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Leid. Ich hörte dieses Wort tief in mir immer wieder, denn genau das beschrieb das Bild welches sich vor meinen Augen abgespielt hatte. Erst jetzt wurde mir überhaupt bewusst was Perfektion wirklich bedeutete. Aber hatte das hier wirklich etwas damit zu tun? Es war als ob sich ein riesiges Loch in meinen Gedanken aufgetan hätte, welches nun alle Fragen raus ließ. Es war ein Slum oder eher ein Ghetto, aber wieso hatte man uns dann niemals davon erzählt? Es hieß doch immer, dass alle von uns perfekt wären, also war daraus eine logische Schlussfolgerung, dass wir den Menschen dort geholfen hätte... oder besser gesagt dem Ort, denn ich sah nicht eine Menschenseele. Sie mussten bereits in den herunter gekommenen Häusern sein, was man an den vereinzelt brennenden Lichtern erkennen konnte.

'Geh hin, du sollst es aus der Nähe betrachten.', sagte sie mir.

»Warum bin ich hier? Ich kann doch sowieso nichts tun.«, erwiderte ich. Warum zeigte man ausgerechnet mir das Alles? Oder wieso zeigte man es mir überhaupt? Ich war doch nicht mehr als ein kleines Kind, obwohl meine Hülle nicht den Anschein machte.

'Du hast Fragen, das verstehe ich, aber bitte lass mich dir zuerst deine geschlossenen Augen öffnen.' Ich zog scharf die Luft ein, was würde mich erwarten? Wollte ich es überhaupt? Ich seufzte leise auf, wobei mein Atem kleine Wölkchen machte, die sich langsam in der Luft auflösten. Es war zu spät für diese Fragen, denn anderen brannten viel in mir. Ich setzte mich in Bewegung, wobei sich die Absätze meiner Schuhe in die Erde gruben. Erneut fragte ich mich nach dem Wieso. Wer hatte denn jemals bestimmt welches Geschlecht was tragen sollte oder wer was zu machen hatte? Es war die Evolution, wobei ein paar Menschen, die dachten sie hätten etwas zu sagen, es festgelegt hatten. Es war genauso wie die Frage danach weshalb Frauen den Haushalt machen mussten oder wieso wir unsere Schminke trugen. Ich hasste meine, doch ich musste mein Gesicht mit so vielen Farben verunstalten und durfte nicht zufrieden mit mir sein, da ich ja sonst nicht wie die anderen war, die sich unter das Messer legten.

Sie hatte angefangen sich zu verändern, das erkannte ich an ihrem Gedanken. Ich wusste, dass diese Flamme in ihr loderte und nun war sie entfacht und musste zu einem Feuer heranwachsen. Sie begann die Seite auf der sie aufgewachsen nun mit ihren Augen zu sehen. Das hatte sie schon immer getan, jedoch hatte sie diese wundervollen Gedanken immer unterdrückt. Ich zog scharf die Luft ein, die Arbeit hatte sich ausgezählt, doch jetzt lag es an ihr... wie sie diese Seite sah, denn es gab zwei Wege, einen Schlechten, einen Guten. Entweder hielt sie die Menschen für arm und bedauernswert oder sie erkannte es, ich hoffte auf zweiteres, denn andersrum würde sie es nicht schaffen ihren Weg zu gehen.

Ich hörte das gleichmäßige Klacken meiner Schuhe auf der der gerissenen Straße, wobei ich versuchte die Schlaglöcher so gut ich konnte zu umgehen. Was war hier passiert? Man sah vereinzelt ein paar kaputte Gebäude, die stark nach Bomben aussahen, aber warum sollte man das tun? Es waren doch auch sicherlich Kinder hier, die das Leben verdient hatten. Das Leben und all seine Erfahrungen. Es tat weh es mitansehen zu müssen, da sich automatisch Bilder von leidenden Menschen in meinem Kopf abspielten.

'Was ist hier passiert?', versuchte ich sie im Gedanken zu erreichen, da ich mich beobachtet fühlte. Am liebsten hätte ich geschrien und wie ein Kind um mich geschlagen, da ich dieses Abbild für einen schrecklichen Albtraum hielt.

'Es gibt keine Perfektion ohne Leid... Was denkst du?', fragte sie mich nach einer kurzen Pause. Totenstille, die Perfektion... Ich wusste nicht was ich sagen sollte, da mich die neuen Eindrücke sprachlos machten. Was hatte diese Seite mit meiner zu tun? Sie waren von Grund auf verschieden. Unsere Stadt war wunderschön und glänzte vor Perfektion, wobei diese nur Leid und Schmerz ausstrahlte.

Ich hatte Angst davor hier zu sein, aber dennoch trugen mich meine geraden perfekten Beine weiter zu einem kleinen Markplatz, an dem die Stände komplett verwaist waren als hätte man sie jahrelang nicht einmal benutzt. Man hatte uns gesagt, dass die andere Seite gefährlich sei... dass dort die Wunden des Krieges klafften, den mein Land ausgelöst hatte. Wie sah es dann im Land unserer Herrscher aus, fragte ich mich. Ob es ebenso in Trümmern lag? Wohl kaum, ansonsten würde es meine Seite nicht geben, es sei denn Miranda und Bryan Scott lag mehr an uns als an ihren Landsleuten, was relativ unwahrscheinlich war. Ich hatte sie oft im Fernsehen sprechen gehört, sie waren so bestimmend, jedoch wurden sie von allen geliebt, doch mir machte sie eher Angst. Ich konnte nicht sagen wieso, vielleicht war es irgendein Instinkt tief in mir drin.

»Hey Miststück!«, hörte ich jemanden etwas weiter entfernt rufen. Ich erfasste sofort den dürren alten Mann, der mit roten Augen auf mich zu stapfte. Mein Herz begann wild in meiner Brust zu schlagen. Was sollte das? Wieso sagte er so etwas zu mir, obwohl wir uns gar nicht kannten? Bei uns gab es keine derartigen Beleidigungen, obwohl Mutter und Vater mich schon oft Tollpatsch oder Dummkopf genannt hatten, dich sie meinten es gut. Ich musste endlich lernen so zu sein wie alle anderen auch.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte ich ruhig, als er unmittelbar vor mir stand. Ich versuchte mir zu zureden. Er würde mir nichts tun, wieso sollte er? Es gab keine Gewalt, er krümmte mir kein Haar. Lauf doch endlich!, rief sie mir aus meinem Inneren hinaus zu. Nein, ich musste nicht laufen, er würde mir nichts tun, ich war vollkommen sicher hier. Die Stadt war anders, aber Miranda Scott hatte oft in ihren Ansprach gesagt, dass wir immer und überall sicher seien. Ich vertraute ihnen, denn so tat es jeder andere auch, es durfte keine Zweifel geben.

»Deinen Kopf, du Miststück!«, rief er erbost und im nächsten Moment spürte ich bereits den harten Schlag gegen meine Schläfe, der sich in meinem gesamten Kopf ausbreitete. Ich landete auf den dreckigen Boden, wobei meine Kleidung gänzlich verschmutzte. Nun spürte ich zum ersten Mal in meinem Leben Angst, jedoch war es nicht die kleine Version. Ich versuchte mich unter Schmerzen so gut ich konnte von ihm wegzuziehen. Wieso hatte ich auf sie gehört? Warum hatte ich sie nicht ignoriert? Was wenn das hier mein Tod war? Ich wollte nicht sterben, nicht bevor ich nicht gelebt hatte. Als er seinen Fuß anhob, presste ich vor Panik die Augen zusammen, ich konnte nicht hinsehen. Noch nie hatte mich jemand geschlagen oder mir gar absichtlich wehgetan, es war eine völlig neue Erfahrung.

»Rick hör auf mit dem Scheiß oder macht dich der Alkohol neuerdings auch noch lebensmüde?«, hörte ich plötzlich eine weibliche Stimme die Spannung durchbrechen. Ich wagte es kaum meine Augen zu öffnen, da es einfach zu viel war. Ich hatte immer geglaubt, dass die Welt perfekt war, dass es keine Gewalt mehr gab und sich jeder an die Gesetze hielt. Aber warum taten Miranda und Bryan Scott nichts dagegen? Sie hatten dich geschworen uns alle zu beschützen.

»Sie ist einer dieser Arschlöcher, Tia.«, hörte ich den Mann reden, wobei die Frau leise auflachte. Ich wagte es vor Anspannung und Angst kaum zu atmen. Warum war er so wütend auf mich? Wir waren uns doch noch nie begegnet, wie konnte er mich dann hassen?

»Meinetwegen, aber hast du vielleicht auch nur mal eine verdammte Sekunde an die Soldaten gedacht? Jetzt hau ab, ich erledige das.« Meine Augen waren noch immer fest verschlossen, jedoch traute ich mich nun sie einen kleinen Spalt weit zu öffnen und die junge Frau über mir mit ihrem roten Lockenhaar anzusehen.

»Und was ist mit ihr?«, fragte der Mann sie erbost, wobei sie mich mit ihren blau- grauen Augen fixierte, als wäre ich ihre Beute. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und wie die Stimme es mir gesagt hatte weggelaufen. Ich wollte nach Hause, zurück in meinen Alltag, niemand durfte jemals erfahren, dass ich hier gewesen war. Ich hatte das Gesetz gebrochen, was würde man nur mit mir anstellen? Ich kannte niemanden, der sich so drastisch gegen die Perfektion gewehrt hatte. Dabei wollte ich es doch nicht einmal. Ich wollte perfekt sein, so sein wie alle anderen, die es mir vormachten. Aber was hinderte mich daran? Welche dunkle Macht hinderte mich daran? Ich wusste, dass es die Stimme war, die Stimme einer Unbekannten, von der ich nicht wusste wer sie war oder was genau sie von mir wollte.

»Ich kümmere mich um sie, bitte geh jetzt bevor die Soldaten dich sehen, du darfst nicht noch einmal erwischt werden.«, sagte die dürre Frau, die mich noch immer fixiert hatte. Meine Kehle war ganz trocken. Ich fand noch immer keine Erleichterung, obwohl der alte Mann abzog. Ich hatte viel größere Angst vor ihr, vor ihrer wilden Art, die in ihren Augen loderte.

»Steh auf, wir sollten nicht hierbleiben.«, sagte sie streng und reichte mir ihre Hand, die mit Dreck übersäht war. Ich wusste, dass es nicht zu unseren Sitten gehörte sie zu ergreifen, jedoch empfand ich keine Abneigung, wie man hätte meinen sollen. Zwar hatte ich noch immer Furcht vor ihr, jedoch schrumpfte diese von Sekunde zu Sekunden. Sie hatte den Mann verscheucht, ohne sie würde ich noch immer am Boden liegen und vielleicht sogar schwer verletzt sein, ich konnte die Menschen hier nicht einschätzen.

»Danke, dass Sie-«

»Hände hoch«, wurde ich von einer harten männlichen Stimme hinter mir unterbrochen, die ich ohne Schwierigkeiten erkannte, obwohl alle der Soldaten anders klangen. Sie besaßen dieselbe Härte, Entschlossenheit und Kälte, die jedem Angst einjagten. Ich zog scharf die Luft ein, spürte die Tränen in den Augen und erhob wie die Frau vor mir die Hände, wobei ich mich zu ihnen umdrehte, den Lauf der Waffe direkt am Herzen. Aber warum? Ich hatte noch nie erlebt, dass sie einen von uns bedrohten, sie waren stets friedlich. Du hast das Gesetz gebrochen, bleib ruhig und tu was sie sagen, im richtigen Moment läufst du so schnell du kannst., erklärte mir die Stimme ruhig.

»Ich habe die Dame nur beschützt, Sir. Drücke Sie bitte ein Auge zu, sehen Sie sie doch an, sie scheint neu hier zu sein, also weiß sie noch nichts von der Ausgangssperre.«, mischte sich die Frau sofort ein, wobei ich den Hass in ihrer Stimme vernahm.

»Das ist ein Irrtum, ich kenne diese Frau und sie gehört nicht hier her. Ihr kommt beide mit, du wegen des Verstoßes der Ausgangssperre, habt ihr beiden kapiert?«, fragte er mit harter Stimme. Ich spürte wie sie sich schnell an mir vorbeidrängelte und sich schützend vor mich stellte. Ich musste sagen, dass ich sie für ihren Mut bewunderte. Wir kannten uns noch nicht einmal und sie wollte mich trotz allem schützen.

»Ich bitte Sie Sir. Sie werden nie wieder von uns hören, das schwöre ich.«, kämpfte sie weiter, jedoch schien es den Soldaten kaum zu kümmern, denn er war dabei sich tarnfarbenes sein Tuch am Hals über den Mund zu ziehen. Ich fragte mich zunächst was er damit beabsichtigen wollte, jedoch hörte ich dann ein metallisches Klimpern am Boden, wobei es leise zu Zischen begann. Ich roch nichts, jedoch stieg heller Nebel zu uns hinauf, der uns dann langsam aber sicher das Bewusstsein raubte.

Sie vertraute Miranda und Bryan Scott den elendigen Lügnern, niemand war sicher, da sich der Hass auf die Seite der Perfektion angestaut hatte. Ich konnte die Menschen verstehen, sie waren nicht freiwillig dort, sie beneideten die anderen, die sorgenfrei leben durften ohne leiden zu müssen. Ich hatte die andere Seite zuletzt als Kind gesehen, als ich noch Ich war, bevor man mich meiner Mutter beraubt hatte. Madelyn sah mich als ihre Feindin an, jedoch war ich das genaue Gegenteil, ich war die Erinnerung an unsere Mutter, die Erinnerung an die andere Seite, die nicht wollte, dass sie sie einfach vergas, denn das durfte sie nicht. Wenn dies geschehen würde, müsste ich sterben. Ich wusste nicht wohin man sie nun bringen würde, ich wusste nur was ihre Bestrafung war, denn nun folgte ihre Verbannung. Sie wurde ohne Hab und Gut wie alle anderen in dieses Ghetto zurückgebracht, doch wenn ich ehrlich war, war dies sogar mein Ziel gewesen. Sie musste nach Hause kommen.

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Vielen vielen Dank an bereits über 100 Reads, es ist kaum zu fassen wie schnell das geht. Danke auch an die vielen Votes und Kommentare, außerdem hoffe ich, dass euch das Kapitel gefallen hat. Schöne Feiertage noch! :)

Ach ja und noch eine kleine Anmerkung, FayKalena gehört der Charakter (die Frau) namens Tia, sie hat ihn sich ausgedacht. Also jeder der auf Fantasy steht so (aber auch die, die es nicht mögen!) müssen unbedingt mal bei ihr vorbeischauen. ;)

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