Das Bild (37)

Sie liefen so leise wie möglich zum Fenster. Eiwie besah sich ihr Werk. Der Ast war mit genug Kraft geworfen worden, um ein anständiges Loch in das Fenster zu reißen, aber groß genug für einen Menschen war es noch nicht. Katalia und Eiwie knieten sich auf den Boden und brachen nach und nach noch mehr Stücke von dem Glas ab, die Hände mit dem Stoff ihrer Umhänge umwickelt.

,,So." Hauchte Eiwie leise. ,,Schau ob du hier durchpasst."

Katalia kroch zögernd näher, die scharfen Kanten um das Loch herum und die vielen Scherben begutachtend. Sie wollte da nicht durchkriechen, wusste aber das sie musste.

Sie wickelte sich fest in ihren Umhang, ließ nur die Augen frei, dann duckte sie sich durch die unförmige Öffnung im Glas. Eine scharfe Kante strich ihr Rückgrat entlang und sorgte für einen Riss in ihrem Umhang. Katalia sprang so geräuschlos wie möglich auf den Boden und landete in der Hocke, in einem See aus Scherben. Vorsichtig aufstehend schüttelte sie sich die Glassplitter aus den Falten ihrer Kleidung.

,,Vorsicht, ich komme." Eiwie kroch hinter ihr durch das Fenster, ebenfalls in ihren Umhang gewickelt. Katalia überprüfte besorgt ob auch kein Stoffetzen am Glas hängengeblieben war, der sie beide verraten könnte, dann sah sie Eiwie ratlos an.

,,Wohin jetzt?"

Eiwie lief voraus. ,,Zu Lelas Schlafzimmer. Ich wette, dort ist es, wo sie dieses Bild aufbewahrt. Verborgen zwischen ein paar Kleidern villeicht. Oder in irgendeiner Truhe."

Katalia tastete sich hinterher. Obwohl sie schon öfter zu Gast in Lelas Haus gewesen waren, war sie völlig orientierungslos. Es war stockduster. Alle Lichter im Haus waren schon lange gelöscht worden.

,,Psst Eiwie!"

,,Hmm?"

,,Meinst du nicht wir sollten die Kerze anfachen, die wir mitgebracht haben? Ich sehe überhaupt nichts. So finden wir Lelas Schlafzimmer nie!"

Ein Seufzen ertönte. Eiwie überlegte. ,,Du hast Recht." Gab sie schließlich zu.

Katalia hörte ein leises Ratschen, dann erhellte eine Kerzenflamme den Raum. Es schien der Salon zu sein, Katalia erkannte ihn wieder. Elegante Sofas und gepolsterte Liegen, Ölgemälde an der Wand.

,,Weißt du wo wir hinmüssen?"

Eiwie zuckte mit den Schultern. ,,Ich vermute die Treppe hoch, folge mir einfach."

Sie schirmte das Licht der Kerze mit einer Hand ab und lief voraus. Katalia folgte ihr.

Sie liefen durch verschiedene Räume und durchsuchten flüchtig alle Truhen und Schränke an denen sie vorbeikamen. Das Bild fanden sie nicht. Katalia vermutete, dass Eiwie Recht hatte mit dem Schlafzimmer. Dort könnte Lela es am Besten hüten und keiner der Sklaven würde beim putzen drüber stolpern. Es gefiel ihr überhaupt nicht, praktisch in die Höhle der schlafenden Löwin zu müssen. Was um alles in der Welt würden sie tuen wenn Lela aufwachte? Alleine schon bei der Vorstellung stellten sich Katalias Nackenhaare auf.

Sie lenkte sich ab, indem sie das Silberbesteck in dem Schrank vor ihr betrachtete. Ihre Finger juckten. Vor ein paar Jahren hätte ihr so etwas ein hübsches Sümmchen beim Rattenmann einbringen können.

Eiwie warf ihr einen beinahe entschuldigenden Blick zu. ,,Es hilft nichts, Katalia. Wir müssen hoch."

Katalia nickte ergeben. Sie erklommen eine breite Wendeltreppe. Im oberen oberen Stockwerk fanden sich nur zwei Türen. Eiwie drückte die linke auf und leuchtete mit der Kerze grade so weit hinein, dass sie erkennen konnten, dass es sich um ein Badezimmer handelte.

Eiwie nickte zu der anderen Tür. ,,Diese hier ist es also."

,,Teilen Lela und ihr Mann sich die Gemächer?" Katalia wagte kaum zu atmen. Der Gedanke, dass hinter dieser Tür, nur wenige Schritte entfernt, Lela und Dimit lagen und schliefen, war furchterregend.

,,Ja." Murmelte Eiwie knapp und legte ihre schlanke Hand auf die Klinke. ,,Villeicht ist es besser, wenn wir die Kerze löschen."

,,Aber dann sehen wir nichts."

,,Stimmt. Nun, solange wir das Bild vorher finden muss es uns nicht kümmern, wenn sie aufwacht. Denn sobald ich es habe wird es zur Asche das verspreche ich dir!" In einem Anflug von Entschlossenheit drückte Eiwie die Klinke herunter.

Wie nicht anders erwartet war der Raum großzügig. Die Einrichtung erinnerte an die des Salons in der unteren Etage, fiel aber ein wenig schlichter aus.

Das Bett befand sich etwa zehn Meter von der Tür entfernt. Im schwachen Licht der Kerze waren die unförmigen Gestalten unter der Decke kaum auszumachen. Leises schnarchen erfüllte den Raum. Ein wenig beruhigt wendete Katalia sich der Suche nach dem Bild zu. Während Eiwie jede Truhe und jeden Schrank öffnete und hineinspähte, hob Katalia den Teppich an und lugte unter das Bett.

,,Hast du es gefunden?" Eiwies Flüstern war kaum mehr als ein Lufthauch.

Katalia schüttelte den Kopf.

,,Hier ist es auch nicht." Wisperte Eiwie verzweifelt und schloss die Türen des Kleiderschranks. Er war noch größer und ebenso gut bestückt wie ihrer. ,,Wo kann es bloß sein? Es muss doch irgendwo sein!"

,,Psst!" Wies Katalia sie an. Besorgt lauschten sie, doch Dimits Schnarchen und Lelas ruhige Atemzüge blieben unverändert. Plötzlich stutzte Katalia. ,,Gib mir mal die Kerze."

Sie hatte etwas entdeckt.

Mit klopfendem Herzen beugte sie sich vor, immerzu auf die Atemzüge der Schlafenden lauschend. Eiwie kam heran und reichte ihr die Kerze.

,,Was-"

Katalia deutete stumm auf das kleine Stück Pergament, welches unter Lelas Kissen hervorragte. Die gelbliche Farbe bot einen deutlicher Kontrast zu den blauen Bettbezügen.

Eiwies Augen wurden groß. ,,Oh."

Katalia atmete tief durch und streckte die Hand aus. Das Kerzenlicht warf einen flackernden Schein auf Lelas offenes braunes Haar. Katalia schob ein paar Strähnen vorsichtig beiseite. Mit Daumen und Zeigefinger bekam sie das Pergament zu fassen. Sie zog. Es rührte sich nicht.

,,Zieh stärker!" Wies Eiwie sie an.

Katalia tat wie ihr geheißen und riss den schmalen sichtbaren Streifen ab. Verzweifelt sah sie zu Eiwie. Es half alles nichts. Wenn sie das Pergament wollten, dann mussten sie Lelas Kopf von dem Kissen kriegen.

Vorsichtig griff Katalia unter Lelas Nacken. Im Schlaf sah sie anders aus, hilfloser, wie ein Kind. Das Bett schien zu groß für sie. Plötzlich unruhig geworden murmelte Lela etwas im Schlaf und Katalia hielt den Atem an bis sie wieder still war.

Eiwie ging in die Hocke und positionierte sich auf Augenhöhe des Kissens. Bereit nach dem Pergament zu greifen, sobald das Gewicht von Lelas Kopf darauf verringert worden war.

Eins, zwei, drei, zählte Katalia stumm. Auf drei hob sie Lelas Hinterkopf so sanft wie möglich an.

Rückblickend hätte es sie kaum verwundern sollen, dass Lela in diesem Moment die Augen öffnete. Welcher Mensch schlief bei so etwas schon einfach weiter?

,,Dimit, He! Was...?"

Lelas Gesicht durchlief innerhalb von Sekunden die Ausdrücke von Verwirrung, Panik und Wut. Erstaunlich schnell hatte sie sich aufgesetzt und Katalia die Kerze aus der Hand genommen.

,,Du bist doch Eiwies Sklavin!" Rief sie, Katalia ins Gesicht leuchtend. ,,Sag schon, was machst du in meinem Schlafzimmer? Hat Eiwie dich damit beauftragt? Ohh..." schlagartig verstand sie. ,,Du bist gekommen um diese Malerei zu stehlen, die sie zeigt, nicht wahr?"

Katalia antwortete nicht. Sie blickte hilflos zur Seite, dahin wo Eiwie bis vor wenigen Sekunden noch gehockt hatte, doch diese hatte sich geistesgegenwärtig unter das Bett rollen können.

Lela griff nach der Laterne auf ihrem Nachtisch und endzündete sie mithilfe der Kerze. Sie tat es ohne Katalia aus den Augen zu lassen.

,,Das ist es doch, nicht wahr?! Nun, du kannst deiner Herrin sagen, dass..."

Sie hielt inne. Lächelte auf einmal. ,,Nein. Eigentlich kannst du, wenn du schon einmal hier bist, gleich den Auftrag ausführen, den ich deiner Herrin aufgetragen habe." Ihre Stimme verwandelte sich in ein Zischen. ,,Du weißt doch sicher welcher das ist..."

Katalia schluckte. Was nun? Sie könnte sicherlich versuchen Lela im Kampf zu überwältigen, doch was würde dann passieren? Was wenn Dimit aufwachte? Was wenn Lela nach den Wachen rief?

Verflucht nochmal ich sitz in der Falle!

Sie räusperte sich. Ihre Stimme war rau. ,,Was wenn er aufwacht?"

Katalia versuchte gar nicht erst sich dumm zu stellen. Sie wusste worum es ging.

,,Dimit?" Lela warf einen unbeteiligten Blick auf den schlafenden Mann neben ihr. ,,Der wird nicht aufwachen, sei unbesorgt. Ich lasse ihm Schlafmittel in sein Essen mischen."

Katalia zog die Luft ein. Lela war so, so viel mehr, als das verwöhnte, missgelaunte Kind als das sie sie einst abgestempelt hatte. Sollte Katalia es wie durch ein Wunder heil hieraus schaffen, dann war das eine exzellente Lektion für die Zukunft.

,,Schlafmittel? Warum?"

Lela senkte den Blick. ,,Damit er mich abends... in Ruhe lässt."

Mitleid machte sich in Katalia breit. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie Lela nicht einfach den Gefallen tuen sollte. Wie hart konnte es schon sein ihren widerwärtigen Ehemann aus dem Weg zu räumen? Sie spürte wie das Messer, das sie überall mit hin nahm, sich unter dem Stoff gegen ihre Haut drückte. Wie würde es wohl sein es einem Menschen in die Brust zu stoßen?

Ohne weiter darüber nachzudenken holte sie es heraus.

Lelas Augen leuchteten auf.

,,Ich werde dir erklären was heute Nacht passieren wird." Sagte Lela eindringlich. ,,Du bist hier unbefugt eingedrungen und hast vorgehabt mich zu bestehlen. Dir ist klar, dass ich dich dafür gefangen nehmen lassen könnte? Doch ich weiß, dass deine Herrin dahinter steckt und habe nicht vor dich für ihre Entscheidungen zu bestrafen. Wenn du tust was ich dir sage wird dir nichts geschehen. Also, wenn ich diese Glocke läute wird meine Leibssklavin heraneilen und du wirst du dich hinter diesem Schrank dort verstecken. Ich werde ein wenig mit ihr reden, sagen dass ich hungrig bin und sie bitten mir eine Mahlzeit zu kochen. Anschließend werde ich ihr hinunter in die Küche folgen. In dieser Zeit erwarte ich, dass du es schaffst Dimit zu töten und dich wieder hinauszuschleichen. Sobald ich mit meiner Sklavin zurückkomme, werde ich die Leiche meines Mannes sehen und ein Riesentheater veranstalten. Der Fakt, dass er getötet worden ist, während ich nicht im selben Raum war, sollte ausreichen, um meine Unschuld zu beweisen, sollte der Fall vor Gericht kommen."

Lela streckte sich. ,,Im Gegenzug dafür werde ich Eiwies Bildchen verbrennen und ihr die Asche morgen früh in einem versiegelten Umschlag zukommen lassen. Ich schwöre außerdem, niemals ein Wort über die dreckigen Geheimnisse deiner Herrin zu verlieren. Von mir aus soll sie weiterhin unseren Familienstammbaum besudeln."

Lela griff unter ihr Kissen, holte das zusammengefaltete Pergament hervor und schob es unter ihr Nachthemd. Bevor Katalia auch nur blinzeln konnte hatte sie schon die Glocke geläutet.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top