14. Drachen
Seonghwa war schneller geweckt als Yeosang, war vertraut mit der Kunst des leichten Schlafes. Während er sich sputete, um mit Hongjoong aufzuschließen, schüttelte ich noch unseren murrenden Arzt.
Mingi war nicht wieder genesen genug, um sich uns anzuschließen, weswegen wir also kurz später zu viert in den Schatten des Decks hockten, angespannt der stummen Unterhaltung der beiden Drachen folgten.
Sie kämpften nicht, was ein gutes Zeichen war. Hongjoong wirkte auch nicht hostil, hatte seinen Körper bequem in der Luft zusammengerollt und starrte aus großen, intelligenten Augen den anderen Drachen an. Die Schwingen des dunklen Ungetüms hielten ihn zuverlässig in der Luft, ihr kräftiger Windstoß ließ unsere Fahne flattern und kleine Wellen über das sonst stille Meer schwappen.
"Wer ist er? Ist das eine Drachenangelegenheit?", wagte ich es kaum hörbar Seonghwa an meiner Seite zuzuflüstern, hockte Schulter an Schulter zwischen ihm und Yeosang eingequetscht. Yunho hielt inzwischen Hongjoongs Hut und seine langen, schlanken Finger spielten nervös mit der Phönixfeder darauf.
"Ich habe ihn noch nie gesehen. Ich denke nicht, dass er Brut ist, zumindest keine feindliche. Es gibt in manchen europäischen Märchen gute und weise Drachen, die Ehrlichkeit und Würde mit ihrem Respekt belohnen.", zischte Seonghwa zurück und dunkles Haar fiel ihm in die Augen, als er angestrengt durch die Ritzen in der Treppe nach oben spähte.
"Klingt nach Hongjoong."
"Klingt nach Hongjoong."
Yeosang und ich tauschten ein souveränes Nicken.
Wir warteten. Meine Beine schliefen irgendwann gegen meinen Körper geklemmt ein und die Nacht begann mit mir aufzuholen, ihren Tribut in schweren Lidern zu fordern. Ich glaubte Yeosang fast einschlafen zu sehen und Seonghwa fröstelte mehrmals in der kalten Luft, bevor endlich Bewegung in die beiden mächtigen Gestalten über uns kam.
"Achtung, sie kommen!" Ich hieb meinen beiden Sitznachbarn die Ellenbogen gegen die Arme, sah Seonghwa die Geste sanft an den schlummernden Yunho weitergeben.
Hongjoong und der Fremde stiegen gemeinsam vom Himmel herab, ihre Formen ineinander geschlungen nicht mit dem Ziel zu verletzen, sondern zu führen. Hongjoong nahm Menschengestalt an, sobald er nah genug am Mastgebälk war, um sich sicher darauf fallen lassen zu können. Er begann zu balancieren, ohne sich noch einmal umzusehen und meine Augen wurden groß, als der zweite Drache es ihm mühelos gleich tat.
Wo eben noch ein mächtiger Drache gut halb so groß wie das gesamte Schiff den Himmel verdunkelt hatte, spazierte nun ein Mann mit ausgestreckten Armen auf die Takelage zu.
Hongjoong schwang sich mühelos an einem Seil herab und wartete unten auf den Mann, der sich Zeit ließ und lieber vorsichtig kletterte. Gespannt harrten wir aus, beobachteten sie.
Der Kapitän geleitete den anderen höflich in seine Kajüte, aber ich sah, wie uns seine Augen für einen Moment streiften, er Seonghwa bedächtig zunickte.
"Schickt nach Seonghwa und San. Wir müssen etwas besprechen.", murmelte Hongjoong in eine ungewisse Richtung, bevor er die Tür hinter ihnen beiden zu zog, mitsamt dem zweiten Drachen in der Dunkelheit verschwand.
Sein Gesicht war mir vage bekannt vorgekommen. Es war ein junges und zeitgleich so erfahrenes und weises Gesicht. Im Dunkeln war nicht viel seiner symmetrischen Züge zu erkennen gewesen, aber dennoch wurde mein Kopf den Gedanken nicht mehr los ihn zu kennen.
"Wer war er?"
"Ein Gott. Die Winde nannten ihn Arkay. Er ist von der gleichen Herkunft wie Yongguk." Seonghwa half mir aus dem Versteck heraus, hatte die Stirn bereits skeptisch in Falten gelegt.
Arkay, woher kannte ich ihn?
"Was könnte er mit San wollen?"
"Arkay ist der Gott von Leben und Tod. Sans Fall könnte ihn interessieren. Wenn ich mich recht entsinne, arbeitet er auch viel mit Anubis zusammen, den das ja bekanntlich auch betrifft.", meldete sich auch Yunho zu Wort und ich verharrte, wo ich mich gerade aufmachen wollte, um San zu wecken.
"Moment..." Ungläubig wandte ich mich zu ihnen um, sah von einer uniformierten Gestalt zur nächsten. "Anubis?"
Das sagte mir schon deutlich mehr.
"Anubis war Baldurs Geliebter."
Natürlich. Arkay, Anubis, beides Götterfänger der Gruppe im fernen Osten, der auch Baldur angehört hatte. Baldur, den San getötet hatte. Wir hatten unglaubliches Glück gehabt, dass Anubis uns nicht nachgekommen war, um sich zu rächen, aber Arkays Besuch bedeutete sie wussten bescheid.
"Weiß Hongjoong das?", flüsterte Yeosang erschrocken, die Augen vermutlich einen ganzen Milimeter weiter als sonst.
Wir tauschten panische Blicke.
Es war nicht Anubis, nur Arkay. Wenn er verstand, müsste es zu keinem Blutvergießen kommen. Ansonsten wäre Anubis vermutlich persönlich hergekommen, um sich San zu holen, kaum wurde seine Seele wieder ins Leben zurückgerufen.
"Hol ihn."
Unsicher sah ich zu Seonghwa auf, aber der Mann nickte nur entschlossen.
"Wir verlieren ihn nicht noch einmal. Wir mögen Teil des A.D.G.F sein, aber wir sind auch Piraten. Wenn sie einen Kampf wollen, kriegen sie ihn." Seine tiefe Stimme war bedrohlich genug, dass ich nicht weiter diskutierte und mich bloß beeilte zu San zu kommen.
Ich fand den Mann auf viel zu engem Platz mit Wooyoung in eine Koje gequetscht, einen Arm nachlässig über die Hüfte des Blonden geworfen. Beide sahen im Schlaf unglaublich jung und verletzlich aus, die Brauen entspannt und Kiefer gelöst.
"San.", rief ich leise seinen Namen, versuchte dem Rest der Crew ihren wohlverdienten Schlaf nicht zu vergönnen.
San zuckte nicht einmal und ich griff vorsichtig über Wooyoung hinweg an eine tätowierte und nackte Schulter, drückte sie sanft.
"San, wach auf."
Er blinzelte träge, die Mundwinkel zuckend, als sein Blick zuerst auf den friedlichen Wooyoung fiel. Dann erst sah er mich an und verengte müde die Augen, um in der Dunkelheit zu sehen.
"Cap will dich sehen."
San seufzte bloß leise, dann nickte er und begann sich vorsichtig von Wooyoung zu lösen, der stattdessen ihre Decke weiter kuschelte.
Ich wandte höflich den Blick ab, als San begann sich geübt in der Finsternis anzukleiden, hatte es längst verlernt deswegen noch zu erröten.
Sans Arm fand meinen, hakte sich freundschaftlich ein, als er mich wieder auf das Deck hinaus begleitete.
"Was gibt es denn, mitten in der Nacht?" Seine Augen fanden nun auch die wartende Gruppe an Jungs mit unsicheren Gesichtern und ich bemerkte den genauen Moment, in dem er wacher wurde, alarmiert die Schultern etwas hob. Voller Beschützermodus.
"Arkay ist hier. Baldurs Freund."
"Oh..." Sans freie Hand kam beinahe unbeabsichtigt zu seiner Schulter hinauf, massierte das helle Fleisch dort, wie als würde ihn der Name an etwas erinnern.
Wir konnten uns unseren Teil denken.
"Wir wissen nicht, was er genau will, aber Hongjoong hat ihn eingeladen, also wird es nichts sein, mit dem wir nicht zurecht kommen. Vielleicht hat es nicht einmal direkt mit dir zu tun, aber er wollte dich sehen." Seonghwa streckte eine Hand nach San aus, die Augen unendlich sanft.
San zögerte noch für einen Moment, hing unsicher an meinem Arm, aber letzten Endes war ein leises 'na gut' von ihm zu hören und er folgte. Die beiden verschwanden ohne weiteres in Hongjoongs Kammer, ließen uns alleine zurück.
"Und jetzt?"
"Jet-"
Yeosang brach ab.
Konfus sah ich von der Tür zu ihnen beiden, folgte dann ihren perplexen Augen zu der Reling hinter mir.
Mein Atem blieb mir im Hals stecken, als ich die weißlichen steinartigen Gebilde erblickte, die sich unbemerkt um das Holz gelegt hatten. Sie waren gigantisch und formten eine riesige Klaue, die absolut harmlos am Holz hing. Noch während wir starrten, kam ein zweites hinzu und griff das Schiff etwas weiter abwärts.
"Was zur-"
Der plötzliche Ruck, der durchs Schiff ging, ließ Yeosang gegen mich stolpern und uns unsanft auf den Boden bringen. Weiter unten im Schiff waren Rufe zu hören, aber das war egal, denn die Treasure kippte. Sie kippte den Klauen entgegen und ließ uns hilflos rufend über das Deck schlittern.
Es ging alles viel zu schnell, das nasse Deck zu rutschig und der Griff, der uns immer weiter drehte absolut unerbittlich.
Ich war fast an der Reling angekommen, klammerte mich mit aller Kraft an einen panisch um Hilfe rufenden Yeosang, als mir die Klauen noch einmal auffielen.
Das war kein Stein.
Wir fielen schutzlos über die Reling hinaus, hinein in die schwarze See.
Es waren Knochen.
Das Wasser schlug über uns zusammen.
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