und leer, ohne Gedanken, denn sie tat ihr Allerbestes um nicht zu denken. Alles was Katalia momentan beschäftigte war ihre Mutter und alle Gedanken die man dazu haben konnte waren finstere.
Noch bis vor einem Tag hatte sie sich nicht erlaubt an etwas anderes zu glauben als an Mutters schlussendliche Genesung. Wie hatte sie nur so naiv sein können? So blind? Hätte sie es nicht besser wissen müssen?
Katalia bemerkte, dass sie die frühere, unwissende Version von sich hasste. Inbrünstig. Doch noch mehr beneidete sie sie.
Damals hatte sie sich einfach einreden können, dass ihre Mutter leben würde wenn sie nur dies und jenes tat, Medizin besorgte und dergleichen. Jetzt war diese Illusion in tausend Scherben gesprungen, zerschmettert worden von den Steinen der Wirklichkeit.
Katalia dachte an die Tempel zurück, an ihr Gebet. Ob Götter zur Wirklichkeit gehörten?
Es tat gut einfach nur zu laufen. Ein Schritt nach dem anderen, die langen Beine ausstreckend. Doch schließlich kam was kommen musste und Katalia erreichte den Stadtteil in dem Nilias Familie lebte.
Er befand sich ganz am Rande der Stadt, über eine Stunde Fußweg von Katalias Zuhause entfernt.
In den mehr schlecht als recht gebauten Hütten lebten Bettler, Tagelöhner, Bergarbeiter und arme Händler auf engstem Raum zusammen.
Sie waren Zugezogene aus allen möglichen Ländern und Dörfern, die sich ein besseres Leben in der wohlhabenden Hauptstadt der Dunja erhofft hatten.
Die für die sich diese Hoffnungen erfüllt hatten, lebten nun nicht mehr hier. Niemand blieb aus freiem Willen in diesem Viertel.
Jetzt, gegen Mittag, war es relativ ruhig.
Die meisten Leute waren in der Stadt zum arbeiten oder betteln. Vereinzelte Kinder spielten vor den heruntergekommenen Behausungen, eine alte Frau wusch Wäsche in einem Bottich, Rauch und Essensgeruch stieg aus jenen Hütten auf in denen das Geld für eine Mahlzeit gereicht hatte.
Katalia wurde langsamer als sie auf Nilias Behausung zusteuerte, eine aus Holz und Blech gebastelte Hütte, die sich kaum von den benachbarten unterschied. Katalia wusste trotzdem, dass es die richtige war, denn sie hatte keine Haustür sondern nur einen blauen Vorhang.
Ein Tropfen Überraschung mischte sich in das dumpfe Gefühl der Trauer in Katalias Inneren, als sie sah wie der Vorhang beiseite geschoben wurde und eine dünne Gestalt im grünen Gewand heraustrat. Es war Martinus. An jeder Hand hielt er eine seiner kleinen Schwestern.
Warum war er nicht arbeiten?
Sie könnte ihn das fragen, aber im Endeffekt interessierte Katalia die Antwort nicht. Nichts interessierte sie mehr.
Er stand mit dem Rücken zu ihr und hatte seine beste Freundin noch nicht bemerkt. Mit schwerem Herzen trottete sie auf ihn zu.
Jetzt kam der unangenehme Part, sie musste ihm die Nachricht überbringen.
Sie stellte sich hinter ihn und berührte seine Schulter. ,,Martinus."
Die Stimme die aus ihrer Kehle kam klang kläglich und schwach wie bei einem getretenen Tier. Katalia erkannte sie nicht.
Am Liebsten würde sie einfach nicht reden müssen. Jedes Mal wenn sie den Mund öffnete war das Risiko zu hoch dass sie weinte.
Er fuhr herum.
,,Katze."
Seine Stimme war abwartend, seine Augen leicht verengt. Er wirkte beinahe alarmiert.
Martinus wusste nicht warum sie hier war und hatte allen Anschein nach ihren Streit noch nicht vergessen.
Ach stimmt ja! Der Streit. Katalia hätte fast gelacht bei dem Gedanken an diesen dummen Streit. Im Endeffekt hatte das blöde Geld ihr nicht mal was genützt!
,,Was machst du denn hier?" Fragte er.
Sie schwieg einen Augenblick zu lange und er schien zu bemerken, dass etwas passiert sein musste. Sein Blick wurde besorgt. Mit einer Kopfbewegung schickte er die kleinen Mädchen weg.
,,Los, ihr Zwei. Geht spielen!"
Martinus Schwestern ließen sich das nicht zweimal sagen und rannten von dannen.
Katalia holte tief Luft und ratterte den Satz hinunter den sie sich auf dem Weg zurecht gelegt hatte.
,,Die Frau Doktor war da, sie hat gesagt Mutter wird sterben und Mutter hat mich gebeten euch einzuladen, Morgen oder wann immer ihr Zeit habt, damit ihr ihr Lebewohl sagen könnt."
Sie sah ihn nicht an sondern starrte beharrlich auf den Sandboden.
Innerlich flehte sie mit jeder Faser ihres Körpers, dass Martinus sie nicht bitten würde den Satz zu wiederholen.
Sie musste ihn nicht ansehen, um den Schock in seiner Stimme zu hören.
,,Was? Das darf doch nicht wahr sein... Oh Himmel, Katalia! Es tut mir so Leid!"
,,Danke." Würgte sie hervor.
Kurz riss sie ihren Blick vom Boden, um ihn anzusehen. Martinus stand mit hängenden Schultern da, die Finger in seiner Lockenmähne verkrallt, und schien nicht zu wissen wie er sich verhalten sollte.
,,Natürlich kommen wir Morgen! Meine Mutter muss im Moment viel arbeiten, aber wir kommen gleich morgen früh! Etwa bei Sonnenaufgang. Versprochen!" Versicherte er ihr.
,,Gut."
Sie atmete aus. Das war's! Die Nachricht war überbracht. Sie konnte gehen.
,,Und meine Geschwister bringen wir auch mit, ja?" Er lächelte sie hilflos an. ,,Schließlich kennen sie Arina ja auch und mögen sie sehr gerne. Sie würden es sicherlich in ein paar Jahren wertschätzen, wenn sie die Gelegenheit hatten sich zumindest zu verabschieden."
Katalia zuckte mit den Schultern. Ihre Stimme klang erstickt. ,,Ist recht. Bringt sie mit."
Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen den Beiden. Es gab nichts mehr zu sagen.
Ihr Streit und all die sonstigen Themen über die sie sonst stundenlang plaudern konnten waren vergessen.
In gewisser Weise war Katalia froh, Martinus angetroffen zu haben und nicht Nilia.
Nilia hätte sicherlich die Hände vor den Mund geschlagen und angefangen zu weinen, schließlich war die Sterbende ihre beste Freundin, und Katalia hätte damit nicht umzugehen gewusst.
Sie konnte schon mit ihrer eigenen Trauer kaum umgehen und hätte keine Kraft gehabt irgendjemanden zu trösten. Gut, dass Martinus die Fassung behalten hatte. Er stand Arina ja auch weniger nahe.
,,Bis Morgen." Katalia nickte ihm zum Abschied zu und wandte sich zum gehen.
Er griff ihr Handgelenk. ,,Warte!"
Seine Stimme war ungelenk. ,,Möchtest du reinkommen und villeicht etwas trinken? Oder... reden?"
Sie starrte ihn an. Wie konnte er glauben, dass ihr nach Tee und Plaudereien zu Mute war, wenn ihre Mutter im sterben lag?!
Beinahe war sie erbost. ,,Nein danke. Ich werde nach Hause gehen."
Er zögerte. ,,Ich bin mir nicht sicher ob du jetzt alleine sein solltest."
Katalia riss sich los und rieb sich das Handgelenk. ,,Wir sehen uns morgen früh." Brummte sie.
Dann machte sie kehrt und lief zurück.
Mindestens den halben Weg lang weinte sie.
Erst, als die Tempel in Sichtweite kamen hörte sie auf. Ob ihr Gebet etwas ausgerichtet hatte? Sie wollte es so gerne glauben!
Sie stellte sich vor wie sie nach Hause käme und ihre Mutter dort vorfinden würde. Stehend und lächelnd und genesen. ,,Mir geht es viel besser, mein Kind. Ein Wunder ist geschehen!" würde sie sagen.
Dann würden Katalia und sie sich um den Hals fallen und vor Freude weinen. Katalia würde ihr von dem Tempel erzählen, vor dem sie gebetet hatte und am nächsten Tag würden sie zusammen dorthin zurückkehren, um dem Gott zu danken und ihm Opfer zu erbringen.
Dann würde alles gut werden.
Katalia stieß die Haustür auf, indem sie sich dagegen fallen ließ. Sie war körperlich und emotional erschöpft.
Ihr war es nur Recht, dass sie ihren Auftrag erledigt hatte und sich nun mit ihrer Mutter unter einer Decke verkriechen konnte. Sie wollte nichts mehr als dieser grausamen Wirklichkeit für eine Weile den Rücken zu zukehren.
Katalia trat ein und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
,,Mutter, Ich bin Zuhause." Rief sie mit hohler Stimme.
Keine Antwort. Villeicht schlief sie.
Der Steinboden war kühl unter Katalias nackten Füßen, als sie leise zu dem Nest aus Decken und Teppichresten am andern Ende des Raumes tappte.
,,Ich habe Martinus angetroffen. Er und Nilia kommen gleich Morgen früh."
So sehr sie sich auch um einen heiteren Ton bemühte, das Zittern in ihrer Stimme verriet sie.
Nilia und Martinus kamen nicht einfach so. Sie kamen um Abschied zu nehmen und dann?! Dann wäre es vorbei! Ihre Mutter würde Gift schlucken und sterben.
Es war noch hell draußen. Das Licht das durch die Ritzen der Bretter fiel war mehr als ausreichend um den Raum zu erleuchten.
Katalia sah die schlafende Gestalt ihrer Mutter an ihrer üblichen Stelle. Auf der Seite liegend, in der Fötus Position. Ihr blasses Gesicht sah verkrampft aus, die schwarzen Zöpfe hatten sich gelöst und bedeckten in einer zerzausten Masse ihren Rücken und Schultern.
,,Ferto bringen sie auch mit. Und Shanaya und Anjulie und wie sie alle heißen. Sie sollen dir alle auf Wiedersehen sagen."
Katalia bemühte sich um einen beiläufigen Ton.
,,Aber den Ehemann lässt Nilia Zuhause, denke ich. Soviel Verstand kann man ihr wohl zutrauen."
Stille. Mutter regte sich immer noch nicht.
Katalia betrachtete sie und bekam langsam eine Gänsehaut. Irgendetwas stimmte nicht. Warum lag Mutter so still?
Dann sah sie ihn.
Den kleinen, blauen Behälter, unweit von Mutters Händen.
Er war auf die Seite gerollt und offen. Der Deckel war nirgendwo zu sehen.
Er war leer.
Heyy! Frohe Ostern! (falls ihr feiert.)
Ich bin noch nicht so ganz zufrieden mit dem Kapitel, es kann also sein, dass ich morgen nochmal was änder.
Viele Grüße.
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