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Ich vernahm meinen Atem, gleichmäßig und ruhig, obwohl er panisch hätte sein müssen. Die Fragen wo ich war und was mit mir passieren würde waren nebensächlich geworden, meine Gedanken waren frei. Ich wollte mich bewegen, jedoch genoss ich keinerlei Erfolg bei meinen hoffnungslosen Versuchen. Die Gedanken in meinem Kopf schwiegen, selbst die Stimme schien zur Ruhe gekommen zu sein. Die Bilder meiner neuen Erfahrungen gruben sich ganz langsam in mein Gedächtnis zurück, da war ein älterer Mann, ich erinnerte mich an die Angst, die ich vor ihm gehabt hatte, dann noch eine rothaarige Frau, die mich gerettet hatte, als der Mann auf mich losgehen wollte. Woher war sein Hass gekommen? Ich kannte derartige Gefühle kaum, ich verdrängt sie wann immer sie in mir auftraten, denn so war es richtig.

'Du irrst dich, Hass ist menschlich solange er nicht zu groß wird.', hörte ich die schwach reden. Ich empfand so etwas wie Erleichterung, als ich sie reden hörte, konnte mir jedoch nicht ganz erklären weshalb. Hass war menschlich... Er war schlecht, denn nicht ohne Grund hatte der Krieg vor fünfundzwanzig begonnen. Ich kannte die Geschichte kaum, unsere Bücher schwiegen, genau wie die Augenzeugen, da es verboten war darüber zu reden. Ich hatte meine eigene Theorie auf gestellt, jemand aus meinem Heimatland wurde Machtbesessen und hatte durch seinen Hass versucht andere Länder ins Verderben zu stürzen, um unseres zu vergrößern. Genau das war vielleicht der Punkt, denn die Macht machte viele Menschen gierig danach immer mehr zu wollen.

»Müsste sie nicht längst wach sein?«, hörte ich eine besorgte männliche Stimme reden. Ich wurde augenblicklich hellhörig, obwohl es unhöflich war. Natürlich versuchte ich mich zu zügeln, doch die untugenhafte Neugier setzte sich durch.

»Was interessiert es dich William? Sie wird sowieso die Labore geliefert.«, sprach eine weibliche Stimme mahnend. Labore? Wovon redete sie da? Ich hörte den Mann sofort wie der Mann leise aufseufzte.

»Ich bitte dich Miranda, es war ein einziger Fehler, andere tun viel schlimmere Dinge und werden nur verbannt.« Auf einmal spürte ich die beißende Angst in alle meine Gliedmaßen weichen. Es war Miranda Scott, das konnte nichts Gutes bedeuten, immerhin war sie die Herrscherin... Aber was meinte der Mann mit andere? Wir hielten uns doch stets an Regeln.

»Ich bitte dich, wir wissen beide ganz genau wer das ist. Ich habe dieser Rosaly nicht umsonst erlaubt sie auf diese Seite zu bringen. Sie muss sterben, ansonsten wäre sie eine Gefahr.«, sprach sie zynisch. Mein Atem zitterte leicht, sterben? Ich konnte kaum an den Tod denken ohne beinahe zu weinen, denn ich hatte große Angst vor ihm. Jetzt bleib ruhig, finde einen Weg., versuchte mich die Stimme zu beruhigen. Sie hatte Recht, nur ich selbst konnte mir nun hier raus helfen, jedoch stand eines bereits fest: Ich konnte nicht auf dieser Seite bleiben, denn es wäre zu riskant entdeckt zu werden. Ich wollte meine Eltern nicht verlassen, ob ich sie je wiedersehen würde? Der Gedanke daran zerbrach mein Herz in tausend Teile, jedoch kam dann etwas Anderes in mir auf. Wer war diese Rosaly von der Miranda gesprochen hatte?

»Ich bitte dich... sie ist noch jung und weiß von nichts, bitte lass sie laufen.«, hörte ich den Mann flehen. Ich versuchte meine Augen vorsichtig einen Spalt weit zu öffnen, jedoch war zunächst alles verschwommen, doch langsam begann meine Sicht auf das Geschehen zu bekommen.

»Sie sollten nun gehen Soldat, ansonsten schicke ich Sie gleich mit ihr.«, meinte, wobei sie den hochgewachsenen Mann in Soldatenuniform mit ihren eisigen grauen Augen fixiert hatte. Ich musste mir etwas ausdenken, wenn ich es schaffen wollte. Doch was? Ich hatte nicht einmal eine Ahnung wo ich war und die Fragen erdrückten mich. Wer war dieser Soldat? Er half mir einfach so, dass war für unsere Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit. Natürlich halfen wir uns in einfachen Dingen, wenn es dann jedoch gefährlich wurde, wandten wir uns ab.

'Und das ist perfekt?', fragte mich die Stimme auf einmal. Sie wollte mich nur auf die falsche Sicht der Dinge führen. Es war perfekt nicht zu helfen, immerhin setzten wir dabei in manchen Fällen unsere Gesundheit oder gar unser Leben aufs Spiel. Du hast Recht, aber der Gedanke zwei Seiten. Was ist wenn jemand einen anderen ermorden will und nur du ihm helfen könntest? Würdest du deine Augen abwenden?, hackte sie nach. Ich begann nachzudenken, warum sollte ich mich gefährden? Es würde jemand anderes kommen, um zu helfen. Ich konnte ohnehin nichts ausrichten.

»Ich weiß, dass du wach bist.«, hörte ich unsere Diktatorin kalt reden . Ich öffnete meine Augen gänzlich, wobei das grelle Licht schmerzte. Ich biss mir auf meine Unterlippe, da diese stark zu zittern begonnen hatte. Jeder liebte Bryan und Miranda Scott, doch mir bereiteten sie ein flaues Gefühl im Magen, was ich natürlich nie zugegeben hatte. Schon als Kinder wurden wir darauf trainiert nicht alles zu hinterfragen und sauber zu sein. Ersteres war mir nie gelungen. Ich hatte es zwar geschafft meine Fragen nicht mehr auszusprechen, jedoch überschwemmten sie meine Gedanken.

»Es tut mir leid Mrs. Scott, ich wollte nicht lauschen.«, entschuldigte ich mich mit gesenktem Blick und setzte mich gerade hin, um ihr zu zeigen, dass ich durchaus wusste was Perfektion bedeutete.

»Selbst wenn du es nicht gewollt hättest wäre es passiert, wenn ich nicht gewollt hätte, dass du es mitbekommst, wäre ich mit Mr. Lancaster auf den Flur gegangen.«, sagte sie mit durchaus drohendem Unterton, obwohl ihre Worte eigentlich nett gewesen waren.

»Aber wieso? Würden Sie von meiner Unwissenheit nicht weitaus mehr profitieren?«, fragte ich, wobei mir erst im Nachhinein auffiel wie unhöflich ich gewesen war und wünschte mir daher sofort es zurückzunehmen. Sie begann zu lächeln, doch die Art wie sie es macht, ließ mich erschaudern. Eisig kalt und herablassend, ich hatte sie im Fernsehen nie so streng gesehen.

»Interessante Gedankengänge für eine Unwissende, wie dich, dabei es ist ganz einfach, denn du weißt ohnehin nicht von was wir geredet haben.«, beantwortete sie meine gestellte Frage. Sie hatte Recht, ich wusste nur eines, es war mein Tod. Ich konnte keinen Ausweg finden, ich war nie ein Kind gewesen, welches sich im Schrank versteckt hatte, vielleicht hatte mich gerade das auf andere komisch wirken lassen.

»Warum können Sie mich nicht einfach gehen lassen? Ich werde es niemanden verraten, niemals.«, erwiderte ich mit weinerlicher Stimme, da ich den Gedanken an den Tod nicht ertragen konnte, doch sie lachte nur leise auf.

»Wie gern ich dir glauben würde, Madelyn Sophie Price... Ach wie gern ich würde, doch es geht nicht. Du magst dich angepasst haben, aber die andere Seite steckt noch immer tief in dir und wird keine Ruhe geben bis du sie rauslässt.« Was meinte sie damit? Ich war hier geboren worden, bis vor ein paar Stunden wusste ich nicht einmal was auf der anderen Seite war. Ich wollte es einfach nur vergessen, aus meinem Gedächtnis radieren, mein Leben weiterleben... Mein Leben voller Perfektionismus, den ich nur erreichte wenn ich mich vor allen versteckte, weil ich nicht fähig war in diese Gesellschaft zu gehen. Mein Leben in dem es mir verboten wurde ich selbst zu sein, so zu leben wie ich wollte, ein Leben was nicht mir gehörte.

Die Stimme hatte einmal über Gerechtigkeit geredet... Ich fragte mich allmählich warum ich dieses Leben überhaupt lebte, wenn es mir ohnehin schon vorbestimmt war. Denn eigentlich war es doch die Gesellschaft oder nicht? Ich spürte wie der Hass in mir aufblühte. Die Gesellschaft, die festlegte, dass Frauen schon von Geburt an Kinderwünsche hatten, einen Mann fanden, die Wünsche in die Tat umsetzte und somit unsere Art weiter erhielt. Daran war nichts schlimm, doch es wurde vorausgesetzt Kinder zu haben. Wenn man es biologisch gesehen nicht konnte, wurde man ausgeschlossen, es war aber auch nie eine Frage des Wollens. Man erwartete von mir dieses Leben nachzuleben, aus meiner Höhle zu kriechen und zu einer angesehenen Frau zu werden, die sich eine Familie aufbaute. Erst jetzt, wo ich dem Tod begrüßte, fing ich an darüber nachzudenken, denn eigentlich eigentlich hatte mir mein Leben nie gehört und erst jetzt spürte ich den inneren Schrei in mir, der nie sterben wollte, also wagte ich es ihn freizulassen und sah unserer grauenvollen Präsidentin direkt in die eisigen Augen.

»Jemand hat mir einmal gesagt, dass es keinerlei Perfektion ohne Leid geben kann. Ich habe demjenigen nicht geglaubt, habe ihn für verrückt erklärt, aber nun begreife ich. Die Perfektion ist ein Facette, nicht wahr? Sie und viele andere spielen den Leuten auf dieser Seite vor, dass sie perfekt wären, dabei sind sie nicht einmal mehr menschlich. Sie leben denen nach, die vor ihnen gelebt haben und so weiter, aber eine Sache verstehe ich nicht.«, sprach ich ruhig und sah ihr dabei fordernd in die Augen.

»Du entfaltest dich langsam so kurz vor dem Tod, eigentlich schade, du hättest gut in die Regierung gepasst, aber lass mich deine gut gestellte Frage beantworten. Die andere Seite, der Slum, wie wir ihn nennen, war nie nötig. Als wir die Stadt eingeteilt haben, habe ich ein paar Personen, die den Krieg leider überlebt haben, dorthin geschickt, jedoch hatte eine von ihnen ein Säugling, welchem ich es gestattet hatte auf der anderen Seite zu leben. Aber nicht jeder Mensch war perfekt. Einige, die Bescheid wussten, haben sich gewehrt, also mussten sie beseitigt werden bevor ein weiterer Krieg ausbrechen konnte.« Ich sah das Monster vor mir an. Natürlich hatte ich es mir gedacht, aber woher hätte ich wissen sollen, dass es stimmte? Sie machte all dies mit Absicht, sie unterdrückte die Menschen bewusst. Es war nie unsere Priorität perfekt zu sein. Ich wollte sie dies fragen, jedoch hing eine dringendere Frage auf meinen Lippen.

»Wieso haben Sie den Säugling erwähnt? Er ist unwichtig.«, fragte ich sie, wobei sie wölfisch zu grinsen begann.

»Schön dass du genau diese Worte benutzt, denn es stimmt, er ist unwichtig, da er ohnehin in den nächsten Tagen im Labor sterben wird.«, sagte sie und sah mich dabei vielsagend an. Meine Mine verzog sich sofort und mein Mut verschwand. Ich konnte nicht glauben was sie gerade gesagt hatte, aber es ergab Sinn. Ich schüttelte innerlich den Kopf und sträubte mir die Haare. Es durfte nicht stimmen, ich war nicht von dort, ich war die Tochter von Helena und Eric Price.

»Ich lasse dich nun allein, Mr. Lancaster wird dich holen.«, sagte sie mit einem teuflischen Grinsen. Ich hatte meinen Blick gesenkt. Wie konnte ich nur so unhöflich sein? Ich hätte ihr zeigen müssen wie perfekt ich war, aber die Fragen wollten nicht verschwinden und nun hatten sich nur noch mehr aufgetan. Stimmte es oder hatte sie es gesagt, um mich zu verunsichern?

»Wusstest du es?«, fragte ich meine scheinbar gestorbene Stimme trüb. Sie war doch anscheinend so allwissend, wie sie immer tat, doch nun schien sie zu schweigen. War sie schockiert? Ich konnte mir vorstellten, dass sie nun ihren Triumph feierte, denn sie wurde mich endlich los. Ob dies die ganze Zeit ihr Plan gewesen war? Mich zu töten, meinte ich? Aber wenn ich starb, würde ich sie mitziehen.

'Ja, aber-'

»Was Aber? Du tust doch so als wärst du die Schlauste und ich dieses...« Ich spürte wie mir die Tränen über die Wangen rollten. Ich konnte nicht sterben, erst brauchte ich endlich Antworten. Wer waren meine Eltern? Wieso ließen sie mich nicht bei sich? Es war gefährlich, aber die rothaarige Frau war ungefähr in meinem Alter, also schien es nicht allzu gefährlich zu sein

'Hättest du es mir geglaubt? Ich kann verstehen, dass du wütend bist, aber bitte verstehe mich auch.', erwiderte sie. Ich wischte mir über mein Gesicht in der Hoffnung all die falsche Schminke mitzunehmen. Die Fragen unterdrücken, ich musste sie unterdrücken. Ich konnte nicht einfach aufgeben perfekt zu werden, die Wahrheit musste unterdrückt werden. Ich hörte wie die Tür sich öffnete, sah jedoch nicht auf, Neugier war eine schlechte Tugend, ich durfte sie nicht zulassen.

»Guten Tag Mr. Lancaster.«, begrüßte ich ihn aus Höflichkeit und sprang von der tischartigen Ablage, auf der ich gelegen hatte.

»Nenn mich William und sag Du zu mir, das ist sonst komisch. Die rothaarige Frau habe ich schon losgeschickt, jetzt komm, du wirst nicht in eines dieser Labore kommen, es gibt einen Tunnel von hier in den Slum, den nimmst du und lässt dich von der Frau zu jemanden namens Rosy führen, hast du verstanden?« Ich war durch die vielen Informationen verwirrt und blickte in seine klaren blauen Augen, die mich sorgsam absuchten. Warum half er mir?

Ich hatte mich geirrt, sie hatte ihren Willen keineswegs verloren, er schlummerte ganz tief in ihr und wurde langsam geweckt. Wann würde es so weit sein? Wann würde sie mich wirklich entdecken und erkennen wer ich war? Ich wollte es ihr sagen, doch ich konnte nicht, denn es wäre falsch. Jeder Mensch musste es für sich selbst schaffen sein wahres Ich zu entdecken und zu entfalten. Es war kaum zu erkennen, aber sie war fast soweit, denn die andere Seite würde es ihr zeigen. Ihr zeigen wer sie wirklich war und ihr ihr Schicksal offenbaren.

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