Ärztlicher Besuch (18)

Auf dem Heimweg war Katalia so in Gedanken versunken, dass sie im Vorbeigehen zahlreiche Betrunkene anrempelte.

Die Gassen waren voll von ihnen.

Männer in kleinen oder großen Gruppen, die die Prostituierten am Wegesrand interessiert musterten. Junge Paare die sich auf offener Straße befummelten. Vereinzelte ältere Männer die in Schlangenlinien von Gasthof zu Gasthof torkelten. Gruppen von Jugendlichen, kaum älter als Katalia, die sich schwankend aneinander klammerten. Gruppen von Freundinnen die viel zu laut lachten.

An den Straßenrändern hatten Essensverkäufer ihre Stände aufgestellt, sich nächtlichen Profit erhoffend. Bei Betrunkenen saß der Geldbeutel bekanntlich lose. Sie priesen lautstark ihre Waren an, ihre Rufe mischten sich mit denen der Prostituierten und dem Stimmgewirr der Vergnügungssuchenden.

Es roch nach Rauch, gegrilltem Fleisch und Alkohol. Die Sterne am Himmel blinkten hell, doch konnten gegen die unzähligen beleuchteten Fenster und die Fackeln an den Hauswändern schier nicht ankommen.

In diesem Teil der Stadt war die Nacht der Tag.

Genervt wich Katalia einem Weinverkäufer aus, der ihr irgendeinen Krug aufdrängen wollte und beschleunigte ihre Schritte.

Sie hatte sich eigentlich erhofft, dass der abendliche Ausflug ihre Neugierde befriedigen würde, doch stattdessen stellten sich ihr jetzt mehr Fragen als vorher.

Das hatte sie Ilmi zu verdanken.

Als Katalia sie perplex gefragt hatte warum es Eiwies Schuld wäre, dass Ilmi sich als Hure verdiente, hatte Ilmi sich herausgewunden. Es wäre eine lange Geschichte, hatte sie gesagt. Eine Traurige. Und sie hatte keine Zeit, sie müsse jetzt arbeiten.

Dann hatte auch noch Raziska in der Tür gestanden und verlangt, dass Katalia ginge. Das Bordell öffnete seine Pforten, wenn es noch mehr zu bereden gab, solle sie ein andern Mal wiederkommen. Möglichst am Tag.

Katalia bog in eine größere Straße ein und ließ damit den Lärm des Vergnügungsviertels hinter sich. Selbst im Dunkeln hatte sie keine Probleme damit den Weg zu finden, sie kannte diese Stadt so gut wie ihren eigenen Schatten.

Das Ilmi ihre gewagte Beschuldigung nicht weiter ausgeführt hatte, machte ihre Warnung nicht unbedingt glaubhafter, dachte Katalia und schnaubte.

Sie würde auf diese Hochzeit gehen, das hatte sie entschieden! Trotzdem, nach dem Gespräch mit Ilmi hatte diese ganze Sache einen fahlen Beigeschmack. Obwohl Katalia die wirren Anschuldigungen nicht glaubte, hatte Ilmi es geschafft ihr ein ungutes Gefühl zu geben.

Sie seufzte. Konnte nicht einmal eine Sache in ihrem Leben unkompliziert sein? Im Sinne von: Sie wurde auf eine Hochzeit eingeladen, freute sich darüber und ging hin. Mit keiner größeren Sorge als der, dass sie nichts zum anziehen hatte.

Katalia riss die Augen auf. Richtig! Sie hatte nichts zum anziehen! Aber darüber würde sie sich später Gedanken machen. Villeicht könnte sie ein paar Münzen aus dem Geldbeutel des Kutschers dafür verwenden neue Kleidung zu kaufen. Oder nur etwas Stoff, wenn das billiger war, dann könnte sie versuchen sich selber etwas zu schneidern.

In Gedanken versunken lief sie weiter.

Ilmi hatte gesagt Eiwie würde Leute ausnutzen.

Gut, da Eiwie einen reichen Mann verführt hatte und ihn nur seines Geldes wegen heiratete, konnte Katalia sich vorstellen, dass da villeicht etwas Wahres dran war.

Aber Katalia war kein reicher Mann. Sie war das Gegenteil von reich. Was im Namen ihrer Mutter könnte Eiwie den jemals von ihr wollen?! Sie hatte nichts! Man konnte sie nicht ausnutzen.

Energisch bog sie in die nächste Gasse ein.

Eine Ratte, die sich durch den Abfall am Straßenrand wühlte, wurde von Katalias barfüßigen Schritten aufgeschreckt und huschte davon.

Katalia sah ihr nach und überlegte, ob sie Eiwie auf Ilmi ansprechen sollte, wenn sie sie das nächste Mal sah.

Sicherlich war da nichts dabei, wenn sie ganz unverfänglich das Gespräch auf Ilmi brachte. "Woher kennt ihr euch eigentlich?" könnte sie fragen. "Welche Beziehung habt ihr zueinander?" "Warum hasst ihr euch so?"

,,Warum würde Ilmi mir sagen du wärst der Grund für ihr Unglück, Eiwie?" Murmelte Katalia leise, als sie endlich die heimatliche Haustür erreichte. ,,Wenn das stimmt, wirst du auch mir Unglück bringen?"

Sie warf sich mit der Schulter gegen die Tür, bis diese nachgab, und trat auf Zehenspitzen ein.

,,Was bist du für ein Mensch, Eiwie? Wer bist du wirklich?"

Einzig das sanfte Atmen ihrer schlafenden Mutter antwortete Katalia auf ihre geflüsterten Fragen.

...

,,Wann meinst du wird die Heilerin hier sein?"

Die fiebrigen Augen von Arina, Katalias Mutter, huschten nervös durch den sonnendurchfluteten Raum.

Es war ein strahlend sonniger Morgen gewesen, der sich nun anschickte sich in einen brütend heißen Tag zu verwandeln.

,,Wir hatten uns auf heute Mittag geeinigt, es dürfte also nicht mehr lange dauern. Es sei denn, sie beliebt uns warten zu lassen." Nuschelte Katalia.

Sie kniete auf dem Steinboden hinter ihrer Mutter, die sich in eine sitzende Position aufgerafft hatte, und kämmte ihr die Haare. Ihre Mutter hatte sie darum gebeten. Sie wollte vor der Doktorin nicht aussehen wie ein zottiger Straßenhund. Katalia fand es reichlich albern sich deswegen Gedanken zu machen, erfüllte ihr den Wunsch jedoch gerne.

Mutters Stimme klang nervös. ,,Sag, sollten wir nicht zumindest den Boden noch einmal fegen? Jetzt in diesem Sonnenlicht erspäht man jedes Staubkorn. Was soll denn die Frau Doktor von uns denken?!"

Katalia verdrehte die Augen, lächelte jedoch. Die Medizin und das vergleichsweise üppige Frühstück das sie ihrer Mutter aufgetischt hatte, schien Wirkung zu zeigen. Sie klang fast wieder so wie früher.

Energisch zerrte das Mädchen den Kamm durch die nächste verknotete Strähne.

,,Mutter, ich bin mir sicher du bist die einzige kranke Frau in ganz Dun, die sich mehr Gedanken um ihren Fußboden, als um ihren Zustand macht!"

,,Warum sollte ich mir auch Gedanken um meinen Zustand machen? Wenn die Doktorin es vermag mich zu heilen, dann ist das so. Wenn nicht, dann nicht." Unberührt schlug Katalias Mutter die Augen nieder.

In Katalias Bauch rumorte das Unwohlsein. Mutter sollte so etwas nicht sagen! War ihr nicht klar, dass es Katalia vollkommen und unwiderruflich brechen würde, wenn sie jemals sterben sollte?!

Mit zitternden Händen widmete sie sich wieder den Haaren ihrer Mutter und bemerkte besorgt den dicken Klumpen von ausgerissenem Haar, der sich um die Zinken des Kamms gebildet hatte. Dabei war Katalia noch nicht einmal halb fertig mit kämmen. Das Mutter so viele Haare verlor konnte kein gutes Zeichen sein.

Sie legte den Kamm ab, um den ersten der drei Zöpfe neu zu flechten. Tatsache, die Stränge fühlten sich dünner zwischen ihren Fingern an. Sie waren spröde und viel zu leicht. Das einst so prächtige schwarze Haar ihrer Mutter war schütter und glanzlos geworden.

Katalia legte die Stränge sachte übereinander, darauf bedacht nicht noch mehr Haare auszureißen.

Sie war grade mit dem ersten Zopf fertig, als Mutter die Stille durchbrach. ,,Du bist gestern Nacht spät zurückgekommen. Wo warst du?"

,,Oh... Ich äh ich habe einer Freundin einen Besuch abgestattet." Stammelte Katalia. Sie hatte nicht gedacht, dass ihrer Mutter ihr nächtlicher Ausflug aufgefallen war und hoffte das diese Erklärung sie zufriedenstellen würde.

Dem war aber nicht so. Katalia merkte wie sich die knochigen Schultern vor ihr verkrampften. ,,Bei einer Freundin also. So, So... Was habt ihr gemacht?"

Katalia gab sich Mühe unbeteiligt zu wirken. ,,Nur ein wenig geredet."

,,Nur geredet? Warum rieche ich dann Pfeifenrauch an deinen Kleidern?"

Verdammt! Katalia rang sich ein Lachen ab.

,,Deine Nase muss dich täuschen, Mutter. Ich habe keinerlei Pfeife angerührt."

,,Aber deine Freundin?!"

Katalia schwieg ergeben. Ihre Mutter seufzte. ,,Ich möchte nicht, dass du Freundschaften mit Mädchen pflegst, die sich mit Rauschgift betäuben, Katalia! Das kann gefährlich für dich werden."

Katalia zupfte die Haarbüschel vom Kamm, darauf bedacht deren Größe und Schwere zu ignorieren, dann kämmte sie weiter.

,,Sei unbesorgt, Mutter. Ich gebe zu, meine Freundin hat gestern ein paar Mal an einer Pfeife gezogen, doch ich würde Selbiges niemals tun." Sie hoffte das ihr Ton besänftigend klang.

Ihre Mutter lehnte müde den Kopf an die Steinwand.
,,Das sagst du jetzt, mein Kind. Doch wie wirst du in zwei Wochen darüber denken? Vergiss nicht welch großen Einfluss Freunde aufeinander haben können. Wenn deine Freundin raucht oder trinkt, ist es nur eine Frage der Zeit bis du es auch tust."

,,Das ist Unsinn!" Energisch begann Katalia den zweiten Zopf zu flechten. ,,Du kannst mir vertrauen, Ich werde keine Rauschmittel anrühren."

,,Kannst du mir das versprechen?" Fragte Mutter leise. ,,Denn eine Sucht, ganz egal welche Substanz sie betrifft, ist der sicherste Weg dir dein Leben zu ruinieren. Rauschmittel sind tückisch, sie bieten dir Zuflucht wenn es dir schlecht geht, tuen so als wären sie deine Freunde, und richten dich dann qualvoll zu Grunde."

Sie seufzte. ,,Du musst wissen, dass ich einen Bruder hatte, der dem Alkohol arg verfallen war. Er starb kurz bevor er sein zwanzigstes Lebensjahr erreichte. Der viele Wein hat seine Leber auf eine Weise vergiftet, die zum Tod führt."

Katalia schwieg betroffen. ,,Das wusste ich nicht. Es tut mir Leid, Mutter."

Ihre Mutter schenkte ihr ein zittriges Lächeln. ,,Versprich mir einfach, dass du die Hände von solchem Gift lässt, ja?"

Katalia nickte. ,,Ich verspreche es."

Sie hatte grade den dritten Zopf zugebunden, als es energisch an der Tür klopfte.

,,Oh Wei! Das muss die Frau Doktor sein." Wisperte Mutter nervös. ,,Und der Fußboden ist noch gar nicht gefegt!"

Katalia verdrehte die Augen. ,,Herein!" Rief sie laut.

Ihre Mutter drehte sich nach hinten, um ihr einen Klaps zu geben. ,,Also, Wirklich! Wo sind deine Manieren?! Steh auf und öffne unserem Gast die Tür, anstatt im Haus herumzubrüllen!"

Katalia raffte sich auf, aber bevor sie zur Tür eilen konnte, wurde diese schon geöffnet.

Die Sklavin, die Katalia bereits im Haus des Doktor Paares gesehen hatte stolperte herein. Anscheinend hatte sie sich mit voller Wucht gegen die Tür geworfen. Nun gut, das war auch die einzige Möglichkeit diese zu öffnen.

Die Doktorin stand im Türrahmen, ihr teures, violettes Gewand bildete einen starken Kontrast zu den grauen Steinwänden. Ihr Gesicht war völlig unbewegt, wie gemeißelt.

Katalia fragte sich einen Moment lang ob sie es überhaupt bewegen konnte, doch die zahlreichen Falten wiesen darauf hin, dass die alte Frau einst nicht ganz so sparsam mit ihrer Mimik umgegangen war wie jetzt.

,,Frau Doktor. Seid Willkommen." Sagte Katalias Mutter sanft.

Sie lehnte immernoch halb sitzend, halb liegend an der Wand. Von den Ritzen der zugenagelten Fenster fiel ihr ein Sonnenstrahl direkt ins Gesicht und erhellte die hageren Züge, hervortretenden Wangenknochen und zu blasse Haut, aber auch die immer noch schönen Augen und feingeschwungenen Lippen.

Die Doktorin trat ein, so energisch wie ein Soldat beim marschieren.

,,Ihr seid meine Patientin nehme ich an?!"

,,Das ist richtig." Antwortete Katalia anstelle ihrer Mutter. In ihrer Stimme lag leiser Spott. Sie und ihre Mutter waren die einzigen Personen im Haus und Mutter war ganz eindeutig die die krank aussah.

Ohne Katalia eines Blickes zu würdigen lief die Doktorin quer durch den Raum und ließ sich bei Arina auf dem Boden nieder, erstaunlich behände für so eine dickliche Frau.

,,Nun, Ich habe nicht viel Zeit deswegen werde ich sofort mit der Untersuchung anfangen, wenn das Recht ist."

Katalias Mutter nickte. ,,Selbstverständlich."

,,Ihre Tochter kann entweder im Raum bleiben oder draußen warten." Erklärte die Heilerin. Die Sklavin ließ sich neben ihr nieder und stellte eine Schachtel ab, die sie gehalten hatte. Sie war voll mit kleinen Behältern und angsteinflößend aussehenden Geräten.

Katalia schluckte. Sie verschränkte die Arme von der Brust und grub ihre nackten Füße in den Boden, als wolle sie Wurzeln schlagen.

,,Ich bleibe hier."

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