~3. Kapitel~ [Josh]
Gedankenverloren sah ich auf das weite Meer. Die Wellen rauschten, Möwen kreischten. Dieser schöne Anblick ließ mein Herz schneller schlagen. Leise Schritte hinter mir rissen mich aus meinen Tagträumen. Lieven, mein bester Freund, kam auf mich zu. Seine sonst so fröhliche Miene war angespannt. Sofort wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Er setzte sich neben mich auf das weiche Gras. Seine Stimme hatte einen grimmigen Beiklang als er sagt: »Das Wasser hat die Obergrenze der Mauer erreicht.«
Ich erstarrte und spürte mein Herz schneller schlagen. »Die Obergrenze? Das kann nicht sein. Gestern waren noch einige Zentimeter bis dahin, dass hab ich doch...«
Er schüttelte den Kopf und brachte mich damit zum Schweigen. »Du weißt was das heißt.«
Oh ja, das wusste ich. Nur allzu gut. Die wenigen Menschen, die hier noch lebten, hatten Makierungen an eine niedrige Mauer direkt am Meer gezeichnet, wodurch sie die Steigungen des Meeresspiegels beobachten konnten. Ein Jahr war es beinahe schon her, seit das Volk beschlossen hatte, dass, sollte das Wasser die Obergrenze erreichen, alle Verbliebenen die Insel verlassen mussten. Aus Sicherheitsgründen, hatten sie gesagt.
Es ist meine Heimat, mein Zuhause. Wie kann ich all das hier verlassen?
Lieven schien meine Gedanken erraten zu haben, denn er drückte mitfühlend meine Schulter. »Das ist für uns alle ein Schock, auch wenn wir wussten, dass es so kommen wird. Keinem von uns fällt das leicht.« Ich holte tief Luft und versuchte mich zu beruhigen. »Du hast Recht. Lass uns unsere Sachen packen und zusehen, dass wir einen Platz auf dem Schiff bekommen. Es soll schließlich nicht ohne uns fahren.«
Wir machten uns auf den Weg zu unseren Häusern. Dabei ließ ich meinen Blick über die Gegend schweifen. Die Häuser hier waren alt und heruntergekommen, die Straßen schmutzig und das Gras zertrampelt. Trotzdem machte sich keiner die Mühe, aufzuräumen oder die Häuser zu renovieren. Es war bisher nur eine Frage der Zeit gewesen, wann wir die Stadt verlassen mussten. Die Küstenwache hatte der gebliebenen Insel ein Schiff zur Verfügung gestellt. Es war nicht sehr groß, musste aber ausreichen, um alle auf Festland zu transferieren. Wir kamen zu einer Häuserreihe.
Das Haus von mir und meiner Mutter war kaum größer als eine Scheune, doch genau das machte es noch viel gemütlicher. Vor der alten Haustür blieb ich stehen und drehte mich zu Lieven um. »Treffen wir uns bei Sonnenuntergang wieder hier?« Es war schon später Nachmittag und würde nicht mehr lange dauern. Mein bester Freund nickte zustimmend und bog in die nächste Straße. Seine Wohnung war nur wenige Straßen von meiner entfernt.
Ich klopfte an die Tür und wartete. Eine Minute später wurde sie aufgerissen und eine schlanke Frau erschien. »Josh! Hast du schon gehört? Wir sollen evakuiert werden!« Ihre sonst so strahlenden Augen blitzten ängstlich auf. Ich trat ein. »Ich weiß, Mum. Hab es grad von Lieven gehört.«
»Ich hab schon einige Sachen rausgesucht.« Sie führte mich in unser Wohnzimmer und deutete auf zwei Rucksäcke. »Einer für dich, der für mich.« Ich nahm den schwarzen und suchte mein kleines Zummer auf, wo bereits Klammotten auf meinem Bett gestapelt waren. Nur das nötigste packte ich ein, viel mehr passte nicht hinein. Nach fünfzehn Minuten waren meine Sachen gepackt. Den Rucksack stellte ich zu dem meiner Mutter. Diese war in der Küche beschäftigt. »Was machst du da?«, fragte ich. Sie drehte sich zu mir um und hielt mir ein belegtes Brot hin. »Iss das. Ich glaube nicht, dass es demnächst allzu viel geben wird. Wir sollten auf alles vorbereitet sein.« Ich tat wie geheißen, obwohl ich mich wunderte, warum meine Mutter sich um das Essen sorgen machte. Sie bemerkte meinen verwirrten Blick und erklärte: »Wir werden mehrere Tage, wenn nicht sogar Wochen mit dem Schiff unterwegs sein. Und wie soll die Crew genug zuessen für alle mitnehmen, wenn das Schiff sowieso schon viel zu klein dafür ist, alle Bewohner darauf unterzubringen.« Sie seufzte. »Weißt du, manchmal wünschte ich, wir wären mit deinem Vater mitgefahren, als das Landstück noch dem Festland angehört hat. Dann wären wir jetzt weiter im Norden bei seinem Haus, wo die Flut nicht so schnell hinkommt.«
»Du kannst nicht wissen, ob es da besser aussieht als hier. Aber vielleicht können wir trotzdem dahin, wenn wir erstmal hier runter sind.«
Sie strich mir über die verwuschelten Haare. »Ich bin so froh, dass ich dich bei mir hab, mein Sohn.« Unwillkürlich lächelte ich sie traurig an. »Ich weiß, Mum.«
Ein lautes Geräusch ließ uns beide aufhorchen. Die Sirene der einzigen Polizeistation auf dieser Insel schallte laut durch die Straßen und bedeutete allen Bewohnern, ihre Häuser zu verlassen. Ich hob den Kopf. »Lass uns gehen. Lieven müsste gleich kommen.« Wir traten vor unsere Wohnung und sahen ein letztes Mal hinein. Mum schlug die Augen nieder. »Wie konnte es nur so weit kommen?«
Wut wallte in mir auf. »Hätten die Menschen früher besser aufgepasst und nicht so viel die Luft verpestet, wäre das hier immer noch Festland.« Warum lernten die Menschen nur nichts dazu? Sie hätten doch wissen müssen, welche Folgen das haben würde. Und wegen dieser Unachtsamkeit müssen wir jetzt unser Zuhause verlassen!
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Diesmal ein Kapitel aus einer anderen Perspektive :)
Wie gefällt es euch? Soll ich etwas verbessern oder ändern?
Vielen Dank fürs Lesen und viel Spaß beim nächsten Kapitel ^^
Liebe Grüße, Sonnenfunke⭐
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