13

„Was machen Sie da?", ist der Satz, von dem Rue am nächsten Tag aus dem Schlaf gerissen wird. Völlig verdutzt schaut sie eine der Betreuerinnen an.

„Was?", fragt sie völlig verschlafen.

„Wieso sind sie in Wyns Bett?", fragt sie. Eine Traube an Schülern hatte sich an der Zimmertür gebildet.

„Was?", fragt Rue und schaut sich verdutzt um. Tatsächlich war sie in Wyns Bett eingeschlafen und nun hatte die Betreuerin, die die Schüler morgens weckte, sie in Wyns Bett erwischt.

„Es-Es ist nicht so, wie es aussieht", stammelt sie.

„Sie wissen genauso gut, wie ich und alle anderen hier in diesem Internat, dass solch ein Verhalten untersagt ist. Das wird ein Nachspiel haben!", sagt sie und verschwindet daraufhin.

„Ich hab dir doch gestern gesagt, dass du verschwinden sollst", erklärt der Zimmernachbar von Wyn ihr.

„Scheiße", sagt sie und rauft sich die Haare.

„Ich wollte nicht einschlafen"

„Ich weiß, dass ihr keinen Sex hattet. Wie auch, ich bin ja hier. Das wäre etwas zu vieldes Guten. Aber alle anderen denken das. Auch die Lehrer"

„Fuck. Wo ist Wyn?"

„Im Bad"

„Hat er von all dem mitbekommen?"

„Nicht, dass ihr erwischt worden seid"

„Wieso starren mich auf dem Flur denn alle so an? Hab ich irgendetwas im Gesicht? Zahnpasta?", fragt Wyn völlig unschuldig. Rue wusste nicht, wie sie Wyn von den neusten Ereignissen erzählen sollte, also haut sie einfach ab. Sie schließt sich in ihrem Zimmer ein und will im Erdboden versinken. Alle würden sie anstarren und vermutlich würden sie und Wyn fliegen. Und alles nur wegen ihrer Dummheit. Es ist ihr unendlich peinlich.

Rue versucht den ganzen Tag, Wyn aus dem Weg zu gehen. In der Schule klappt dies einigermaßen gut, weil sie an diesem Tag kaum Kurse zusammen haben und am Nachmittag haut sie sofort in die Stadt ab, um ihm nicht zu begegnen. Rue überlegt, wo sie in dieser Stadt hinkönnte, aber sie muss feststellen, dass sie Königsfelde nicht besonders gut kennt, als dass sie sich sonderlich gut verstecken könnte. Sie kennt die Buchhandlung, ihren Rückzugsort, doch da würde Wyn sie als erstes suchen. Die Cafés waren auch keine gute Idee. Nach einer Weile beschließt sie, einfach durch die Stadt zu laufen und vielleicht etwas Neues zu entdecken. Nachdem sie eine halbe Stunde gelaufen ist, entdeckt sie tatsächlich etwas Neues. An einem neuen Ort würde Wyn sie am wenigsten vermuten.

Sie setzt sich auf einen der Bänke und wählt Lyras Nummer.

„Ich bin es schon wieder. Ich habe ein riesengroßes Problem"

„Was ist denn los?"

„Alle denken, Wyn und ich hätten miteinander geschlafen"

„Habt ihr denn?", fragt Lyra.

„Natürlich nicht!"

„Und warum denken das dann alle?"

„Weil wir im selben Bett geschlafen haben. Zur gleichen Zeit. Und erwischt wurden sind"

„Scheiße. Ist das bei euch nicht verboten?"

„Definitiv. Und deshalb bin ich weggerannt"

„Wohin?"

„Rue?"

„Ich habe einen Friedhof entdeckt. Da bin ich. Ich fliehe vor Wyn. Er hat von all dem nichts mitbekommen. Aber die Leute starren uns an. Ich halt das nicht aus"

„Das ist mehr Drama in einer Woche, als ein Mensch aushalten kann"

„Du sagst es"

„Du musst mit ihm darüber reden"

„Ich will nicht mit ihm reden. Das ist mir so peinlich"

„Musst du aber", sagt auf einmal eine Stimme, die nicht aus ihrem Telefon kommt.

„Was?", fragt Rue verdutzt.

„Wie- Lyra, er hat mich gefunden. Ich rufe dich zurück"

„Er hat es mir erzählt. Es ist okay. Dann sollen sie es halt denken. Was ist schon groß dabei?"

„Dass wir es erstens, nicht getan haben. Zweitens, dafür von der Schule fliegen könnten und drittens"

„Was drittens?", fragt er neugierig.

„Uns alle anstarren. Wir werden nie mehr unsere Ruhe haben"

„Dann suchen wir uns eben unsere Ruhe. Der Ort, wie das Dach. Wir gehen aufs Dach, oder hierher"

„Und was ist, wenn sie uns beobachten und unsere Orte finden?"

„Dann sollten wir vielleicht erst einmal nicht mehr aufs Dach"

„Ich finde, wir sollten Abstand nehmen"

„Was?", fragt Wyn verdutzt.

„Ich finde, wir sollten Abstand voneinander nehmen"

„Ist es dir wirklich so wichtig, was andere von dir denken?"

„Ja", ist die schlichte Antwort, die Wyn darauf bekommt.

„Ich hätte dich echt anders eingeschätzt, Rue" , erklärt Wyn.

„Dann sind wir wohl ab jetzt geschiedene Leute", sagt Wyn. Rue sieht nicht, dass ihm eine Träne die Wange herunterläuft, die er schnell wegwischt und dann wieder hinter den Bäumen verschwindet. Im nächsten Moment beschließt sie, ihren Vater anzurufen.

„Dad?", fragt sie schniefend.

„Süße, was ist denn los?", fragt er.

„Kannst du mich krank melden und abholen?"

„Was ist denn passiert?"

„Erkläre ich dir auf der Fahrt, okay? Ich muss einfach ein paar Tage raus. Bitte komm mich abholen"

„Ich bin in einer halben Stunde da. Wo soll ich hinkommen?"

„Hier ist so ein Friedhof. Da bin ich"

„Okay. Hab dich lieb"

Rue bleibt noch eine ganze Weile an dem Grab sitzen, an dem sie saß, bevor Wyn gekommen ist. Es ist jemand, der 1833 geboren ist. Rue fragt sich, ob diese Frau damals genauso viel Drama in ihrem Leben erlebt hat, wie sie nun. Sie spricht mit der Dame. Schließlich geht sie zum Eingang, um auf ihren Vater zu warten. Dieser braucht nicht lange und nimmt sie erst einmal in den Arm.

„Alles okay?"

„Nein", sagt sie ehrlich.

„Was ist denn los?"

„Können wir einfach hier weg?"

„Ja, steig ein. Ist es okay, wenn wir in meine neue Wohnung fahren?"

„So neu ist sie ja jetzt auch wieder nicht", erklärt Rue.

„Aber ich habe sie noch gar nicht gesehen. Ja, ist okay"

„Wollen wir vorher noch etwas zu essen holen?"

„Ja. Das ist eine gute Idee", sagt sie und die beiden holen ein paar Burger und Pommes, die sie am Esstisch bei ihrem Vater essen. Danach zeigt er ihr erst einmal, wie er inzwischen wohnt.

„Es ist schön geworden"

„Danke"

„Magst du mir jetzt erzählen, was vorgefallen ist?"

„Alle denken, Wyn und ich hätten miteinander geschlafen"

„Was? Habt ihr es denn?"

Rue lacht. Seltsam, dass alle diese Frage zuerst stellen.

„Natürlich nicht. Er ist mein bester Freund"

„Und wie kommt dieses Gerücht in die Welt?", fragt er besorgt.

„Das ist das schlimmste daran. Ich bin selbst Schuld"

„Warum das denn? Hast du es erzählt?"

„Nein. Aber ich habe in seinem Bett geschlafen. Das ist verboten. Ich wollte es auch gar nicht. Ich bin abends noch einmal zu ihm, weil ich mit ihm reden wollte. Ist gerade alles nicht so einfach. Dann bin ich eingeschlafen und morgens hat die Lehrerin uns gefunden und ist ausgerastet"

„Scheiße" , ist das erste, was ihr Vater dazu sagt. Er ist der einzige, der Rues Geschichte kennt. Weshalb sie diese Sache so fertig macht.

„Das kannst du laut sagen"

„Aber sie nehmen es sofort an. Wart ihr denn angezogen?"

„Dad! Natürlich"

„Ich habe nie daran gedacht, wenn ich an Wyn gedacht habe"

„Aber du magst ihn?"

„Ja, als besten Freund."

„Und wie geht es ihm jetzt?"

„Keine Ahnung"

„Wieso weißt du das nicht?"

„Ich hab ihm gesagt, dass wir erst einmal auf Abstand gehen sollten"

„Was hast du gesagt?", fragt ihr Vater entgeistert.

„Ihm gesagt, dass ich Abstand brauche"

„Das ist ein Scherz, oder?"

„Nein"

„Rue. Das kannst du doch nicht machen. Da müsst ihr zusammen durch"

„Aber- Dad, was denken die Leute denn?"

„Wäre es so schlimm, wenn sie denken, dass ihr beiden zusammen seid?"

Rue scheint einen Augenblick zu überlegen. Danach schüttelt sie den Kopf.

„Rufe ihn an und entschuldige dich. Er braucht dich jetzt"

„Aber- ich will nicht dahin zurück. Alle tuscheln über mich"

„Ich würde sagen, dass du dir das selber eingebrockt hast und die Suppe nun auch wieder auslöffeln musst", sagt er lächelnd und hält ihr das Telefon hin.

„Wir lernen immer dazu"

„Ich hasse es"

„Ich weiß", sagt er und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Ich glaube, es ist nicht so einfach, dass zwischen Wyn und mir wieder gut zu machen. Er meinte, wir sind jetzt geschiedene Leute"

„Hat er es gesagt und auch so gemeint oder nur gesagt und es nicht so gemeint?"

Rue zuckt mit den Schultern.

„Du magst ihn doch, oder?"

„Natürlich."

„Dann rufe ihn an"

Rue überlegt noch eine Weile und hört schließlich auf ihren Vater, doch Wyn geht nicht ans Telefon.

„Er geht nicht ran. Und wenn ich er wäre, würde ich es ebenso wenig machen. Ich glaube, ich habe ihm ziemlich wehgetan"

„Ich habe eine Idee. Du bleibst das Wochenende noch hier und nimmst ein wenig Abstand von all dem. Am Montag fahren wir zurück und du stellst dich deinen Ängsten. Wir regeln das, okay?", fragt ihr Vater und sie nickt nach einer Weile.

„Ich würde Wyn trotzdem noch schreiben"

„Ich versuche es", sagt sie und verzieht sich in ein Zimmer, welches ihr Vater eingerichtet hatte, falls sie einmal zu Besuch kommen sollte. Sie sitzt auf dem Bett und versucht eine Nachricht zu tippen, doch sie scheint einfach nicht die richtigen Worte zu finden.

„Lieber Wyn,

es tut mir Leid. Ich bin ein Arsch. Ich kann nicht mit Gefühlen umgehen und vermutlich habe ich so reagiert, weil du mir viel zu wichtig bist, als dass ich dich verlieren würde", versucht sie es, doch löscht es wider. Sie hatte ihn verloren, weil sie ihn weggestoßen hatte. Sie versucht es noch einmal.

„Lieber Wyn,

ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich...", beginnt sie, doch löscht auch diese Nachricht wieder.

"Wyn, in Hamburg ist damals etwas passiert. Du würdest es verstehen, wenn ich es dir erzählen würde. Ich.." , beginnt sie einen weiteren Versuch, doch alles was sie schreibt, ist Müll.

Nach ein paar weiteren Texten, die sie versucht, zu verfassen, gibt sie auf und lässt ihr Handy im Zimmer liegen. Sie versucht sich, ein wenig abzulenken und schaut mit ihrem Vater fern. Sie sieht nicht, dass Wyn versucht, sie anzurufen.

Am Abend beschließt sie, dass sie sich nicht erst Montag den Ereignissen stellen kann, sondern gleich handeln muss. An diesem Abend.

„Dad, ich muss zurück"

„Es ist mitten in der Nacht"

„Ich muss zurück. Ich muss Wyn sehen. Er hat zehn Mal versucht, mich anzurufen. Ich mache mir Sorgen"

„Rue, ich kann dich jetzt nicht wieder fahren. Wir sind mindestens eine Stunde unterwegs."

„Er ist es mir wert. Ich fahre sonst mit dem Bus"

„Okay. Okay. Ist ja gut. Ich fahre dich. Aber kann ich da irgendwo schlafen?"

„Ja. Im Internat. Auf einer Matratze in meinem Zimmer"

„Dann zieh dich an", sagt er und die beiden fahren zurück. Als die beiden ankommen, bemerkt Rue die Blicke nicht, die sie streifen. Sie macht sich zu viele Sorgen um ihren Freund, als dass sie die anderen beachten würde. Ihr Vater hingegen bemerkt die Blicke.

„Was glotzt ihr so?", fragt er und auf einmal sind alle still. Niemand tuschelt mehr.

„Er ist nicht in seinem Zimmer"

„Wo kann er sonst noch sein?"

„Keine Ahnung. Bei Niv, in der Buchhandlung, in den Cafés, auf dem Friedhof. Aber wenn er nicht gefunden werden will, dann werde ich ihn auch nicht finden"

„Versuche noch einmal, ihn anzurufen"

Doch dies bringt nichts. Wyn drückt sie weg. Sie versucht es bei Niv. Dieser geht ran.

„Rue, ich brauche deine Hilfe. Wyn ist stockbesoffen"

„Wo seit ihr?"

„Auf einer Party. Wo ihr letztes Mal auch wart. Kannst du an die Scheune kommen?"

„Ja, ich bin in zehn Minuten da"

„Dad, kannst du hier bleiben oder nach Hause fahren? Ich komme jetzt alleine klar"

„Rue", versucht er sie zu rufen und zur Vernunft zu bringen, doch da ist sie schon weg.

*

Niv, Wyn und Raven sind gemeinsam auf einer Party bei der großen Scheune. An der Scheune finden alle großen Partys statt. Es ist der perfekte Ort, um eine Party zu schmeißen, denn drum herum ist nichts. Leere. Niemanden stört die Musik und sie konnten die ganze Nacht laut sein. Es war so etwas, wie ein Jugendtreff, denn die Jugendlichen in Königsfelde jeden Tag nutzen. In der Scheune stehen Kicker und Billiardtisch, sodass sie auch unter der Woche herkommen. Am Wochenende steigen die Partys.

Die beiden hatten sich schon vorher verabredet, um gemeinsam zu der Party zu gehen. Dieses Mal konnte Niv sie überreden. Auch wenn man eigentlich denken würde, Raven würde Niv überreden zu einer Party zu gehen, denn so würde man es bei den Erscheinungsbildern der beiden denken.

„Möchtest du etwas trinken?", fragt er und sie nickt. Er verschwindet daraufhin kurz in der Menge und Raven begrüßt einige der Leute, während Niv den beiden Bier besorgt.

„Hier", sagt er, als er zurück kommt und sie bedankt sich bei ihm. Sie setzten sich an einen der langen Tische, die in der Scheune stehen. Ein anderes Paar spricht die beiden an.

„Und, wie habt ihr euch kennengelernt?", fragt das Mädchen, um ein Gespräch aufzubauen.

„Wir sind kein Paar", lacht Raven.

„Oh. Sorry, ich dachte. Ihr harmoniert beide so miteinander"

„Beste Freunde", antwortet Niv.

„Schöne beste Freunde", grinst nun auch der Junge. Es ertönt ein bekanntes Lied aus den Boxen und die beiden springen gleichzeitig auf. Sie erklären Niv und Raven, dass dies ihr Song sei und sie dazu unbedingt tanzen müssten. Niv und Raven müssen lachen.

„Haben wir eigentlich einen gemeinsamen Song?", fragt Raven.

„Haben das nicht nur Liebespaare?", erwidert Niv.

„Ich würde behaupten: Nein. Auch beste Freunde"

„Dann wird es wohl Zeit"

„Willst du tanzen?", fragt Niv.

„Dann wird der zu unserem Song", lacht Niv und springt auf, um seine Hand Raven zu geben.

„Den kann man sich doch nicht einfach so aussuchen. Also ich meine, das kann man nicht einfach so entscheiden. Man spürt es einfach"

Die beiden beiden schwingen zu Get it Right von Left Boy herum und singen begeistert mit. Die beiden springen eigentlich, wie Flummis durch die Luft.

„Ich liebe dieses Lied", sagt Raven und singt mit. Danach ertönt ein langsamer Song und die beiden wissen nicht recht, wie sie nun reagieren sollen. Ob sie weitertanzen sollen oder wieder von der Tanzfläche verschwinden. In diesem Moment rettet Wyn die beiden vor einer Entscheidung, in dem er auftaucht und die beiden begrüßt.

„Das ist ja gar keine richtige Mukke hier. Mach mal was Echtes an", sagt er. Er lallt schon ganz schön.

„Wyn, bist du schon betrunken?", fragt Niv ihn.

„Nein", sagt er.

„Er ist betrunken. Und zwar sowas von voll", stellt Raven fest und verdreht die Augen. Sie mag keine betrunkenen Leute. Niv setzt sich eine Weile neben Wyn auf einen der Bänke, doch Wyn will immer wieder zum Bier. Auf diesen Partys gibt es meistens nur Bier, weil es sonst öfter solche Fälle, wie den von Wyn gab.

„Du hast vorher schon härtere Sachen getrunken, hab ich recht?", fragt Niv noch einmal und stützt seinen besten Freund, der schon immer zur Seite kippt, weil er sich nicht mehr aufrecht halten kann.

„Man, ich hab kein Bock, dass du eine Alkoholvergiftung bekommst. Und Raven und Rue bestimmt auch nicht"

„Rue ist mir egal"

„Geht es ihm wirklich gut?", fragt Raven nun besorgt.

„Ich kann es dir ehrlich gesagt nicht sagen. Er meint, er wäre okay. Aber so, wie er aussieht, zweifele ich daran. Kannst du kurz auf ihn aufpassen? Ich müsste Mal eben für kleine Jungs", sagt Niv nach einer Weile.

„Klar"

Raven versuchte Wyn im Auge zu behalten, doch als ein anderer Junge, für den sie schon lange schwärmt, mit ihr reden will, lässt sie ihn für eine Minute aus den Augen und er ist verschwunden. Sie versucht es dem Jungen zu erklären, doch er hat etwas Besseres zu tun, als einen anderen Jungen zu suchen.

„Scheiße", flucht sie vor sich hin und sucht ihn überall auf der Party. Aus diesem Grund mochte Raven keine Partys. Überall waren besoffene Menschen und man musste auf seine Freunde aufpassen, die ihr Limit nicht kannten oder versuchten, ihren Problemen aus dem Weg zu gehen. Letztendlich findet Raven ihn am Bierstand wieder. Er hatte sich einen neuen, roten Becker geholt und noch einmal mit Bier gefüllt. Sie will ihm den Becher wegnehmen, doch er torkelt durch die Menge und hält den Becher außer Reichweite von Raven. Die Menge schließt sich hinter Wyn wieder, sodass Raven ihn noch einmal aus den Augen verliert. Sie versucht sich ebenfalls durch die Menge zu quetschen, doch alle Leute machen sie blöd an. Sie versucht es außen herum, doch Wyn ist nirgends mehr zu sehen.

„Fuck", flucht sie noch einmal und setzt sich auf einen der Heuhaufen. Sie wird Wyn in dieser Menschenmasse niemals wiederfinden. Niv kommt von der Toilette wieder und findet Raven auf dem Heuhaufen.

„Wo ist er?"

„Abgehauen. Ich bin ihm hinterher, aber ich habe ihn verloren"

„Wahrscheinlich kotzt er. Ich glaube, ich weiß, wo er ist", sagt er und verschwindet. Raven läuft ihm hinterher, denn wenn sie Niv nun auch noch verlieren würde, dann wäre sie ganz alleine auf dieser scheiß Party. Wenn Niv in der Nähe war, fühlte sie sich wenigstens einigermaßen wohl. Sie wurde auf Partys immer stehen gelassen, was einer der Gründe war, weshalb sie sie hasste.

Nach zehn Minuten rennen ist sie an der Scheune angekommen und total aus der Puste. Sie geht hinein und auch hier starren sie alle wieder an, doch auch dieses Mal bemerkt sie es nicht.

„Wo ist er?", fragt sie Niv, der auf sie zukommt. Die beiden gehen gemeinsam nach draußen, um ihren besten Freund zu suchen und nach Hause zu bringen.

„Draußen. Er kotzt sich die Seele aus dem Leib"

„Okay. Ich bringe ihn nach Hause" , sagt Rue.

„Ich glaube, es ist keine gute Idee, ihn so ins Internat zu bringen" , erklärt Niv.

„Weißt du, wo wir hinkönnen?", fragt er sie.

„Können wir nicht zu dir?"

„Im Studentenheim ist sowas auch nicht gerne gesehen"

„Was macht die denn hier?", fragt Rue in einem Moment und stutzt kurz, als sie Raven sieht.

„Sie hat auf ihn aufgepasst. Wir sind zusammen hier", erklärt er.

„Danke, dass du auf ihn aufgepasst hast", ist das erste vernünftige Wort, welches sie mit ihrer Zimmernachbarin wechselt.

„Ich glaube, ich weiß, wo wir hinkönnen", sagt Rue schließlich und die beiden stützen ihren besten Freund.

„Es tut mir Leid. Ich hätte besser auf ihn aufpassen müssen"

„Ich glaube, ich bin Schuld an seinem Zustand" , gibt Rue zu.

Die vier taumeln durch die Straßen von Königsfelde und bringen Wyn schließlich in die Buchhandlung, wo Harry ihn herzlich aufnimmt. Rue und Niv stützen ihren besten Freund. Raven geht hinter den dreien hin und her und fühlt sich dabei, wie das fünfte Rad am Wagen.

„Da meinte es der Junge ein bisschen zu gut mit dem Alkohol", sagt Harry und hilft mit, Wyn sauber zu machen und auf das kleine Sofa zu legen.

„Ich kann mich jetzt weiter um ihn kümmern. Du kannst wieder ins Bett gehen. Danke, dass wir hier bleiben dürfen", erklärt Rue Harry.

„Ich glaube, ich gehe jetzt besser auch", erklärt Raven.

„Sicher, dass ihr beiden klar kommt?", fragt er noch einmal und Rue nickt.

„Du kannst auch gehen. Du hast mehr als genug getan, Niv"

„Wirklich? Kommst du klar?", fragt er. Er will die beiden eigentlich nicht alleine lassen.

„Danke", sagt er und verschwindet mit Raven.

„Danke, dass du mitgekommen bist. Eigentlich ist er nicht so" , bedankt sich Niv bei seiner besten Freundin.

„Ich kenne ihn doch", lächelt Raven.

„Naja, es ist wegen Rue"

„Sie scheint doch ganz nett zu sein. Naja, wenigstens dieses eine Mal. Eigentlich ist sie nicht nett"

„Ich glaube, er hat Liebeskummer oder sowas in die Richtung und hat sich deshalb betrunken"

„Aber das ist doch keine Lösung"

„Sag das Mal Wyn"

„Ich bringe dich noch ins Internat zurück, okay?", fragt Niv.

„Okay", sagt Raven und die beiden gehen gemeinsam, schweigend zum Internat zurück. Niv fragt sich, weshalb man sich immer in seine beste Freundin verlieben musste. Wyn war es scheinbar passiert und er selbst ist nicht besser dran. Bei Rue und Wyn bestand eine Chance, dass die beiden zusammen kamen, aber bei ihm und Raven war das niemals der Fall. Die beiden hatten niemals eine Chance und würden auch niemals eine Chance haben.

„Alles okay?", fragt Raven nach einer Weile, weil er immer noch nichts gesagt hatte.

„Ja, ich hab bloß nachgedacht", erklärt er.

„Worüber denn?", fragt sie.

„Ach nichts. Ist nicht wichtig", sagt er und sie akzeptiert es, denn Niv war schon immer der schweigsame Typ gewesen.

„Danke fürs nach Hause bringen, Niv. Auch wenn der Abend anders geendet hat, als ich es erwartet hatte und ich keine Partys mag, so war es doch eigentlich ein schöner Abend"

„Ich fand den Abend auch schön"

„Mit mir kann der Abend ja auch nur grandios werden", scherzt Raven und öffnet das Internatstor, um hineinzugehen und sich schlafen zu legen. Sie winkt ihrem besten Freund noch einmal, bevor sie im Inneren des Internates verschwindet.

*

„Scheiße, ich brauche eine Zigarette", sagt sie und will gerade herausgehen, als Wyn etwas sagt.

„Bitte geh nicht.", nuschelt er.

„Was? Wyn, ist alles okay?"

Er zieht sie zu sich herunter und küsst sie, ohne dass sie sich wehren kann. Es ist viel zu überraschend.

„Ich liebe dich", sagt er. „Und wenn du rauchen gehst, dann schmeckst du bestimmt nicht mehr gut", sagt er nuschelnd und schläft ein.

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