Auf Höhe der Wolken (30)

Zu den Freiheiten die Eiwie Katalia eingeräumt hatte, von denen eine wirkliche Sklavin nur träumen könnte, gehörte unter anderem die Erlaubnis Martinus treffen gehen zu dürfen, solange es heimlich und nicht während des Tages geschah.

Da Martinus viel auf dem Eselhof zu tun hatte geschahen diese Treffen nur selten, doch wenn sie geschahen so hatten sich die beiden Freunde um so mehr zu erzählen.

,,Du wirst mir nicht glauben was gestern passiert ist als Eiwie und ich auf dem Markt waren."
Katalia saß neben ihrem Freund auf dem flachen Dach eines Ladens und ließ die bloßen Füße über die Kante baumeln. Es war ein kühler, nebeliger Herbstmorgen. Die Sonne ging grade erst auf und es herrschte ein blassgraues Licht. In wenigen Stunden würde Eiwie erwachen und Katalia müsste zurück im Haus sein, doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken.

,,Erzähl!" Forderte Martinus sie auf. Er saß im Schneidersitz an der Dachkante und hielt ein Auge auf die zwei Esel gerichtet, die er unten angebunden hatte, um sie heute in der Stadt zu verkaufen. Beide dösten mit gesenkten Köpfen und vorgeschobenen Unterlippen vor sich hin.

Katalia lächelte. ,,Nun, nach diesem furchtbar missglücktem Teebesuch bei Lela gestern wollte Eiwie in die Stadt fahren, um ihre gute Laune wieder zu erkaufen. Wir kommen beim Markt an und sie befielt der Sänfte zu halten, dann streift sie beinah all ihren Schmuck ab und lässt ihn in der Sänfte, damit er nicht gestohlen wird, erklärt sie mir. "Soll ich dann hierbleiben und ihn bewachen?" frage ich. Sie sieht mich an, legt ihre Armreifen auf dem gepolsterten Sessel ab und wiederholt: "Ich lasse ihn hier damit er nicht gestohlen wird." Dann befiehlt sie mir mitzukommen."

Martinus prustete schnaubend los. ,,Unglaublich. Als wäre nicht sie die Verbrecherin von euch Beiden!"

Er war der Einzige dem Katalia die Wahrheit über Eiwie anvertraut hatte und sie wusste wie sehr es ihn manchmal störte, dass seine beste Freundin sich nicht nur als Sklavin ausgeben, sondern auch noch einer ehemaligen Kurtisane dienen musste. "Ich verstehe nicht wieso du dir das gefallen lässt." Pflegte er oft zu sagen "Die Katalia die ich kenne hätte längst den Palast niedergebrannt und dieser Eiwie im Schlaf das Haar abgeschnitten, weil sie es gewagt hat dich erpressen zu wollen. Sieh mal einer an, ich glaube fast mein Kätzchen ist zahm geworden." Trotzdem beschwerte Martinus sich nicht darüber, dass sie jetzt in der Lage war ihm Geld für seine Geschwister zu leihen.

,,Als würde ich Eiwies Schmuck stehlen wollen! Dann wüsste doch jeder sofort, dass ich es war. Sie muss mich für dumm halten!" Katalia verdrehte die Augen. Sie erkannte ihre Stimme nicht wieder. Sie war zu laut, zu gutgelaunt, zu ausgelassen um die ihre zu sein.

Sie fuhr mit der Erzählung fort.
,,Nun jedenfalls folge ich ihr aus der Sänfte und Eiwie beginnt sich die Waren auf dem Markt anzusehen und ohne Scheu zu kaufen. Puder, Parfüme, Goldohrringe, Seidenstoffe... alles was teuer ist und wovon sie bereits zu viel besitzt. Wie wir so über den Marktplatz schlendern ziehen wir, besser gesagt Eiwie, zieht viele Blicke auf sich, schön und teuer gekleidet wie sie nun einmal ist."

,,Du bist auch schön und teuer gekleidet." Warf Martinus ein. ,,Jedenfalls teuer gekleidet im Vergleich zu vorher."

Katalia senkte den Kopf um das Erröten ihrer Wangen zu verbergen. Sie freute sich.

,,Jedenfalls kommt uns dann ein Mann entgegen. Schon weit über sechzig Jahre alt, in Lumpen gekleidet, statt zu laufen humpelte er, ein armseliges Geschöpf, doch trotzdem hat er breit gelächelt. "Edle Dame, ihr müsst von den Kamli-Inseln sein, das erkenne ich sofort." sagte er freundlich zu Eiwie. Jedermann konnte an seinem Akzent feststellen, dass er nicht aus Dun war. Es muss der Kamli Dialekt sein, in dem er geredet hat, denn ich hätte ihn beinahe nicht verstanden. Nun sehe ich wie Eiwie nervös wird, denn es ist wahr, dass ihre Mutter eine Kamlifrau war, doch niemand dürfte das jeh erfahren, die Kamli sind schließlich ein Sklavenvolk."

,,Jaja das weiß ich wohl." Meinte Martinus ungeduldig. ,,Wie ging es dann also weiter?"

,,"Ihr müsst euch irren, mein Herr." Sagt Eiwie und lächelt süßlich. "Ich bin aus Dun. Es rinnt kein einziger Tropfen Kamli Blut in meinen Adern." "Unsinn!" Ruft der alte Mann und lacht, dass man all seine Zahnlücken sieht. "Die Form eurer Augen, die Art wie ihr geht und den Kopf trägt... Ich erkenne eine Landsfrau wenn ich sie sehe! Die Mädchen unseres Landes sind so schön, dass man vor Freude erzittern mag, wenn man eine von ihnen in der Fremde antrifft. Bitte, sagt mir doch, aus welcher Familie stammt ihr?" Zwei der Sänftenträger sind mit uns gekommen, um Eiwie als Leibwächter zu dienen und ich sehe wie diese Beiden alamierte Blicke austauschen als der Mann immer näher rückt. "Wie gesagt" wiederholt Eiwie, in einem Versuch würdevoll zu bleiben, "Ich bin eine Dunja. Was ist es, dass ihr von mir wollt? Wenn es Almosen sind, dann wird meine Sklavin euch ein paar Münzen geben, doch dann bitte ich euch mich allein zu lassen."
"Wie könnte ich die erste Landsfrau die ich nach Jahren sehe um Almosen bitten!" Regt der Kamli Mann sich auf. "Nein Nein edle Dame, alles wonach ich mich sehne ist die Heimat. Doch was soll ein alter Mann machen, wenn sein Leben in den Händen eines anderen liegt?! Ich kam an diesen Ort als Sklave und verlassen werd ich ihn wohl erst als Geist." "Was wollt ihr von mir?" Fragt Eiwie ihn, langsam die Fassung verlierend. Der Mann lehnt sich vor und ergreift ihre Hand. Sie zuckt zurück und der eine Sänftenträger zieht sein Schwert. Der alte Kamli Mann weicht wieder zurück und hebt die Hände über den Kopf. "Verzeiht meine Ungestümheit. Edle Dame, meine Absichten sind so rein wie mein Herz unter diesen Lumpen. Alles worum ich euch bitten möchte ist einen kleinen Teil eurer Zeit, um mit mir über die Heimat zu reden. Ich weiß nicht wie es unseren schönen Inseln in den letzten Jahren ergangen ist. Ich habe keinerlei Neuigkeiten. Ich kenne Niemanden der in meinem Akzent spricht oder uns als mehr ansieht als ein versklavtes Volk von Perlenfischern. Ihr dagegen, schöne Dame, seid edel gegleidet und reichlich geschmückt. Es erfüllt mich mit Hoffnung eine Kamli Frau zu sehen die den Wohlstand genießt den sie verdient. Ihr müsst mir von euch erzählen! Was ist euer Name?"

Katalia machte eine Pause um Atem zu schöpfen. Am Horizont erhob sich die Sonne als eine gelb-orangene Kugel die den Nebel vertrieb. Es war ein schöner Anblick, hieß aber auch, dass sie sich bald auf den Weg machen musste.

,,Was hat Eiwie also schlussendlich gemacht?" Fragte Martinus und streckte die Beine aus.

Katalia zuckte mit den Schultern. ,,Ihr blieb nichts anderes übrig als den Mann abzuweisen. Danach haben wir kehrt gemacht und sind zurück zu der Sänfte gegangen. Auf dem Heimweg hat Eiwie geweint. Sie befindet sich in großer Sorge, dass jemand anderes ihr die Herkunft ihrer Mutter anmerken kann, wenn es dem Mann auf dem Marktplatz so leicht aufgefallen ist. Sie hat mir eingeschärft sicherzustellen das keine Kamli Sklaven jemals das Haus betreten."

,,Sie verrät ihre Heimat für Wohlstand?"

,,Würdest du nicht dasselbe tun?"

Martinus schüttelte den Kopf. ,,Nein."

Katalia überlegte. Sie hätte gestern genauso wie Eiwie gehandelt. Ohne zu zögern. Oder hätte sie das? Sie liebte Dun.

,,Gibt es ansonsten noch Neuigkeiten?" Fragte sie ihren besten Freund nachdem eine Weile lang Schweigen geherrscht hatte.

Martinus wandte den Blick ab und begann einen Mückenstich an seinem Knöchel zu kratzen. ,,Elinda heiratet."

Katalia hatte das Gefühl er hatte das schon die ganze Zeit lang loswerden wollen, aber nicht recht die Worte dafür gefunden.

Elinda und Martinus waren drei Monate lang ein Herz und eine Seele gewesen - bis sie einen Burschen gefunden hatte der ihr noch besser gefiel. Jetzt waren die Beiden offenbar verlobt.

,,Tut mir Leid, Martinus."

Er nickte und zwang sich ein kleines Lächeln auf die Lippen. ,,Ansonsten gibt es eigentlich nichts neues. Du solltest dich bald auf den Weg machen, die Sonne ist jetzt aufgegangen."

,,Stimmt." Murmelte Katalia und rappelte sich auf, um vom Dach zu klettern. ,,Auf Wiedersehen. Viel Glück beim verkaufen!"

Erst auf dem Rückweg fiel ihr ein, dass sie Martinus gar nicht von dem merkwürdigen Gespräch in der Sänfte erzählt hatte.

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