Kapitel 4 - Schweiß, Blut und Pisse
(TW: Leid, Sklaverei, Tod)
„Psst. Pssst. Wach auf", murmelte eine rauchige, raue Stimme während sich eine große kühle Hand auf Elpis' Stirn legte, „Wach auf jetzt."
Nur langsam wagte Elpis ihre Augen zu öffnen. Sie saß in einem großen, eisernen Käfig, mit mindestens zehn anderen Sklaven. Elpis hörte das Hufgetrampel der Pferde, die den Wagen zogen. Die leisen Gespräche der Sklavenjäger, auf den Kutschböcken und, wahrscheinlich, den Pferden daneben. Doch sie konnte nichts von ihrer Umgebung erkennen. In welche Richtung wurden sie gebracht? Wie viele Kutschen waren überhaupt mit Sklavenkäfigen beladen? Und das alles nur wegen dem dicken roten Stoff, der sie von der Außenwelt abschirmte. Elpis musterte den breitschultrigen Mann, der sich über sie gebeugt und gesprochen hatte. Seine Augen waren eisig blau und stachen auf seiner dunkelbraunen Haut stark hervor. Sie erkannte sofort seine ungewöhnlich langen Ohren und die zwei Pupillen in jedem seiner extrem hellen Augen. Tenebriclar. Eine seltene, hochintelligente Art. Vergleicht man einen Tenebriclar mit einem Menschen, oder den etwas intelligenteren Elfen, wirkten beide Arten strohdumm - und winzig, neben den zwei Meter großen und drahtig gebauten Männern und Frauen.
„Jeg sam Johan", stellte er sich auf Koisisch mit einem breiten Lächeln vor, und klang dabei extrem bodenständig. Wie hatte er erraten woher sie kam? War das so offensichtlich? Oder lag es an dieser übersinnlichen Wahrnehmung und Intelligenz?
In jedem Auge zuckte einer der beiden Pupillen, als er ihr einen Wasserschlauch anbot. Aber sie konnte nichts trinken. Sie hatte zu viel Angst davor alles auszukotzen. Bei diesem widerlichen Geruch, der wie ein Todestuch über ihnen hing, wäre das kein Wunder.
„Ich bedanke mich in unser aller Namen für Euren edlen Versuch der gnadebringenden Rettung", fuhr er fort und sein Lächeln blieb so breit wie schon zuvor.
Erleichtert stellte Elpis fest, dass Dina bereits aufgewacht war und im gleichen Käfig saß. Sie hielt einen anderen, abgewetzten Lederwasserschlauch in ihren Händen, hatte aber offensichtlich ihre Wunden damit ausgespült anstatt zu trinken.
„Jeg sam Elpis", erwiderte sie mit rauer Stimme, „Darf... darf ich vielleicht...", fragte sie jetzt in der allgemeinen Sprache des Kontinents.
„Das ermögliche ich selbstverständlich", Johan kroch ihr etwas aus dem Weg, konnte sich dabei aber nicht zu seiner vollen Größe aufrichten. Elpis selbst hätte es vermutlich gekonnt. Aber dieser Gestank, nach Schweiß, Ausscheidungen aller Art und... Es drohte noch immer sie zu überwältigen. Auf allen Vieren robbte sie vorwärts, bis sie Dina auf der anderen Seite des Käfigs erreichte. Sie lehnte sich an ihre Schulter.
„Hast du noch was?", fragte sie die vernarbte Kämpferin leise und deutete auf ihren Wasserbeutel.
Erschöpft schüttelte Dina den Kopf
„Hab's für unsere Wunden aufgebraucht", erklärte sie flüsternd.
Elpis seufzte fast genauso leise. „Nimm meins. Ich bekomme das sowieso nicht runter."
„Bist du dir..."
„Ja verdammt. Hast du schon Mal bemerkt wie's hier stinkt? Schweiß, Blut und Pisse, ist hier nur das geringste Übel", Elpis schüttelte den Kopf und kicherte leise. „Kannst ja auch mit den anderen teilen."
„Besser nicht", murmelte Dina, „Johan hat erzählt, dass sie verprügelt werden, wenn sie den Neuen ihr Trinken wegnehmen."
„Selbst wenn die Neuen teilen?"
„Jo", Dina nahm einen kräftigen Schluck, „Du hättest weglaufen sollen. Das hättest du von deiner Position bestimmt gepackt."
„Und dich hier allein lassen?", Elpis spuckte verächtlich aus, „Ich bin nicht Norman, Dina. Ich lass dich nicht im Stich."
„Du gehst immer bis zum Ende, was?", Dina lachte. Ein seltsames Geräusch in einem Käfig, der nach Leid und Tod roch. Aber das einzige Geräusch, dass ihr das Gefühl gab an einem anderen Ort zu sein. An einem besseren Ort.
„So ziemlich", entgegnete Elpis nur, „Du hast deine Wunden schon gut ausgespült", meinte sie dann, während sie die Wunden an einem von Dinas Armen inspizierte. Dann riss Stoff. Erst ein Fetzen. Noch einer. Elpis riss die Ärmel ihres Hemdes und den Saum ab. „Hättest mich aber wecken sollen."
„Zum Verbinden. Ich weiß."
„Warum hast du's dann nicht gemacht?", seufzte sie und riss den ersten Ärmel in mehrere, passende Streifen.
„Du kannst sowas?", ertönte Johans Stimme hinter ihnen. Der große Tenebriclar schien sie immer zu mit zwei von vier Pupillen zu beobachten.
„Mein Vater war in Kois in der Heilforschung", erklärte sie nur, wandte sich aber nicht zu ihm um, „Meine Mutter in der Heilpraxis."
Sie konnte förmlich aus Johans Gesicht ablesen, wie er nach Worten suchte. Wie er erkannte, was Heilwissen unter Sklaven bedeuten konnte.
„In einem der anderen Wagen leidet ein kleines Mädchen Qualen", fing Johan an, „Sie zählt erst zwölf Jahre in dieser grauenhaften Welt."
Jetzt drehte sich Elpis halb um, einen der Stoffstreifen in der Hand. Ihr Blick war kalt wie Eis und hart wie Stein. Doch in ihr schrie alles. In ihr tobte alles wie ein Sturm, der die ganze Welt mit Dunkelheit strafte.
~~~
Der Wind peitschte gegen die Fensterläden des Hauses, die nur noch lose in ihren Angeln hingen, und heulte dabei wie ein Baby, das nach seiner Mutter weinte. Es war der erste große Sommersturm in diesem Jahr. Normalerweise wurde Kois schon viel früher von Unwettern wie diesem heimgesucht - vor allem zu dieser Jahreszeit. Aber die Wettergötter hatten lange geschwiegen. Wahrscheinlich nur, um jetzt dieses noch größere Ungeheuer auf die Welt loszulassen.
Obwohl erst die Sonne untergegangen sein konnte, war es dunkel wie um Mitternacht - nur ohne Mond und ohne Sterne. Elpis saß zusammen mit ihrem kleinen Bruder und ihrer kleinen Schwester im Kinderzimmer, das sie sich zu dritt teilten. Ihre beiden kleinen Geschwister waren erst drei Jahre alt und bei jedem Donner zuckten sie erschrocken zusammen. Ihre Mutter und ihr Vater waren die ganze Zeit im Wohnzimmer. Sie versorgten zwei riesige Tenebriclar, die auf der Durchreise gewesen waren. Bevor Elpis mit ihren Geschwistern hochgeschickt wurde, hatte sie gesehen, dass sowohl der Mann als auch die Frau schwer verletzt waren. Ihr Vater rührte Salben zusammen, die verschiedene Wirkungen hatten. Von Schmerzlinderung bis zu Entzündungshemmend und Heilungsbeschleunigend. Aber er rührte nie die tötenden Mittelchen an, die ganz unten im Salbenregal standen.
Solange es noch eine Chance auf Heilung gibt, wählst du nie die Totenboten. Niemals. Hast du das verstanden, Elpis?
Manchmal durfte sie unten helfen. Immerhin war sie schon zwölf und irgendwann würde sie mit ihren Geschwistern die Geschäfte ihrer Eltern übernehmen. Es dauerte Stunden ihre kleine Schwester Talia, die besonders viel weinte, zu beruhigen. Und immer wenn sie erschrocken beim nächsten Donner aufschrie, wachte ihr Bruder Jonathan auf und fing ebenfalls an zu schreien. Aber dann endlich, nach fast drei Stunden, waren beide eingeschlafen.
Die kleine Talia redete im Schlaf. Sagte immer wieder die gleichen Worte: „Draußen sind sie. Draußen ist es kalt."
Immer wieder.
„Draußen sind sie. Draußen ist es kalt."
Ihre Worte waren der Text, das leise Schnarchen ihres Bruder der Rhythmus. Elpis streichelte dem kleinen Mädchen noch über den Kopf, küsste ihren Bruder auf die Stirn. Draußen tobte noch immer der Sturm. Der Wind heulte, Donner grölte und Blitze erhellten den sonst finsteren Himmel. Doch die beiden schliefen endlich tief und fest.
Auf leisen Sohlen schlich Elpis in den Flur. Die Zimmertür knarrte kurz protestierend, als sie sie hinter sich schloss. Für einen Moment blieb sie horchend stehen. Doch die Zwillinge schliefen noch immer. Sie ging die schmale Treppe hinab und schon auf dem Weg nach unten roch sie den drohenden Tod, gegen den ihre Eltern kämpfte. Schweiß, Blut und... Elpis verzog angewidert das Gesicht. So roch nur der Tod. Sie ging ins Wohnzimmer, wo der männliche Tenebriclar ausgestreckt auf einer alten Pritsche lag, die ihre Eltern stets für Patienten bereit hielten. Er sah schlimm aus, sein Bauch war wahrscheinlich mit einem scharfen Schnitt aufgerissen worden, das hatte Elpis gesehen, als die beiden in ihrer Hütte angekommen sind. Das war kein Werk des Sturms. Kein Werk der Wettergötter. Das waren ganz sicher keine Heiligen gewesen. Von seinem Kopf rann Blut über seine Stirn. Er hatte sich offenbar eingemacht und der Gestank schien vor allem der riesigen Frau, die mit ihm gereist war, Tränen in die Augen zu treiben. Aber vielleicht waren es auch Gefühle. Vielleicht beides. Das ließ sich so schnell nicht sagen.
„Mama, Papa", sagte sie leise und trat in den Raum ein, der riesige Mann schien zu schlafen und sie wollte nicht diejenige sein, die ihn weckte, also hielt sie ihre Stimme weiterhin gesenkt, „Talia und Jonathan schlafen."
Ihre Eltern drehten sich zu ihr um, ihr Vater nickte leicht, ihre Mutter versuchte sich an einem Lächeln. Doch dann war da wieder dieser Gestank und Mutter trug weiter irgendeine Paste auf die Stirn des Mannes auf. Den Bauch hatte sie bereits verbunden. Aber Elpis wusste, dass es darunter schlimm aussah. Wahrscheinlich traten seine Gedärme raus, dachte sie, als sie bemerkte, wie durchtränkt der Verband bereits war.
„Papa?", Elpis deutete auf das Salbenregal - in die unterste Schublade. „Für ihn?"
Kurz wechselten ihre Eltern einen Blick, dann dieses langsame Nicken von ihnen beiden. Elpis durchsuchte den Platz, bis sie endlich fündig wurde. Bilsenkraut.
Die Tinktur war nach dem stärksten Giftmittel benannt, das ihr Vater dort hinein gemischt hatte. Zusammen mit den anderen Mittelchen kam der Tod noch schneller, und etwas weniger schmerzhaft. Sie reichte die Tube ihrem Vater.
„Ich brauche noch ein Einschlafmittel", wies er sie an. Wieder ging sie los. Doch das ganze Regal mit den Einschlafmitteln war leer. Alles... Sie suchte an anderen Stellplätzen und Schubladen in dem Schrank. Aber nirgends wurde sie fündig.
„Papa wir haben nichts mehr", verkündete sie dann.
Kurz sahen sich ihre Eltern an, dann ergriff ihre Mama das Wort: „Im zweiten Vorgarten. Beet drei", erklärte sie, „Da findest du ein paar Pflanzen, mit denen wir alles anrühren können."
Elpis nickte, rannte in den Flur. Nahm sich ihren Mantel, ihre Stiefel, ihren Hut, Gartenmaterial, eine kleine Kiste für die Kräuter, die sie besorgen sollte. Wenn sie es vielleicht etwas weniger eilig gehabt hätte, hätte sie vielleicht die Warnung ihrer Eltern gehört. Wenn sie sich in dem Garten, am Beet, ungesehen hätte, hätte sie vielleicht die dunklen Gestalten bemerkt. Wenn sie anders am Beet gestanden wäre, dann hätte sie vielleicht einen der Männer mit einem Knebel in der einen und einem Säbel in der anderen Hand kommen sehen, dann hätte sie vielleicht noch nach ihrer Familie schreien können.
Doch ihre Mutter kam zu spät. Sie sah sich im ganzen Garten um, ging zu dem Beet, doch ihre Tochter war verschwunden. Alles was geblieben war, war die kleine Kiste, in die Elpis wohl noch ein paar Kräuter gelegt hatte. Und neben den Kräutern lag in der Kiste ein Brief, mit nur einem einzigen Wort: "Danke"
Daneben lagen drei Silbermünzen, die die Familie nie ausgeben würde.
~~~
Elpis sah auf ihre Handflächen. Drehte sie um, und betrachtete das Sklavenmal, das dort eingebrannt wurde, als sie selbst nur zwölf Jahre alt war. Tränen sammelten sich in ihren Augen, bis alles drohte aus ihr herauszubrechen. Sie war jetzt einundzwanzig und hatte gedacht endlich in Freiheit leben zu können. Wie falsch sie doch gelegen hatte. Wie...
Als sie von ihren Händen wieder aufsah, fixierte sie Johans Blick. Eine Träne floss über ihre Wange.
„Du bist die einzige, die Tara retten kann. Bitte... Du musst es versuchen."
Elpis musterte ihn für einen Moment. Sah wie seine dunkle Haut von Schweiß schimmerte. Die zwei Pupillen in jedem Auge zuckten, aber er ließ sie nicht aus den Augen. Johan zog unaufhörlich seinen Kopf ein, damit er nicht gegen das Gitter stieß.
„Ich denke nicht, dass sie es zulassen“, murmelte Elpis und deutete dabei mit dem Kopf auf die Sklavenjäger die irgendwo außerhalb des Käfigs waren.
„Sie ist eine Ware. So wie wir alle Waren sind“, gab Johan zu bedenken, „Tote oder verdorbene Ware wird ihnen kein Geld einbringen.“
„Mag sein. Aber, wenn ich sie versorge, könnte ich eine Fluchtmöglichkeit sehen. Das lassen sie nicht zu. Im Käfig kann ich nicht fliehen“, erwiderte Elpis schulterzuckend und widmete sich wieder Dinas Wunden, die verächtlich das Gesicht oberhalb ihres Mundtuchs verzog.
„Wir sind keine Waren“, protestierte Dina, während sie das Tuch abnahm und ihre verstellte, untere Gesichtshälfte zeigte. Beide Frauen spürten, wie die anderen Sklaven, die noch munter genug waren sie zu mustern, nach Luft schnappten. Als hätten sie so viele Narben noch nie gesehen - zumindest nicht im Gesicht. Elpis konnte es ihnen nicht verübeln. Wenn sie nicht schon so abgestumpft gewesen wäre, hätte sie sich mit Sicherheit auch erschrocken.
„Also hört auf uns Waren zu nennen“, zischte Dina, „Ich bin gezeichnet davon, eine Ware zu sein. Gezeichnet davon, eine Sklavin zu sein. Aber wir haben gekämpft.“
Elpis nickte zustimmend, dann räusperte sie sich. „Wir haben gekämpft und es in die Freiheit geschafft“, ergänzte sie jetzt, „Und deswegen denke ich, dass sie mich nicht an irgendwen ranlassen.“
„Sie werden. Ich verspreche es dir. Ich werde den richtigen um Erlaubnis bitten, sie werden dich Hilfe leisten lassen“, erklärte Johan ruhig, „Solange du nicht wie ein Ningjuni handelst. Sondern wie ein Koisanischer Heiler.“
Dina verzog erneut das Gesicht, während sie verächtlich auflachte. „Was meinst du damit, solange sie nicht wie ein Ningjuni handelt? Ist das dein Scheiß ernst, Riese?“
„Ich äußere nur was ich denke“, zischte Johan und richtete sie soweit auf, wie es in dem kleinen Käfig ging. „Ninguni töten eher als zu heilen.“
„Und ich dachte ihr Scheißriesen wärt intelligent“, Dina seufzte und sah Elpis an. Ihre Stimme wurde mit einem Mal weicher, „Aber Elp, wenn du helfen kannst…“
Elpis nickte, ihr Blick fixierte noch immer Johan. „Ich werd' helfen. Aber ich bin keine koisanische Heilerin und keine Ningjuni Heilerin.“
„Was bist du dann?“, der riesig gebaute Mann setzte sich wieder.
„Die einzige die helfen kann, wie du selbst gesagt hast“, erklärte sie mit eisenharter Stimme, „Und ich werde helfen. Aber ich lass' mir nichts vorschreiben.“
Die Stimme ihrer Eltern geisterte noch immer in ihrem Kopf umher.
Solange es noch eine Chance auf Heilung gibt, wählst du nie die Totenboten. Niemals. Hast du das verstanden, Elpis?
Und wie sie es verstanden hatte. Wie sie es all die Jahre verstanden hatte. Denn ihre Eltern lagen falsch. Manchmal war der Tod die einzige Hoffnung. Und als die Sklavenjäger sie zu dem Mädchen brachten, das Johan gemeint hatte, wurde Elpis übel. Es war der gleiche Geruch nach Tod, den Elpis schon mit zwölf in ihrem Haus gerochen hatte. Von dem Mann ausgehend, der dort auf der Pritsche lag und quälend langsam vor sich hin starb. Das Mädchen war zwölf Jahre alt. Sie war klein und zierlich, wie Elpis es einmal gewesen war. Und sie hatte ganz sicher einige Ähnlichkeiten mit Talia, ihrer kleinen Schwester. Doch sie war gezeichnet von einem jahrelangen Leben als Sklavin und von frischen Wunden, die ihr die Sklavenjäger der Karawane zugefügt haben mussten.
„Sie hat versucht zu fliehen“, erklärte Johan leise, „Der dort“, der Riese deutete mit in Eisenhandschellen gefesselten Händen auf einen blonden Sklavenjäger. Den Mann, gegen den Elpis und Dina gekämpft hatten. „Der hat sie ausgepeitscht bis sie zusammen gebrochen ist und noch länger.“
Elpis sah auf den zerfetzten Rücken des Mädchens. Maden suhlten sich in den offenen Wunden und fraßen sich durch ein Festmahl aus verletztem und gesundem Fleisch. Dreck klebte zwischen dem Blut. Die Wunden, über die sich nur selten überhaupt eine Kruste gebildet hatte, platzten sofort wieder auf, wenn sich die Kleine unter Schmerzen bewegte. Ihre langen braunen Haare klebten schweißnass an ihrem Kopf und ihre Augen waren geschlossen. Die Verletzte war noch ein Kind.
„Das Arschloch hat sie schon umgebracht", hauchte Elpis leise, „Johan, ich bin niemand der Wunder vollbringt.“
„Aber du… du kannst es wenigstens versuchen“, protestierte der Riese, der hier, außerhalb des Käfigs, noch bedrohlicher wirkte. Die Karawane hatte auf einer kleinen Waldlichtung Rast gemacht und jedem Sklaven Ketten umgelegt, sogar das kleine sterbende Mädchen hatten sie mit Eisen angebunden.
„Versuchen wird sie nicht retten. Ich kann ihr nur die Schmerzen nehmen.“
„Sie ist zwölf!“, wiederholte der großgewachsene Tenebriclar, „Sie ist zwölf verdammt.“
„Ja sie ist zwölf“, zischte Dina, „Sie ist zwölf und sie wird keine Dreizehn werden. Ihr Körper ist zu schwach. Ihr geht es auf ihrer ewigen Seelenwanderung besser.“
„Sie wird dann stärker sein“, bekräftigte Elpis und drückte die Hand des sterbenden, kleinen Mädchens, das noch immer wie in Trance vor ihnen auf dem Boden lag, „Johan es gibt nicht immer Hoffnung. Nicht in einer Welt aus Ketten.“
„Aber…“, Johan wischte sie mit dem gebrandmarkten Handrücken über die Augen, „Aber… Sie… sie ist noch so… so jung.“
Elpis schüttelte trotzdem nur den Kopf. „Das Arschloch hat sie schon getötet“, flüsterte sie leise, „Das einzige was ich tun kann, ist ihr den schnellen Tod zu bringen.“
Johan kniete sich zu dem Mädchen. Aber Elpis und Dina wussten, dass es schon zu spät für sie war. Der Tod hatte sie sich bereits genommen und es war nur noch… Als sie beide langsam kopfschüttelnd aufstanden und sich abwandeln, kam der blonde Sklavenjäger auf sie zu.
„Was ist mit der beschädigten Ware, Sklavin?“, fragte er fast schon desinteressiert.
„Wird wohl euer Verlust sein“, zischte Elpis, „Ich kann nichts mehr für sie tun.“
Johan war der einzige der sich wehrte, als die Sklavenjäger das schwer verletzte Kind beim Aufbruch der Karawane einfach liegen ließen. Johan bäumte sich auf und gab einem der Sklavenjäger einen kräftigen Kinnhaken. Aber er konnte an der Situation nichts ändern. Der Gestank nach Tod erfüllte noch immer die Luft um sie herum. Schweiß, Blut und Pisse vermischten sich unter dem Leidklagen der Gefangenen, als sie weiter fuhren. Niemand von ihnen sprach ein Wort und nicht, weil sie ein Kind sterbend zurück gelassen hatten, sondern, weil sie alle erkannten, wie nah der Tod daran war sie alle zu umarmen. Bald. Sehr bald. Sogar Johan schwieg, doch seine Blicke sprachen Bände.
Ihr Name war Tara. Sie war erst zwölf. Du hättest sie retten müssen. Du hättest…
Elpis hasste es, wie deutlich seine Blicke waren. Sie hasste es, was sie darin las.
Und wieder dröhnten die Stimmen ihrer Eltern in ihrem Kopf.
Solange es noch eine Chance auf Heilung gibt, wählst du nie die Totenboten. Niemals. Hast du das verstanden, Elpis?
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