Kapitel 3
Rena stürmte mit Otto nach unten und riss die Türe des Speisesaals mit vollem Schwung auf. Alle sahen verwundert auf. Karl saß genau so, dass er seine Schwägerin kommen sah, die wie ein schöner Racheengel in der Türe stand.
„Wir brauchen einen fünften Sessel!", rief sie aufgebracht, was überhaupt nicht ihrem eigentlichen Wesen entsprach.
Ihr Blick glitt über die lange Tafel, an der bereits drei Personen saßen. Zum ersten Mal nahm sie Friedrich den Privatsekretär wahr, der sie verwundert anblickte. Am Rand des Raumes sah sie einen Stuhl stehen. Sogleich ging sie auf diesen zu und stellte ihn zwischen Karls und ihren Sessel.
„Komm Otto, setz dich neben deinen Vater", sagte Rena zu ihrem Neffen, der sich daraufhin etwas ängstlich setzte.
„Ich muss doch wirklich bitten!", rief Charlotte aufgebracht, doch Karl hatte genug von ihr und ihrem Verbot und erhob nun ebenso seine Stimme: „Lotte, es genügt! Ich möchte ebenso, dass jetzt und auch in Zukunft unser Sohn bei jeder Mahlzeit anwesend ist und mit uns gemeinsam speist!!"
Im Raum war es still, totenstill.
Karls Atem ging noch immer schnell, er hatte sich so derartig aufgeregt, dass er noch immer etwas nach Luft schnappte. Viel zu lange hatte er sich dieses Theater seiner Frau gefallen lassen. Es war gut, dass er und sein Sohn nun endlich etwas Unterstützung erhielten, denn er war in Wahrheit mit seinen Nerven am Ende. Schließlich war er auch nicht mehr der Jüngste und brauchte keine unnötigen Aufregungen. Manchmal, so kam es ihm vor, ärgerte sie ihn absichtlich. Vielleicht wollte sie, dass er schneller ins Grab kam, aber das hatte er noch lange nicht vor. Keiner von den hier am Tisch sitzenden Personen wusste, dass er schon ein paar Mal mitbekommen hatte, dass seine Frau mit Friedrich Sex gehabt hatte!
Am liebsten hätte er jedes Mal ihre Schlafzimmertüre aufgerissen und die beiden erschlagen, doch es hätte an der Situation selbst nichts geändert! Er hasste Lotte dafür, was sie ihm und seinen Sohn damit antat! Er wolle sie aus seinem Leben haben! Friedrich war jung, sogar vier Jahre jünger als Charlotte! Gut, über das Alter wollte er nicht urteilen, aber er fühlte sich verraten und mit Otto alleine gelassen!
Karl schob alle seine Gedanken bei Seite und tischte nun seinem Sohn und Rena etwas auf deren Teller auf, schließlich sollten die beiden ebenso essen.
„Mahlzeit!", sagte er laut in den Raum hinein und begann wortlos zu essen. Immer wieder warf er Rena verstohlene Blicke zu und beobachtete sie dabei, wie sie manierlich aß. Ihre Wangen hatten sich durch die Aufregung leicht gerötet. Was ihr übrigens sehr gut stand, musste er feststellen. Auch auf seinen Sohn warf er einen stolzen Blick, der es Rena gleichtat und vornehm aß. Wo also lag bitte das Problem, wenn Otto mit ihnen gemeinsam am Tisch saß?
Am liebsten hätte er seine Frau gefragt, doch er wollte jetzt keinen Streit entfachen. Als er ihr einen missmutigen Blick zuwarf, sah Lotte aber nur die ganze Zeit auf seinen Sekretär. Die beiden schienen sich bereits gegenseitig mit den Augen auszuziehen.
Karl knallte sein Besteck auf den Tisch und nahm sein Rotweinglas in die Hand und trank einen großen Schluck daraus. „Rena, nach dem Essen würde ich gerne mit dir in meinem Büro sprechen. Und du Lotte kümmerst dich um unseren Sohn, bis ich später komme und ihm sein Abendgeschichte vorlese. Und Sie Friedrich, beschäftigen sich heute ausnahmsweise mit sich selbst!", sagte er streng und blickte alle am Tisch sitzenden Leute an. Schließlich ging es nicht an, dass sein Sekretär jeden Abend mit seiner Frau herumsaß und Lotte dadurch ihren Sohn noch mehr als sonst vernachlässigte!
Rena hätte sich fast an ihrem Wasser verschluckt, so erschrocken hatte sie sich. Was nur wollte ihr Schwager von ihr? Es wirkte aber nicht so, als wäre es etwas Positives. Obwohl ihr der Appetit vergangen war, aß sie trotzdem ihre Mahlzeit zu Ende.
Karl wartete geduldig, bis alle den Hauptgang gegessen hatten und erhob sich sogleich. „Komm Rena, wir haben einiges zu besprechen", sagte er weitaus freundlicher zu seiner Schwägerin, als er vorhin gewesen war. Er ging zu Otto, der ebenso wie sein Vater aufgestanden war und gab ihm einen Kuss auf die Stirn und strich über sein dunkles Haar. „Ich komme später noch in dein Zimmer, so wie jeden Tag", sagte er zu diesem zärtlich und ging nun zum Ausgang.
Er wartete noch auf Rena und ging gemeinsam mit ihr in das obere Stockwerk. Er hielt ihr die Türe auf und ließ sie zuerst eintreten. Ihr dezentes Parfum strich ihm um die Nase und er sog es genüsslich ein. Warum war er nur so blind gewesen, sie war mit den Jahren immer schöner geworden.
„Möchtest du einen Schluck Whiskey?", fragte er sie, damit er auf andere Gedanken kam.
„Brauche ich ihn denn für unser Gespräch?", stellte Rena eine Gegenfrage.
„Ja, ich denke wir könnten beide einen gebrauchen", meinte er kryptisch zu ihr und sah ihr dabei in die Augen.
Rena sah ihn verwundert an und als er sie so intensiv ansah, wurde ihr ganz warm ums Herz. Sie wusste noch nicht, wie sie es schaffen würde, täglich mit ihm zusammen zu sein, ohne sich noch mehr in ihn zu verlieben. Es würde ihr nicht gelingen, das wusste sie jetzt schon.
„Gut Karl, ich nehme gerne zusammen mit dir einen Whiskey", sagte sie nun darauf.
„Bitte setz dich inzwischen", sagte er zu ihr und befüllte nun zwei Kristallgläser mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Er nahm die Gläser in die Hand und trat auf sie zu. Er verzichtete darauf, auf seinem üblichen Bürostuhl Platz zu nehmen, denn er wollte nicht den großen Schreibtisch zwischen ihnen haben.
Er setzte sich neben sie und reichte ihr den Whiskey. „Schön, dass wir uns endlich wieder sehen, wenngleich du unsere Gegenwart immer gemieden hast, wenn wir zu euren Eltern zu Besuch gekommen sind", während er das Gespräch so direkt begann, verzog er ohne es zu wollen, sein Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse. Denn es tat ihm weh, dass sie nie anwesend war, wenn er einen seiner seltenen Besuche absolviert hatte.
Rena wurde es heiß und kalt, was sollte sie nur darauf antworten? Alles was sie sagen würde wäre falsch und gelogen, doch die Wahrheit ging noch viel weniger.
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