27
Am nächsten Morgen wachen die Freunde nebeneinander auf. Rue und Wyn haben sich auf dem Boden eine Matratze geteilt. Rue wacht als erste auf und schaut sich den schlafenden Wyn noch einmal an. Seine Schönheit fällt ihr nun noch einmal intensiver auf. Sie fährt ihm vorsichtig durch die langen Haare, die er zum Schlafen aus dem Knoten gelöst hatte. Sie wollte ihn nicht wecken.
Trotzdem schlägt er nach ein paar Minuten die Augen auf und sie sieht in seine blauen Augen.
"Guten Morgen, Schöne" , lächelt er.
"Guten Morgen" , lächelt sie zurück und er gibt ihr einen Kuss.
"So könnte ich jeden Morgen aufwachen" , gibt er zurück.
"Wollen wir Brötchen holen gehen? Ich will dir sowieso noch etwas erzählen" , flüstert Rue, damit sie die anderen beiden nicht wecken.
Die beiden schleichen sich aus dem Zimmer und ziehen sich die Schuhe leise an. Als sie draußen sind, beginnen die beiden wieder miteinander zu reden. Im Gehen nimmt Wyn ihre Hand, was sich gut anfühlt.
"Ich will Harrys Enkelkind finden"
"Wieso das denn?" , fragt Wyn neugierig.
"Wir haben über seine Familie geredet. Dabei habe ich herausgefunden, dass er sich vor Ewigkeiten mit seiner Tochter zerstritten hat und sein Enkel noch nicht einmal kennt"
"Und wieso ruft er seine Tochter nicht einfach an, oder fährt zu ihr?"
"Sie ist schon verstorben"
"Oh, das tut mir Leid"
"Wie viel hast du denn bisher rausgefunden?"
"Noch gar nichts. Du weißt nicht zufällig irgendetwas?" , fragt sie hoffnungsvoll.
"Nein, tut mir Leid"
"Ist schon okay. Ich habe echt alle in der Stadt gefragt, weil ich ihn überraschen wollte, aber niemand scheint etwas zu wissen"
"Auch Nana im Cafe?" , fragt er.
"Nein, das ist geschlossen"
"Warum das denn?" , fragt er. Inzwischen sind sie allerdings bei der Bäckerei angekommen, weshalb die beiden ihr Gespräch unterbrechen, um ein paar Brezeln und Brötchen zu bestellen.
"Wegen eines Familiennotfalls. Sie sind am Montag wieder da"
"Sie weiß bestimmt etwas" , lächelt er hoffnungsvoll.
"Ich hab einfach nicht genug Geduld"
"Es ist doch schon morgen""Ich hoffe nur, es geht allen gut" , erklärt sie.
"Weißt du eigentlich, wie gern ich dich hab?" , fragt Wyn und dreht sie einmal im Kreis, um sie danach noch einmal zu küssen.
"Wollen wir noch einmal kurz bei Harry vorbei?" , fragt Wyn grinsend.
"Brauchst du etwa ein neues Buch?" , fragt Rue.
"Ganz eventuell" , lächelt er und die beiden machen sich auf wen Weg, um noch bei Harry vorbeizuschauen. Der Buchhändler begrüßt die beiden herzlich und sie stöbern ein wenig, bis Wyn ein Buch gefunden hat.
"Hast du auch ein Buch gefunden?" , fragt Wyn nach einer Weile, als er Rue an einem Bücherregal stehen seht, mit einem Buch in der Hand. Sie sieht unentschlossen aus, als wenn sie mit sich ringen würde.
"Ich bin gerade echt knapp bei Kasse. Ich muss mir echt einen Job suchen" , sagt sie und stellt das Buch wieder zurück ins Bücherregal, um zu Wyn zu gehen, als sie angerufen wird. Da gerade noch andere Kunden in der Buchhandlung sind, geht sie nach draußen, um den Anruf anzunehmen.
"Rue, wo seit ihr denn? Seit ihr schon abgehauen? Wir dachten, wir wollen zusammen frühstücken"
"Wollen wir ja auch. Wir sind gerade dabei, Brötchen zu holen. Aber Wyn hängt noch in der Buchhandlung fest"
"Wie man ihn kennt" , kommt es aus dem Hintergrund.
"Wir sind echt in fünf Minuten bei euch. Wyn ist schon an der Kasse. Ich hole ihn da raus und dann sind wir gleich bei euch. Ihr könnt ja schon einmal den Tisch decken"
"Okay, bis gleich" , verabschieden die beiden sich.
"Wyn, kommst du?" , fragt Rue, als sie wieder in den Laden geht.
"Ich bin schon da" , ruft er und kommt auf sie zu.
"Tschüß, Harry. Bis zum nächsten Mal" , ruft Rue.
"Hier" , sagt Wyn und streckt ihr das Buch entgegen, welches sie eben überlegt hatte, mitzunehmen.
"Aber Wyn! Ich geb dir das Geld wieder"
"Brauchst du nicht. Ich mache meiner Freundin gerne Mal eine Freude"
"Danke" , sagt sie und gibt ihm einen Kuss. "Du bist der Beste!"
Die beiden beeilen sich nun, um schnell wieder bei Raven und Niv zu sein, die schon auf sie warten. Der Tisch ist fertig gedeckt und die vier genießen ein leckeres Frühstück, bevor sie sich trennen.
"Ich will mich heute auf die Suche nach einem Job machen"
"Heute? Heute ist Sonntag"
"Harry hat doch auch auf"
"Ja, eigentlich seltsam. Heute hat doch eigentlich alles zu"
"Bei Harry finde ich bestimmt einen Job" , erklärt sie.
"Dann viel Glück", rufen die drei anderen, denn Rue ist schon aus der Tür.
"Und, was machen wir jetzt?" , fragt Wyn in die Runde.
"Wir beide verbringen einen ganzen Tag im Bett und schauen Serien. Du bist herzlich eingeladen, mitzumachen" , lächelt Niv.
"Ich glaube, dann mach ich doch lieber was anderes und lasse euch Mal alleine. Bis dann Leute, es war schön" , erklärt er den beiden und auf dem Weg nach draußen ruft er Bob an. Die beiden wollen sich treffen und die ersten Pläne für den Roadtrip nach dem Abi machen.
Rue läuft, nachdem sie aus Nivs Wohnung kommt, direkt wieder in die Buchhandlung.
"Was willst du denn schon wieder hier?" , fragt Harry lächelnd. "Hast du etwas vergessen?", fragt er.
"Nein, ich wollte dich nach einem Job fragen"
"Einen Job?" , fragt er misstrauisch.
"Ja, ich brauche Geld, um weiterhin Bücher bei dir kaufen zu können"
"Ein bisschen widersprüchlich, oder?" , grinst der alte Mann.
"Ich würde dir echt gerne einen Job anbieten, aber die Kapazitäten habe ich einfach nicht, Rue. Tut mir Leid" , erklärt er.
"Schon okay, ich bin dann auch wieder weg. Ich brauche schließlich bald ein neues Buch. Ciao!" , ruft sie und macht sich zum nächsten Laden, um dort nach einem Job zu fragen. Doch alle in Königsfelde scheinen keine Kapazitäten zu haben, um jemanden einzustellen. Nach ein paar Stunden fällt Rue enttäuscht und erschöpft ins Bett.
Am Abend kommt Raven ins Zimmer und findet eine schlafende Rue vor. Raven ist allerdings so laut, dass Rue aufwacht.
"Tut mir Leid, ich wollte dich nicht wecken"
"Schon okay, hast du zufälligerweise einen Job für mich?" , fragt sie noch völlig verschlafen.
"Ich glaube, im Stall könnten sie tatsächlich Hilfe gebrauchen. Wenn du magst, kann ich dich dort morgen vorstellen"
"Das wär echt klasse" , sagt Rue und ist in der nächsten Sekunde schon wieder eingeschlafen.
*
Am Montag verschläft Rue total, weil sie ihren Wecker nicht hört.
"Na, Schlafmütze?" , fragt Wyn grinsend, der in ihrer Zimmertür steht. "Du hast genau" , sagt er und schaut auf seine Uhr. "Fünf Minuten, dann müssen wir im Unterricht sein"
"Fuck" , flucht Rue, rennt ins Badezimmer und kommt völlig außer Atem und mit komplett zerstrubbelten Haaren im Klassenzimmer an. Pünktlich.
"Es freut mich, dass Sie es auch nicht geschafft haben" , erklärt der Lehrer und deutet auf ihren Platz.
Nachdem der lang ersehnte Tag sich langsam dem Ende zuneigt, merkt Rue erst, dass sie heute zu dem kleinen Cafe will, welches etwas über Harrys Tochter wissen könnte. Heute ist sie allerdings auch mit Raven verabredet, damit sie hoffentlich einen Job findet. Nun muss sie abwägen und entscheidet sich erst einmal für ihre Freundin. Immerhin sind die beiden fest verabredet und Rue braucht diesen Job wirklich dringend.
"Ich dachte schon, du kommst nie" , erklärt ihre Freundin ihr.
"Tut mir Leid, mein Lehrer hat überzogen, wie immer" , erklärt Rue mit verdrehten Augen und die beiden machen sich auf den Weg zum Stall. Raven hat wie fast immer ihre Reitsachen an.
Nach ein paar Minuten, die sie nebeneinander her spazieren, kommen sie auch schon an. Dies wäre schon einmal ein Pluspunkt auf der Liste, die Rue in ihrem Kopf schreibt. Es wäre nicht weit zu ihrem Job. Als sie noch völlig in Gedanken ist, spricht sie auf einmal eine Person an.
"Du musst Rue sein?" , fragt die Person und streckt ihr die Hand entgegen, womit Rue noch gar nicht gerechnet hat.
"Oh ja, tut mir Leid. Ich bin Rue" , sagt sie und schüttelt der Frau die Hand.
"Und du suchst einen Job?", fragt sie. Rue nickt. Sie scheint nicht bemerkt zu haben, dass Rue total verträumt gewesen ist. Sie muss ständig an Harry und seine Tochter denken.
"Wenn du magst, kannst du morgen zu einem Vorstellungsgespräch vorbei kommen" , erklärt die Frau ihr und verabschiedet sich noch, was Rue allerdings überhaupt nicht mehr wahrnimmt.
"Rue! Was war das denn? Ich dachte, du kannst den Job gebrauchen" , erklärt ihre Freundin ihr vorwurfsvoll.
"Tut mir Leid, ich muss jetzt weg" , erklärt sie und macht auf dem Absatz kehrt, um endlich zu dem Cafe zu fahren. Sie musste das jetzt endlich klären. Sie konnte an nichts anders mehr denken.
Rue nimmt ihr Skateboard vom Rucksack und macht sich auf den Weg in die Stadt, um noch einmal zu dem Cafe zu gehen und nachzufragen.
Tatsächlich ist die alte Dame inzwischen wieder da und steht hinter der Theke, als Rue den Laden betritt.
"Was kann ich für dich tun?" , fragt sie liebevoll.
"Haben sie einen Augenblick Zeit für mich?", fragt Rue.
"Möchtest du nichts zu essen?" , fragt sie verwundert.
"Nein, heute brauche ich etwas anderes von Ihnen"
"Was denn?" , fragt die alte Dame.
"Sie kennen doch Harry, oder? Den alten Buchhändler?" , fragt Rue unsicher.
"Natürlich. Wir sind zusammen aufgewachsen"
"Und darum geht es"
Die alte Dame schaut verunsichert.
"Harry hatte doch eine Tochter. Wissen sie, wie sie heißt?", fragt Rue.
"Warum willst du das wissen? Und wieso fragst du ihn nicht selbst?" , fragt sie.
"Ich möchte ihn gerne überraschen. Wir haben über seine Familie geredet und das die beiden sich vor langer Zeit zerstritten haben. Er hat ein Enkelkind, welches er nie kennen gelernt hat und ich möchte ihm dies ermöglichen, indem ich dem Vater von dem Enkelkind kontaktiere. Dafür brauche ich aber irgendeinen Anhaltspunkt. Zumindest einen ganz ganz kleinen, wie zum Beispiel den Namen seiner Tochter"
"Oh süße, dass tut mir Leid. Der Name ist mir inzwischen entfallen. Die beiden haben seit Jahren keinen Kontakt mehr miteinander, weshalb sie auch nie wieder zu Besuch war. Harry erwähnt den Streit nicht gerne, weißt du?"
"Wissen sie wirklich gar nichts? Vielleicht, wo die Familie hingezogen sein könnte? Haben sie Bilder, wo etwas darauf hindeuten könnte? Irgendwas, ein kleiner Hinweis?" , fragt Rue hoffnungsvoll.
"Ich kann gerne einmal nachschauen"
"Das wäre super lieb von Ihnen und mir eine sehr große Hilfe. Vielen, vielen Dank!" , bedankt Rue sich, als die alte Dame in den Hinterräumen des Cafes verschwindet und tatsächlich mit einem großen Fotoalbum zurück kommt.
Die beiden öffnen das erste der beiden Fotoalben, dass die alte Dame herausgeholt hat, doch in diesem sind nur Bilder aus der Kindheit von Harry selbst. In dem zweiten Fotoalbum werden die beiden schließlich fündig und finden ein paar Fotos von Harry und seiner Tochter. Die Tochter sieht aus wie Rue.
"Ist das-?" , fragt Rue tränenerstickt. "-meine Mum?", fragt sie die alte Dame.
Unter dem Bild steht in einer schönen Schrift geschrieben, die der Schrift ihrer Mutter ähnlich sieht: Papa und ich auf dem Bauernhof.
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