10. Helheim

Es war nicht schwer sich einen Reim darauf zu machen, was Hongjoong in Helheim - der germanischen Totenwelt - wollte.

Viel eher ergab es endlich Sinn, warum uns Jörmungandr damals per San diese Karte gebracht hatte und weshalb Hongjoong ein Jahr lang gebraucht hatte, bis er seinen Plan in Aktion rief.

Er hatte gewartet, bis die germanische Welt sich wieder stabilisiert hatte, bis neue Götterfänger mit den Seelen der Asen entstanden waren.

"Was bitte ist sein Plan? Er kann es nicht erwarten einen Toten zurückzuholen. Dafür ist auch er nicht mächtig genug.", diskutierte Yeosang noch immer hitzig mit Seonghwa, Yunho hatte zuvor Wooyoung beiseite nehmen müssen, als der jüngere Mann eine Panikattacke bekommen hatte.

So schön es klang, so verführerisch der Ton der nahen Lösung auch in unseren Ohren echote, so waren wir die letzten, die sich in Leben und Tod einmischen sollten.

"Er ist überzeugt, dass Loki ihn gehen lassen würde. Hel ist seine Tochter, wenn jemand die Macht hat ihn zu retten, dann sind es sie beide.", murmelte Seonghwa seufzend, vergrub endlich ebenfalls das Gesicht in den Händen.

"Hongjoong will tauschen. Seine wertvolle, unsterbliche Drachenseele gegen die des Menschen San."

Ich hatte es erwartet wütend zu werden, defensiv und angriffslustig vielleicht, aber stattdessen machte sich bloß kalte Determination in mir breit. Eine Emotion, die ich zu gut aus bodenlosen, meerfarbenen Augen kannte.

"Wir halten ihn auf."

Ich hatte dasselbe sagen wollen, aber letzten Endes war es Wooyoung gewesen, der gesprochen hatte. Während ich noch den Kopf reckte, um zu ihm auf zu sehen, sprang Seonghwa schon wieder auf die Füße und zog den anderen in eine enge Umarmung, presste Wooyoungs gekrümmte Gestalt tröstend an seinen Körper.

"Ich weiß, was du vorhast und du wirst es lassen. Wir holen Hongjoong da raus und lassen alles, wie es ist. Das Ziel ist zu unrealistisch, Wooyoung.", murmelte er eindringlich auf den anderen ein, der bloß schlaff an ihm lehnte.

Ich erhob mich, staubte für einen Moment meine Knie ab.

"Gut, wir brauchen Jongho und Yunho. Seonghwa, du und ich gehen als die Verantwortlichen für den Cap."

Yeosang taumelte neben mir auf den Füße, um souverän eine Hand auf meine Schulter zu legen, sanft zuzudrücken.

"Ich bleibe mit Wooyoung hier. Lasst mir auch den Chaot, wir brauchen den Überraschungseffekt, sollte uns jemand angreifen."

Mingi hatte den Anstand empört auszusehen.

Seonghwa kreuzte feurig meinen Blick, die Sorge stand ihm regelrecht in Großbuchstaben auf die Stirn geschrieben. Er hatte versagt Hongjoong zu halten. Dann war es meine Aufgabe.

Wir beeilten uns uns zu lösen, dem unwilligen Wooyoung ein paar tröstende Worte zuzuwerfen, wo er aktiv in Mingis Armen gefangen genommen wurde. Yeosang ging die Crew aufklären, während wir uns in der Finsternis auf zum Höhleneingang machten.

Es war nichts besonderes, ein großes Loch in einem Felsen, das nun von gefallenen Felsbrocken und Bäumen vertuscht war, leicht zu verwechseln mit einer natürlichen Höhle.

Yunho brachte die Sache in Bewegung, jagte schwere Schocks durch die Erde, die sie zum Beben und Brechen brachten, das Fundament zu erzittern lassen schienen. Ich wartete in sicherer Entfernung, bis er bestmöglich einen Durchgang geschaffen hatte, bevor Jongho an die Arbeit ging und mit der göttlichen Gewalt seines Hammers den gröbsten Schutt aus dem Weg schaffte.

Seonghwa betrat die Höhle als erstes, schaltete mit einem scharfen Blick den kalten und zugigen Wind in der Höhle aus, während wir folgten.

Es war stockfinster, aber es gab nur einen Weg hinab in die eisige Kälte, nur eine Möglichkeit.

Hongjoong musste davon ausgegangen sein, dass wir ihm folgten, denn es blieb nicht bei der ersten Stelle an Erdrutschen.

Es dauerte, bis wir uns in der Finsternis zurecht fanden, über zahllose Geröllberge und einen Fluss hinweg geklettert waren.

Gram war noch nicht wieder hier, vermutlich momentan noch ein Baby Akuma irgendwo auf der Welt und es spielte auch keine Rolle. Solange Hel hier war, würde sich alles klären.

Ich fror erbärmlich, als wir endlich einen wenigstens etwas erleuchteten Raum fanden, die Schatten, die zwei flache Feuerbecken an die Wände warfen, unheilvoll tanzend.

Ich stand Schulter an Schulter mit Yunho gepresst, während Jongho aufmerksam den Raum auf Gefahren absuchte.

"Fein, lasst uns weiter gehen, vielleicht wird es jetzt wenigstens heller."

Es wurde immer kälter und wir mussten uns auch bereits mehrere hundert Meter unter der Erde befinden. Ich versuchte nicht zu genau darüber nachzudenken, wollte es nicht mit der Klaustrophobie zu tun bekommen und setzte an weiter zu gehen, die Hände in meinen Taschen und mein Atem weiß in der Luft.

Ich machte einen Schritt und fand eine Blockade in Seonghwas Arm, der warnend for meinem Körper ausgestreckt war, wandte konfus den Kopf zu ihm.

Seonghwa sah starr nach vorne, die harten Augen auf etwas anderes gerichtet und als ich seinem Blick folgte, sah ich eine Frau.

Sie hatte die äußere Erscheinung einer jungen, hochgewachsenen Dame mit langem und offenem schwarzen Haar, das sich wie flüssige Seide über ihren Rücken ergoss. Sie trug ein langes, schwarzes Gewand, das schmeichelnd an ihre Kurven umschmiegte und sich an anderen Orten luftig weitete.

Sie fror nicht.

Das Profil, das wir sahen war das einer überirdischen Schönheit, makellos unter ihrem zarten Schleier, doch mit leeren, weißen Augen.

"Das ist sie.", warnte Seonghwa leise, ließ den Arm wieder sinken, um die Frau zu beobachten.

Die Frau lächelte gütig, als sie uns den Kopf zuwandte und ich verschluckte mühsam meinen Schrei, obwohl ich derarte Anblicke doch gewohnt war.

Während ihre linke Hälfte mit Leben und Schönheit erstrahlte, so war die rechte die Kehrseite der Medaille.

Sie besaß kein Fleisch, reine Haut ging über in einen kahlen Schädel und knochige Schultern, an denen ihr Kleid in Fetzen herab hing. Es war makaber in diese leere Augenhöhle zu starren, ihre roten Lippen über dem Rest ihres entblößtes Gebisses lächeln zu sehen.

Ich löste den Blick nicht von ihr, versuchte allerdings die gesunde Seite zu fokussieren, die nicht von Tod und Moder sprach.

"Mylady Hel?", hob Seonghwa behutsam die Stimme, klang fest, wenn auch seine Augen von Horror zeugten.

Sie neigte den Kopf elegant im Gruß, starrte sichtlos unsere Gruppe an.

"Es ehrt mich, dass ihr eine Frau mit euch bringt. Nichts erfreut mich mehr, als die Anwesenheit einer Gleichgesinnten.", sprach sie leise und ihre Knochen knirschten währenddessen abscheulich, doch ihre Stimme war voll und stark.

Ich zwang mich zu einem zittrigen Lächeln.

"Ihr seid wegen Hongjoong hier."

Yunho schaffte es hölzern zu nicken, hatte unruhig einen Arm um den gerade sehr klein und jung aussehenden Jongho gelegt.

"Gibt es einen Weg ihn von Euch zurück zu erhalten? Seine Zeit ist noch nicht gekommen."

Hel wiegte nachdenklich den Kopf hin und her, sah sich in die Dunkelheit hinter ihr um.

"Ich war gewillt ihm seinen Jungen zu übergeben, wenn er nur für ihn käme. Loki hat mich schwören lassen seine menschliche Seele zu erlösen, für all das, was er durchgemacht hatte. Er erwartete als Gegenzug nur eure Loyalität ihm gegenüber. Aber euer Kapitän schien lieber ihre Leben eintauschen zu wollen."

Mich überrieselte es kalt bei ihren Worten und verzweifelt suchte ich nach Ausreden, nach einem besseren Tauschhandel.

"Aber Ihr könnt nichts mit seinem Leben anfangen. Es steht Euch nicht zu.", biss Seonghwa gewagt heraus und dieses Mal war ich es, die warnend nach seinem Arm griff.

"Hwa-"

Hel fiel mir ins Wort.

"Du hast recht, Ehecatl. Nicht nur ist er unsterblich und somit keines meiner Kinder, sondern auch gehört seine Seele Ryujin, dem alten Drachengott." Sie hob etwas nonchalant die Schulter(n?) und kam dann etwas näher, das eine Auge unaufhörlich auf Seonghwa gerichtet, bis sie direkt vor ihm stand.

Mein Griff an seinem Arm verkrampfte sich, als sie die Hand hob - die tote, knochige - und ihn damit kaum merklich am Hals berührte.

Seonghwa zuckte zusammen, als schwarze Farbe von der Spitze ihres Zeigefingers in seine Haut zu fließen begann und in wachsendem Horror beobachteten wir, wie sie begann zu zeichnen. Seonghwa blieb eisern standhaft, wenn auch seine Hände zitterten und eine Gänsehaut seine Haut dekorierte.

Hel zeichnete gedankenverloren und es dauerte noch, bis sich das Bild weit genug entwickelt hatte, dass man mehr darauf erkennen konnte.

Es war ein Kompassblatt, eine schlichte, nautische Version mit der Andeutung von Tauen und einem Anker auf dem Hintergrund einer Seekarte. Wir standen still, wurden Zeugen des Werdens.

Sie ließ danach ihre Hand wieder fallen, trat jedoch noch nicht zurück.

"Ihr werdet ihn wiederbekommen."

Sie griff noch einmal herauf, dieses Mal mit der anderen Hand und fasste nach Seonghwas Hals, der nun beinahe zur Hälfte und bis zu seinem Schlüsselbein hinab in schwarze Male gezeichnet war.

Seonghwa stand steif wie ein Brett, als Hel mit der heilen Hälfte ihres Mundes einen vorsichtigen Kuss auf seinen Mundwinkel hauchte. Anbetrachts seiner Reaktion war ich mir absolut sicher, dass ein richtiger Kuss Hels zum sofortigen Tod führte.

Seonghwa war bleich wie ein Gespenst, als sie von ihm zurück trat, uns verließ.

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