Kapitel 2
„Nein!", jammerte ich, aber da schlossen sich auch schon Michas Arme um mich, sein Griff so fest, dass ich mich keinen Millimeter bewegen konnte. Trotzdem zappelte ich hilflos, spürte seinen Körper an meinem Rücken, diese Wärme, die mich umhüllte, und fragte mich, ob ich mich jemals so gut gefühlt hatte.
Auf einmal wurde Michas Griff lockerer und er drehte sich seitlich von mir. Im nächsten Moment wurde ich nach hinten gerissen, fiel über sein Bein, das dort noch stand, und wäre beinahe auf dem Rücken gelandet, hätte ich mich nicht gerade noch rechtzeitig im Flug gedreht.
Gesicht voran landete ich auf Michas Bauch, der daraufhin keuchend ausatmete.
„Tschuldigung", nuschelte ich in seinen Trainingsanzug und machte bereits Anstalten, davonzurobben, als er mich festhielt.
„So nicht, Kleine", knurrte Micha und zog mich erst mal zurück zu der Wand, von der ich gekommen war. Nun war die rettende Seite der Halle so weit entfernt, dass ich es kaum noch wagte, zu hoffen, aber das bedeutete natürlich nicht, dass ich aufgab.
Nein, niemals.
„Du schaffst es, Lena!", brüllte einer der Leute, die bereits in Sicherheit waren.
„Das bezweifle ich", gab Micha zu bedenken. Noch immer hing ich halb auf ihm drauf und kämpfte verzweifelt darum, nicht umgedreht zu werden.
Immer wieder zog ich meine Arme aus seinem Griff, versuchte, von ihm weg zu kommen, aber das war schier unmöglich. Es ließ sich einfach nicht gut kämpfen, wenn man ständig aufpassen musste, nicht zur Seite zu kippen, und Micha war nicht nur stark, sondern auch ein guter Kämpfer. Nur meiner Wenigkeit verdankte ich es, dass ich mich fast eine Minute halten konnte.
Dann presste Micha mich auf den Boden, die Hände an meinen Schultern, ein Knie auf meinem Bauch.
„Du musst meine Schulterblätter nicht durch den Boden drücken", keuchte ich.
„Was atmest du denn so schwer?", fragte Micha grinsend, dem nicht anzusehen war, dass er überhaupt Sport gemacht hatte.
„Hm, das könnte vielleicht an dem Knie liegen, das meine Rippen auf das halbe Volumen zusammenpresst", röchelte ich und versuchte erfolglos, das Bein wegzuschieben.
„Ups, na sowas", grinste Micha und nahm das Knie extra langsam weg.
Mit finsterem Blick ignorierte ich die Hand, die er mir zum Aufhelfen hinstreckte und stapfte schmollend Richtung Wand.
„Das ist die falsche Richtung", informierte Micha mich lachend und zog mich kurzerhand zur richtigen Wand.
„Verdammt, du hast es gemerkt", fluchte ich, ebenfalls lachend.
Gemeinsam stellten wir uns an der Wand auf, neben uns der Trainer und sein keuchendes Opfer. Blöd war nur, dass ich das einzige Mädchen im Training war, und alle Kerle, die uns kampfbereit entgegenblickten, mich mindestens um einen Kopf überragten.
Das konnte ja heiter werden.
„Viel Erfolg", wünschte Micha mir mit einem Hauch Ironie in der Stimme, bevor wir losliefen.
Den konnte ich gut gebrauchen, obwohl ich stark bezweifelte, irgendetwas ausrichten zu können.
Nichtsdestotrotz lief ich zielstrebig auf den Kleinsten der Truppe los, der mich wenigstens nicht ganz um zwanzig Zentimeter überragte. Manchmal konnte ich meine 1,64 Meter echt verfluchen.
Aber es gab ja keinen Grund aufzugeben, bevor ich nicht gnadenlos über den Haufen getrampelt und links liegen gelassen wurde. Was jedoch nicht allzu unwahrscheinlich schien, angesichts der Geschwindigkeit, mit der alle auf uns zukamen.
Dann begann sich die Masse zu verstreuen, und spätestens als Micha und der Trainer die Reihen sprengten, brach das Chaos los.
Blitzschnell stürzte ich mich auf mein Opfer, das versuchte, möglichst unauffällig an mir vorbeizuflitzen, und riss es mehr mit Schwung als mit einem ordentlichen Takedown zu Boden.
Fluchend fing sich der Mann im Flug und schaffte es, auf den Knien zu landen. Aber ich war bereits über ihm und stürzte mich mit voller Kraft auf ihn. Unglücklicherweise stütze er sich mit einem Arm ab, und so sehr ich auch an ihm zog und zerrte, er krabbelte unbeirrbar Richtung rettende Wand.
„Das darf doch nicht wahr sein!", zeterte ich, während ich mich der Länge nach vor ihm warf und versuchte, seine Arme wegzuziehen. Doch der Mann lachte nur fies und robbte einfach weiter.
„Brauchst du Hilfe?", fragte Micha da plötzlich hinter uns, und der Mann, der eben noch so frech gelacht hatte, wurde auf einmal kreidebleich um die Nase. In Sekundenschnelle war er aufgesprungen und rannte los, als merke er gar nicht, dass ich immer noch an ihm dran hing und fluchend versuchte, seine Beine mit meinen zu verknoten.
„Sag mal, was machst du da eigentlich?", fluchte Micha hinter uns, der Schwierigkeiten hatte, Schritt zu halten. „Versuchst du überhaupt, ihn aufzuhalten, oder machst du nur nen Trip durch die Halle?"
„Dreimal darfst du raten!", meckerte ich zurück. Eine Sekunde zu spät gelang es mir, den Mann ins Stolpern zu bringen, mit der unglücklichen Konsequenz, dass er auf mir landete und dabei mit einer Hand die Wand streifte.
„Das war knapp", kam es von über mir. „Alles in Ordnung bei dir, Lena?"
„Ich lebe noch", stöhnte ich und rappelte mich auf. Der Aufprall hatte mir alle Luft geraubt, aber das war ich ja vom Bodenkampf gewohnt.
„Ich habe einen Vorschlag", sagte Micha, als wir nebeneinander auf die andere Seite der Halle liefen. „Den nächsten schnappen wir uns gemeinsam. Im Alleingang ist das ja echt etwas unfair für dich."
„Das stimmt", gab ich zu. „Aber ich bezweifle, dass ich dir eine große Hilfe bin."
„Ich nicht", meinte Micha, als sei das das Selbstverständlichste auf der Welt.
Tatsächlich gelang es uns gemeinsam, den ein oder anderen harten Brocken zur Strecke zu bringen. Bei einem, der unaufhaltsam Richtung rettende Wand robbte, schlang ich mich um die Beine, sodass es Micha endlich gelang, ihn zu drehen. Einem anderen warf ich mich der Länge nach in den Weg.
Ok, einmal wurde ich auch einfach unter den Arm geklemmt und so schnell auf die andere Seite der Halle befördert, dass Micha keine Chance hatte, mir zur Hilfe zu eilen.
Aber alles in allem lief es doch sehr zufriedenstellend, und spätestens als Micha mir grinsend auf die Schulter klopfte, sah die Welt rosiger denn je aus.
„Nicht schlecht, was?" Grinsend stieß ich ihn mit dem Ellenbogen an und bekam daraufhin durch die Haare gewuschelt.
„Jup, wir haben uns gut geschlagen", stimmte Micha mir zu.
Obwohl mir die ein oder andere Frage auf den Nägeln brannte, liefen wir schweigend in die Mitte des Raumes, wo der Trainer uns eine neue Technik zeigte.
Aber es erschien mir nicht sonderlich angemessen, Micha zu fragen, ob er eine Freundin habe oder wie alt er war. Da konnte ich ja gleich beichten, wie süß ich ihn fand.
Und das kam gar nicht in Frage. Oh nein. Schließlich wollte ich ihn ja nicht gleich verschrecken.
Außerdem war ich so eine Niete im Flirten, dass ich lieber jeden Kerl kumpelhaft behandelte, in der stillen Hoffnung, dass er sich in mich verliebte und dann selbst die Zügel in die Hand nahm.
Nur hatte ich nicht das Gefühl, dass Micha mehr in mir sah als ein kleines Mädchen, und wenn doch, fuhr er wahrscheinlich dieselbe Strategie wie ich.
Ok, ich sah vielleicht etwas jünger aus als die achtzehn, die ich war. Und Micha war bestimmt um die fünfundzwanzig Jahre alt.
Finster malte sich mein Gehirn aus, wie eine attraktive Studentin schon längst sein Herz erobert hatte, neben der ich wirkte, wie eine Halbstarke, die noch grün hinter den Ohren war.
Geradezu eifersüchtig fuhr mein Blick über Michas klare, kantige Gesichtszüge, und ich kam nicht um den Gedanken herum, dass es sich bei der Studentin bestimmt um eine schlanke, große Blondine handelte.
„Soll ich es nochmal zeigen, oder wissen alle, was sie tun sollen?", fragte der Trainer in diesem Moment und riss mich damit aus meinen Gedanken.
„Noch einmal zeigen wäre nett", sagte ich kleinlaut. Ein paar andere nickten zustimmend.
Hätte ich diese Technik jedoch nicht früher schon einmal gemacht, wäre ich total aufgeschmissen gewesen. Verdammt, ich musste wieder besser aufpassen.
„So, jeder schnappt sich einen Partner und auf geht's!", verkündete mein Trainer.
Also sah ich mich um, bis mein Blick den eines anderen fing, wir nickten uns zu und suchten uns ein freies Plätzchen in der Halle.
Micha hatte ich mit Absicht nicht angesehen - schließlich wollte ich nicht aufdringlich werden oder ihm gar auf den Senkel gehen.
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