24
Es schien nicht mehr als der Augenblick zu zählen, der Augenblick, in dem ich Ethan durch den Hintereingang schaffte, den er mir auf meine Drohungen gezeigt hatte. Chris war reine Begleitung, doch ich musste hoffen, dass er die Lügen, die beinahe unkontrolliert aus Ethans Mund traten, keinen Glauben schenkte. Ich blickte in die leeren, prachtvollen Flure, der sich vor uns befand, wobei ich die Pistole noch immer zwischen die Schulterblätter der Schlange gerichtet hatte. Es wollte mir nicht in den Kopf, sonst war ihr Haus bewacht, es gab kein Rankommen und selbst mit einer Genehmigung wurde laut Erics Erzählungen am Essenstisch noch misstrauisch begutachtet. Ich beschloss einfach so ruhig zu bleiben, wie ich konnte, denn noch gab es keinen Grund zu Beunruhigung, schließlich schien mal einer unserer Pläne zu funktionieren, jetzt musste ich nur noch Jayden finden.
Mein Herz raste noch schneller, als ich Ethan in den menschenleeren Flur stieß, in dem uns die Augen der Personen, auf den gemalten Gemälden an den Wänden, scheinbar mit ihren Blicken zu verfolgen schienen, was mein mulmiges Gefühl nur noch verstärkte. Bei jedem einzelnen, fremden Geräusch, stieg meine Angst, doch wovor genau? War es denn der sichere Tod? Vor dem Unbekannten? Weil ich so viele Dinge noch nicht getan hatte? Oder war es einfach die Tatsache, dass nicht noch nicht fertig war? Ja, das konnte der Hauptgrund sein, ich war noch nicht fertig mit fieser Welt, zwar war niemand dies jemals bei irgendwem der Fall, doch bevor ich auch nur einen weiteren, verdammten Gedanken daran verschwenden an den Tod, der mir schon viel näher gestanden hatte, als jetzt, würde, musste die Mauer fallen, denn erst dann, wenn diese Machtbesessenheit aufhörte, würde ich ruhig sein.
»Warum so still Mady, machst du dich ein?« , zischte Ethan leise, doch ich lachte arrogant auf, damit er gar nicht daran festhielt, dass er mit seiner Behauptung recht hatte.
»Nein, im Gegenteil, denn wenn ich sterbe, stirbst du auch, das vergisst du, mein Lieber.« Nun folgte sein dunkles Auflachen, welches mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Ich konzentrierte mich auf den scheinbar endlos wirkenden Gang, ich kannte den Weg, auch wenn es nicht danach aussah. Ich orientierte mich an den Gemälden, die ich mir erst gestern noch beim Rausgehen eingeprägt hatte, da ich wusste, dass ich wiederkommen würde, niemand wurde zurückgelassen. Es waren neue, aber auch alte Gemälde, die weit vor dem Krieg entstanden sind. Nicht eines war ein Kopie, weshalb ich auch glaubte, dass sie gestohlen worden waren, schließlich gehörten sie in Museen.
»Allmählich bereue ich es, dir nicht schon vor ein paar Tagen in diesem verdammten Haus eine Kugel verpasst zu haben. Woher kommt diese Besessenheit nach Preston? Meine Mutter hat absichtlich eine Familie mit Stil ausgesucht und da suchst du dir so einen verdammten-«
»Du vergisst wer am längeren Hebel ist, ich könnte dir in den Arm schießen, den brachst du nicht zum Laufen.«, unterbrach ich ihn, was mich im nächsten Moment schon wütend machte. Ich hatte mich verraten, ich hatte Jayden verraten. Scheiße, wieso hatte ich ihn nicht aussprechen lassen? Wieso verdammt konnte ich mich nicht zügeln? Er wusste es, er wusste von uns, er würde es ihnen sagen, sie durften es nicht wissen, doch was wenn? Ich kannte ihre Tricks, sie würden uns trennen, uns glauben lassen, dass wir tot waren, aber würde es Jayden denn überhaupt interessieren? Ich kannte ihn kaum, er kannte mich kaum, aber wieso war dieses Gefühl dann da? Es klang total bescheuert, am liebsten hätte ich mit dem Kopf geschlagen, damit es aufhörte, doch in den letzten Tagen, gerade seit der Feier auf der anderen Seite, mochte ich ihn etwas zu sehr, als mir lieb war.
»Oh, interessant, aber es trieft schon fast vor Klischee, findest du nicht? Ich meine, da bist du, dieses kleine, perfekte Mädchen und dann er, ein ehemalig perfekter Mann, der jetzt sein Unwesen treibt und dauerhaft Scheiße baut. Dann trefft ihr aufeinander, durch einen puren Zufall, der durch Helenas Unaufmerksamkeit entstanden ist, und verliebt euch. Aber wer sagt, dass er es so ernst meint, wie du? Du könntest nicht mehr als ein Spielzeug sein, was denkst du davon Chris?«, spielte er mit mir und wandte sich dabei an Chris, der kreidebleich und schweigend neben mir herlief. Ich bemühte mich ruhig zu bleiben, ihm keine weiteren Beweise zu liefern, obwohl es zu spät wäre. Selbst wenn ich in Wahrheit nichts mit Jayden zu tun hätte, würde dieses sadistische Arschloch ihn leiden lassen, nur um sicher zu gehen.
»Nehmen wir einmal an, dass du recht hättest, wer sagt, dass er kein Spielzeug für mich ist? Sind wir beide ehrlich, Abenteuer in diesem Sinne sind hier rar gesät, doch du ahnst gar nicht, wie sehr sich dies auf der anderen Seite ändert, es kümmert mich nicht, was du mit ihm machst, jedoch würde es reichlich komisch wirken, wenn ich ohne ihn zurückkommen würde.« Ich hoffte mit dieser Lüge die richtige Entscheidung getroffen zu haben, denn durch das Hochziehen seiner Augenbrauen, konnte man erkennen, dass Ethan meine Lüge glaubte. Er hatte es auf mich abgesehen, wollte mich tot sehen, nicht Jayden, ich musste ihn raushalten, auch wenn er selbst genügend Dreck am stecken hatte. Ich wollte, dass er, wie viele anderen auf den anderen, wundervollen Seite, weiterlebte, in Frieden, nicht in Furcht, denn das verdienten sie nicht, jeder hatte ein Recht dazu sich sicher zu fühlen und es somit auch zu sein.
An den Gemälden erkannte ich, dass wir uns ihm nährten, gerade das Bildnis der brünett gemalten Frau war mir in Erinnerung geblieben. Ich wusste nicht, wie alt es bereits war, doch es war klar, dass es höchst wahrscheinlich ebenso gestohlen, wie auch fast der gesamte Rest in diesem furchtbar langen und merkwürdig leeren Gang. Ich warf einen prüfenden Blick zum blassen Chris, der es kaum wagte sich umzusehen, deine Augen waren stur nach vorne gerichtet. Wie gern ich ihm in den Kopf gesehen hätte, ob er wirklich eine Stumme besaß? Ich hätte ihn gefragt, doch wenn er verneinte, würde man mich für eine Verrückte halten. Doch falls ja, was sagte sie ihm? War sie anders, als Freya? Was sagte sie ihm wohl? All diese Fragen schossen mir in den Kopf, obwohl sie in diesem Moment das Unwichtigste waren, denn als ich versuchte mir klare Gedanken zu verschaffen, hörte ich die leisen, schweren Schritte hinter mir. Aus Angst blieb ich stehen, wagte es aber nicht mich umzudrehen, da mich die Furcht fast lähmte.
»Hände hoch«
Ich biss mir so stark auf die Unterlippe, dass begann das Blut in meinem Mund zu schmecken. Sie musste an ihren Gedanken arbeiten, doch wie? Sie schwiff ab und bemerkte es nicht, außerdem schien es unmöglich für mich, ihr im wachen Zustand zu helfen. Diese Stimme, sie klang so hart, zu dunkel, um die Kälte zu vertreiben, die sich wie einen Mantel um mich gelegt hatte und sich in meine Knochen grub. Sie durfte nicht sterben, ihre Zeit war noch nicht gekommen, doch dabei war ihr... unser Tod nur ein Abdruck entfernt. Ich durfte nicht negativ denken, das tat Madelyn schon, doch wie sollte ich ihr helfen? Ich konnte nicht mit ihr reden, sie nicht zur Ruhe zwingen, das lag nicht in meiner Macht. Nun blieb mir nichts anderes übrig, als an sie zu glauben und zu hoffen, dass sie zeigte, wer sie war.
Der kalte Schweiß lief mir den Rücken herunter, man konnte die schweren Schritte sogar auf den nahezu perfekt sauberen Teppich genau wahrnehmen. Laut und bedrohlich, obwohl es nur Schritte waren. Ich hatte mich noch immer nicht ein Stück bewegt, die Pistole war noch immer auf Ethans Rücken gerichtet. Chris hingegen hatte sich beinahe sofort aus seiner Schockstarre gelöste und die Hände in die Luft gestreckt, doch ich war nicht dazu in der Lage. Es war nicht einmal die Angst vor dem Tod, die mich dazu zwang, im Gegenteil, es war das seltsame Gefühl zu wissen, dass ich noch nicht dazu bereit war zu akzeptieren, dass ich sterben müsste. Die Dinge waren noch nicht in Ordnung, das Leben vieler war noch nicht in Ordnung. Selbst wenn es mein Schicksal sein sollte, was ich nicht hoffte, in diesem Krieg zu sterben, wollte ich sichergehen, dass meine Lieben ein besseres Leben haben würden.
»Ich zähle bis drei.«, hörte ich die Warnung und spürte den Druck des Metalles an meinem Rücken. Ich ließ die Pistole fallen, das Schellen auf dem Boden hallte in den langen Gang wieder. Meine Hände hielt ich neben meinem Kopf. Ich tat es nicht, weil ich aufgab, ich wollte nur den Schein erwecken.
»Umdrehen.«, gab er trocken von sich. Den Abend vor dem Ball, hatte mir Tia erklärt, wie man jemanden möglichst schnell außer Gefecht setzte. Sie sagt mir, ich solle möglichst so stark ich konnte auf den Hals des Angreifers schlagen, wenn mir dies gelang, sollte ich versuchen ihn zu Boden zu bringen, um ihm dann die Luft abzudrücken, bis er bewusstlos wurde. Ich sagte ihr, dass ich, selbst nachdem ich einen Soldaten erstochen hatte, höchst wahrscheinlich nicht dazu im Stande wäre, ohne danach in Panik auszubrechen. Während sie dann weiterhin versucht hatte mir einzureden, dass es gar nicht so schlimm war, kam meiner Mutter die Idee, dass ich demjenigen, sofern es sich um einen Mann handelte, einfach einen Tiefschlag verpassen solle. Dies sollte bereits reichen, um wegzulaufen, meinte sie leicht lächelnd. Ich wusste, dass es verrückt klang, aber mit diesem Einwand war ich weitaus mehr einverstanden.
»Hörst du schlecht?«,fragte er mich provozierend. Ich musste mir ein Lachen unterdrücken.
»Nein, würde ich es, hätte man mir höchst wahrscheinlich Tabletten gegeben, wofür Menschen gefoltert-«
»Dreh dich einfach um, Madelyn.«, sagte Chris mir mit nervös zitternder Stimme. Ich wollte gerade etwas Zynisches erwidern, doch dann spürte ich, wie sich der Druck an meinem Rücken schnell verflüchtete. Natürlich war ich erleichtert, doch gleichzeitig fragte ich mich auch weshalb. Vielleicht lag es ja daran, dass ich ihn mit meinen Worten eingeschüchtert hätte, obwohl diese Theorie wirklich unwahrscheinlich war.
»Verdammt, was treibst du hier? Du und Jayden solltet doch schon längst wieder zurück sein.«, hörte ich ihn nicht mehr ganz so hart fragen. Nun erkannte ich sogar die Stimme meines Vaters, da sich die lähmende Furcht verflüchtigt hatte. Ich drehte mich nun endlich um, schließlich hatte ich kaum noch etwas zu befürchten, es sei denn er wäre auf einmal der loyale Soldat, den man eigentlich in ihm sah. Ich konnte die dicken Augenringe sehen, die unter seinen braunen Augen prangten. Der Schlaf musste ihm fehlen, es musste hart sein ständig für den Schutz von Menschen zu sorgen, die man eigentlich hasste, was ich als ein wahres Leid empfand.
»Es gab eine Planänderung, er ist hier... irgendwo. Ethan wollte gerade so nett sein und uns zu ihm bringen«, erklärte ich und warf meinem Cousin ein gewollt falsches Lächeln zu, als mein Vater sein Gewehr nun auf ihn richtete. Nun schien er wohl den nötigen Respekt zu haben, schließlich wollte es kaum einer mit einem Soldaten aufnehmen, der sogar, im Gegensatz zu mir, abdrücken könnte.
»Was hat der Junge jetzt wieder angestellt?«, fragte er mich wieder. Ich warf einen prüfende Blick zu Chris, der noch immer die Hände in die Luft hielt. Hatte er denn nicht begriffen, dass wir sicher waren?
»Er dachte, es wäre schlau nicht auf mich zu hören und seinen Willen durchzusetzen. Jetzt sitzt er seit gestern in irgendeiner Zelle, ich hoffe nur, dass sich im Klaren ist, dass er Unrecht hatte, ansonsten wird es mir eine Freude sein, es ihm unter die Nase zu reiben, außerdem-«
»War sie schon immer so redebedürftig?«, unterbrach mich Ethan leise lachend. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu, doch dann gab mein Vater ihm bereits einen Stoß mit dem Gewehr, um ihm zu signalisieren, dass er sich bewegen solle. Doch irgendwie hatte er recht, ich war sonst viel ruhiger gewesen, aber vielleicht lag es momentan auch nur daran, dass ich einerseits glücklich war auf meinen Vater getroffen zu sein, aber andererseits auch Angst hatte Jayden nicht zu finden. Ich wollte doch nur einmal etwas Glück, war das denn zu viel verlangt? Es war schließlich nicht so, dass wir in letzter Zeit besonders viel davon gehabt hatten. Als ich noch Anstalten machen wollte die Pistole aufzuheben, um das merkwürdige Gefühl von Sicherheit, aber auch Nervosität abdrücken zu müssen wieder zu erlangen, hielt Dad mich am Handgelenk fest.
»Das ist Spielzeug, nimm die, ich hoffe du weißt in etwa wie es geht.«, meinte er, fasste mit seiner leeren Hand an seinen Waffengürtel und drückte mir eine schwarze Pistole in die Hand, die um Einiges schwerer war als Ethans. Ich wusste nicht, weshalb diese ausgerechnet besser sein sollte, denn eigentlich erfüllten sie beide den gleichen, traurigen Sinn: das Töten und Verletzen von Menschen. Ich hatte mich einmal gefragt, wie man nur auf die Idee gekommen war Waffen zu erfinden. Früher hatte man sie zur Jagt genutzt, um essen zu können, was eigentlich noch verständlich war, aber warum richtete man sie dann gegen seine eigene Art? Was war in uns, was uns dazu brachte einander zu töten? Es ergab keinen Sinn, immerhin wollten wir doch eigentlich alle dasselbe, ein glückliches Leben führen. Dazu brauchten wir einander, denn unsere Welt lag in unseren blutverschmierten Händen.
»Weißt du, normale Väter schenken ihren zwanzig jährigen Töchtern ein Auto.«, erwiderte ich, um die Stimmung zu lockern, obwohl mir eigentlich gar nicht so recht nach Späßen zu mute war, jedoch konnte ich sehen, wie seine Mundwinkel leicht zuckten.
»Ich bin kein normaler Vater, aber wenn du willst, schenke ich dir eins, wenn das alles vorbei ist und dein Fahrstil mich überzeugt hat.« Es war kaum zu glauben, doch ich besaß wirklich einen Führerschein, auch wenn ich kaum fuhr. Es lag nicht daran, dass ich unfähig war, sondern, dass es hier nicht wirklich eine Frauensache war. Immerhin musste wir uns für Klatsch und Tratsch, Schminke und das eigene Aussehen interessieren. Es hörte sich langweilig an, das war es aber auch. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwem Spaß machte stets und ständig schlecht über Personen zu reden, die man nicht einmal richtig kannte, was sollte daran so schön sein? Hatte man denn kein eigenes Leben, für das man sich interessierte?
»Wie geht es deiner Mutter?«, fragte er mich nach längerem Schweigen. Ich hörte einen leichten Schimmer von Traurigkeit in seiner Stimme, doch ich konnte ihn verstehen. Sie schienen sich wirklich geliebt zu haben, doch ich fragte mich, weshalb man ausgerechnet jemanden zum Soldat nahm, bei dem man wusste, dass er sich unter keinen Umständen als loyal erweisen würde. Aber warum vertrauten die Scotts ihm? Sie waren zu klug, um sich so offensichtlich reinlegen zu lassen und die Tatsache, dass ausgerechnet mein Vater uns gefunden hatte, brachte mich zum Grübeln. Warum schenkte man uns unsere Freiheit und ließ zu, dass wir ihnen ihren einzigen Sohn nahmen?
»Gut, denke ich, doch-«
»Dort vorne ist er.« , unterbrach Eric mich frech und nickte in die Richtung der Tür, die ein paar Meter von uns entfernt war. Ich blickt an das Bild, welches die Wände aus altem, dunklen Holz mit leichten Verwirrungen schmückte. Ich konnte mich an den bärtigen Mann erinnern, ich hatte ihm zwar kaum Beachtung geschenkt, doch er war in meinem Gedächtnis hängengeblieben, wie er dort stand, die Harke in den Händen hielt und sich mit ausdruckslose Miene hatte malen lassen.
»Wartet hier, ich gehe rein, gibst du mir die Schlüssel?«, fragte ich Dad, da ich wusste, dass alle Soldaten, die hier arbeiteten, einen besaßen, um bei Problemen vor keiner verschlossenen Tür stehen zu müssen. Er nickte etwas und fasste schnell in seine Tasche, um mir den Bund zu reichen. Ich zog die Luft ein, betete ihn dort zu finden, denn falls nicht, war er so gut wie verloren.
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Randinfo
Es wird nun vielleicht eine kleine Pause folgen, da ich ab dieser Woche Freitag die Prüfungen schreibe und darauf die Woche die letzten Arbeiten geschrieben werden und das geht nun mal vor. Ich werde versuchen so gut es geht weiterzuschreiben, habt noch einen schönen Abend und danke für euer Verständnis :)
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