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Ich hoffe euch gefällt das neue Cover. :)
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Die Luft eingezogen, der Rücken gerade, die Schultern angehoben, die Brust rausgestreckt, jedoch nicht zu stark, jahrelang hatte man mich zu dieser Haltung erzogen, doch was war jetzt? Auf einmal schien alles sinnlos gewesen zu sein, zwanzig Jahre meines kurzen Lebens verschwendet. Ich beschwerte mich keineswegs, es waren nur die Gedankengänge, während Jayden zu mir herunterschaute und auf meine Geschichte wartete, zu der ich noch den Anfang suchte. Aber wo genau begann sie denn? Wann kam der Perfektionismus in mein Leben? Ich wusste, dass es irgendwann begonnen hatte, als ich zwischen zwei und vier war, dort ging es darum das Besteck richtig zu halten, mit vier führte man mich dann an das Klavier, welches mit bis heute noch fesselte, aber war das wirklich der Anfang? Ich hatte keine Ahnung wo meine Geschichte begonnen hatte.
»Kommt da heute noch was?«, scherzte er, als ich noch in die Leere starrte, um nach Antworten zu suchen. Aber was für welche? Ich wusste nicht einmal wer ich wirklich sein sollte. War ich Madelyn Sophie Price, das angeblich perfekte Mädchen, welches sich nie ins Freie traute und von ihren Eltern kontrolliert wurde oder Madelyn Sophie, deren Leben anscheinend aus tausend Fragen bestand? Der Moment in dem ich auf Freya hörte und die andere Seite der Mauer erkundete hatte es wohl entschieden.
»Ich weiß nicht wo ich beginnen soll, wenn ich ehrlich bin.«, gab ich zu, wobei ich ihn leise lachen hörte.
»Mein Vater stammt aus dem Käfig, er hat aber nie viel erzählt, es sollte schrecklich sein.« Der Käfig?
'So nennt man hier die andere Seite.', mischte sich Freya ein, bevor ich meine Frage aussprechen konnte. Ich dankte ihr innerlich, dafür dass ich sie vor ein paar Stunden noch gehasst hatte, war sie mir nur wirklich ans Herz gewachsen.
»Ich weiß nicht, ob es wirklich so schlimm ist, noch denke ich über all die Dinge nach, aber die Fragen häufen sich.«, antwortete ich ihm und löste meinen Blick von der Leere, um ihn anzusehen, da ich nicht unhöflich wirken wollte. Wenn ich ehrlich war, hatte ich gestern vor dem Einschlafen wirklich daran gedacht irgendwie nach Hause zu gehen. Jemand wie ich passte nicht hier her, auch wenn hier angeblich meine wirklich Heimat war... Ich wusste langsam einfach nicht mehr was ich glauben sollte.
»Gut, beantworte du mir eine Frage und du darfst mir eine stellen, wenn du willst.« Ich seufzte leise, das Angebot war verführerisch, aber Antworten warfen oft noch mehr Fragen auf, die erst gelöst werden mussten. Doch seit wann gab es Antworten ohne folgende Fragen? Ich musste meinen Wissensdurst irgendwie stillen.
»Meinetwegen, das würde die Sache vereinfachen.«, stimmte ich zu.
»Wieso die Namensänderung?« Natürlich war es einer der komplexesten Fragen, deren Antwort ich selbst kaum in Worte fassen konnte.
»Na ja, bevor man mich... verbannte, war ich durch die Mauer geklettert, um die andere Seite selbst zu sehen. Ich wusste, dass es nicht perfekt war, aber die Neugierde war zu groß, ich konnte und kann sie nicht verdrängen. Dieser Rick hat mich gefunden und es gab eine Auseinandersetzung, Tia hat ihn weggeschickt und dann war da dieser Soldat. Ich erinnere mich nicht mehr wirklich daran, aber dann bin ich in einem Raum aufgewacht, in dem sich Miranda Scott und William unterhalten. Nachdem er gegangen war, hat Miranda mit mir gesprochen... lauter komisches Zeug, das mich umso mehr verwirrt.« Während ich die Geschehnisse weiter wiedergab, fühlte es sich an als würde ich sie neu erleben. Sei es die Neugier, als ich die andere Seite betreten hatte, die nackte Panik, nachdem Rick mich fand oder die Furcht, die mir Miranda machte. Die Erinnerungen dieser Vergangenheit, fühlte sich an als würde sie Jahre zurückliegen, doch es waren nur ein paar Stunden, ein paar Stunden kn denen sich mein Leben fast vollkommen geändert hatte. Wenn man mich damals gefragt hätte wer ich war, hätte ich ohne zu zweifeln den Nachnamen Price erwähnt, doch was war nun? Ich war jetzt nicht mehr die Tochter eines Politikers und seiner nach der Perfektion strebenden Ehefrau. War meine Verwirrung überhaupt angemessen? Es gab bestimmt Menschen, die es schlimmer hatten als ich, aber irgendwie musste ich meine Antworten bekommen.
»Was sagte-«
»Bin ich jetzt nicht dran?«, unterbrach ich ihn, bevor er eine weitere Frage stellen konnte, wobei wir uns beide angrinsten.
»Na dann fang an." Ich zog scharf die Luft ein, vielleicht war es besser langsam zu beginnen.
»Was ist mit William? Warum hilft er, obwohl er ein Soldat ist?« Diese Frage hatte mir schon länger auf den Lippen gebrannt, da die Treue zu den Diktatoren ihre größte Priorität war.
»Nicht alle sind so. Ich selber weiß nicht wirklich warum, mein Vater meinte sogar mal, dass zwischen Rosy und ihm mal etwas war, aber das erklärt die Sache nicht wirklich. Ich glaube, dass ihm der Käfig genauso sehr stinkt und uns deshalb gern mal hilft, jetzt bin ich dran. Also was hat Miranda gesagt?«, erklärte er mir meine erste, wodurch sich für mich noch mehr Fragen auftaten. Es musste doch andere Gründe geben. Warum zum Bespiel diente er dem 'Käfig', wenn er es nicht wollte? Es war eines unserer Rechte für uns selbst zu entscheiden.
'Das glaubst du noch? Genau das wollen die, ihr sollt die Lügen abkaufen, aber was ist dann mit dem Perfektionismus? Die Leute haben nicht einfach so damit begonnen, man kannte die tausend Gesetze und somit war es sicherer sich vor sich selbst zu verstecken.' Ich dachte über ihre Worte nach, ergaben sie Sinn? Warum gab sie mir immer nur Bruchteile der Wahrheit und nie alles? Ich war nicht gierig, es war nur verdammt schwierig stets alles in die richtige Reihenfolge zu bringen, als wäre alles ein Puzzle mit über tausend Teilen.
»Viele Dinge, vielleicht waren es Lügen, vielleicht nicht. Sie erzählte über den Krieg, wobei sie die eigentlich Sinnlosigkeit dieser Seite erklärte, aber hier landeten wohl die Personen, die im Krieg gegen sie waren. Sie erwähnte aber auch ein Baby, welches sie auf die andere Seite brachte und dort bei den neuen, perfekten Eltern lebte, welche versuchten sie zu einem perfekten Menschen zu machen, bis sie diese Seite entdeckte.« Ich hoffte, dass er die versteckten Aussagen verstanden hatte, denn ich hatte nun andere Dinge im Kopf. Freya wusste viel mehr als sie vorgab, ob sie vielleicht sogar wusste wer meine Eltern waren? Ich suchte doch nur nach Wahrheit und Sinn, wie vermutlich jeder andere Mensch auf dieser zerstörten Welt auch. Wenn sie der zweite Teil unserer Seele war, musste sie mir doch helfen den Riss zu heilen und mir bei diesem Puzzle zu helfen.
Ich senkte meinen Blick etwas, ich konnte ihre Worte verstehen, vielleicht hatte sie sogar Recht, aber war sie denn bereit? Ich konnte... Ich durfte sie nicht verlieren. Ihr Teil der Seele war mächtiger als der meine, sie war dazu fähig mich vollends zu verdrängen, sowie es auch bei den Menschen im Käfig der Fall war. Sie verspotteten sich ab und zu gegenseitig und merkten gar nicht wie sehr es ihnen allen schadete, denn der Mensch war dumm, egal wie weise er auch sein mochte. Hatten nicht auch viele angeblich weise Menschen die Macht an sich gerissen und Länder ins Verderben gestürzt? Ich schwiff wie immer ab, meine Meinung war nun unwichtig. Ich kannte die Wahrheit über unsere Eltern nicht, in den Erinnerungen erinnerte ich mich nur schwach an sie. Unsere Mutter sang uns Nacht für Nacht Lieder vor, wenn wir mal wieder aufwachten, unser Vater hingegen hatte uns abends immer vorgelesen. Ich hatte immer wieder versucht mich an ihre Gesuchter zu erinnern, doch sie waren verschwommen, während alles andere klar war.
»Jetzt du«, sagte er nach einer Weile des nachdenklichen Schweigens. Ich biss mir auf die Lippen, ich konnte meine Neugier nicht verstecken, sie holte mich immer wieder auf. Freya wusste von den Laboren, wieso sagte sie es mir nicht?
»Was geht in diesen Laboren vor?«, fragte ich leise und sah zu ihm hoch. Er seufzte leise, raffte seine Schultern und fuhr sich durch das Haar, wobei er ungläubig wirkte. War es denn wirklich so schlimm? Ich konnte es nicht wissen, ich durfte es nicht wissen. Landeten die Leute, die all die Wahrheiten kannten, auch hier? Ja, sie mussten, immerhin war ich irgendwie eine von ihnen gewesen, eine die zu viel wusste, eine die gefährlich für das System war. Also würde mich die Gewissheit über die Labore retten? Ich wagte dies stark zu bezweifeln, doch nun war es ohnehin zu spät.
»Bevor die Karten auf den Tisch gelegt werden, muss man sich grundlegende Fragen stellen. Wie entsteht diese lebensrettende Medizin, die selbst Krebs und andere Dinge heilen können?« Ich hatte dies nie hinterfragt, nicht einmal als man mir mit sechs meinen Arm mit Salbe behandelte, um den Bruch zu heilen. Also was hatte es damit auf sich? Unsere Medizin schien ein Wunder zu sein, zu schön um wahr sein zu können, zu schön um real zu sein. Stellte sich überhaupt irgendwer, der perfekt war, solche Fragen?
»Bryan Scott leitet die Forschungen.«, antwortete ich ihm, wobei er leise auflachte.
»Jetzt wissen wir wer, aber durch was?« Seine Fragen verwirrten mich. Mit was? Darüber hatte nie jemand auch nur ein Wort verloren, die Dinge gab es, wir, die Bürger, waren glücklich und lebten zufrieden bis an unser Ende. Aber vielleicht war gerade das der Teil, der mich verwirrte. Wieso traute sich niemand? Warum sprach keiner die Frage aus? Ich wusste ja, dass es nicht perfekt war zu hinterfragen, aber ich konnte doch nicht die Einzige sein, der solche Fragen auf der Zunge brannte.
»Ich weiß es nicht... Tierversuche vielleicht?« Allein mein Ansatz war lachhaft, diese Art von Versuche waren schon seit zehn Jahren verboten worden, kein Lebewesen sollte für uns sterben, sagte man uns. Sein Blick wurde auf einmal ernst und mir wurde klar wie schwer ihm die Antwort fiel.
»Fast, Menschen sind ebenfalls Tiere, nur dass sie denken sie wären etwas Besseres.« Ich löste meinen Blick von ihm, starrte stur geradeaus, war nicht fähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Lügen über Lügen, alles war auf Lügen aufgebaut, all der Ruhm, all die Anerkennung... all das Leben, welches vermutlich erst durch den Tod vieler entstanden war. Aber wieso? Wie krank musste die Psyche eines Menschen sein? Ich hatte keine Ahnung von den Verhältnissen, doch mein Verstand sagte mir, dass es nichts Gutes sein konnte. Ich konnte nicht länger hier sein, in diesem kalten, engen Raum, der mir die Luft zu rauben schien.
»Ich muss weg.«, presste ich noch hervor, bevor ich aufsprang und laufend den Raum verließ, nach Draußen. Die Luft sollte mir gut tun, doch sie verschaffte mir mehr Klarheit, die ich so sehr zu verdrängen versuchte. Immer weiter, ich musste immer weiter laufen, doch wann kam das Ziel? Nie, denn es gab keins. Ich war hier, auf der anderen Seite, dem Slum, dich ich gehörte nicht hier her. Mein Platz war auf der anderen Seite, um mein Schicksal zu erfüllen, welches alle anderen mit mir teilten, den Perfektionismus, die Begnadigung vor dem Wissen. Dem Wissen, dass andere... niedere Menschen, wie die Scotts es wohl sagen würden, für mich Leid ertragen mussten. Für mich und viele andere.
Ich rannte die dunklen Gassen entlang, trotz der Eiseskälte, fror ich nicht, denn es war das Adrenalin, welches mich weitermachen ließ. Ich wusste nicht wo ich war, nicht was mein Ziel sein sollte, nur dass ich weiter musste, am besten weit weg. Waren dies die Lügen, auf die unsere Gesellschaft aufgebaut worden war? Was wenn irgendwer kämpfen würde? Es musste jemanden geben, der helfen konnte, irgendwen. Das Wissen machte mich krank, die Perfektion, mein angebliches Schicksal, wirkte immer fremder, auch wenn ich vor ein paar Minuten noch gut über sie gedacht hatte, ein paar Minuten, die es änderten. Warum war ich auf dieser Seite? Freya musste es geplant haben, aber warum? Ich konnte nichts tun, ich war machtlos gegen die Scotts, denn ich war eine einzelne. Lustig, dass ich über so etwas sprach, ich, die kaum wusste wer sie war oder was sie denken sollte, denn in Wahrheit hatte ich Angst vor mir selbst, Angst vor der, zu der ich langsam wurde.
Ich lehnte mich gegen die kühle Ziegelsteinwand von einem der vielen Häuser, die eng beieinander standen und so die scheinbar endlosen Gassen bildeten. Meine Kraft war um Ende, ich spürte wie meine Knie langsam weich wurden und ich auf den nassen Boden sank, den Kopf auf den Knien, die Tränen der Verzweiflung verließen meine Augen.
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