Prolog
"Aber Lady Hoshikawa! Euer guter Mantel!"
Unwirsch fuhr ich zu dem quengelnden Bengel herum, bereit ihm den Mantel ungeduldig aus der Hand zu reissen, wenn nötig.
Ich wollte keine Sekunde länger an diesem Ort verbringen.
Ein Blitz zuckte über den nächtlichen Himmel, erhellte für einen Moment den Korridor in einem fahlen Licht. Keine Sekunde verging, dann war es nur wieder der Regen, der dumpf an die Scheibe trommelte.
"Richtig."
Ich fand plötzlich wieder nüchtern die Augen des Jungen, weit mit Frucht und Respekt, die Hände mit dem dunklen Stoff erbärmlich zitternd. Ich nahm ihn ihm vorsichtig ab, achtsam seine bleiche Haut nicht zu berühren.
"Mein Mantel, ja. Überbringe dem Conte meine besten Grüße. Mein Herz zieht sich zusammen in der Pein ihn so früh verlassen zu müssen, jedoch rufen dringliche Angelegenheiten in meinem Land. Mein tiefstes Bedauern."
Er nickte bebend, die magere Gestalt womöglich noch weiter in sich zusammenschrumpfend, als ich noch einmal meine Augen wandern ließ, für eine kurze Sekunde Mitleid hatte.
Der Donner, der grollend über den Himmel rollte, bestätigte meinen Abschied. Ich wandte mich ab, ließ ihn atmen.
Im Gehen hängte ich mir den Mantel nachlässig um die Schultern, zog die Kapuze so tief wie möglich ins Gesicht. Der Regen berührte mich nicht, als ich mit langen Schritten den inneren Hof überquerte, schweigend die beiden stocksteifen Wachen am Tor passierte.
Meine Beine trugen mich weiter hinab, tiefer ins Dorf auf den Marktplatz zu. Große, wütende Tropfen klatschten auf meine Schultern herab und der Wind zerrte an mir, wie als wollte er mich daran hindern näher zu kommen. Es war mein Zeichen weiter zu gehen.
Ich passierte eine Weggabelung, das Dorf ausgestorben, abgesehen von den paar wenigen Nachtschwärmern, die im Dunkeln Fässer zur Werft trugen. Ich wünschte ihnen eine wohle Abfahrt im Morgengrauen, passierte sie unauffällig und als formloser Schatten.
Der Trubel der Stadt war gemeinsam mit der Mittagshitze verschwunden. Keine Kinder rannten mehr lachend das Pflaster hinab, keine Händler priesen übertrieben ihre Ware und keine exstatische Menschenmenge verfolgte mit lüsternen Augen eine öffentliche Hinrichtung.
Meine Schritte waren lautlos auf dem glitschigen Stein, als ich große Pfützen gewählt umrundete, mich tiefer in das Labyrinth von Straßen begab.
Hinter so manchem Fenster brannte noch Licht, warme Flammen, nach denen ich mich sofort sehnte. Trockenheit und stabiler Boden unter den Füßen. Das würde warten müssen.
Ich trat auf die große Fläche des Marktplatzes hinaus, erinnerte mich am Vortag noch staunend am Arm des Conte hier umher geschlendert zu sein, während ein großer Basar gewesen war, Händler aus ganz Europa anreisten, um Gewinn zu schlagen.
Mich sprachen mehrere Stimmen an.
"Hey!"
"Hey, du!"
"Psst, komm hier rüber!"
Angetan von der Aufmerksamkeit näherte ich mich vorsichtig den eisernen Käfigen in der Mitte des Platzes, im Herzen der Stadt, für alle zu sehen. Es waren Gefangene, diejenigen, die am Mittag nicht ihren Platz direkt am Galgen gefunden haben. Auserkoren in ihren hübschen Vogelkäfigen zu verhungern und zu verdusten.
Mich grinste ein Mann an, er hatte drei goldene Zähne, der Rest faulte ungestört in seinem Mund. Er saß im Schneidersitz, nicht besonders schmeichelnd für seine nackte Gestalt und winkte mich mit nassen Fingern zu sich herüber.
Ich lehnte den Kopf weit genug zurück, dass er mein Gesicht sah, zumindest Teile davon, die nicht von der schwarzen Hutkrempe und der breiten Maske verdeckt wurden. Sein Grinsen wurde breiter.
"'n hübscher Junge biste', eh? Sag Kleiner... Bist'e gut im Schlösser knack'n? Ich könnt' hier Hilfe gebrauch'n. Oder bist'e dafür zu hübsch 'n ad'lig, huh? Ich kann dich bezahl'n, Junge!"
Ich lachte leise in mich hinein.
"Pardon mein Herr. Meine Fähigkeiten im Schlossknacken sind so schlecht, ich würde Euch wahrscheinlich mehr einsperren, anstatt befreien.", gestand ich ihm verlegen lachend und er erwiderte es dröhnend.
"Wassonst. Wär' auch zu schön g'wese', hä?"
Ich konnte nur ratlos die Schultern heben, ließ die Augen dann bemüht unberührt zu dem Mann im Käfig daneben gleiten. Der beobachtete mich mit einer kühlen Distanz, die zu den gelegentlichen Blitzen passte. Der Regen hatte ihm das Haar nass an die Stirn geklebt, ließ es wirr in seine hellen Augen hängen.
"Ah, der! Der spricht nich', Kleiner. Hab s'e ihm zwar nich' die Zunge rausschneid'n seh'n, aber 's Trauma, huh?! Der is' fast noch 'n Kind! 'n kleiner Bursche!"
Das Grinsen, das an meinen Mundwinkeln zog, wurde geschickt von meiner Maske kaschiert. Der Stumme wusste dennoch davon, denn er hob skeptisch eine Braue.
"Nun, ich mag sehr schlecht im Schlossknacken sein, aber ich bin wirklich gut im Dinge aufschließen!" Mit diesen Worten griff ich unter den Umhang in das Mieder, dass ich unter meiner normalen Jacke trug und förderte einen alten, schweren Eisenschlüssel zu Tage. Triumphierend fiel das blitzende Licht auf ihn.
Dem Alten im Käfig fiel die Kinnlade herunter, nun war er es, dem die Worte fehlten.
Ich gab den Schlüssel an den jungen Mann im Käfig weiter, beachtete nicht weiter, wie er damit handtierte, während ich mich ruhig aus meinem Mantel schälte.
Unser Gespräch hatte auch die Aufmerksamkeit der anderen drei Käfiginsassen erregt und nun beobachteten sie alle gespannt, wie der Freigekommene ächzend aus seinem Gefägnis glitt. Sofort wickelte ich seine nasse und unterkühlte Gestalt in den warmen Umhang, zog ihm die Kapuze tief ins Gesicht. In einer Berührung, die für den Bruchteil einer Sekunde zu lange andauerte, ließ ich die Hand danach wieder von seiner Schulter gleiten.
"Eh! Du hast den Schlüssel, mach uns frei!"
"Wer ist der Kerl, war er der Dieb?"
"Nein, nein, ich bin der Dieb! Woher hat er solche Freunde?!"
"Das is' Verrat an der Krone, weißte', Bürschchen? Jetz' musste' uns auch befreien, sonst verpetz'n wir dich morgen!"
Nun kam endlich Regung in die schweigsame Gestalt neben mir und er griff an meine Hüfte, in den gut sichtbaren und wohlbestückten Waffengütel, den ich zweimal darum geschlungen hatte. Die Gefangenen verstummten abrupt, als er leise sprach, die Stimme kratzig und durch den Regen kaum hörbar.
"Tote Männer reden nicht."
Ich war bereits auf dem Weg durch enge Gassen, während hinter mir vier Schüsse knallten, er ihnen den angenehmeren Tod gab, als sie ohnehin ereilt hätte.
Als er im Laufschritt zu mir aufschloss, wurde auch der Regen wieder stärker, riss ungeduldig an uns. Wir wurden vermisst.
"Ich hoffe verdammt nochmal diese Karten waren es wert, dass diese Typen mich den ganzen Tag nackt gesehen haben.", knurrte er in einem erschöpften Murren hinter mir, eilte dann mit mir zum Hafen hinab.
Ich warf ihm über meine Schulter einen verspielten Blick zu, verkniff mir den einen Kommentar, der ihm auch das letzte Bisschen Würde genommen hätte.
"Oh, sie waren es sowas von Wert, Captain."
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