15. Gebeine

Dafür, dass ich mit dem sofortigen Tod rechnete, überraschte mich das Leben weniger, als erwartet.

Die wichtigste Frage blieb allerdings so oder so: was war geschehen?

Als ich die Augen öffnete, befand ich mich in dem Brustkorb eines Drachens. Zwar war ich offensichtlich gefressen worden, jedoch war alles, was mich hielt ein knöchernes Gefängnis. Ein knöchernes Gefängnis, dem ich zwar mit Leichtigkeit entschlüpfen könnte, aber ich tat gut daran zu bleiben.

Wir befanden uns mehrere hundert, wenn nicht gar tausend Meilen unter der Meeresoberfläche. Um den zielstrebig geradeaus schießenden Drachen war nichts als Dunkelheit, kaum erhellt von seinen glühenden, toten Augenhöhlen.

Ich befand mich nicht im Wasser, saß viel eher in einer Kuppel unberührter Luft innerhalb des Drachens, aber aus diesem magischen Schutz zu fliehen, würde den sofortigen Tod durch Wasserdruck bedeuten.

Außerdem war ich nicht allein.

Ich hatte es erwartet Yeosang neben mir zu finden, vielleicht Yunho oder sogar Hongjoong, wäre er schnell genug bei uns gewesen.

Aber wie auch immer hatte es Jongho geschafft vom gleichen Ungetüm gefressen zu werden, vielleicht im Versuch es zu bekämpfen.

Seine stumpfen Augen streiften mich, während ich mich in unserem merkwürdigem Käfig umsah, doch kein Wort kam über seine Lippen.

Lange Minuten verstrichen, bis ich das erste Mal sprach, der Hals noch wund vom Salzwasser und die Lippen blutig gebissen.

"Was glaubst du, wohin will er?"

Jongho starrte nicht minder blind als ich in die Finsternis hinaus, zuckte dann gleichgültig die Schultern von wo er auf einer Rippe saß und die Arme um seine Knie geschlungen hatte.

"Zu einem großen, roten X, das mitten im Meer eingezeichnet ist, da bin ich mir sicher."

Es war die naheliegendste Lösung. Ein toter Drache, lebende Knochen? Na, wenn das mal nicht nach genau dem klang, was wir suchten.

"Ich glaube wir wurden nur angegriffen, um Hongjoong zu ködern. Bekanntlich die einfachste Methode ihn irgendwo hin zu bekommen."

Ich erinnerte mich daran, wie Jongho damals von den Sklavenhändlern betäubt und verschleppt wurde. Wie Yunho, Yeosang und Mingi mich auf ihrer Rettungsmission mitgenommen hatten.

Hongjoong ließ niemanden zurück, egal wo. Und es brachte ihn immer wieder in Schwierigkeiten.

"Denkst du, er ist in Gefahr?"

Jonghos Augen waren weicher, als er sie beim Klang meiner kleinen, besorgten Stimme zu mir hob, er mochte jünger sein als ich, aber er machte diese Dinge schon sein Leben lang, seit Hongjoong ihn aus den Klauen eines missbrauchenden Admirals befreit hatte.

"Ich denke, wer sich mit ihm anlegt, ist eher in Gefahr. Wir kennen ihn doch." Ein humorvolles Lächeln spielte um seine Mundwinkel und ich versuchte es schwach zu erwidern. Ich war immerhin froh nicht alleine zu sein.

-

Niemand war überrascht, als wir von einem Haufen lebendiger Skelette in Empfang genommen wurden. Nach all der Zeit war alles an Fleisch oder Klamotten an ihnen verrottet, da waren nur blanke Schädel mit leeren Augen, die uns von ihrem Drachen aus in eine alte, steinerne Burg am Meeresboden geleiteten.

Für Licht gab es hier keine Verwendung, ebenso wie für Atemluft, aber für uns wurde eine Ausnahme gemacht. Die Gänge schützten uns in eben derselben Magie, wie der Drache und ein fahles grünes Licht schien aus den Wänden zu kommen.

Wir wurden tiefer in die Gewölbe hinab geführt und dann unzeremoniös in eine Zelle gestoßen, die Gitter rostig und verbogen.

Klappernd gingen die Toten davon und ich saß abermals mit Jongho allein da.

"Ich kann die Dinger mühelos aufbrechen.", kündigte der Mann Minuten später selbstsicher an und knackte bereits die Knöchel, aber ich schüttelte nur traurig den Kopf.

Ich vermisste die Crew.

"Wohin wollen wir? Lass uns bleiben, bevor sie uns schlimmer eingrenzen. Momentan können wir ohnehin nur warten."

Also warteten wir.

Und wir warteten.

Und warteten.

Es war nicht unbedingt kalt hier unten, überraschend warm eigentlich, aber auch nicht angenehm. Jongho war normalerweise keiner für viel Hautkontakt, aber er blieb zumindest in meiner Nähe, wenn auch ohne mich zu berühren.

Gedankenverloren spielte ich mit Hongjoongs Ring.

Stunden mussten vergangen sein, bis draußen Stimmen laut wurden. Stimmen bedeuteten Lungen, bedeuteten Menschen, bedeuteten wir waren nicht mehr allein.

Mein Herz sank, als ich Wooyoungs aufgebrachtes Quietschen und Mingis tiefe Proteste vernahm.

Die beiden wurden in die Zelle neben uns geschmissen und starrten uns für einen Moment bloß ratlos an, dann ließ Jongho seufzend den Kopf in seine Hände sinken.

Ich bemerkte Blut an seinem Hinterkopf und ging los ihn bestmöglich verarzten.

Es kam damit keiner mehr hinzu.

Später kamen uns die Skelette besuchen und sie konnten froh sein keine Ohren zu haben, denn Mingis Bauch klang bedrohlicher als eine ganze Horde Tiger. Wooyoung versorgte ihn mit zartem Mais, den er sich in einem unendlichen Vorrat aus dem Ärmel zog.

Sie holten uns schweigend aus unseren Käfigen und ich war eigenartig ruhig, als ich ihnen folgte. Sicher, sie waren unsterblich und meine Freunde brachten mir genau nichts in dieser Situation, aber sie schienen uns auch weiterhin nicht feindlich gesinnt. Sie waren nicht einmal bewaffnet.

Es ging breite Wendeltreppen hinauf in etwas, das ich als Thronsaal bezeichnen würde, kalte, nackte Wände und mehr tote Augen starrten uns entgegen.

Auf einem alten Steinthron zwei breite Stufen weiter höher in der Halle saß eine Frau. Und an ihrer Seite war ein Skelett, das sich besser gehalten hatte, mehr zwischen den anderen hervorstach.

Ähnlich wie bei dem Drachen glühten die Augen des einen Skelettes, es war das selbe bleiche Grün, das uns hier wie eine Krankheit umgab. Es trug auch Klamotten über seinen knochigen Schultern, einen langen, dunklen Mantel und einen hölzernen Stab, über dem eine kleine grüne Flamme brannte.

Die Frau war Hongjoongs Mutter.

Wenn nicht aufgrund der Umstände, dann wären wir spätestens jetzt darauf gekommen. Sie hatten die selbe Nase und auch die zarte Rundung ihrer Wangen schien vertraut. Auf diese Entfernung waren ihre Augen einfach dunkel, dunkler auf jeden Fall, als die Hongjoongs, aber Hongjoongs Augen waren schließlich Erbe seines Gottes, nicht die ihren.

Sie winkte uns näher und wir gehorchten, schritten mutig an der Reihe lebloser Krieger vorbei, die ringsum an der Wand aufgestellt war.

"Seid mir willkommen, Götter." Sie sprach voll und klar, wirkte ganz und gar menschlich in ihrem roten Mantel und dem ebenso roten Dreispitz, der groß auf ihrem Haupt balancierte.

Dann fielen ihre Augen auf mich.

"Und... Menschen? Was tut ein Mensch hier?"

Ich machte mich etwas kleiner hinter Mingi, der sofort schützend einen Arm zwischen mich uns sie brachte.

"Sie gehört zu uns.", versicherte er warnend und die Frau sah sich hilflos zu dem Wesen an ihrer Seite um, ersuchte seinen Rat.

"Lich.", murmelte Wooyoung mir gedämpft zu und nickte mit dem Kinn auf den Nekromanten hin. Das erklärte wohl die Magie, die sie und uns am Leben erhielt.

Letzten Endes deutete sie nur mir näher zu kommen und ich musste mich unruhig von der Crew trennen.

Sie wollten mir nichts Böses, sicherlich nicht. Sie wollten Hongjoong.

Ich kam vor der Frau zu stehen - sie war jung, unnatürlich jung für Hongjoongs Alter - und verschränkte meine zittrigen Hände miteinander.

Die Rote Königin war vorsichtig, als sie den Hut von meinen Haaren zog und mich auch von der Maske trennte, beides hielt, während sie wieder den Kopf zu dem Lich drehte.

"Also?"

Der Lich sprach. Er bewegte dazu den Kiefer nicht, ließ sich allgemein nichts anmerken, aber seine Stimme kam knarrend aus seinem Körper, ließ all meine Haare zu Berge stehen.

"Sie ist in der Tat ein Crewmitglied. Sie segelt seit fast zwei Jahren mit ihm. Sie ist seine Geliebte."

Die Röte stieg mir hitzig in die Wangen, während ich mich abwandte, angestrengt den neugierigen Blick der Frau mied.

Die allerdings lachte bloß leise und legte einen Zeigefinger unter mein Kinn, um es zu sich anzuheben, meine Augen genauer zu mustern. Die ihren waren pechschwarz. Ich erschauderte, wurde das unruhige Gefühl in meinem Magen nicht los.

"Und reicht sie, und diese da drüben, um ihn hierher zu kriegen?"

Beinahe zuckte ich zurück, als der Lich eine knochige Hand nach mir ausstreckte, hatte genau gesehen, was sie anrichteten, aber er griff bloß penibel nach meiner Kette, zog sie unter meinem Hemd hervor, damit sie im Offenen baumelte.

Hinter mir zischte Wooyoung leise.

Die Augen der Frau fanden sofort das Schmuckstück und ihre Augen wurden groß, das Lächeln um ihre Mundwinkel halb überrascht, halb hysterisch.

"Sie hat die einzige Waffe, um ihn zu töten, Mylady, ich würde es ihm auf jeden Fall raten sie sich wiederzuholen."

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