Das verdammte Leben (23)
Triggerwarnung: dieses Kapitel behandelt sehr tragische Themen wie Verlust, Selbstmord und Depressionen. Wenn du damit nicht gut umgehen kannst ist es keine Schande dieses Kapitel zu überspringen oder einfach von diesem Buch abzulassen und was anderes zu lesen.
Hab euch lieb. Viele Grüße.
...
Katalia wusste nicht wie viele Tage vergangen waren, seit sie nach Hause gekommen war, um ihre Mutter tot vorzufinden.
Die Sonne war unter gegangen, aufgegangen, wieder unter gegangen.
Katalia hatte keine Energie gehabt sich mit dem Zählen der Tage zu plagen.
Sie aß nicht und schlief kaum, deswegen war es nicht verwunderlich, dass ihr jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen war.
Sie wünschte sich, dass die Außenwelt einfach verschwinden würde. Oder villeicht auch nur, dass sie selbst verschwand. Das sie starb und jene mysteriöse Welt erreichte in der ihre Mutter bereits unwiderruflich verschollen war.
Doch das ging nicht so einfach. Mutter hatte selber dafür gesorgt. Der Behälter war ausgeleckt worden, das Gift war bis aufs letzte Stäubchen verschwunden. Fast so, als hätte es es nie gegeben.
Katalia meinte zu verstehen warum.
Ihre Mutter hatte Angst gehabt, dass Katalia ihre Worte in die Tat umsetzen und das Gift ebenfalls nehmen würde.
Sie hatte verhindern wollen, dass ihre Tochter ebenfalls starb. Deswegen hatte sie gewartet bis Katalia das Haus verlassen hatte um dann das Gift einzunehmen und sicherzustellen, dass nichts davon mehr übrig blieb.
Ob es eine spontane Entscheidung gewesen war oder sie es sorgfältig geplant hatte, Katalia würde es niemals wissen.
Und Nilia auch nicht.
Als sie und Martinus am nächsten Morgen wie verabredet vor der Tür gestanden hatten, die Kinderschar an den Händen, hatte Katalia auf dem Boden gelegen und ihre Mutter umklammert. Sie hatte das Gesicht in Mutters Schulter vergraben und das Klopfen ignoriert.
Als niemand öffnete hatte Martinus schließlich die Tür aufgestoßen. Wie eine Statue hatte er im Türrahmen gestanden und auf das Bild gestarrt was sich ihm bot.
Wenn Katalia die Augen schloss konnte sie immer noch Nilias hysterische Schreie und Schluchzer hören.
Sie hatte so stark geweint, dass sie sich an Martinus hatte festhalten müssen.
Mit bebender Brust war sie auf den Boden gesunken und hatte die Leiche ihrer besten Freundin umarmt.
,,Wann... und Wie... ist das passiert?" Hatte sie geschluchzt und Katalia mit hilflosem, verzerrtem Gesicht angesehen.
,,Ich dachte sie wollte mich noch einmal sehen- Ich dachte wir würden uns noch..."
Katalia hatte sich abgewendet und sich aus tiefstem Herzen gewünscht Nilia würde gehen und sie mit ihrer Trauer alleine lassen.
Schließlich waren sie auch gegangen. Um kurz darauf ohne die Kinder wiederzukommen und die Leiche mitzunehmen.
Katalia hatte angefangen zu protestieren und zu kämpfen, als Martinus und Nilia Anstalten machen ihre Mutter weg zu tragen.
,,Hier kann sie nicht bleiben, Katze." Hatte Martinus ihr klar gemacht und sie mit leeren dunklen Augen angesehen. ,,Sie muss beerdigt werden. Wir kümmern uns drum, keine Sorge. Ruh du dich ruhig aus."
Schließlich hatte sie von ihrer Mutter abgelassen und Martinus und Nilia gewähren lassen.
Das Versprechen hatten er und seine Mutter gehalten.
Sie hatten die Leiche verbrannt und die Asche begraben, wie es der Brauch war. Für das Feuerholz und den Platz auf einem Friedhof war Nilia aufgekommen.
Natürlich hatte das Geld für einen Grabstein nicht gereicht und das störte Katalia.
Ihre Mutter hätte den schönsten Grabstein der Welt verdient und ein Denkmal an jedem Brunnen der Stadt.
Katalia hatte an keiner der Zeremonien Teil genommen, ganz egal wie sehr Martinus versucht hatte sie zu überreden.
,,Du wirst es bereuen, wenn du nicht zur Beerdigung kommst, Katze." Hatte er gesagt. ,,Du musst Abschied nehmen."
Katalia hatte sich stumm die Decke über den Kopf gezogen.
Schließlich hatte Martinus geseufzt und war wieder gegangen.
Er war seitdem noch zweimal vorbeigekommen. Hatte ihr Essen vorbeigebracht und versucht mit ihr zu reden. Zwecklos. Sie antwortete nicht.
Er hatte ihr das Kleid ihrer Mutter vorbeigebracht in dem sie gestorben war. Sorgfältig am Brunnen gewaschen und in der Sonne getrocknet. So das es nur noch nach Wasser und Seife roch und jede Spur ihrer Mutter herausgespült worden war.
Katalia hatte den leeren Giftbehälter nach ihm geworfen und ihm gesagt er solle verschwinden. Sie wolle allein sein. Er hatte sich geduckt und der Behälter war an der Steinwand zerschellt.
Nachdem Martinus gegangen war hatte Katalia sich auf die zerstreuten Teile gestürzt und so lange mit einem Stein auf sie eingehoben bis sie kaum mehr als Spähne waren. Dann hatte sie den Stein von sich geschleudert und geweint.
Sowieso hatte sie die meiste Zeit auf dem Boden gelegen und geweint. In den Decken ihrer Mutter eingewickelt die noch nach ihr rochen.
Sie hatte immerzu geweint und nichts getrunken, nach einigen Stunden hatte sie sich gefühlt wie ein getrockneter Fisch.
Wie lange dauerte es bis ein Mensch verdurstete? Katalia war fest entschlossen kein Wasser anzurühren bis sie es wusste.
Sie war überzeugt gewesen schon kurz vor dem Verdursten zu stehen, kurz vor der Erlösung, doch schließlich hatte sie nachgegeben. War auf Händen und Knien zu dem Wasserkrug am anderen Ende des Raumes gekrabbelt und hatte ihn bis auf den letzten Tropfen leergetrunken.
Sie schämte sich. Nicht einmal verdursten konnte sie.
Nun gut, es blieb immer noch der Hungertod und den zu erreichen sollte nicht allzu schwer sein.
Katalia wusste das sie abgenommen hatte. Ihre Haut spannte sich loser über ihre Knochen und ihre Rippen taten weh wenn sie auf dem harten Steinboden lag.
Sie fühlte sich wie aus Glas gebaut, leer und zerbrechlich.
Doch selbst der Schwindel, die Kopfschmerzen und der saure Geschmack in ihrer Kehle konnten sie nicht dazu bewegen zu essen. Alleine bei dem Gedanken an Essen wurde ihr übel.
Katalia stöhnte als sie hörte wie die Tür aufging. Ein Sonnenstrahl fiel auf den Fußboden und ließ eine dünne Staubschicht sichtbar werden.
Was machte er schon wieder hier? Er sollte gehen!
,,Hallo, Katze."
Martinus kam in den Raum marschiert und Katalia bemerkte sofort, dass er seine Strategie geändert hatte.
Statt dem hilflosen besten Freund der mitleidig neben ihr gesessen hatte, sah sie nun einen unnachgiebigen Feldmarschall, der nicht aufhören würde bis sein Ziel erreicht war. Alles an ihm strahlte Entschlossenheit aus.
Falls er immer noch nicht wusste wie er mit ihr umgehen sollte so versteckte er es jetzt auf jeden Fall besser.
,,Geh weg, Martinus." Maulte sie und zog sich die Decke über den Kopf.
Sie wollte alleine sein. Alleine mit der Stille und der Dunkelheit und den finsteren Gedanken in ihrem Kopf.
,,Nein."
Er stemmte die Hände in die Hüften und baute sich vor ihr auf.
,,Es ist jetzt sechs Tage her. Ich habe dich sechs Tage lang in Ruhe gelassen. Du hast sechs Tage lang hier gelegen und getrauert und gehungert. Es bricht mir mein verdammtes Herz zu sehen wie du dich vernachlässigst! Heute werde ich nicht gehen bevor du zumindestens aufgestanden bist, etwas gegessen hast und mit mir nach draußen gegangen bist!"
Katalia biss die Zähne zusammen. Das würde nicht passieren!
,,Geh einfach, Martinus!"
,,Nein." Er rührte sich nicht von der Stelle.
,,Doch." Ihre Stimme brach. ,,Geh zurück zu deiner Familie, deiner Mutter, und sei froh dass du noch eine hast!"
Sie rollte sich auf die andere Seite damit er die Tränen in ihren Augen nicht sah.
Katalia hörte selber wie verbittert sie klang.
Es war nicht so als hätte Martinus es einfach. Katalia wusste das. Sie wusste es vermutlich besser als irgendwer sonst, schließlich kannte sie Martinus schon seit ihrer Geburt.
Aber alles woran sie momentan denken konnte war, dass seine Mutter lebte und ihre nicht. Und obwohl sie Nilia niemals den Tod wünschen würde kam es ihr auch nicht gerecht vor, dass sie leben durfte.
,,Es ist schön draußen, die Sonne scheint. Wir könnten auf den Marktplatz gehen." Fügte Martinus hinzu, ohne ihre Antwort zu beachten.
Katalia knurrte. Die Sonne sollte nicht scheinen, der Markt sollte nicht stattfinden! Warum ging die Welt so weiter wie bisher, wenn doch alles anders war?
,,Ach, Katalia. Katze..." Martinus Stimme wurde traurig. Er setzte sich neben sie. ,,Deine Mutter hätte das nicht gewollt. Es ist nicht deine Schuld... Sie hat dich geliebt, das weißt du doch... Sie muss gedacht haben, dass es so am Besten sei."
Katalia schluckte ihr Schluchzen herunter. Ihre Kehle tat weh.
Es stimmte, ihre Mutter hatte sie geliebt. Und ja, sie hatte getan was sie für das Beste hielt. Aber Katalia würde es ihr trotzdem niemals verzeihen können.
,,Sie hat sich nicht einmal verabschiedet..." wisperte sie leise.
Die Tränen rollten ihr aus den Augen und schmeckten salzig auf ihrer Zunge.
Martinus seufzte und nahm sie in den Arm. ,,Ich weiß, Katze. Ich weiß."
Eine Weile lang war er still und kraulte ihr den Rücken. Schließlich flüsterte er. ,,Aber du wirst einen Weg finden müssen damit umzugehen. Du musst weitermachen, Katze."
Sofort wurde Katalia wieder wütend.
,,Ich möchte nicht mehr weitermachen! Verstehst du nicht, Martinus?! Ich habe mein ganzes Leben lang weitergemacht. Nachdem mein Bruder gegangen ist, nachdem mein Vater gestorben ist, immerzu bin ich aufgestanden und habe weitergemacht! Wie viel öfter soll ich das noch? Wann kann ich endlich aufhören weiterzumachen und stattdessen..." Sie suchte nach Worten, ,,Wann kann ich stattdessen endlich... leben?"
,,Ich weiß es nicht, Katze. Das kann ich dir nicht sagen."
Martinus machte eine Pause.
,,Doch um das herauszufinden müsstest du weitermachen."
Dann grinste er und eine Spur von ihrem alten besten Freund stahl sich in seine Stimme.
,,Und ich schlage vor damit fängst du am Besten an indem du zum Brunnen gehst und dich wäschst. Du stinkst!"
Verärgert rappelte sie sich auf und stieß seinen Arm von sich.
,,Tu ich gar nicht!"
Dabei hatte er vermutlich Recht. Sie hatte sich seit Tagen nicht gewaschen und es war heiß geworden die letzten Tage. Der Sommer war jetzt eindeutig hier. Katalia musste stinken wie eine ganze Ziegenschar.
Der Raum wankte und drehte sich. Wie immer in den letzten Tagen wenn sie sich zu ruckartig bewegte. Katalia schloss die Augen und wartete bis die Übelkeit etwas nachließ.
,,Da fällt mir ein: Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht." Lockte Martinus.
Katalia lief das Wasser im Mund zusammmen. Sie schluckte es herunter und schluckte damit auch ihren Stolz.
,,Was denn?"
Er grinste nur und reichte ihr eine in Papier gewickelte Rolle die köstlich duftete.
Ehe Katalia sich beherrschen konnte hatte sie schon das Papier abgerissen und biss hinein.
Das Fladenbrot mit gegrilltem Fleisch und Gemüse schmeckte so himmlisch, dass sie einen Moment lang alles andere darüber vergaß.
Vielleicht sollte sie ihren Plan mit dem sich-zu-Tode-hungern doch aufgeben.
Kauend sah sie zaghaft zu Martinus auf.
Er war da. Er war ihr nicht egal. Er wäre traurig wenn sie sterben würde.
Villeicht sollte sie dem Leben doch noch eine letzte Chance geben. Martinus zuliebe.
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