Kahle Tritte
Es scheint mir, als wäre es ein Traum, als ich auf dem nassen Gehweg stehe, meine Hände in den tiefen Taschen meines schwarzen Mantels vergraben. Es wäre der perfekte Zeitpunkt für eine Zigarette, aber ich rauche nicht. Ich zerstöre dieses Bild bewusst.
Die warme Kinoluft, die sich, noch Stunden später weiter, um meinen Körper gehüllt hat, lässt mich die Kälte ignorieren. Still stehe ich da und mein Blick zielt auf die hässlichen Wohnblöcke, die nicht zu übersehen sind. ‚Hässlich‘, ‚grau‘ und ‚einfallslos‘ zieht es durch meinen Kopf, während ich mich schließlich in Bewegung setze und beobachte, wie alle Lichter langsam ausgehen.
Es sind kahle Tritte, die mich verfolgen.
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Es ist immer noch kalt, so kalt, dass es diesen - beinahe - wiedersächlichen Moment entstehen lässt, welcher durch das Zusammenspiel der unerträglichen Kälte und der wunderbar - funkelnden Sterne entsteht. „Es ist arschkalt hier unten“, denke ich und schaue nach oben. Ich sehe sie an.„Dennoch leuchten die Sterne für mich. Und die Sterne leuchten auch nur, wenn es dunkel ist und die Dunkelheit einen ergreifen will.“ Die Worte hallen in meinem Kopf nach. Ist das die wahre Dunkelheit?
Der eisige Wind umschlingt meinen Körper immer und immer wieder. Er lässt mich in einer Dunstglocke zurück, meine Welt scheint wunderlich. Inzwischen reibe ich meine eisigen Hände aneinander, ich spüre die Kälte.
Es sind kahle Tritte, die mich nicht loslassen.
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Die hellen Lichter der vereinzelten Autos vermischen sich. Jedes noch so starke Licht verschwimmt zu einem unklaren Kreis am Ende des Horizonts, ich sehe ihnen nach. Es ist niemand auf der Straße, niemand auf den einsamen Gehwegen und es ist auch niemand bei mir, während ich über die kalten Steinplatten laufe. Mein Atem hinterlässt einen Hauch, mein Blick sieht stur gerade aus, ehe er zurück auf den monotonen Bürgersteig sinkt.
Böse Zungen rufen mir nach, sie wissen nicht, wovon sie reden. Es erklingt in meinem Ohr, ich fühle es, ich nehme es mir nicht an. Ich sehe sie nicht an, beinahe hätte ich mich umgedreht. Ich lächle, ich lächle über die armen Menschen, die mir das hinterherrufen. Sie sind wie Kinder, sie müssen es noch lernen. Auf ihre eigene Weise sind sie süß, so unbeholfen.
Es sind kahle Tritte, die mein Leben auf den Beinen hält.
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Ich habe keine Mütze auf, trotzdem ist mir warm. Ich stehe inzwischen an der Haltestelle und unterhalte mich. Zwei Blaulichter fahren an uns vorbei, die Stille ist unberührt. Ich lache leise und halte meine Hand vor meinem Mund. Einige weitere Menschen gesellen sich zu uns, während das Licht der Haltestelle flackert. Doch es scheint mir alles so gleichgültig.
Wir verabschieden uns und ich starre stur aus dem Fenster. Wer sich zu dieser Zeit noch heraus traut, muss lebensmüde sein oder einer dieser Menschen, die diese Zeit so gefährlich machen. Es sind diese Kinder, die sich gerade prügeln, auf dem Bahnsteig nebenan.
Ich denke an heute morgen, während der Bus weiter fährt und die angenehme Wärme der lauten Heizung meine Kapsel auffrisst und meine Gedanken stört. Mir wird warm, ich spüre die Kälte, die um mich herum war. Ich denke weiter.
Es sind kahle Tritte, die mich verzweifeln lassen.
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Ohne einen Halt fährt der Bus weiter, an den Stationen vorbei. Sie scheinen so klein und unbedeutend. Wie etwas Unwichtiges, etwas, was niemand braucht. Ich denke wieder an heute morgen. Ich denke, wie ich gesagt hätte, dass ich niemals für die Gerechtigkeit schweigen würde. Auch als er mir Schläge androhte, und die Tränen in meinen Augen sah. Jedesmal stirbt ein kleiner Teil, wenn ich für die Wahrheit stehe, es tut weh. Doch ich bin der Schutzwall, ich muss das machen.
Die Heizung geht aus und ich vermisse sie. Ich vermisse ihre Aura. Ich vermisse meine Freiheit, die Kapsel bildet sich. Ich starre weiter auf die einzelnen Lichter des Studentenheims. Einige sind Zimmer sind dunkel, während das Treppenhaus still in seiner Farbe leuchtet.
Es sind die kahlen Tritte, für die ich stehen muss.
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Ich habe in diesem Moment nur an die Menschen gedacht, die auch mit ihrer Meinung gegen Wände laufen, gegen bröcklige, zum Einsturz verdammte Wände. Nur an sie, nur an diese Menschen. Wie ich sie verehre.
Mir brennt es auf der Zunge. Die Antwort auf die Frage: „Warum habt ihr nichts gesagt?“ Es waren diese entscheidenen Augenblicke. Die Augenblicke bevor es passiert wäre, bevor ich mich verlassen hätte.
Ich steige aus dem Bus. Die Straße ist ganz ruhig, das Unüberwindbare scheint nun so frei. So leicht. Ich hätte mich auf die Straße legen können. Ich hätte im Licht der Straßenlampen tanzen können, es hätte keiner gesehen.
Ich verweile eine ganze Weile unter der wärmespendenden Lampe, ehe ich über die Straße gehe. Der Bus ist nicht mehr zu erkennen und die an einander gereiten Laternen, wie sie mit ihrer Gänze den Weg säumen, scheinen mir nichts gegen die bunten Lichterketten, die mein Herz belachen. Sie sind anders, sie stehen dazu.
Der sonst so schnelle Schritt ist langsam. Er ist langsamer geworden, ich trotte beinahe über die Straße. Es ist so ruhig. Kein Mensch ist auf den Platten. Kein Fuß rennt hektisch von A nach B. Langsam öffne ich die Tür, schließe sie mit einem Knacksen und laufe den weiteren Weg zu meinem Haus. Ich sacke fast zusammen.
Die Tür geht auf und ich lächle.
Es sind kahlen Tritte, die ich in die Welt setze. Tritte, die nur ich sehen kann.
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