Kapitel 13
In dieser Nacht schlief ich unheimlich schlecht. Ich träumte von dem kleinen Picknick, das Alex und ich einmal zusammen ans Wasser unternommen hatten. Zuerst war alles so wie in meiner Erinnerung: Wir saßen da, redeten und schauten aufs Wasser. Aber als er einen Arm um mich legte und mich zu sich heran zog, begann das Wasser vor uns auf einmal zu brodeln. Der Himmel verdunkelte sich und ein mit Algen behangener Kopf schob sich vor uns aus dem Wasser. Stück für Stück wie in einem Horrorfilm offenbarte sich das Grauen vor uns. Die Haare waren dunkelgrün, fast schwarz und schienen mit den Algen zu verschmelzen. Der Körper war von schneeweißer Haut überzogen, die nur hier und da von Haaren oder Algen verdeckt wurde. Und obwohl dieses dämonische Geschöpf ihr kaum ähnelte, wusste ich augenblicklich, dass es sich um Nadine handelte. Sie streckte einen Arm nach uns aus und so sehr ich Alex auch anschrie und mich an ihm fest klammerte, konnte ich doch nicht verhindern, dass er ihrer Geste Folge leistete. Ich fiel zu Boden und musste mit ansehen, wie er über das Wasser auf sie zu schritt. Als er bei ihr angekommen war, drehte er sich zu mir um und rief nach mir. Er klang so verzweifelt, aber er wehrte sich nicht, er war wie erstarrt, nur sein Mund öffnete und schloss sich wieder. Die Dämonin schlang von hinten ihre Arme um ihn. Ich wartete keine Sekunde länger, sprang auf und sprintete zum Wasser, aber schnell stellte ich fest, dass ich nur auf der Stelle lief und Nadine tauchte mit Alex hinab ins dunkle Meer.
Dementsprechend quälte ich mich aus dem Bett und fühlte mich nicht sonderlich fit. Ich schleppte mich ins Bad und begann mit meiner Morgenroutine. Nach der angenehmen Dusche fühlte ich mich endlich wieder wie ein Mensch. Erfreut, stellte ich beim Blick in den Spiegel fest, dass meine von Natur aus schon hellbraune Haut, gestern im Park Sonne getankt haben musste. Sie strahlte jetzt in einem warmen Karamellbraun. Zufrieden stellte ich das Make up, welches ich nur im Winter benutzte, selten auch im Sommer, in den kleinen Badezimmerspiegelschrank. >Dich brauch ich dann erstmal nicht mehr<, entschied ich, nun fröhlicher gestimmt, und machte mich stattdessen daran etwas Eyeliner und Wimperntusche aufzutragen. Heute hieß mein Motto: Dezent schminken, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Wer wusste schon, was der Tag für mich bereit hielt.
Am Frühstückstisch fiel mir dann siedend heiß ein, dass ich Melissa gar nicht mehr gefragt hatte, was sie mir über Mark hatte sagen wollen. Sie hatte mir gestern zwar noch erklärt, dass Mark mich nach der Schule abholen würde, um mit mir bei einem Geigenbauer vorbeizuschauen. Aber ansonsten hatten wir nicht mehr viel geredet und ich musste mich dann auch noch mal an meine Hausaufgaben setzen. Was ziemlich schwierig war, da mein Kopf immer wieder das Treffen mit Alex durchdenken wollte.
,, Was wolltest du mir gestern eigentlich sagen? Also über Mark?", fragte ich, nachdem ich meinen Löffel Müsli heruntergeschluckt hatte. Sie kaute und deutete mit einem Finger an, dass sie sprechen würde, sobald sie aufgekaut hatte. Es konnte kein schlimmes Geheimnis sein, sonst hätte sie ihn mir doch gar nicht erst als Cellolehrer ausgesucht. Aber was konnte es sein, dass meine Schwester es mir nicht gleich zu Anfang erzählt hatte? Mir schoss Arons Unterstellung durch den Kopf "Seine letzte Flamme hat sich das Leben genommen". Eine Gänsehaut fuhr mir den Rücken hinunter.
,,Was starrst du so geschockt vor dich hin?", fragte meine Schwester besorgt, "Du musst dir echt keine Gedanken deswegen machen."
,,Äh, könntest du es vielleicht noch mal wiederholen?", fragte ich etwas beschämt. Während sie das Geheimnis gelüftet hatte, war ich mit den Gedanken noch so im Was-wäre-wenn gefangen gewesen, dass ich die Auflösung nicht mitbekommen hatte. Ironie des Schicksals.
,,Oh man. Und ich dachte du hättest so geschockt ausgesehen, weil Mark der Sohn von meinem Chef ist.", sie prustete los und ein paar Müsli Krümel flogen aus ihrem Mund, über den Tisch, "Dabei hörst du mir nur mal wieder nicht zu." Ich hob schuldbewusst meine Schultern.
,, Er ist also der Sohn von deinem Chef.", stellte ich ernüchtert fest. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf:>Und ich male mir irgendwelche Horrorszenarien aus.<
Sie nickte:,, Aber nicht von meinem Chef, sondern von meinem Chef Chef." Sie grinste. ,,Bitte, was?", hakte ich nach, obwohl ich mir die Antwort fast denken konnte.
,,Er ist der Sohn des CEOs."
,,Achso, das heißt, wenn ich mich daneben benehme, wirst du gefeuert.", ich versuchte es wie einen Scherz klingen zu lassen, aber mir war nun tatsächlich etwas mulmig zu Mute. ,,Ach was. Nein. Das passiert schon nicht." Ich sah, dass sie einem Gedanken nachhing, aber sie sprach ihn nicht aus. Vielleicht machte sie sich Sorgen um ihre Beförderung. Ich spürte, wie sich eine imaginäre Zange, bestehend aus Druck, um meinen Nacken legte. ,, Versuch einfach nicht, ihm mit dem Cello eins über zu braten. Das sollte ausreichen."
Ich klopfte mir innerlich selbst auf die Schulter, dafür dass ich meiner Schwester die Himbeer-Tee-Eskapade verschwiegen hatte. ,,Ich werde versuchen daran zu denken.", sagte ich grinsend. Meine Schwester sah mich gespielt ernst an:,, Ja, bitte tu das." Dann grinste sie zurück.
In der Schule angekommen, war ich froh darüber, dass die meisten Schüler mir kaum Beachtung schenkten. Alles war wie immer. Ich begrüßte hier und da ein paar Leute, die schon im Gebäude herumlungerten und fand mich schließlich in meinem Klassenraum ein. Ich war extra etwas früher zur Schule gegangen, damit ich möglichst wenigen Schülern aus meinem Jahrgang und dem Jahrgang darüber begegnete. Denn hätte sich das Gerücht schon verbreitet, wäre es äußerst unangenehm gewesen, all den Blicken und Fragen meiner neugierigen Mitschüler auszuweichen. Aber ich hatte anscheinend Glück.
Ich grüßte in meinen Klassenraum hinein, aber die meisten sahen beim Zurückgrüßen nicht einmal auf. Mir war das ganz recht. Ich verstand mich zwar gut mit den Leuten aus meiner Klasse und es wäre kein Problem mich in eins der Gespräche zu integrieren, aber heute wollte ich lieber etwas unter dem Radar fliegen. In der Klasse waren bereits Josef, Sissi, Jan, Mawuko, Rojwan, Hana, Jolina und Alex. Alex stand mit Rojwan, Mawuko und Josef, vorne neben dem Pult am Fenster und die drei beugten sich über ein Handydisplay, anscheinend sahen sie sich irgendein Video an. Hana und Jolina saßen schon auf ihren Plätzen in der hintersten Reihe neben dem Fenster. Jan und Sissi , die eigentlich in der Reihe vor Jolina und Hana saßen, hatten ihre Stühle umgedreht, so dass sie ihnen gegenüber am Tisch saßen. Jolina oder auch Jey genannt, kippelte mit dem Stuhl nach hinten und brabbelte etwas von:,, Und dann hat mein Team doch noch gewonnen, obwohl ich 2, 11, 1 stand. " Ich sah wie Hana Jey angrinste und hörte wie Sissi, ,, Tja und ich steh so in einem Anfänger-Bot-Game.", sagte. Jan fuhr sich daraufhin durch die Haare und sagte etwas desinteressiert:,, Und ich versteh nicht, wie ihr so viel Zeit in diesem Spiel verbringen könnt." Hana setzte an, um Jans Aussage zu kontern, aber ich hörte nicht mehr, was sie sagte. Ich hatte mir meine Kopfhörer in die Ohren gesteckt und ging zu meinem Platz.
Ich legte meinen Collageblock in die Mitte meiner Tischhälfte und platzierte neben ihm die Federtasche, die mir Saki zu Weihnachten geschenkt hatte. Die Federtasche sah aus wie eine kleine Milchtüte mit niedlichen Pandas darauf. Ich schlug meinen Collageblock auf und begann damit ein Bild zu malen. Es war nichts besonderes, nur ein Kirschblüten Baum. Ich war gerade dabei rosane Blüten auf die Äste zu zeichnen, als ich über den Rand des Papiers wahrnahm, wie sich mir jemand gegenüber an den Tisch setzte. Kurz darauf fuchtelte eine Hand vor meinem Gesicht herum und hätte beinahe meinen Stift angestoßen. Ich blickte auf und sah in Alex hellgraue Augen.
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